Der Blick zurück auf die Verhandlungen zum Konkordat zwischen dem Hl. Stuhl und Bayern führt in die Anfangs- und Formationsphase des Freistaates Bayern, zugleich in die Anfangs- und Schicksalsjahre der ersten gesamtdeutschen Republik von Weimar. Für den jungen Freistaat war das Konkordat eine fundamentale Weichenstellung, die nicht nur über die Ausgestaltung des neuen Religionsrechts in der Weimarer Reichsverfassung entschied, sondern auch über das Verhältnis von bayerischem Föderalismus und Berliner Unitarismus sowie über das Verhältnis zwischen Staat, zivilgesellschaftlicher Freiheit und Pluralität.
Neuordnung in der Weimarer Republik
Die Revolution von 1918 hatte nicht nur die Monarchie gestürzt, sondern auch die geistliche Schulaufsicht über die Volksschule beseitigt und die Abmeldung vom Religionsunterricht erleichtert. Weitergehende Befürchtungen, dass eine Entchristlichung Bayerns drohe, wirkten als Schreckgespenst mobilisierend für die Gründung vor allem der Bayerischen Volkspartei (BVP). Sofort stellte sich das Problem, ob das alte Konkordat aus dem Jahr 1817 über den Sturz der Monarchie hinaus weiter in Geltung sei: Schließlich mussten die zahlreichen Pfarreien, bei denen die Regierung das Besetzungsrecht hatte, nachbesetzt werden. Früher oder später würde das auch für Bischofssitze gelten. Die Regierung Kurt Eisner (1867–1919) ging davon aus, dass die königlichen Präsentationsrechte auf sie übergegangen seien und auch die bayerischen Bischöfe wollten dies zunächst zumindest stillschweigend tolerieren. Die im August 1919 verabschiedete Reichsverfassung legte dann aber in Art. 137 fest, dass jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbst verwalten werde. Für die staatliche wie für die kirchliche Seite wurde nun die Überzeugung leitend, dass ein neues Konkordat ausgehandelt werden müsse. Nach einem ersten Sondierungsgespräch am 30. Oktober 1919 mit Johannes Hoffmann (1867–1930), dem aus der Pfalz stammenden, sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, einem dezidiert antiklerikalen ehemaligen Volksschullehrer, verfasste der Apostolische Nuntius Eugenio Pacelli (1876–1958, ab 1939 Papst Pius XII.) zehn kirchliche Forderungspunkte. Ende 1919 lud er die bayerische Regierung offiziell zu Konkordatsverhandlungen ein; am 20. Januar 1920 stimmte der Landtag der Annahme dieser Einladung zu. Pacelli baute den kirchlichen Forderungskatalog noch einmal auf 19 Punkte aus. Diese Punktation II überreichte er am 4. Februar 1920.
Für die Kirche, namentlich den Nuntius, bot sich eine einmalige Gelegenheit: Im 19. Jahrhundert hatten die Bischöfe gegen das, was sie als „Staatskirchentum“ kritisierten, gekämpft, nämlich gegen die staatliche Kontrolle und Aufsicht über die Kirche. Diese meinte der Staat nach der Verfassung, namentlich dem mit dieser als Beilage mitveröffentlichten Religionsedikt, aus christlicher Verantwortung für seine christlichen Untertanen ausüben zu müssen. Mit dem nunmehrigen Rückzug des Staates konnte man von Seiten der Kirche im Gegensatz dazu Maximalforderungen – was man von Seiten des Freistaats durchaus negativ konstatierte – aufstellen:
a) Anstatt königlichen Präsentationsrechts Ernennung der Bischöfe durch den Papst und der Mehrzahl der Pfarrer durch den Bischof; ebenso der Domkapitulare.
b) Festschreibung der konfessionellen Volksschule und des Religionsunterrichts in den Schulen; Wiedereinführung der geistlichen Schulaufsicht.
c) Sicherung der theologischen Universitäts- und Hochschulfakultäten (dort anfangs sogar die bischöfliche Ernennung der Professoren gefordert) und konfessioneller Weltanschauungsprofessuren sowie kirchliche Zustimmungspflicht zu und Beanstandungsmöglichkeit gegenüber
deren Trägern.
d) Ablösung der Staatsleistungen durch Dotation in Immobilien (Wald oder Gold).
e) Vom Staat finanzierte Seelsorge beim Militär, in Krankenhäusern und in Gefängnissen.
Dabei waren diese kirchlichen Maximalforderungen zugleich dezidiert römische oder zumindest zentralistische Maximalforderungen. Sie entsprachen den kirchenrechtlichen Regelungen, wie sie der neu im Jahr 1917 promulgierte Codex Iuris Canonici vorsah. Traditionellerweise hatten nicht nur die Staaten, sondern auch die Ortskirchen viel größere Mitwirkungsrechte gehabt, gerade was die Wahl oder Nomination der Bischöfe betraf. Auch das kirchliche Einkommen war in früheren Zeiten in der Regel dezentral mit dem einzelnen Amt verbunden und wurde nicht durch die Diözese zentral gezahlt.
Staat und Kirche verhandeln: drei Problemkreise
Der Staat war zwar grundsätzlich an einem Konkordatsabschluss interessiert: Es war wichtig, dass das Staat-Kirche-Verhältnis verlässlich geregelt war; zugleich wollte man gegen die unitaristische Tendenz der Reichsverfassung, nach deren Artikeln 6 und 78 allein das Reich für außenpolitische Verträge und Beziehungen zuständig war, einen Rest an Eigenständigkeit bewahren. Kultus und Kultur blieben Ländersache und in diesen Angelegenheiten konnten mit auswärtigen Staaten Verträge geschlossen werden, die freilich der Zustimmung des Reiches bedurften. Gerade die
Bayerische Volkspartei, die als größte Partei anfangs die Regierung Hoffmann stützte und dann selbst sogenannte „Beamtenministerpräsidenten“ stellte, ohne sich doch – bis zum Jahr 1924 – ganz auf die neuen Verhältnisse einzulassen, wollte nach Möglichkeit die Verfassung in Richtung eines größeren Föderalismus auslegen bzw. reformieren.
So waren es drei Problemkreise, die zwischen Kirche und Staat besonders umstritten waren und die die Verhandlungen in die Länge zogen: 1) Das Verhältnis zum Reich; 2) Die Mitwirkungsrechte der Ortskirchen; 3) Die Frage der Staatsleistungen und der konfessionellen Schule.
Ad 1) Am 22. Juni 1920 wurde Pacelli zugleich beim Reich in Berlin als Nuntius akkreditiert. Ließ sich das Staat-Kirche-Verhältnis durch ein Reichskonkordat nunmehr sogar für alle deutschen Länder auf eine für die Kirche vorteilhafte Weise lösen, sodass man die bayerischen Verhandlungen zurückstellen sollte? Die Versuche des Nuntius in Berlin scheiterten jedoch an den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag. Dort war die Lösung der Schulfrage zugunsten konfessioneller Bekenntnisschulen wegen des Widerstands der liberalen und der linken Parteien nicht durchsetzbar; diese standen auch grundsätzlich der Konkordatsidee kritisch gegenüber, da man die katholische Kirche bzw. den Hl. Stuhl nicht als gleichberechtigtes völkerrechtliches Subjekt interpretierte.
Ad 2) Als Ende des Jahres 1921 klar war, dass ein Reichskonkordat nicht durchsetzbar und eine Vereinbarung mit Bayern für die Kirche vorteilhafter wäre, kam eine neue Dynamik in die Verhandlungen. Im Januar 1922 legte der bayerische Kultusminister Franz Matt (1860–1929) von der BVP eine offizielle Antwort auf die Punktation des Nuntius vor. Die Verhandlungen wurden vor allem zwischen Sommer 1922 und Sommer 1923 intensiv geführt. Auch auf Drängen der bayerischen Domkapitel wollte die bayerische Regierung die päpstliche Ernennung der Bischöfe nicht akzeptieren. Die Kapitel, der Klerus der Bischofskirche, sollten – wofür die Praxis der Kirche vor dem 19. Jahrhundert sprach – ihren Bischof wählen dürfen. Hier blieben aber der Nuntius und Rom hart; wunschgemäß bestätigte das päpstliche Staatssekretariat Pacelli, dass Rom die Verhandlungen scheitern lassen würde, wenn der Freistaat die päpstliche Bischofsernennung nicht akzeptierte. Daraufhin gab man schließlich von staatlicher Seite nach: Zwar dürfen die Kapitel und die Bischöfe Vorschlagslisten senden; inwieweit der Papst diese aber dann berücksichtigt, hängt allein von dessen freier Entscheidung ab. Die Regierung selbst kann nur bei politischen Bedenken ein Veto einlegen.
Ad 3) Neuralgische Punkte waren überdies die Schul- und die Finanzfrage. Für die BVP waren die kirchlichen Forderungen – konfessionelle Volksschule, konfessionelle Lehrerausbildung, staatlich garantierter konfessioneller Religionsunterricht sowie kirchliche Mitbestimmungs- und Aufsichtsrechte – grundsätzlich akzeptabel. Sie hatte aber allein keine Mehrheit im Landtag und Liberale, Sozialisten und völkischer Block lehnten vor allem die Bekenntnisschule ab. Schließlich konnte die nationalkonservative, protestantisch geprägte Mittelpartei als Bündnispartner gewonnen werden, die im Gegenzug erreichte, dass auch mit den beiden protestantischen Kirchen, links- und rechtsrheinisch, Kirchenverträge geschlossen und vor allem die finanziellen Staatsleistungen auf eine weitgehend parallele Weise geregelt wurden. Dennoch erwiesen sich die Finanzfragen gerade in der letzten Verhandlungsphase als schwierig: Neben der Garantie des Kirchenvermögens und der Kirchensteuer wollte Pacelli die Ablösung der Staatsleistungen durch Neufundierung mittels Immobilienvermögen erreichen. Dazu sah sich in wirtschaftlich schwerer Zeit die Regierung nicht in der Lage. Der Nuntius erreichte aber, bis zur Ablösung, die Fortschreibung und dynamische Anpassung der bisherigen Staatsleistungen an die neuen Erfordernisse.
Auf die bayerische Anfrage hatte Reichskanzler Wilhelm Marx (1863–1946) bereits im März 1923 erklärt, dass das Konkordat nicht der Reichsverfassung widerspreche. Da die meisten kirchlich-römischen Forderungen erfüllt waren, sprach Papst Pius XI. (1857–1939, Papst seit 1922) am 8. Dezember 1923 von einem „sehr guten Konkordat“. Es wurde am 29. März 1924 unterzeichnet; nach einer hitzigen Debatte im Landtag wurde es dort mit 73:52 Stimmen am 15. Januar 1925 angenommen, so dass es am 24. Januar 1925 ratifiziert werden konnte.
Für den Nuntius und die Kirche war es ein Musterkonkordat: Wenn der Papst schon für die mehrheitlich katholischen Bayern nicht mehr Zugeständnisse machen konnte, dann erst recht nicht für die anderen deutschen Länder, so die Argumentationslinie. Während die Verhandlungen mit Hessen und Württemberg in den folgenden Jahren scheiterten, kam es 1929 zu einem Konkordatsschluss mit Preußen und 1932 mit Baden. Die Schulfrage musste der Nuntius dort aber jeweils aussparen und auch den Rest eines Wahlrechts – das Kapitel darf aus einem päpstlichen Dreiervorschlag auswählen – musste man von römischer Seite zugestehen. Dennoch fungierte das Bayernkonkordat auch hierbei in gewisser Weise als Musterkonkordat, das einen wesentlichen Einfluss ausübte auf die Ausgestaltung des Staat-Kirche-Verhältnisses im Anschluss an die Weimarer Reichsverfassung.
Das Bayernkonkordat hatte Pionierfunktion
Am Ende ist zu fragen, ob Bayern sich hier hat über den Tisch ziehen lassen. Der Wunsch, gegen einen Berliner Unitarismus einen Rest an bayerischer Eigenständigkeit zu sichern, zudem die kirchenfreundliche Gesinnung der damaligen BVP-Politiker, haben dazu geführt, dass viele Wunschvorstellungen der Kirche in das Konkordat eingegangen sind. War der Preis
hierfür zu hoch?
Zu bedenken ist, dass das Selbstverständnis des Freistaates, sein Verhältnis zur Reichsregierung, auf dem Boden der neuen Reichsverfassung erst ausgestaltet werden musste. Dasselbe gilt für das Verhältnis zu den Kirchen. Dem Bayernkonkordat kommt so für Gesamtdeutschland eine gewisse Pionierfunktion zu, da es als erstes die Trennung von Staat und Kirche, aber auch die freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Kirchen ausbuchstabiert bzw. konkretisiert hat. Hier wurde ein Weg etabliert, bei dem der Staat sich ein Stück weit zugunsten des freien Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen (Zivilgesellschaft) zurücknimmt und deren Beitrag als wertvoll für das Gemeinwesen anerkennt. Bei allen Änderungen, etwa der Abschaffung der Konfessionsschule zugunsten der christlichen Gemeinschaftsschule im Jahr 1968, ist dieses Zusammenspiel bis heute intakt.
Mit dem Konkordat wurde ein Weg gebahnt, auf dem die BVP als konservativ-christliche Volkspartei der Mitte, bei aller Ambivalenz, unter Heinrich Held (1868–1938) vor allem die bürgerlichen Wähler in Bayern an die Weimarer Republik integrierend binden konnte; ein eigenständiger bayerischer Kurs wurde entwickelt und das Konkordat fungierte hierfür als Katalysator. Für die Etablierung eines partnerschaftlichen Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften kam dem Bayernkonkordat auch deshalb eine Vorreiterrolle zu, nicht nur innerhalb Bayerns, sondern mittelfristig für das gesamte Reichsgebiet.