Das aktuelle Ringen um einen angemessenen Umgang mit inter- und transgeschlechtlichen Personen berührt eine Thematik, die nicht nur stark von historischen Hypotheken, gravierenden Unrechtserfahrungen und vielfachen Verhaltensunsicherheiten, sondern auch von begrifflichen Missverständnissen, ideologischen Übertreibungen, wachsenden Polarisierungen und vielen ungelösten praktischen Einzelfragen geprägt ist. Auch wenn die Gründe für diese konfliktreiche Gemengelage gewiss vielfältig sind, dürfte zumindest ein Teil der Probleme aus der enormen Komplexität des Gegenstandsbereiches sowie der unterschiedlichen Motivlage derjenigen resultieren, die sich an der vielstimmigen Debatte um Geschlechterfragen beteiligen. Während es den einen dabei vor allem um die Wahrnehmung individueller Leidenszustände und die Sensibilisierung der Gesellschaft für die besonderen Belange Betroffener geht, nutzen andere den Geschlechter-Diskurs längst zur Beförderung partikularer Interessen ökonomischer oder (kirchen)politischer Natur. Im Wettstreit um öffentliche Aufmerksamkeit, finanzielle Ressourcen und politischen Einfluss kommt es dabei zwischen den beteiligten Akteursgruppen zu gelegentlich überraschenden Koalitionen und Oppositionen, wobei die Trennlinien nicht selten innerhalb ein und derselben wissenschaftlichen Disziplin verlaufen.
Der katholischen Moraltheologie kommt in diesem Kontext eine doppelte Aufgabe zu: Erstens hat sie ad intra ihre eigenen schöpfungstheologischen und anthropologischen Grundannahmen darauf zu befragen, ob und inwiefern sie geeignet sind, neue humanwissenschaftliche Erkenntnisse zu einzelnen Aspekten von Geschlechtlichkeit zu integrieren und den verschiedenen moralischen Herausforderungen auf diesem Gebiet gerecht zu werden. Zweitens hat sie ad extra ihre Stimme in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs etwa um sachgemäße Regelungen im Bereich des Personenstandsrechts oder der Zugangsbedingungen zu medizinischen Behandlungsangeboten einzubringen.
Meine folgenden Überlegungen beschränken sich weitgehend auf die erste Aufgabe. Zunächst soll im Ausgang von der Ganzheitlichkeit des biblischen Menschenbildes die traditionelle schöpfungstheologische Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen gegen verschiedene Missverständnisse verteidigt und von Versuchen abgegrenzt werden, die binäre Geschlechterordnung grundsätzlich zu überwinden. Im Anschluss daran sind einige ethisch bedeutsame Aspekte für den Umgang mit inter- und transgeschlechtlichen Personen zu skizzieren.
Der ganzheitliche Ansatz des christlichen Menschenbildes und die Zweigeschlechtlichkeit
Moraltheologische Reflexion hat die für einen Sachbereich jeweils einschlägigen Aussagen von Schrift und Tradition so mit den zeitgenössischen Erkenntnissen der verschiedenen Humanwissenschaften zu vermitteln, dass dabei die Grundkoordinaten eines christlichen Menschenbildes und die daraus resultierenden normativen Orientierungen möglichst klar zutage treten. Dabei ist sowohl ein defätistischer Umgang mit den wegen ihrer vorneuzeitlichen Entstehungsbedingungen vermeintlich obsoleten biblischen und theologischen Denkformen als auch die naive Beschwörung eines ‚modernen Wissensstandes‘ zu vermeiden, der gerade auf dem Gebiet der Geschlechtertheorie in dieser Eindeutigkeit nicht existiert.
Vielmehr ist im Blick auf generalisierende Aussagen über den Menschen davon auszugehen, dass es innerhalb der Bibel eine einheitliche Anthropologie ebenso wenig gibt wie im Bereich der zeitgenössischen Humanwissenschaften, deren derzeitigen Erkenntnisse sich „durch eine dem Pluralismus unterschiedlicher Rationalitäten geschuldete
Unübersichtlichkeit“ auszeichnen. Obwohl sich innerhalb des Kanons biblischer Schriften ein facetten- und spannungsreiches Nebeneinander verschiedener Bestimmungen des Menschen findet und sich daher eine „komplementäre und kontrastive Dialogizität“ als „konstitutiv und unaufhebbar für eine hermeneutisch, theologisch und methodisch verantwortbare Biblische Anthropologie“ erweist, ist doch mindestens an zwei für unsere Thematik wichtige Grundüberzeugungen zu erinnern, die tief in die biblischen Texte eingewoben sind. Die eine Überzeugung betrifft die Ganzheitlichkeit des Menschseins, die andere seine zweigeschlechtliche Verfassung.
Im Gegensatz zu verschiedenen dualistischen Versuchen, die körperlich-materielle und die geistig-mentale Dimension des Menschen zu zwei unabhängigen metaphysischen Entitäten zu stilisieren und das wahre ‚Selbst‘ des Menschen dann entweder materialistisch oder rationalistisch mit einer davon zu identifizieren, bestehen die biblischen Autoren erstens von Anfang an auf der Ganzheitlichkeit des Menschseins, das in den Schriften der Tora wahlweise in seiner Bedürftigkeit als næfæš, in seiner Hinfälligkeit als bāśār und in seiner Ermächtigung als rûa h interpretiert wird. Es ist jeweils der ganze Mensch in seiner konkreten leib-seelischen Verfasstheit, der hier aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird.
Nicht minder bedeutsam ist zweitens ein Denken in relationalen Kategorien. Von entscheidender Bedeutung für die konstellative Anthropologie der Bibel sind dabei näherhin drei Grundbeziehungen, die erstens das Verhältnis des Menschen zu Gott als seinem Schöpfer, zweitens zu den untermenschlichen Geschöpfen (wie z. B. den Pflanzen und Tieren) und drittens zu seinem menschlichen Gegenüber betreffen. Für die nähere Interpretation dieser zwischenmenschlichen Beziehungen sind zwei einflussreiche Textstränge voneinander zu unterscheiden. Nach der priesterschriftlichen Traditionslinie in Gen 1,27 wird die Menschheit ursprünglich in zweigeschlechtlicher Differenzierung ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ erschaffen, wobei ein „egalitäres Konzept der Geschlechterdifferenz“ vorausgesetzt wird, das durch menschliche Schuld wieder verlorengeht und von hierarchischen Verhältnisbestimmungen abgelöst wird.
Nach dem „nicht-priesterlichen Text in Gen 2,4b-25 wird dagegen nicht die – geschlechtlich differenzierte – Menschheit gebildet, sondern aus dem Protoplasten, also dem geschlechtlich noch undifferenzierten ‚Menschen‘ (Gen 2,7) werden zwei einzelne Exemplare der Gattung geschaffen, die in der Folge ‚Mann‘ und ‚Frau‘ genannt werden“. Beide Textstränge blicken aus einer unterschiedlich akzentuierten funktionalen Perspektive auf das Schöpfungsgeschehen und die Geschlechterdifferenz. In der priesterschriftlichen Schöpfungskonzeption liegt der Akzent – wie Gen 1,28 zeigt – eindeutig auf der biologisch-reproduktiven Funktion der Zweigeschlechtlichkeit, die als solche den Fortbestand der Gattung sichert. Demgegenüber wird in der nicht-priesterlichen Textschicht – i. S. von Gen 2,18 – eher die mangelnde Autarkie des Individuums und die komplementäre Ergänzungsfunktion der Geschlechterdifferenz akzentuiert.
Alle diese biblischen Denkmotive – die Ganzheitlichkeit und Relationalität des Menschen ebenso wie die reproduktive und soziale Funktion der Zweigeschlechtlichkeit und die darauf aufbauenden normativen Orientierungen – sind für den aktuellen Geschlechterdiskurs m. E. ebenso bedeutsam wie spätere theologische Reflexionen im Umkreis differenzierter Naturrechtstheorien, die in produktiver Auseinandersetzung mit aristotelischen und stoischen Überlegungen zum vielschichtigen menschlichen Streben eine Konzeption unbeliebiger, aber gestaltungsoffener natürlicher Neigungen (sog. inclinationes naturales) erarbeitet haben, die in ihrer unaufhebbaren Spannung von vorgegebenen naturalen Dispositionen und der Aufgegebenheit rationaler Lebensgestaltung nicht nur in hohem Maße der allgemeinen menschlichen Selbsterfahrung entspricht, sondern sich auch für den verantwortlichen Umgang mit besonderen Bedingungen individueller Geschlechtsentwicklung als hilfreich erweisen dürfte.
Trotz gewichtiger biblischer und theologiegeschichtlicher Anknüpfungspunkte für unsere heutige Thematik ist zur Vermeidung möglicher Missverständnisse jedoch ausdrücklich zu betonen, dass es zwingend eines interdisziplinär angelegten Reflexionsprozesses bedarf, um diese Traditionsbestände mit den Anforderungen an einen zeitgemäßen Begriff der ‚Geschlechtlichkeit‘ zu vermitteln, der als solcher in der Lage ist, eine ganze Reihe neuerer humanwissenschaftlicher Erkenntnisse zu integrieren. So hat eine zeitgemäße Anthropologie nicht nur zwischen der biologischen, der psychischen und der sozialen Dimension von Geschlechtlichkeit zu unterscheiden, sondern auch innerhalb dieser Dimensionen vielfältigen möglichen Variationen gerecht zu werden. Bereits auf der biologischen Ebene sind mit den jeweils vorliegenden genetisch-chromosomalen, gonadalen, hormonellen und phänotypischen Gegebenheiten mehrere Ebenen zu berücksichtigen, die zwar in den allermeisten Fällen eine eindeutige Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Pol gestatten, daneben aber auch eine Reihe uneindeutiger Phänomene erkennen lassen. Ebenso ist das sog. psychische Geschlecht „eine Sammelbezeichnung dafür, wie ein Mensch sich vor dem Hintergrund seines Körpers, seiner hormonellen Ausstattung, seines Empfindens und seiner Biographie (einschließlich der kindlichen Erziehungsphase) geschlechtlich einordnet“7, wobei die jeweilige sexuelle Orientierung neben einer stabilen hetero- oder homosexuellen auch eine bisexuelle oder fluide Ausprägung annehmen kann. Schließlich kann auch die soziale Geschlechterrolle (gender), die ein Individuum aufgrund der Wechselwirkung verschiedener biologischer, psychischer und sozialer Faktoren einnimmt, entweder in Übereinstimmung oder in einer konflikthaften Spannung mit seinem biologischen Geschlecht (sex) stehen.
Angesichts dieser Komplexität verschiedener Sinngehalte plädieren manche Diskursteilnehmer dafür, den Geschlechtsbegriff nicht mehr zur Bezeichnung der integrativen Einheit all dieser Dimensionen innerhalb eines umfassenden Rahmens der Zweigeschlechtlichkeit zu verwenden, sondern auf die Ebene bestimmter Teilaspekte wie z. B. der sexuellen Orientierung oder des persönlichen Gefühls der eigenen Geschlechtsidentität zu verlagern und damit letztlich zu inflationieren. Der bereits in der Vergangenheit gelegentlich anzutreffenden Rede vom ‚dritten Geschlecht‘ zur Bezeichnung homosexueller Personen lassen sich so letztlich unendlich viele weitere Geschlechter an die Seite stellen, da die konkrete Ausprägung der jeweiligen geschlechtskonstitutiven Einzelelemente naturgemäß individuell sehr verschieden ausfällt.
Der Preis für dieses m. E. wenig überzeugende begriffspolitische Manöver ist jedoch außerordentlich hoch. Er besteht nicht nur in der Schwächung der Ordnungsfunktion des binären Geschlechtssystems für das soziale Miteinander, sondern bringt auch die Gefahr neuer Stigmatisierungen mit sich, da die Bildung neuer Geschlechtergruppen in der Regel keineswegs wertfrei vonstattengeht, so dass die Zuweisung einzelner Personen zu bestimmten sexuellen Subkulturen mit vielfältigen
Vorurteilen und Benachteiligungen verbunden sein kann.
Abgesehen davon, dass sowohl sprachlich als auch von der Sache her strikt zwischen dem – mit der Zweigeschlechtlichkeits-These zu vereinbarenden – allgemeinen Phänomen ‚geschlechtlicher Vielfalt‘ und der – die Zweigeschlechtlichkeitsannahme aufgebenden – sehr speziellen Vorstellung einer ‚Vielfalt von Geschlechtern‘ zu unterscheiden ist, hat eine Vermehrung der Geschlechter über die bisherige, für vielfältige Variationen durchaus offene bipolare Differenzierung zwischen Frauen und Männern hinaus auch noch weitere gravierende Nachteile. Diese bestehen zum einen in der Gefahr eines Rückfalls in fragwürdige dualistische Vorstellungen einer von den biologisch-körperlichen Gegebenheiten vermeintlich völlig unabhängigen, allein dem individuellen Gefühl des Betroffenen zugänglichen wahren Geschlechtsidentität, deren magisch-dezisionistischen Implikationen in einem bizarren Kontrast zum progressiven Selbstverständnis der jeweiligen Protagonisten solcher Positionierungen stehen. Zum anderen ist die Bereitschaft zur Vermehrung der Geschlechter bei manchen Betroffenengruppen aber auch von der m. E. illusionären Hoffnung getragen, die Einführung eines oder mehrerer neuer Geschlechter sei eine Art Generalschlüssel zur Lösung jener vielfältigen und ganz unterschiedlich gelagerten praktischen Probleme, unter denen Angehörige sexueller Minderheiten im Alltag tatsächlich auch heute noch in unserer Gesellschaft zu leiden haben. Wie die folgenden Überlegungen zu den Phänomenen der sog. Inter- und Transgeschlechtlichkeit zeigen, dürfte diese Erwartung jedoch unrealistisch sein und sich sogar als kontraproduktiv erweisen.
Intergeschlechtlichkeit
Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts von medizinischer Seite eingeführte Begriff der ‚Intersexualität‘ diente dazu, eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene einer uneindeutigen Geschlechtsentwicklung zusammenzufassen, die dabei größtenteils als behandlungsbedürftige Krankheiten angesehen wurden. Aufgrund der generellen Pathologisierung dieser Phänomene sowie der Verbindung mit einem extremen ärztlichen Paternalismus, der nicht zuletzt mit massiven Defiziten im Bereich der Aufklärung und Beratung Betroffener sowie der Rechtfertigung bestimmter medizinischer Interventionen einherging, wird dieser Begriff heute vielfach gemieden und durch die Ausdrücke ‚Inter-‘ oder ‚Zwischengeschlechtlichkeit‘ ersetzt. Im internationalen wissenschaftlichen Kontext hat sich dagegen die allgemeinere Rede von differences of sex development (DSD) etabliert, die jedoch lediglich auf die biologisch-körperliche Beschreibung eines somatischen Befundes begrenzt ist, dem dann sekundär gegebenenfalls bestimmte Krankheitswerte bzw. gesundheitliche Probleme zugeordnet werden.
Unabhängig davon, welchen dieser Ausdrücke man bevorzugt, es handelt sich hierbei in jedem Fall um einen Sammelbegriff, der ganz unterschiedliche Konstellationen abdeckt und daher bewusst die Frage offenlässt, ob hier eine eigene geschlechtliche Kategorie sui generis vorliegt. Es ist nicht nur medizinisch ein großer Unterschied, ob es sich bei den Entwicklungsdifferenzen um chromosomale Abweichungen (etwa Mosaikbildungen oder Trisomien der Geschlechtschromosomen), um Formen der sog. Gonadendysgenese, um anatomische Anomalien des Urogenitaltraktes, um Störungen des Hormonhaushaltes (z. B. mit Unter- oder Überfunktion der Androgene) oder um phänotypische Auffälligkeiten der primären Geschlechtsorgane handelt. All dies wirkt sich in der Regel auch sehr verschieden auf das individuelle Selbsterleben der Betroffenen, ihren jeweils empfundenen subjektiven Leidensdruck, die persönlichen Vorstellungen von notwendigen Veränderungen als Voraussetzung für ein gelingendes Leben und deren Akzeptanz durch die Gesellschaft aus.
Zwar hat sich innerhalb des medizinischen Versorgungssystems spätestens seit der Chicago Consensus Conference von 2005 allmählich eine größere Zurückhaltung gegenüber frühen chirurgischen Interventionen bei intergeschlechtlichen Kindern durchgesetzt, doch bedeutet das weder ein Ende sämtlicher einschlägiger Kontroversen zwischen den einzelnen medizinischen Fachgesellschaften noch garantiert diese Kurskorrektur per se schon eine angemessene Berücksichtigung jener zahlreichen außer-medizinischen Aspekte von Geschlechtlichkeit, die für die Betroffenen gleichermaßen von Bedeutung sind. Es ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass der Deutsche Ethikrat (DER) zur Vorbereitung seiner Stellungnahme von 2012 u. a. umfangreiche Anhörungen von und Dialogprozesse mit intergeschlechtlichen Personen initiiert hat, um so zu einer besseren Kartographierung jener vielgestaltigen Problemlandschaft zu gelangen, die neben den klassisch medizinethischen Herausforderungen von (un-)zureichender Aufklärung, (fehlender) informierter Einwilligung und sorgfältiger Medikation(skontrolle) noch eine Fülle weiterer Aspekte umfasst – wie z. B. möglicherweise belastende Begleitumstände medizinischer Behandlungen (durch Fotographie oder die wiederholte Untersuchung der Genitalien vor größeren Ärzte- und Studierendengruppen), den oft langwierigen Kampf um Erstattung von Behandlungskosten durch Krankenkassen sowie verschiedene Diskriminierungserfahrungen im Umgang mit Behörden, Arbeitgebern und der Gesellschaft insgesamt. Nur für einen sehr kleinen Teil der Betroffenen scheint die Existenz eines binären Geschlechtersystems selbst die Hauptquelle der sie belastenden Probleme zu sein. Aus ethisch-moraltheologischer Perspektive dürfte sich daher vor allem eine begriffliche Unterscheidung als hilfreich erweisen, die der DER seinen normativen Überlegungen zugrunde gelegt hat: nämlich die an der Eingriffstiefe ansetzende Differenzierung zwischen ‚geschlechtsvereindeutigenden‘ und ‚geschlechtszuweisenden’ Maßnahmen.
Zur ersten Gruppe der geschlechtsvereindeutigenden Maßnahmen zählen alle medizinischen Interventionen, die darauf abzielen, bestimmte körperliche Merkmale wie z. B. anatomische Besonderheiten der äußeren Geschlechtsorgane, „die bei ansonsten eindeutiger geschlechtlicher Zuordnung bestehen, an das existierende Geschlecht anzugleichen“. Tatsächlich gibt es eine Fülle von Konstellationen, die trotz bestimmter Ambiguitäten im somatischen Erscheinungsbild einer Person relativ leicht eine Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht gestatten, so dass im Wesentlichen nur noch darüber diskutiert werden muss, wie eine angemessene Aufklärung und Beratung Betroffener aussehen sollte und zu welchem Zeitpunkt entsprechende medizinische Behandlungen im jeweiligen Einzelfall durchgeführt werden sollten, um drohende Belastungen im persönlichen Reifungs- und Entwicklungsprozess des Betroffenen möglichst zu minimieren. Die Plausibilität der Zweigeschlechtlichkeit selbst steht demgegenüber hier nicht ernsthaft zur Debatte, weil die individuellen Merkmalskonstellationen unstrittig eine große Nähe zu einem der beiden Pole aufweisen.
Das ist anders bei den – vergleichsweise seltenen – Fällen eines Hermaphroditismus verus, bei denen etwa infolge eines Vorliegens weiblichen und männlichen Keimdrüsengewebes oder uneindeutiger chromosomaler Gegebenheiten die Einordnung in eine binäre Geschlechtersystematik nicht gelingt. Hier ist insofern äußerste Vorsicht bei Interventionen geboten, als in der Vergangenheit oftmals weder das tatsächliche Wohl der betroffenen Person noch die Berücksichtigung ihrer aktuellen Bedürfnisse oder der Erhalt bestimmter für sie wertvoller Fähigkeiten im Mittelpunkt der Überlegungen standen, sondern entweder rein medizinisch-technische (z. B. chirurgische) Opportunitäten oder bestimmte Interessen von Eltern und Erziehern. Gerade weil es hier um einen wesentlichen Teil der individuellen Identität einer Person geht, muss diese soweit als irgend möglich auch an allen relevanten Behandlungsentscheidungen beteiligt werden. Außer in zwingenden Fällen einer frühzeitigen Abwehr anderweitig drohender gravierender gesundheitlichen Schäden des Kindes, sollte die Entscheidung zu derart weitreichenden medizinischen Interventionen auf der Grundlage präziser Indikationsstellungen erst zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die betroffene Person über die erforderliche geistige Reife verfügt, um die Tragweite der Maßnahmen realitätsgerecht einschätzen zu können.
Im Blick auf die Zweigeschlechtlichkeits-These sind dabei drei unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden: Neben denjenigen intergeschlechtlichen Personen, die sich tatsächlich solchen geschlechtszuordnenden Eingriffen unterziehen und sich damit einem der geschlechtlichen Pole annähern, ist auch an solche Personen zu denken, die derartige Interventionen entweder dauerhaft ablehnen, weil sie ihren derzeitigen intergeschlechtlichen status quo bewahren möchten, oder die aufgrund ihres jugendlichen Alters noch nicht in der Lage sind, derart weitreichende Entscheidungen freiverantwortlich zu fällen.
Für diese beiden Personengruppen bietet es sich an, einen eigenen personenstandsrechtlichen Status zu schaffen, der auf eine eindeutige geschlechtliche Zuordnung innerhalb des binären Systems verzichtet und die Möglichkeit eröffnet, keine Angabe zum Geschlechtsstatus machen zu müssen. Dieser Weg dürfte nicht nur weit praktikabler sein, als den Versuch zu unternehmen, die individuell sehr heterogenen Einzelphänomene der Intergeschlechtlichkeit verschiedenen Subgruppierungen mit jeweils eigenen geschlechtlichen Kategorien zuzuordnen, er dürfte auch der derzeit gültigen Sammelbezeichnung ‚divers‘ insofern überlegen sein, als diese leicht als eigener Geschlechtstypus i.S. eines dritten Geschlechts missverstanden werden könnte.
Transgeschlechtlichkeit
Völlig anders gelagert sind die Probleme in einem zweiten Phänomenbereich, der Personen betrifft, die sich zwar hinsichtlich ihrer biologisch-körperlichen Erscheinung eindeutig als männlich oder weiblich qualifizieren lassen, die jedoch ihr Geburtsgeschlecht ablehnen und sich psychisch und/oder sozial mit dem komplementären Pol identifizieren. Rein sprachlich ist hier von ‚Geschlechtsinkongruenzen‘, ‚Geschlechtsidentitätsstörungen‘, ‚Geschlechtsdys-phorien‘, ‚Transsexualität‘, ‚Transgeschlechtlichkeit‘ oder ‚Transgender‘ die Rede. Hinter dieser schillernden Terminologie verbirgt sich auch hier ein breites Spektrum unterschiedlicher Phänomene, das von einem geschlechtsatypischen Rollenverhalten präpubertärer Kinder (z. B. cross-dressing) über das passagere Ringen vieler frühadoleszenter Jugendlicher mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben (einschließlich der Erkenntnis und Akzeptanz der eigenen – womöglich gleichgeschlechtlichen – sexuellen Orientierung) bis hin zur dauerhaften Ablehnung des eigenen Geburtsgeschlechtes und dem manifesten Wunsch Erwachsener reichen kann, den eigenen Körper durch hormonelle und/oder chirurgische Interventionen dem gewünschten
Zielgeschlecht anzugleichen.
Ein überzeugender Umgang mit diesen verschiedenen Konstellationen hat eine ganze Reihe von Faktoren zu berücksichtigen: Neben dem teilweise erheblichen subjektiven Leidensdruck der betroffenen Personen selbst ist vor allem die mittlerweile gut fundierte Erkenntnis von Kinder- und Jugendpsychiatern, Kinderärzten und Sexualmedizinern von Bedeutung, dass „keineswegs alle Kinder und (Früh-)Adoleszente mit Geschlechtsdysphorie und Rollen-non-konformem Verhalten zwangsläufig transsexuell werden“. Da es in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl national als auch international zu einer signifikanten (teilweise sogar explosionsartigen) Zunahme der Inanspruchnahme einschlägiger Beratungs- und Behandlungsangebote vor allem durch junge Mädchen gekommen ist, bedarf es einer genaueren Ursachenanalyse. Als wichtige Gründe für diese Entwicklung werden genannt: ein größeres Problembewusstsein, noch immer bestehende geschlechtsspezifische Diskriminierungen, eine einseitige mediale Berichterstattung, die Verfügbarkeit neuer pharmakologischer Substanzen sowie ein medizinisch-technisches Machbarkeitsdenken mit entsprechenden finanziellen Anreizen für Ärzte und Kliniken. Angesichts dieser Wirkfaktoren kommt der Expertise der konsultierten Repräsentanten des Gesundheitssystems sowie der sorgfältigen differentialdiagnostischen Einstufung der jeweiligen individuellen Situation eine ständig wachsende Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr, als Geschlechtsdysphorien mit verschiedenen affektiven Störungen assoziiert sein können, die eine psychotherapeutische Begleitung der betroffenen Jugendlichen angeraten erscheinen lassen, und zudem „bislang keine verlässlichen Prädikatoren verfügbar sind, anhand derer eine sichere Vorhersage des Fortbestehens oder Vergehens einer GIS/GD im individuellen Fall möglich wäre“.
Falls sich die empirische Evidenz dafür erhärten sollte, dass im Kindesalter die vorübergehende Geschlechtsunsicherheit tatsächlich „zahlenmäßig am wichtigsten ist“ und im Jugendalter „am häufigsten die unterschiedlichen Formen der reifungsbedingten, psychosexueller Entwicklungskonflikte, insbesondere eine abgewehrte homosexuelle Orientierung, aber auch übergeordnete Persönlichkeitsentwicklungsstörungen“ vorkommen, dann hätte dies weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit der kritischen Altersspanne der 10- bis13-Jährigen, die das ärztliche Personal mit dem Wunsch nach einer hormonellen Pubertätsblockade kontaktieren. Der Vorteil einer solchen folgenreichen Maßnahme für die Minderheit der sog. Persisters, also diejenigen Personen, deren Entwicklung in eine spätere transsexuelle Identität im Erwachsenenalter einmündet, besteht darin, dass deren Leidensdruck frühzeitig reduziert und das kosmetische Ergebnis späterer geschlechtsangleichender Operationen durch die Unterdrückung pubertätsbedingter irreversibler körperlicher Veränderungen verbessert wird. Dem stehen jedoch gravierende Nachteile für die Mehrheit der sog. Desisters, also derjenigen Personen gegenüber, die nicht über eine transgeschlechtliche Identität verfügen und durch derartige Interventionen in ihrer psycho-sexuellen Entwicklung massiv beeinträchtigt werden.
Aus ethischer Perspektive legt sich daher nicht nur ein Gebot höchster ärztlicher Sorgfalt bei der individuellen Diagnostik und Indikationsstellung nahe, die aufgrund ihres anspruchsvollen Charakters nur in einschlägig spezialisierten Einrichtungen vorgenommen werden sollte. Es folgt daraus auch ein Verbot prophylaktischer präpubertärer Hormonbehandlungen, da das Vorliegen einer irreversiblen transgeschlechtlichen Identität aufgrund der Plastizität der Geschlechtsidentitätsentwicklung wirklich zuverlässig erst nach Abschluss der Pubertät diagnostiziert werden kann.
Zwar herrscht prinzipiell Einigkeit darüber, dass der Übergang transgeschlechtlicher Personen in das gewünschte Zielgeschlecht grundsätzlich nur schrittweise mit bestimmten Altersvorgaben erfolgen sollte, doch gibt es nach wie vor stark divergierende Auffassungen darüber, wie anspruchsvoll die Zugangsbedingungen zu den dafür erforderlichen medizinischen Interventionen im Einzelnen rechtlich ausgestaltet werden sollten. Vom traditionellen Schadensvermeidungsgrundsatz der Medizinethik her legt es sich nahe, in diesem Zusammenhang strenge Anforderungen (etwa im Blick auf die Länge von psycho-sozialen Erprobungsphasen und das Einholen medizinischer Gutachten) zu stellen, da entsprechende Behandlungen nicht nur äußerst kostenintensiv sind und damit die Versichertengemeinschaft erheblich belasten, sondern auch für die Betroffenen selbst mit gravierenden funktionalen Beeinträchtigungen (wie z. B. Verlust der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit und sexuellen Sensitivität) verbunden sind. Das von der aktuellen Ampel-Koalition geplante sog. Selbstbestimmungs-Gesetz, das es 14-Jährigen ermöglichen soll, eine personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechtseintrages per einfacher Selbstauskunft vorzunehmen, ist daher m. E. sowohl aus humanwissenschaftlicher als auch aus ethischer Perspektive kritisch zu beurteilen.
Fazit
Die hier angestellten Überlegungen legen mehrere Schlussfolgerungen nahe:
Erstens besteht keinerlei Anlass, die Grundkoordinaten des christlichen Menschenbildes im Blick auf die derzeitigen Geschlechterdiskurse in Frage zu stellen. Sowohl die ‚Ganzheitlichkeit‘ als auch die ‚Zweigeschlechtlichkeit‘ stellen wohlbegründete Konzepte dar, in deren Rahmen sich die allermeisten derjenigen Probleme sinnvoll diskutieren und einer Lösung zuführen lassen, die sich im Umgang mit inter- und transgeschlechtlichen Personen stellen.
Zweitens handelt es sich bei den Ausdrücken ‚Inter-‘ und ‚Transgeschlechtlichkeit‘ um pragmatische Sammelbegriffe, die einen weiten Bereich individuell sehr unterschiedlicher Konstellationen abdecken, zwischen denen bestenfalls eine gewisse ‚Familienähnlichkeit‘ besteht. Statt die Zahl der Geschlechter durch die fragwürdige Isolierung einzelner Elemente des in sich vielschichtigen Geschlechtsbegriffs immer weiter zu erhöhen, sollte die Individualität der jeweiligen Person ernstgenommen und alles vermieden werden, was die Gefahr neuer selbst-induzierter Stigmatisierungen erhöht.
Drittens ist zuzugeben, dass auch der Begriff der ‚Zweigeschlechtlichkeit‘ – wie alle Begriffe – insofern gewisse Randunschärfen aufweist, als es unter sog. intergeschlechtlichen Menschen seltene Hermaphroditismus-Phänomene gibt, die tatsächlich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlechterpol zuzuordnen sind, ohne deswegen ein eigenständiges drittes Geschlecht zu bilden. Ob sich die betroffenen Personen durch entsprechende medizinische Interventionen einem der beiden Geschlechterpole annähern wollen oder ihren Zwischenstatus bewahren möchten, sollte ihrer wohlinformierten individuellen Entscheidung überlassen bleiben.
Viertens ist davon auszugehen, dass sich im Umkreis der vielgestaltigen Variationen individueller Geschlechtsentwicklung eine Vielzahl unterschiedlicher praktischer Herausforderungen stellt, die ganz verschiedene Verantwortungsebenen betreffen und daher über eine rein individualethische Reflexion hinausweisen. Die Probleme reichen von notwendigen Verbesserungen der Diagnostik, Aufklärung und Beratung Betroffener durch das medizinische Personal über den Mangel an gut erreichbaren psychotherapeutischen Begleitungsangeboten bis hin zum Abbau von Unwissen, Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber sexuellen Minderheiten innerhalb der Bevölkerung. Keines dieser Probleme lässt sich jedoch durch die Inflationierung des Geschlechtsbegriffs lösen, wie sie auf der Grundlage fragwürdiger konstruktivistischer Sozialtheorien oder eines entgrenzten Selbstbestimmungsdenkens gelegentlich vorgeschlagen wird. Ein solche Strategie kann im Gegenteil sogar dazu führen, dass sich medizinisches Fachpersonal zum Schaden der Patienten immer stärker von ihrer standesethischen Fürsorgeverantwortung distanziert und die Behandlung an rein ökonomischen Interessen oder unreflektierten
selbstschädigenden Wünschen Betroffener ausrichtet.
Fünftens ist angesichts der deutlich ausgeprägten und bisweilen aggressiv vorgetragen Abwehrhaltung mancher Trans-Aktivisten gegenüber der Verwendung medizinischer Fachbegrifflichkeiten ausdrücklich zu betonen, dass eine sorgfältige differentialdiagnostische Beschreibung der jeweiligen individuellen Konstellation und eine akribische Indikationserhebung durch einschlägig qualifiziertes medizinisches Fachpersonal die notwendige Bedingung für ein verantwortliches Handeln auf diesem besonders sensiblen Gebiet darstellt. Wer meint, sich mittels des Pauschalvorwurfs der ‚Tätersprache‘ von basalen Grundeinsichten der Medizintheorie verabschieden und die eigenen Präferenzen zum unhinterfragbaren Anspruchsrecht auf eine medizinische Leistungserbringung stilisieren zu können, der verkennt nicht nur die allgemein verbindlichen normativen Grundlagen des medizinischen Versorgungssystems, sondern auch die unterschiedliche Funktion von Ärzten und Patienten innerhalb des Prozesses einer verantwortlichen Behandlungsplanung (i.S. des shared decision making).
Sechstens ist aus allgemein ethischer Perspektive daran zu erinnern, dass das übergeordnete Ziel einer gelingenden Lebensführung primär auf die Entfaltung und Stärkung der eigenen individuellen Handlungsfähigkeit ausgerichtet sein sollte. Statt Jugendliche durch verfrühte Interventionen darin zu bestärken, sich immer mehr auf bestimmte, letztlich schicksalhafte naturale Bedingungen ihrer eigenen geschlechtlichen Verfasstheit zu fixieren, sollte der Fokus therapeutischer Unterstützungsangebote vor allem auf wichtige Entwicklungsziele jenseits der eigenen Geschlechtsidentität gelegt werden.
Siebtens ist aus theologischer Perspektive grundsätzlich davon auszugehen, dass die bewährten normativen Regeln für eine verlässliche Partnerschaft auch für inter- und transgeschlechtliche Personen gelten, so dass von einer Sondermoral für diesen Personenkreis keine Rede sein kann. Darüber hinaus ist angesichts der sehr unterschiedlichen individuellen Belastungen Betroffener zum einen auf doktrinaler Ebene deutlich zu machen, wie sich die in den Varianten der Geschlechtsentwicklung manifestierenden ‚Launen der Natur‘ mit dem christlichen Glauben an einen guten Schöpfergott konkret vereinbaren lassen. Zum anderen ist auf pastoraler Ebene dafür Sorge zu tragen, dass Betroffene in den Gemeinden nicht nur auf Offenheit und Empathie stoßen, sondern auch Zugang zu spirituellen Angeboten erhalten, die ihnen – wie allen anderen Gemeindemitgliedern auch – sowohl eine Selbstannahme als auch eine Selbsttranszendenz ermöglichen bzw. erleichtern.