Das Wort Wald ist in seiner Etymologie genauso konstant wie in seiner Symbiose von Mensch und Tier. Es heißt mhd. Wald, ahd. Wald und germ. walÞu- und kann auf die Ursprungsbedeutung Büschel bzw. Laubwerk, Zweige zurückgeführt werden. Daraus entstand durch Verallgemeinerung der Begriff Wald. Außerhalb des Germanischen lässt sich dieses Wort mit air. folt (falt) vergleichen, was so viel wie Haarschopf, Laubwerk bedeutet. Auch ist die Benennung der Flechten als „Baumbart (lichen barbatus)“ überliefert. Und schon ist dadurch die Schnittstelle Mensch Natur, implizit Wald, bereits in der Wortbedeutung gegeben. Generell ist zu beobachten, dass der Wald, ganz abgesehen von den Nutzfaktoren, auf den Menschen eine starke Wirkung auf emotionaler Ebene ausübt, indem er offensichtlich überindividuelle Grundempfindungen anspricht (neuronale Muster). Die Reaktionen durchlaufen ein weites individuelles Spektrum. Ulrich Gebhard, der einen Zusammenhang zwischen Naturerfahrung und menschlicher Gesundheit nachweisen konnte, sieht in der Ambivalenz des Naturerlebnisses die allgemein wirksame Anziehungskraft. Zudem werden auch heute noch unsere ästhetischen Bedürfnisse weitgehend durch Naturformen befriedigt. Martin Seel hat die Ästhetik der Natur untersucht und als die drei Formen der ästhetischen Naturwahrnehmung Kontemplation, Korrespondenz und Imagination beschrieben. Eine Abstumpfung gegenüber Natur, die sich in Gleichgültigkeit bzw. im Zulassen ihrer Zerstörung äußert, darf als Degenerationsprozess der menschlichen Gesellschaft gewertet werden. Auch die Naturwissenschaft macht auf die enge Verknüpfung des Menschen mit seinem Ur-Revier Wald aufmerksam. Der Urwald ist eine sensorische Hölle, er schärft im harten Überlebenskampf die Sinne. So verdankt der Mensch wahrscheinlich sein hoch entwickeltes Farbsehvermögen eben diesem Umstand, dass er in dieser grünbraunen, dumpfen Naturmasse optische Orientierung gewinnen musste. Ferner verdankt der Mensch dem Wald eine besondere, in der Kunst gefragte Fähigkeit, nämlich das vorzeitige Formsehen, die Pareidolie. Auch mit einer aktuellen Studie Im Herzrhythmus der Landschaft von Joanneum Research in Graz ist die Wirkung des Waldes auf den Menschen dank psychophysiologischer Messungen bei den Krimmler Wasserfällen von entspannend bis aktivierend nachweisbar:
„Die erfolgten physischen und psychischen Reaktionen belegen, dass sich der äußere Raum als innerlich wahrnehmbare Atmosphäre abbildet und die Befindlichkeit des Menschen beeinflusst.“
Maßgebende Waldbilder
Seit der Antike berichten Literatur und bildende Kunst über den Wald als einen Teilbereich der Landschaft. So wurden von begabter Menschenhand optische Wissensspeicher angelegt, die das Wald-Verständnis ihrer Epochen tradieren.
Die erste überlieferte bildliche Wiedergabe eines Waldes zeigt ein Werk der Buchmalerei:
Zwei übereinander angeordnete Bilder eines friedlichen Waldes im Frühling leiten auf fol. 64 v. die Carmina veris et amoris der Carmina Burana ein. Es handelt sich um eine Pergamenthandschrift aus dem oberbayerischen Kloster Benediktbeuren, heute Codex Latinus Monacensis 4660 bis 4660a, der Bayerischen Staatsbibliothek München, 7,5 x 10,6 cm und 8,2 x 10,6 cm. Nach dem aktuellen Stand der Forschung entstand sie um 1230 im südlichen Grenzbereich des österreichisch-bayerischen Sprachraumes. Die beiden Walddarstellungen gelten als die ersten autonomen Waldbilder der romanischen Kunst. Sie bestehen aus zwei übereinander geordneten Bildfeldern mit den zeittypischen Baumkürzeln in dichter Setzung vor blauem Grund. Sie illustrieren den Textbereich der vorwiegend in lateinischer Sprache verfassten Liebeslieder, die oftmals in Verbindung mit Eindrücken der meist frühlingshaften Natur treten, und befinden sich in der Handschrift zwischen Lied 160 und Lied 161. Auf diese Weise schließen sie die Gruppe De Vere dieser Abteilung ab, wie es wiederholt in dieser Handschrift die Aufgabe der Miniaturen ist. Die dritte Strophe von Lied 161 nennt in deutscher Sprache vielfältiges Vogelgezwitscher („aller slahte uogel schal“) und den herrlich grünenden Wald („grvone stat der schoene walt –“). Diese beiden Naturbilder wiederholen sich in weiteren Liedern und scheinen auch die beiden Miniaturen inspiriert zu haben. Die Wald-Texte und ihre Illustrationen sind mit obigen Charakteristika allgemein dem Jahreszeitenwald der höfischen Dichtung zuzuordnen. Die Vogeldarstellungen beider Waldbilder speisen sich aus einem weiteren Lied der Carmina Burana, nämlich den Nomina auium. Die zu den Vögeln in der unteren Miniatur auftretenden Vierbeiner, unter ihnen der König der Tiere, der Löwe, entstammen dem Lied De nominibus Ferarum. Korrekturen und Nachträge wurden bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts vorgenommen. Neubindungen veränderten die Blattfolge. Die Handschrift enthält acht Federzeichnungen mit schwarzbrauner und roter Tinte, die zum Teil sparsam mit Deckfarben koloriert sind. Im oberen Feld ist eine Mehrzahl von stilisierten baumartigen Pflanzen auf zwei Bodenschwellen vor blauem Grund dargestellt. In dieser Symbiose fantasievoller Naturornamentik tummeln sich viele Vögel dem Wortlaut entsprechend. Im ebenfalls blau hinterlegten Feld darunter nehmen die stark stilisierten Baumkürzel skurrile Formen an. Der erste Pinienzapfenbaum mit Faltenringen in der Rinde trägt fünf unterschiedlich gefärbte Schuppenzapfen. Dann rollt sich ein akanthusartiges Gewächs in zahlreiche Spiralen ein. Es folgt ein Rosettenbaum mit drei Herzblättern. Daneben bringt ein Rankenbaum einen Silhouettenbaum und einen Rosettenbaum hervor. Der Silhouettenbaum wurde in der französischen Glasmalerei des 12. Jahrhunderts entwickelt. Er ist hier dunkel hinterlegt, was diese Bildstelle besonders betont. Laut den neuesten restauratorischen Untersuchungen des Referats für Materialwissenschaft und Kunsttechnologie am Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung der Bayerischen Staatsbibliothek ist diese Stelle nicht nachträglich verändert worden, sondern gibt inhaltlich eine Besonderheit an. Es ist das maskenhafte Gesicht im Zwickel daneben, welches das Heidentum symbolisiert, siehe den Baum neben Eva mit Köpfen in der Malerei der Holzdecke von St. Michael zu Hildesheim um 1200. Ein niederer Rosettenbaum mit Herzblättern steht am linken Bildrand. Dazwischen sind Tiere auszunehmen: Von links nach rechts gesehen erscheinen ein Hase, zwei Vögel, ein Hirsch, zwei Vögel, zwei Pferde, ein Löwe und drei Vögel. Die Gestaltung der Vegetation ist von der Naturbeobachtung noch weitgehend distanziert. Der Illustrator verwendet schablonenhafte Musterformen. Allerdings entsprechen schon die dichte Setzung und die Vielfalt der Vegetationsmotive dem Dickicht des Waldes. Ferner beruht die Darstellung der Tiere in auffälligem Kontrast zu der abstrahierten Flora auf einer bereits vorangeschrittenen natürlichen Beobachtung, was diese artenmäßig bestimmbar macht. Die beiden Waldbilder der Carmina burana vertreten, wie auch der Text, den literarischen Typus des Jahreszeitenwaldes.
Zu Beginn des Mittelalters bedeckten Mitteleuropa nahezu endlose, dichteste Urwälder mit einem Bodenanteil von 90 Prozent. Die fortschreitende Besiedelung brachte dem Wald nicht unerhebliche Einbußen. Am Ende des frühen Mittelalters betrug der Waldanteil immerhin noch achtzig Prozent. Er ist bereits auf dreißig Prozent geschrumpft und nimmt noch weiter ab. Erste Nachrichten über eine Nutzholzwirtschaft gibt es aus dem 13. Jahrhundert. Wirkliche Bedeutung erlangte sie im späten Mittelalter. Die Fichte und die Tanne wuchsen in den südöstlichen Mittelgebirgen Europas und wurden als Bauholz für Dachstühle verwendet. Die Kiefer kam östlich der Elbe vor. Die Eiche lieferte das zentrale Bauholz. Ferner verschlangen Eisen- und Glashütten, Salinen und Kalköfen Unmengen an Holz. „Der Rückgang der Wälder in Deutschland war so groß, daß Luther klagte, es werde Deutschland vor dem Jüngsten Tag an drei nötigen Eigenschaften mangeln: an guten, aufrichtigen Freunden, an guter Münze und an wildem Holz.“ (Held, Schneider). Im 15. und 16. Jahrhundert erließen die Grundherren Forstordnungen zum Schutz der Wälder. Forstbedienstete überwachten sie. Durchgesetzt werden konnte der Schutz der Eibe.
Auch rechtlich und soziologisch spielte der Wald eine nicht unerhebliche Rolle. Der mittelalterliche Wald, das ´unland´, von den Römern und im Frühmittelalter noch gesetzlich als ´nemus´ bezeichnet, war keine herrenlose Grauzone. Das Wort ´Forst´ war ursprünglich ein juristischer Begriff, abgeleitet vom lateinischen ´foresta´, und erschien erstmals in den Gesetzen der Langobarden und in den Kapitularien Karls des Großen. Es bezeichnete die königlichen Wildgehege. Das Wort ´silva´ meinte einen von Mauern umschlossenen königlichen Garten. Der ´forestis silva´ war der offene Wald.
Viele folgten auch dem Leitgedanken, Waldluft macht frei. Wald und Freiheit gehörten im Mittelalter zusammen. Das Kraftfeld des Waldes empfanden auch die Mystiker, die Religion und Natur verschmolzen. Der heilige Bernhard von Clairvaux (1091–1153) betont dies in einer Epistel an Heinrich Murdach: „Glaub mir, ich habs erfahren: Du wirst mehreres in den Wäldern finden, als in den Büchern!“ (Brinckmann).
Der Wald wurde im Verlauf des Mittelalters auch als Erlebnisraum entdeckt. Die Jagd spielte eine entscheidende Rolle. Eine Treibjagd und ein Vogelfang mit einer Leimrute sind im Reiner Musterbuch, Wien ÖNB, Cod. 507, fol. 2 r. und 2 v. am Anfang des 13. Jahrhunderts in den Darstellungen der Berufe des Bürgerstandes mit zunehmender naturalistischer Darstellungskraft festgehalten.
Diese Freizone des Waldes wurde ferner für die vorreformatorische Täuferbewegung, die in den Niederlanden in der Arbeiterschicht entstanden war, zu einem symbolhaltigen Wirkungsort. Ihre Versammlungen und ihre Predigten wurden im Wald abgehalten. Die Distanzierung von der katholischen Kirche fand darin ihren deutlichen Ausdruck.
Ein weiterer Schritt zum naturalistischen Waldbild wurde in der italienischen Kunstlandschaft des Quattrocento mit Vorreiterrolle von Florenz unternommen, wo allgemein nun begonnen wurde, die Sehgewohnheiten des Menschen mit dem Bildraum abzustimmen. Die Renaissance forcierte die möglichst naturgetreue Abbildung.
Dem entspricht die Anbetung im Walde des Karmelitermönchs Fra Filippo Lippi, die er für die Kapelle des Palazzo Medici um 1459, Öl auf Pappel, 127 x 116 cm, Berlin, Gemäldegalerie, gestaltete. Das Christuskind liegt auf dem mit saftigen Blumen und Gräsern detailreich nachgebildeten Waldboden. Symbolhältige Lilien, Nelken, Farnwedel, Huflattich, Habichtskraut und weiße Wildrosen sind trotz ihres Symbolwertes botanisch bestimmbar. Ein naturalistischer Stieglitz verweist auf Christus. Maria kniet vor dem Kind. Der zarte Schleier ihres Gewandes verbindet beide. Es ist eine eigene Ikonographie, indem sie Andacht hält und das Kind anbetet. Innovativ ist auch der Ortswechsel von Bethlehem in den cisalpinen Wald. Über ihm schweben schützend und segnend Gottvater und die Taube des Heiligen Geistes. Die Strahlen des göttlichen Lichtes berühren den moosigen Waldboden, der von einem Bach durchlaufen wird. An der dunklen Oberfläche erzeugen sie kleine, irisierend dampfende Flammenzungen um das Kind. Ehrfurchtsvoll treten der Johannesknabe und der heilige Bernhard hinzu und bilden kompositorische Bausteine zu einer ovalen Figuralform. Der Künstler bindet erstaunliche zur Waldarbeit gehörende Details in die Komposition ein, die auch inhaltlich ausgelegt werden können. Die Stimmung des Bildes wird maßgeblich von dem dichten, dämmrigen Mischwald gesteigert, der die gesamten Bildebenen füllt und sich auf dem Weg zu natürlichen Proportionen befindet. Er wächst heute noch in natura südöstlich von Florenz.
Kein geringerer als Albrecht Dürer lieferte am Ausklang des Mittelalters einen bedeutenden Beitrag zum Waldbild. Die Wasser- und Deckfarbenmalerei Der Weiher im Walde um 1496 (W 114), 26,2 x 36,5 (37,4) cm, Monogramm A D von anderer Hand, verso: Fragment Himmel bei Einbruch der Nacht. London, The British Museum, Department of Prints and Drawings, ist ein frühes autonomes Landschaftsbild und ebenso eine Stimmungslandschaft. Es gehört in seiner Kunstgattung der Graphik an, ist jedoch aufgrund seiner malerischen Qualität, die von dem kompositionell aktivierten Kolorit von leuchtenden Wasserfarben und Deckfarben getragen wird, auch für die Malerei wirksam. Eine Barriere sumpfigen Bodens begrenzt das tiefblaue Gewässer im Vordergrund. Dunkle Stellen zeigen morastige Einbrüche an. Das Grün des Bodenbewuchses leuchtet durch die Einstreuung von blauen Farbflecken phosphoreszierend. Zartes Schilfgras bedeckt die Uferzone. Links säumen einige Erdschollen den Weiher. Rechts begrenzt ihn ein Hügelausläufer. Der Blick der Betrachterin und des Betrachters folgt weiter dem Ufer. Rechts gelangt er in eine helle Sandbucht. Dort stehen einsam zwei zerfurchte Baumstümpfe mit einem Ausläufer. Dahinter liegt die lichte Randzone eines Wäldchens aus Rotkiefern mit dunkelgrünen Baumkronen. Es verdichtet sich zunehmend in die Bildtiefe hinein. Am gegenüberliegenden Ufer stehen auf einem kleinen Hügel sieben Baumruinen. Ihre Stämme sind in mittlerer Höhe fransig abgebrochen, wie es bei Sturmschäden zu beobachten ist. Im Hintergrund werden kahle Hügel sichtbar. Das kleine Gestade mündet in eine Braunebene im Hintergrund. Darüber glüht der Horizont. Orange Lichtstreifen aktivieren sich in ihrer Leuchtkraft durch den Komplementärkontrast zur graublauen Wasseroberfläche und zur sehnenhaft gespannten graublauen Wolkenbank. Dieses Naturstück konnte von der einschlägigen Forschung lange nicht topographisch bestimmt werden. Die Nürnberger Forschung erkannte Dürers Gewässer im Weißensee des Erlenstegener Forstes wieder und traf somit eine entscheidende Lokalisierung, die in den Fachkreisen anerkannt wird. Das 1899 nach Nürnberg eingemeindete Gelände mit weitläufigem Koniferen-Wald besitzt heute noch eine Sand-Düne und ist eine seltene Wuchszone für das vom Aussterben bedrohte Silbergras, von dem ein Büschel im Vordergrund des Aquarells links zu erkennen sein soll. Das Aquarell enthält aber auch zudem andere topographische Hinweise, nämlich auf die Seen des Trentino, das Dürer durchwanderte und dessen Natursehenswürdigkeiten er verbildlichte, so auf dem Hieronymus Gemälde die Erdpyramiden von Segonzzano. Ganz in der Nähe liegt der Lago Santo, ein hochgelegener Bergsee, zu dem auch der Ausblick auf eine Landschaft passt, zwischen dem Sturmbruch sichtbar, und auch die Spuren des Unwetters, das Dürer veranlasste, über die höher gelegene Route auszuweichen. Somit sei zusammenfassend festgestellt, dass Dürer in seinem Aquarell eines Weihers im Walde von einem konkreten fränkischen Naturmotiv (Weiher mit Rotföhren und Silbergras) ausgeht und er dieses mit Eindrücken seines Dürerweges im Trentino verbindet.
Noch mehr Wald gestaltet der Donaustil-Maler Albrecht Altdorfer. Sein kleinformatiges Gemälde Heiliger Georg im Walde 1510, in der Art einer Miniatur auf Pergament gemalt, bezeichnet auf dem zweiten Baumstamm von rechts mit dem Monogramm AA (verbunden) und der Jahreszahl 1510, Pergament auf Lindenholz, 28,2 x 22,5 cm, München, Alte Pinakothek, gilt als eines der Hauptwerke der altdeutschen Malerei und als ein Initialwerk der Landschaftsdarstellung mit dem deutschen Wald. Der heilige Georg hat einen dichten Laubwald auf einem schmalen Weg durchritten und den Vorwald erreicht, der dem Geschehen einen engen Handlungsraum bietet. Eichenlaub (Quercus petraea) ist erkennbar. Der buschförmige Wuchs der Laubkronen verweist auf Buchen (Fagus sylvatica). Es handelt sich um den so genannten Hallenwald mit langen, säulenartigen Stammformen und dicht schließenden Laubkronen des Buchen-Eichenwaldtyps, der in der Ebene und im unteren Bergland Mitteleuropas auf Sand- und auf Silikat-Böden wächst. Als Beispiele können der Rothwald in der Optimalphase des Urwaldes mit ungleich alten Mischbeständen, der Teutoburger Wald bei Bad Iburg, ein Buchenwald des Luzulo-Fagenion und der Galio rotundifolii-Abietetum, eine Montanstufe der Bayerischen Alpen genannt werden. Die geballte Existenz der Flora kämpft um Raum und bleibt doch in die Bildfläche gepresst. Daraus entsteht eine ungemeine Spannung. Sie birgt Gefahren, die der Heilige nun bezwingen muss. Es lauert am Ausgang dieser Eigenwelt die Herausforderung in Form des aus der chaotischen Vegetation hervorwachsenden Drachen. Ritter und Untier wirken weder ungestüm noch als Fremdkörper in dem undurchdringlichen Urwald als Schnittstelle Mensch Natur. Der Federbusch des Helmes Georgs verwächst mit der Blattlawine intensiv. Der Drache verbindet sich mit dem Waldboden. Dieses Verschmelzen von Einzelformen mit struktureller Formangleichung bewirkte meine Neubenennung des Donaustils als Strukturismus. Die Gegner wirken besonnen. Gut und Böse begegnen sich ohne Kontraste. Hierzu tritt der kleine Ausblick in eine bergige Fernlandschaft in räumliche Spannung. Dennoch wird seine Fernkraft durch die hoch über ihm ineinander wogenden Baumkronen stark gebremst. So wirkt er nur wie eine winzige, erfrischende Luftblase in diesem atemberaubenden Naturspektakel. Ihr komprimiertes Dickicht gehört dem literarischen Typus des wilden Waldes an, da er als undurchdringlicher Urwald mit gefährlichen Bewohnern charakterisiert ist. Er holt ferner als Bedeutungslandschaft das Geschehen in den germanischen Wald, wie es der Wuchsbestand verdeutlicht. Der Gestaltungsmodus ist bewusst retrospektiv gewählt, was durchaus als nationale historisch untermauerte Identifikation verstanden werden kann. Somit wird in der sachgetreuen Landschaft auch die mittelalterliche sinnbildhafte Landschaft wirksam. Altdorfer verpflanzt den Ritter aus Cappadocischem Geschlecht, der als Tugendheld Tapferkeit, Gottvertrauen und die Nachfolge Christi vertretend, um 1500 in den Reichsstädten eine ganz besondere Verehrung erfuhr, in seine Heimat und verschmilzt ihn mit den Helden der mittelalterlichen Literatur. Er erinnert an Wolfram von Eschenbachs Parzival, der nach seinem Versagen auf der Gralsburg von der Gralsbotin Kundrie aus der Tafelrunde ausgeschlossen und verflucht worden ist; er flüchtet dann in die Wildnis und erfährt eine entscheidende Entwicklung.
In der sinnesfreudigen Barock-Ära entstand die eigenständige Themengattung des Waldbildes im auslaufenden 16. Jahrhundert, die auf dem ständigen Voranschreiten der Walddarstellung in Europa aufbauen kann. Lucas van Valckenborchs Angler am Waldweiher, 1590, Öl auf Leinwand, 47 x 56 cm, Signatur, bez. links unten 15LVV90 (VV verschlungen), Wien, Kunsthistorisches Museum, bereitet diesen Bild-Typ vor, der wenige Jahre danach bei Gillis van Coninxloo voll ausgeprägt erschien. Die beiden Kunstlandschaften Italien und die Niederlande entwickelten im gegenseitigen Austausch ein verdichtetes, nahsichtiges Waldbild, wobei der Norden die Weltlandschaft mit addierten Raumzellen zu überwinden hatte. Anschaulich und naturnah sind das Dämmerdunkel und das Dickicht des Waldes um diesen Weiher dargestellt. In der gegenständlichen Qualität der Einzelheiten fühlt man sich an Dürers Waldweiher erinnert. Die Baumriesen mit den wulstigen Stämmen und den dichtbelaubten Kronen stehen für ihre Entstehungsepoche. Zwei ruhige Raumgassen führen links und rechts in den Mittel- und in den Hintergrund. Die gezeigten Wasserstellen lockern ebenfalls die eng stehenden Laubbäume unterschiedlicher Wuchsstufen auf. Im Vordergrund blickt der Angler in spanischer Hoftracht mit hell weißlichem Inkarnat der Betrachterin und dem Betrachter entgegen. Es ist der Künstler selbst, der sich ungewöhnlicherweise in elitärer Kleidung als naturverbundener Angler präsentiert. Dieser exzeptionelle Kontext für ein Selbstportrait kann wohl als sein Bekenntnis zum erquickenden Aufenthalt in der Natur gewertet werden. Nur das helle Gesicht sticht aus diesem Naturrahmen hervor und korrespondiert mit der natürlichen, tief stehenden Lichtquelle des Hintergrundes, die wohl aufgrund der bläulichen Färbung eine frühe Morgenstunde angibt. Der Künstler ist mit einer Jagdgesellschaft auf der Hochwildjagd konfrontiert, die links am Weiherufer vorbeizieht, ihm am nächsten ein Jäger mit zwei Jagdhunden. Es scheint eine herrschaftliche Jagdgesellschaft zu sein, die ihm nicht fremd ist. In dieser Zeit war Valckenborch als Kammermaler im Dienst von Erzherzog Matthias, Statthalter der Spanischen Erblande, der sich nach seinem Rücktritt in Linz aufhielt. So kann diese Wald-Landschaft in Alt-Österreich angesiedelt werden, vielleicht in den Donauauen um Linz: „Das Gemälde entstand vermutlich während seines Aufenthaltes in Linz und ist eine wichtige Vorstufe zum Waldbild, wie es sich bei Coninxloo acht Jahre später findet.“ (Franz).
Während der Romantik erhielt das Waldbild eine neue inhaltliche Aufladung. Caspar David Friedrichs frühes Gemälde Kreuz im Gebirge, der so genannte Tetschener Altar, 1807/08, Öl auf Leinwand, 115 x 110 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen erhebt den Wald zum Ausdruck eines neuen religiösen Naturzuganges. Im kunstvollen vergoldeten Rahmen des Bildhauers Christian Gottlieb Kühn zeigt sich traditionelle christliche Symbolik. Ährengarbe und Weinranke stehen für die Eucharistie um das Auge Gottes, in der unteren Rahmenleiste ergänzt von einer fünfteiligen Engelsschar. Den rundbogig in einen Spitzbogen übergehenden oberen Abschluss, der von Palmzweigen gebildet wird, krönt ein Natursymbol, nämlich der Abendstern. Das Gemälde geht einen anderen und neuen Weg. Das Kreuz im Gebirge wird bestimmt von einer charakteristischen Felsformation, deren höchstes Ende keine Spitze bildet, sondern schräg nach unten abgebrochen erscheint. Dieser Fels ist das Trägerelement als Glaubensbasis der tatsächlichen Spitze der Komposition, nämlich des hier angebrachten Kruzifixus mit metallenem Corpus, das die höchste Stelle im Bild erreicht. Es ist in Schrägstellung in den Himmelsraum gewendet, der es mit streifig gewölbten, grauen und purpurnen Wolkenbahnen überdacht. Efeu rankt sich an dem Kreuz empor. Zwölf Nadelbäume, von Friedrich selbst als Tannen bezeichnet (Hinz), umgeben als dunkle Silhouetten flächig diesen Naturaltar. Ferner sieht er sie als im Glauben verharrende Menschen, durch ihre Zwölfzahl wohl auch die Apostel symbolisierend. Die Statik dieser hohen Nadelbäume, kein Wind bewegt ihre Wipfel, korrespondiert mit dem Felsen und dem Kruzifix. Christus ist nämlich nicht leiblich im Bild dargestellt, sondern als sein Abbild von edelstem Metall vertreten. Er ist somit um diese Materialität distanziert. Friedrich erwähnt in der Beschreibung seines eigenen Bildes eine Sonne, die sank mit einer alten Welt, in der Gott noch auf Erden wandelte: „Diese Sonne sank, und die Erde mochte nicht mehr erfassen das scheidende Licht.“ (Hinz). Es leuchtet nur mehr im Christus des Kreuzes gleich dem Gold des Abendrots, das von fünf Radialstrahlen verteilt wird. Die letzte Achse dieser Lichtspeichen wird nur mehr andeutungsweise sichtbar. Mit diesen Schlüsselworten des Künstlers ist auch das Bild zu interpretieren. Die immer wieder abgeurteilte dunkle, scherenschnitthafte Fläche des Felsens, wie auch von der Ramdohr-Kritik, symbolisiert die Verdunkelung der Welt, nachdem Gott sich entfernt hat. Sie bildet den Gegenpol zum Licht des Himmels, das Christus den Menschen nun in Bildform bringt. Das Gemälde ist die Metapher eines Entferntseins, unendlich statisch und in diesem Stilbild auch ikonenhaft – eine „Landscape of symbols“ der Romantik mit ihrer zugehörigen formalen Qualität der Flächenhaftigkeit. Die Einzelformen enthalten neben dem christlichen Bildkanon individuell entwickelte Symbole mit ontologischer Fragestellung, aber auch politischer Intention „als Chiffren, die teilweise an Gedanken einer Koinzidenz von Volk und rauher, aber gesunder Natur anknüpfen.“ (Held, Schneider), also zeigt auch dieses bekannte Gemälde zukunftsweisend eine Schnittstelle Mensch Natur. So entstand in dieser Waldikone ein sich vom alleinigen Natureindruck distanzierender innovativer Ideenwald.
´Cut´ Schnittstelle Mensch Natur
Sukzessive wird im 20. Jahrhundert von der Gesellschaft der Schulterschluss mit der Natur und somit ihr naturgebundener Erkennungswert in der bildenden Kunst auf dem Weg in die Abstraktion aufgegeben.
Die Darstellung des Waldes in der bildenden Kunst sollte nach diesen hier abgehandelten markanten Entwicklungsstufen auf verzweigten Wegen weitergehen. Sie erscheint im Rahmen der Abstraktion in ihrer Aura sich auflösend oder gesellschaftspolitisch im erstarrenden Baumsäulenwald eines Georg Philipp Wörlen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und schlussendlich in der geschichtlichen Spurensuche Anselm Kiefers in der Gegenwartskunst.
Das kollektive Gewissen hat spät, aber doch mit Nachhaltigkeitsdenken im 21. Jahrhundert die durch das Wachstum und das Machtstreben der Industrie entstandenen Risse in der Schnittstelle Mensch Natur erkannt und ihnen entgegengesteuert. Der Wald zählt zu den Archetypen der Landschaft mit Dauerhaftigkeit, den der industrialisierte Mensch mit zunehmendem Raumanspruch zwar verletzen, aber bisher noch nicht verdrängen konnte. So hat dieses Thema in der bildenden Kunst seinen sicheren Platz, nicht immer an der Front, aber immer mit tiefem Sinn, das nachhaltige Gedanken sowie eine achtsame Lebensführung im Umgang mit der Natur fördern sollte. Es hat überdauert, dass im 20. Jahrhundert der natürliche Bezug zum Lebensraum Wald verloren ging, die Schnittstelle Mensch Natur zur Schnittstelle Mensch Technik mutierte. Auch hierfür liefert die bildende Kunst ein Beispiel mit Alexander Rodtschenkos Fotografie Die Kiefer im Puschkin Wald aus dem Jahre 1925. Gesellschaftsanalytisch wirkt der überlieferte Kommentar des Künstlers: „Wenn ich einen Baum von unten nach oben aufgenommen wieder gebe ähnlich einem industriellen Gegenstand, einem Schornstein, so ist er in den Augen des Spießbürgers […] eine Revolution. Auf diese Weise erweitere ich unsere Vorstellung von gewöhnlichen, alltäglichen Gegenständen.“ (Busch). Auch dieser festgehaltene Baum bezieht Stellung, jedoch nun für industriellen Wahnsinn, der den lebendigen Baum zu einem toten, Schadstoffe ausspeienden Gegenstand transformiert, eine ungesunde und erschreckende Metamorphose. Wie wenige wohl mögen damals diese warnende Botschaft eines von menschlicher Profitgier inszenierten Waldsterbens verstanden haben?
Eine nicht unumstrittene Renaissance des Mythos des hercynischen Waldes ist dazu im Gegensatz bei dem deutschen großen Malerphilosophen Anselm Kiefer ab den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Simon Schama widmet diesem Künstler in seiner innovativen Abhandlung Landscape and Memory das Kapitel Waldsterben. Kiefer nutzt in letzter Konsequenz das Zusammenspiel von Pathos und Ironie, um historisch belasteten Inhalten, wie dem deutschen Wald, neue, akzeptable Themenlösungen mit Identitätsbezug abzugewinnen: „Kiefer sucht durch seine Kunst die Auseinandersetzung mit deutschen Traumata, mit dem Ziel, das lange Verdrängte zu erkennen. Er nähert sich den vielfach mißbrauchten Mythen vom Deutschen, seinem Wald, seinen Feinden, an, um zu erfahren, woher sie stammen und was als ihre fatale Nachgeschichte, ihr Mißbrauch im Dritten Reich, zu verwerfen ist.“ (Lehmann). Sein Diptychon von 1971 schließt mit der Darstellung Kopf im Walde, 1971, Öl auf Leinwand, 230 x 100 cm, Lütjensee, Sammlung Dr. Günther Gercken, deutlich an Dürers Weiher im Walde an und bringt diesen in eine moderne Geschichtsdiskussion ein. Die apokalyptische Sehweise der Natur, für die Dürers Aquarell steht, aktualisiert sich für Kiefer in einer Epoche, die eine Massenvernichtung verschuldet hatte.
Der deutsche Wald ist von den Weltkriegen geprägt. Der menschliche Geist ist nicht mehr im Gleichklang mit dieser Natur, sondern hängt wie ein Damoklesschwert über ihr. Die Schnittstelle Mensch Natur ist bedrohlich in Frage gestellt. Die Elemente wurden durch den rücksichtslosen Zugriff des Menschen ihrer natürlichen Ausgewogenheit beraubt. Das Feuer konnte so leicht zum vernichtenden Flächenbrand werden. Die von Albrecht Dürer nahezu visionär in sein Aquarell eingebrachte apokalyptische Stimmung wurde um ein Vielfaches gesteigert und der Mensch zur Verantwortung gezogen.
Nach diesem einschneidenden ´Cut´ versuchten die künstlerische Großaktion in Klagenfurt (Österreich) For Forest, eine temporäre Kunstintervention des Installationskünstlers Klaus Littmann mit Einrichtung eines Waldes im Wörthersee Stadion, und das begleitende Rahmenprogramm, darunter die Ausstellung Touch Wood, im Jahre 2019 einen neuen Bezug der gegenwärtigen Gesellschaft zum Thema Wald und Natur aufzubauen und auf den vom Menschen verschuldeten Klimawandel aufmerksam zu machen.