Sehr geehrte Frau Professorin Nußberger, sehr geehrte Frau Schätz und Frau Gourari, sehr geehrter Herr Professor Voßkuhle, sehr geehrter Herr Kardinal, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich heiße Sie alle sehr herzlich willkommen hier in der Katholischen Akademie in Bayern zur Verleihung unseres diesjährigen Romano-Guardini-Preises! Heute ist der Tag der Menschenrechte. Am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Heute ist also ein „Hochfest“ der Überzeugung, dass allen Menschen eine unveräußerliche Würde eignet, und dass dies auch tatsächlich weltweit für alle Menschen gelten und einklagbar sein muss.
Mit unserer heutigen Preisverleihung landen wir thematisch einen Volltreffer. Denn etliche Aspekte dieser Ehrung werden aktuell heiß diskutiert und erweisen gleich auf mehreren Ebenen ihre politische und humanitäre Bedeutsamkeit. Und unsere Preisträgerin Angelika Nußberger hat auf allen Ebenen damit zu tun.
Human rights
Menschenrechte – das ist ihr Clou – gehen jeden etwas an. Sie prägen den Alltag jedes und jeder einzelnen weltweit. Auch wenn wir uns das gar nicht immer bewusst machen. Diese Erkenntnis ist so ein bisschen ein Mantra unserer Preisträgerin. Und es zeichnet sie aus, dass sie bei aller wissenschaftlichen Vertiefung dieser ziemlich komplexen juristischen Materie, die sie seit über 20 Jahren an ihrem Lehrstuhl und in ihren Büchern betreibt, doch immer auch diese Lebensnähe betont hat: Ob ich faktisch zu meinem Recht komme oder nicht, ob mir im Konkreten Gerechtigkeit widerfährt oder nicht, ob die Menschenrechte in meinem Leben Wirklichkeit sind oder nicht, das macht einen gewaltigen Unterschied!
Dieser Gedanke hätte Romano Guardini gefallen. Denn Recht und Gerechtigkeit sind für ihn wichtige Größen, die in seinen Schriften immer wieder aufblitzen. In den berühmten Meditationen zu den Tugenden heißt es: „Das Wort [Gerechtigkeit] hat einen hohen, aber auch tragischen Klang. Schöne Leidenschaft hat sich an ihm entzündet; edelste Großmut ist um seinetwillen geübt worden – aber an wie viel Unrecht erinnert es auch; an wie viel Zerstörung und Leid. Die ganze Geschichte der Menschheit könnte man unter der Überschrift erzählen: ,Der Kampf um die Gerechtigkeit‘.“
Dass übrigens Angelika Nußberger sich seit ihren frühen Münchner Jahren mit dem Werk Romano Guardinis beschäftigt – sie wird nachher noch davon erzählen – das verleiht der heutigen Konstellation einen geradezu familiären Charakter. In diesem Sinne möchte ich die gesamte Familie Nußberger, die heute zahlreich hier erschienen ist, und alle Freundinnen und Freunde der Preisträgerin herzlich begrüßen und Ihnen allen auch ganz persönlich eine rundum angenehme Feier wünschen. Wie schön, dass Sie alle hier sind!
Verfassungsrecht
Die Menschenrechtserklärung von 1948 hatte keinen rechtsverbindlichen Charakter. Aber schon im Jahr darauf wurde ein Katalog von Grundrechten in unserem Grundgesetz verankert. So bindet sich der Staat selbst an sie; und räumt allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit ein, ihre Einhaltung vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
Damit ist neben der individuellen, alltags-bezogenen Ebene nun die staatliche, verfassungsrechtliche Ebene erreicht, mit der sich Angelika Nußberger als Kölner Ordinaria für Verfassungsrecht auch intensiv auseinandersetzt: Es ist entscheidend, dass ein Staat sich dieser Grundlage verpflichtet weiß.
Wer wüsste das besser als der Laudator unserer heutigen Feier, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, der zwischen seinen Phasen an der Universität Freiburg zehn Jahre lang Präsident dieses Bundesverfassungsgerichts war und somit mit Haut und Haaren als Wächter für diese Ordnung einstand. Und er hört natürlich auch nicht auf, sich einzumischen, wenn wie etwa bereits in Ungarn, Polen, Israel oder den USA auch bei uns Kräfte erstarken, die nicht nur einzelnen Personengruppen weniger Rechte einräumen möchten als anderen, sondern die das Oberste Gericht demontieren und dadurch auch für das System als Ganzes gefährlich werden könnten: Braucht unser Bundesverfassungsgericht noch vor der Wahl besseren Schutz vor der Einflussnahme durch die Feinde und Verächter der Demokratie?
Da tauchen wir mit unserem heutigen Thema mitten in die aktuellen Diskurse ein, die auch für unser Staatswesen von grundlegender Bedeutung sind. Lieber Herr Professor Voßkuhle, Ihnen ein besonderes Dankeschön, dass Sie unserer Bitte „stattgegeben“ haben, die heutige Laudatio zu halten und dafür – eben noch auf Schloss Elmau – flugs zu uns nach München gekommen sind. Herzlich willkommen!
Internationales Recht
Und damit komme ich zur dritten Ebene: dem „Internationalen Recht“, das in unseren Tagen ebenfalls extrem fragil ist: Wir müssen uns inzwischen ernsthaft Sorgen machen, ob uns ein regelbasiertes Miteinander der Staaten und Völker dieser Welt nicht vollends verloren geht.
Der dreiste Rechtsbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist dafür nur das naheliegendste von vielen Beispielen: Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind über zweieinhalbtausend Verfahren gegen Russland mit Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe anhängig – und hängen fest, bleiben folgenlos. Angelika Nußberger, die neben Rechtswissenschaft auch Slawistik studierte und schon vor vielen Jahren das „System Putin“ analysierte, war neun Jahre lang Richterin am „weltweit wichtigsten Menschenrechts-Gericht“, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, zwei Jahre lang sogar als seine Vizepräsidentin.
Sie verkörperte damit den Grundsatz, dass es überstaatliche Instanzen geben muss, wo ein Staat die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zuverlässig garantiert oder vielleicht auch gar nicht mehr garantieren will. Da muss es Gerichte geben, vor denen ich meine Rechte auch gegenüber einem Staat einklagen kann. Nußbergers Bilanz fällt durchwachsen aus. Einerseits klagt sie: „Die Hoffnung war, ein starkes Antibiotikum gegen Diktatur und Menschenrechtsverletzungen zu entwickeln. Herausgekommen sind Globuli“. Da geht es ihr nicht besser als dem Internationalen Strafgerichtshof, dessen Haftbefehle aktuell auch oft nur von einem Teil der Welt umgesetzt werden: In Deutschland herrscht zum Beispiel über den Fall Vladimir Putin breite Einhelligkeit, während über den Fall Benjamin Netanjahu doch heftig und kontrovers diskutiert wurde. Wir sehen daran, wie schwer es doch auch uns selber fällt, uns dem internationalen Recht konsequent zu unterwerfen.
Andererseits macht Nußberger geltend, dass es auch ohne, dass alle mitziehen, durchaus etwas zum Guten verändert, wenn öffentlich festgestellt wird, wer im Recht und wer im Unrecht ist. In einem ihrer vielen überraschend anschaulichen Vergleiche macht sie geltend, dass im Straßenverkehr die ordnende Wirkung einer Geschwindigkeitsbegrenzung ja auch nicht dadurch zunichte gemacht wird, dass es einzelne Raser (und Raserinnen) gibt. Und so ist die Stärkung des Internationalen Rechts auf jeden Fall eine sinnvolle Therapie, auch wenn sie bei waschechten Despoten oft nur in homöopathischen Dosen Wirkung entfaltet. Aber auch autokratische, gewaltbasierte Regime bestehen nicht ewig. Manchmal, und das sehen wir dieser Tage in Syrien, enden sie schneller, als man denkt.
Engagement
Auf allen Ebenen ist es also spannend beim Thema Menschenrechte. Und auf allen Ebenen braucht es Engagement! Das sah bereits Romano Guardini so, der uns Staatsbürger zur Mitarbeit aufruft: „Die staatsbürgerliche Pflicht enthält nicht nur die zur Achtung vor den Rechten des Andersdenkenden, sondern auch die zum Kampf für das als wahr Erkannte: … für das Rechte“ – so Guardini – für das, was Recht ist.
Diesem Kampf ist auch Angelika Nußberger verpflichtet. Sie lässt es mit ihrem wissenschaftlichen Engagement und ihrer Richtertätigkeit nicht bewenden, sondern engagiert sich auch öffentlich und publizistisch für die gute Sache. Besonders apart finde ich dieses kürzlich erschienene Buch (ich zögere ein wenig, es „Kinderbuch“ zu nennen), in dem sie in einer jedenfalls für Teenager verständlichen Sprache und anhand zahlreicher ungewöhnlicher Geschichten verständlich macht, warum das Konzept der Menschenrechte so wichtig ist und warum es sich lohnt, dafür einzustehen, dass alle Menschen „gleich und frei“ sind.
Kardinal Reinhard Marx dürfte es freuen. Denn auch er hat neulich noch angemahnt, um die Demokratie zu retten, reiche Fromm-Sein alleine nicht aus. Da brauche es auch Engagement: nicht die Hände in den Schoss legen, sondern soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte leben, um „die Welt für alle besser zu machen“. Lieber Herr Kardinal, danke, dass Sie als Protektor unserer Akademie auch heute wieder Ihre Gedanken als Schlusswort in die Verleihung des Romano-Guardini-Preises einbringen!
Öffentlichkeit
Ein bescheidener Beitrag unserer Akademie zu diesem Engagement für die Menschenrechte ist unter anderem, dass wir am heutigen Tag nach Kräften versuchen, dem Thema öffentliche Aufmerksamkeit zu verleihen. Deshalb bin ich sehr froh, dass so viele Menschen hergekommen sind und ja auch bereits im Vorfeld eine reiche Berichterstattung zu verzeichnen war. Heute sind Vertreterinnen und Vertreter aus vielen, ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zugegen. Und so begrüße ich exemplarisch für die Hilfswerke, die sich in manchmal brutaler Konkretion um die Menschenwürde kümmern, Herrn Dr. Markus Ingenlath, den Geschäftsführer von Renovabis, und Msgr. Wolfgang Huber von Missio München; für die Justiz Frau Beate Ehrt, die Präsidentin des Münchner Amtsgerichts, und Generallandesanwalt Dr. Jörg Vogel für die Nahtstelle der Jurisprudenz zur Verwaltung; Brigadegeneral Thomas Hambach vom Landeskommando Bayern für die Bundeswehr; den Klimafolgen-Forscher Prof. Dr. Ottmar Edenhofer als Träger des Romano-Guardini-Preises; Erzpriester Apostolos Malamoussis für unsere Freunde aus der Griechisch-orthodoxen Kirche; Dr. Matthias Belafi für das Katholische Büro; Gudrun Lux für die Stadt München; Dr. Hildegard Kronawitter, Prof. Dr. Marita Krauss, Dr. Ludwig Brandl und Prof. Dr. Nikolaus Korber für die Akademieleitung und Daniela Philippi M. A. für den Verein der Freunde und Gönner der Akademie; Hiltrud Schönheit für den Katholikenrat und Christian Weisner für Wir sind Kirche; Prof. Dr. Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und Dmytro Shevchenko, den Kanzler der Ukrainischen Freien Universität München, für das Bildungswesen; Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, für die Wirtschaft; Generalhonorarkonsul Prof. Dr. Andreas Pitum für das Konsularische Corps; Prof. Dr. Andreas Wirsching, den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte; Cornelia Zetzsche und Antje Tesche-Mentzen für die Kultur, zu der neben der Literatur und der Bildenden Kunst natürlich auch die Musik zählt …
Music
Und da darf ich voller Dankbarkeit darauf hinweisen, dass es uns wieder einmal gelungen ist, in der Musik der heutigen Festveranstaltung inhaltliche Aspekte zu vereinen, die die musikalische Gestaltung kompositorisch in die Preisverleihung einbinden und dadurch zu viel mehr machen als nur Rahmen oder Schmuck. Ich danke an dieser Stelle unserem ehemaligen Studienleiter Dr. Johannes Schießl, dessen sprühenden Geist in dieser Disziplin wir hoffentlich auch in den kommenden Jahren immer wieder für unsere Preisverleihungen abrufen dürfen. Vor allem aber danke ich den beiden Musikerinnen dafür, dass sie unserer Feier mit ihrer Brillanz eben nicht nur ästhetischen Genuss, sondern auch Tiefgang verleihen: Heute beschenken uns die international renommierte, deutsch-russische Pianistin Anna Gourari und die Pianistin und Klavierpädagogin Anne Schätz, Gründungsmitglied des Ensembles KiKolino-Kinder-Konzerte, mit ihrer vierhändigen Virtuosität: Sie geben eine Auswahl der Slawischen Tänze von Anton Dvořák und schlagen damit die Brücke zu Angelika Nußbergers zweitem Studienfach und vielfachen Schwerpunkt auch ihrer juristischen Interessensgebiete. Liebe Frau Gourari, liebe Frau Schätz, danke, dass Sie uns diese Musik schenken!
Beide Musikerinnen haben übrigens mit Angelika Nußberger etwas gemeinsam, das ich kurz erwähnen möchte: dass sie nämlich das, wofür sie brennen, gerne an Kinder und Jugendliche weitergeben. Das ist ein Sektor, der vielleicht wenig Aufmerksamkeit auf der großen Bühne erlangt, der aber dafür – sei es nun in Sachen Musik oder in Sachen Menschenrechte – die Gewissheit schenkt, genau bei den richtigen Adressaten anzusetzen, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht, um die Zukunft der Humanität!
Bis wir in den Genuss der nächsten Slawischen Tänze kommen, haben wir allerdings noch einiges vor uns: nämlich ein Grußwort, die Laudatio und die feierliche Verleihung des Romano-Guardini-Preises. Danach haben wir es uns dann verdient, in gleich zwei Slawischen Tänzen mitschwingen und schwelgen zu dürfen.
Und damit übergebe das Wort an Staatsminister Joachim Hermann, der nicht zum ersten Mal auf unserer Preisverleihung mit einem Grußwort die Bayerische Staatsregierung repräsentiert. Er tut dies aber heute zum ersten Mal virtuell in Form einer Video-Botschaft – und zwar aus einem äußerst triftigen Grund: Dienstagmorgen ist Kabinettssitzung. Da kann keiner fehlen. Aber er hat mir noch vor ein paar Tagen auf dem Themenkonvent des Katholikentags versichert, wie sehr er diese Verhinderung gerade in diesem Fall bedauert – und dass er auf jeden Fall noch nachkommen möchte, sobald die Kabinettssitzung vorbei ist. Im Vorgriff auf seinen Adventus in Präsenz darf ich also nun zu seinem digitalen Avatar sagen: Die Leinwand gehört Ihnen!
Und Ihnen allen hier im Saal danke ich für die Aufmerksamkeit.