Die apokryphen Apostelakten

Was die Bibel nicht erzählt

Im Rahmen der Veranstaltung Biblische Tage – Die Apostelgeschichte, 11.04.2022

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Paulusakten

1. Paulus und der Löwe

a) In der Wüste, vor Jericho (ActPl 9,79)

Kurz nach seiner Berufung vor Damaskus ist Paulus in der Wüste unterwegs in Richtung Jericho, wohl nicht zu weit vom Jordan entfernt. Wie das in der Wüste so passieren kann, begegnet ihm ein großer Löwe. Paulus, ins Gebet vertieft, nimmt ihn zunächst gar nicht wahr. Als er es doch tut, hat sich das Tier zu seinen Füßen niedergeworfen. Paulus fragt ihn: „Löwe, was willst du?“ Dieser antwortet: „Ich möchte getauft werden!“ Paulus steigt mit dem Löwen in den Fluss, jetzt wörtlich: „Ich nahm den Löwen bei seiner Mähne, und im Namen Jesu Christi tauchte ich ihn dreimal unter. Als er dem Wasser wieder entstieg, schüttelte er seine Mähne zurecht und sagte zu mir: ‚Gnade sei mit dir, Paulus!‘ Und ich antwortete ihm: ‚Desgleichen mit dir, Löwe!‘“.

Die Episode ist noch nicht ganz zu Ende. Es folgt noch: „Als der Löwe ins Feld davonlief, begegnete ihm eine Löwin, aber er wandte sein Gesicht nicht zu ihr hin, sondern er lief davon und schlug sich ins Gebüsch.“ Vermutlich war es sogar eine attraktive junge Löwin, aber im Grunde hört der Spaß hier bereits auf, denn was wir vor uns haben, ist ein exquisites Beispiel für den Zusammenhang von Taufe und Eheverzicht, praktiziert vor allem in der syrischen Kirche. Ablehnung der Sexualität und sogar der Ehe begegnet uns in diesen Apostelakten auf Schritt und Tritt, wenn auch unterschiedlich radikal.

b) In der Arena, in Ephesus (ActPl 9,2326).

Unsere Geschichte von der Taufe eines Löwen, über die sich die Kirchenväter nicht genug mokieren konnten, hat noch einen zweiten Teil. Paulus wird einige Zeit später vom Statthalter in Ephesus zum Tierkampf verurteilt. Hier erkennen wir auch Verbindungslinien zum Neuen Testament. Im ersten Korintherbrief schreibt Paulus: „Wenn ich nur nach Menschenart (das will sagen: ohne Glauben an die Auferstehung) mit wilden Tieren gekämpft hätte (und zwar in Ephesus), was würde es mir nützen?“ Das hat Paulus vermutlich bildlich gemeint, in den Paulusakten wird es in Realität überführt.

Zurück zum Text. Ein besonders wilder, auf Menschen dressierter Löwe wird auf Paulus losgelassen. Er läuft auf Paulus zu, aber nur, um sich wohlerzogen wie ein Lamm zu seinen Füssen zu lagern. Als er wieder auf seinen vier Pfoten steht, sagt er zu Paulus: „Die Gnade sei mit dir!“, worauf Paulus respondiert: „Gnade sei auch mit dir“. Die beiden nehmen sich gegenseitig näher in Augenschein, und Paulus erkennt, dass dies der Löwe ist, den er einst getauft hatte. Der Statthalter lässt gegen Paulus weitere Bestien los und entsendet gegen den unbotmäßigen Löwen Bogenschützen, alles ohne Erfolg. Ein gewaltiges Hagelwetter macht seine Aktionen zunichte. Paulus und der Löwe verabschieden sich voneinander. Der eine geht zum Hafen, der andere entweicht ins Gebirge, diesmal ohne Konfrontation mit einer Löwin.

Die zweite Episode ist vielleicht nicht mehr ganz so spektakulär wie die erste, aber sie ist aus einem anderen Grunde sehr instruktiv. Sie zeigt uns nämlich, wie unbefangen sich diese frühen christlichen Autoren bei der profanen griechisch-römischen Literatur bedienten. In diesem Fall stand die bekannte Fabel von Androclus und dem Löwen Pate. Bei einem Tierkampf im Circus Maximus in Rom fällt ein Löwe durch besonders muskulösen Körperbau, lang herabwallende Mähne und furchtbares Gebrüll auf. Ihm wird als Opfer der Sklave Androclus vorgeworfen. Aber der Löwe nähert sich ihm nur langsam, umwedelt ihn wie ein Schoßhund und leckt ihn ab. Des Rätsels Lösung: In Nordafrika war Androclus seinem Herrn entflohen. In die Höhle, die ihm als Versteck diente, kommt ein Löwe, der auf einem Fuß hinkt und blutet. Durch Gesten bittet er Androclus förmlich um Hilfe, und der zieht ihm einen großen Holzsplitter aus der Fußsohle. Eine wunderbare Freundschaft entsteht, die drei Jahre dauert, bis Androclus entdeckt, gefangen genommen und als entlaufener Sklave ad bestias verurteilt wird. Auf diesen Bericht hin wird Androclus amnestiert, und man sieht ihn mit seinem Löwen, den er an einer dünnen Leine führt, durch die Stadt spazieren, von allen Seiten bewundert und beschenkt. Wir sehen, wie diese Erzählungen auch christlicherseits einem verständlichen Unterhaltungsbedürfnis dienten, was im Ansatz auch schon die Apostelgeschichte des Lukas tut.

2. Paulus und Thekla

a) Erste Begegnung (ActThecl 2)

Zu den Paulusakten gehört ein längerer Teil, der auch selbständig im Umlauf war, unter dem Titel „Akten des Paulus und der Thekla“, denn diesmal ist nicht Paulus, sondern Thekla die Hauptperson. Wiederum greife ich zwei Details heraus.

Die Eingangsszene spielt in Ikonium in Kleinasien, auch aus der lukanischen Apostelgeschichte als Reisestation bekannt. Titus hat dem als Gastgeber vorgesehenen Onesiphoros einen Steckbrief mitgegeben, mit einem regelrechten Paulusporträt, und wir erleben hautnah mit, wie Paulus auf ihn wirkt:

Er (Onesiphoros) sah Paulus kommen, einen Mann, klein an Gestalt, mit kahlem Kopf, gekrümmten Beinen, (aber) in edler Haltung, mit zusammengewachsenen Augenbrauen, die Nase etwas hervortretend, (aber) voll Anmut. Bald erschien er wie ein Mensch, bald hatte er das Antlitz eines Engels.

Ein nicht ganz schmeichelhaftes Porträt, aber es sind in dieses Bild verschiedene kulturelle Wertungen eingegangen. Man hat Steckbriefe für Sklaven, die Beschreibung eines Generals, den Charakterkopf des Philosophen Sokrates und anderes mehr zum Vergleich herangezogen, aber am wichtigsten dürfte die Parallele zu Kaiser Augustus sein, der zumindest nach seinem Biographen Sueton kein Ausbund an Schönheit war, trotz seiner Statuen und Münzprägungen. Wir hören über ihn:

Er hatte helle, glänzende Augen und wollte, dass man den Eindruck gewann, ihnen wohne eine göttliche Kraft inne … Seine Zähne standen weit auseinander, waren klein und schlecht. Sein Haar war leicht gelockt und hellblond, seine Augenbrauen in der Mitte zusammengewachsen, seine Ohren von mittlerer Größe, seine Nase oben hervorspringend, unten gebogen … Von Statur war er klein … doch wurde das durch die Wohlgestalt und das Ebenmaß der Glieder verdeckt …

Deutlicher kann man eigentlich nicht mehr werden. Die Übereinstimmungen gehen so weit (kleine Gestalt, zusammen gewachsene Augenbrauen, hervorspringende Nase), dass ich mich ernsthaft frage, ob unser Autor nicht eine bewusste Anleihe beim Augustusporträt vorgenommen hat, um Paulus als Herrscher eigener Art zu stilisieren. Für Paulus kommt noch hinzu, was aber auch der Eingangssatz zu Augustus im Grunde sagt (seinen Augen wohne göttliche Kraft inne), dass die Dialektik von Fleisch und Geist anschaulich wird. „Wie ein Mensch“ betrifft das Fleisch, das körperliche Auftreten. „Das Angesicht eines Engels“ zielt auf den Geist, der den Charismatiker Paulus erfüllt und der immer wieder durchbricht.

Im Haus des Onesiphoros angelangt, verkündet Paulus „das Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung“, in dieser Reihenfolge. Er entfaltet es in einer Reihe von zwölf Seligpreisungen, von denen mehrere um die sexuelle Reinheit kreisen. Während Paulus redet, sitzt im Fenster des Nachbarhauses Thekla. Sie kann Paulus nicht sehen, nur hören, aber sie lauscht ihm Tag und Nacht, wie er über das jungfräuliche Leben spricht. Als sich das drei Tage lang hinzieht, alarmiert ihre Mutter den Verlobten Theklas und beschreibt das Verhalten ihrer Tochter anschaulich als eine invertierte Form von heftiger Liebe: „Wie eine Spinne klebt meine Tochter am Fenster. Von seinen Worten wird sie erfasst wie von einer nie gekannten Begierde und schrecklichen Leidenschaft“. Das ist Liebe nicht auf den ersten Blick, denn Thekla sieht Paulus ja nicht und wäre vielleicht von seinem eben skizzierten Erscheinungsbild nicht einmal sonderlich angetan, wohl aber ist es Liebe auf das erste Wort hin.

Was jetzt folgt, kann man praktisch schon vorhersagen. Thekla lässt Mutter und Verlobten im Stich, will von einer Ehe nichts mehr wissen und schließt sich Paulus an. Leider können wir Theklas weiteren Weg, der sie zu einer erfolgreichen Missionarin werden lässt, nicht im Einzelnen verfolgen, sonst bliebe uns keine Zeit mehr für andere Texte. Aber wir wollen wenigstens eine weitere Szene herausgreifen, die Thekla im Amphitheater zeigt.

b) Thekla im Amphitheater

Ihr Widerstand gegen die Avancen eines vornehmen Syrers bringt Thekla in Antiochien in Pisidien, auch ein wichtiger Ort für Paulus in der Apostelgeschichte des Lukas, schließlich in die Arena. Thekla betet mit kreuzförmig ausgebreiteten Armen, dann erblickt sie eine große Grube voll Wasser, in der Robben umherschwimmen. Die mit Thekla sympathisierenden Frauen unter den Zuschauern warnen sie, die Robben würden sie fressen. Thekla aber erkennt: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mich zu waschen“ („waschen“ ist ein Verb, das auch für die Taufe gebraucht wird), und sie stürzt sich mit den Worten „Im Namen Jesu Christi taufe ich mich an (meinem) letzten Tag“ in die Fluten. Diese Selbsttaufe gilt in unserer Erzählung offenbar als vollgültig. Die gefährlichen Robben sehen einen Blitz und schwimmen gleich darauf tot an der Oberfläche, während eine Wolke von Feuer Thekla rettend umgibt.

Wir kennen Robben entweder als hilflose Babys, die unser Mitgefühl erregen, oder als Artisten in Zirkus und Zoo, die bunte Bälle jonglieren und für frischen Fisch nahezu alles tun. Erneut müssen wir uns auf die Rekonstruktion eines antiken Vorverständnisses einlassen, das unser Autor mit seinen Adressaten teilt. Ausgedehnte Wasserbassins wurden in der römischen Arena für die Inszenierung von Seeschlachten tatsächlich angelegt. Kämpfe zwischen Bären und Robben im Zirkus sind, so unwahrscheinlich es klingen mag, für die Kaiserzeit belegt. Einen weiteren ironischen Seitenhieb stellt ihre Ausschaltung durch einen Blitz dar, schrieb man doch ausgerechnet Robbenfellen eine den Blitz abwehrende Kraft zu. Kaiser Augustus soll sich aus Angst vor Blitzschlag nie ohne Robbenfell außer Haus begeben haben. All das verleiht der Robbenepisode jenes Maß an Glaubwürdigkeit, das für eine erfolgreiche Erzählung unerlässlich bleibt.

Der verschmähte Liebhaber Theklas lässt nicht locker, sondern setzt einen letzten Vorschlag in die Tat um, der durch seine kaum verhüllte sexuelle Aggression selbst ein abgebrühtes Publikum noch in Staunen versetzt (Vouaux schrieb 1913: »l’auteur a vraiment exagéré«, hier hat der Autor wirklich übertrieben). Thekla wird mit gespreizten Füßen an wilde Stiere gebunden, an deren Geschlechtsteile man glühende Eisen hält, um sie noch mehr zu reizen. Sie sollen Thekla in Stücke reißen, aber auflodernde Flammen brennen die Stricke durch, und nichts geschieht. Man muss kein ausgesprochener Anhänger von Siegmund Freud und der Psychoanalyse sein, um zu sehen, dass sich hier unterdrückte Triebe – ich denke schon, auch auf Seiten unseres Autors – ihren Ausweg suchen und in Projektionen ungezügelter Grausamkeit umschlagen.

Ein letztes Wort zu Thekla. Sie kommt schließlich frei, schließt sich der christlichen Kerngemeinde um Paulus an und hat eine große Karriere als Apostolin und Wundertäterin in der Alten Kirche vor sich, mit einer großen Klosteranlage, archäologisch teils erhalten, in Seleukia im Südosten Kleinasiens.

 

Zwischenreflexion: Apokryphe Apostelakten

Es ist wohl an der Zeit für eine etwas trockene, aber unumgängliche Zwischenreflexion. Die Paulusakten gehören zu den fünf alten Apostelakten, zu denen außerdem noch die Petrusakten, die Johannesakten, die Andreasakten und die Thomasakten zählen. „Alt“ bedeutet, dass sie in der Zeit zwischen 150 und 240 n. Chr. entstanden sind. Es gibt noch jüngere Akten aus dem vierten Jahrhundert, darunter die umfangreichen Philippusakten, die sehr gut erhalten sind. Auch die Pseudo-Clementinen, ein christlicher Bildungsroman, in dessen Mittelpunkt Petrus steht, gehören hierher. Das Stichwort „Roman“ erinnert uns zugleich daran, dass alle apokryphen Apostelakten von der Gattung her der griechisch-römischen Romanliteratur ähneln, bei der sie kräftige Anleihen machen. Das unterscheidet sie von der Apostelgeschichte des Lukas, die eher der Historiographie angehört. Die Apostelakten als eigenes Genus münden schließlich in den Strom der Hagiographie, der Heiligenleben ein.

Der Hinweis auf den Umfang und den guten Erhaltungszustand der jüngeren Akten hat seinen Sinn, denn von den alten Akten sind nur die Thomasakten vollständig erhalten. Von den anderen vier alten Akten besitzen wir nur noch Fragmente, die mühsam gesammelt, ediert und übersetzt werden müssen. Ein Beispiel aus der aktuellen Arbeit: Wichtige Details der Szene mit dem getauften Löwen finden sich nur in einem koptischen Papyrus, der 2004 zum ersten Mal veröffentlicht wurde.

Über die Autoren der Apostelakten wissen wir so gut wie nichts. Nur zum Verfasser der Paulusakten bemerkt Tertullian, ein Presbyter in Kleinasien habe sie aus Liebe zu Paulus gefälscht und dann infolge der Empörung, die er auslöste, sein Amt niedergelegt. Auch zu den Entstehungsorten gibt es nur Rateversuche. Für die Petrusakten könnte man zu Rom tendieren. Für die Paulusakten wurde Smyrna, heute Izmir, vorgeschlagen. Nur für die Thomasakten befinden wir uns auf etwas festerem Boden, nämlich in Syrien. Edessa im Osten kommt ernsthaft in Frage.

Ein letzter Punkt: Wie verhalten sich die alten Apostelakten zur kanonischen Apostelgeschichte des Lukas? Dabei müssen wir bedenken, dass im späten 2. Jahrhundert der Kanon neutestamentlicher Schriften sich selbst noch in der Entwicklung befand. Die Verhältnisbestimmung fällt in der Forschung sehr unterschiedlich aus. Ich denke, dass die Autoren der Apostelakten die Apostelgeschichte kannten, sie aber keineswegs schon als verbindlich ansahen, sich daher berechtigt fühlten, die Apostelgeschichte zu ergänzen, fortzuschreiben, oder sie auch zu korrigieren oder gar zu bekämpfen.

Damit genug der mehr technischen Dinge. Ich gehe nun folgendermaßen vor: Die Andreasakten lasse ich beiseite. Aus den Petrusakten, den Johannesakten und den Thomasakten wähle ich wieder jeweils zwei Episoden zur Besprechung aus.

Petrusakten

Die Petrusakten spielen zur Hauptsache in Rom, wo Simon Petrus sich mit einem alten Bekannten herumschlagen muss, mit Simon Magus aus Samarien (siehe Apg 8). Die beiden Simons liefern sich regelrechte Duelle, wer denn die imposanteren Wunder vollbringen kann. Die Gattung dieser Erzählungen kennen wir übrigens. Es ist der Wettkampf der Zauberer, man denke an Moses und die Magier des Pharao im Buch Exodus, an Paulus und den jüdischen Magier Barjesus auf Zypern in Apg 13 oder, um die moderne Mythologie zu bemühen, an Saruman und Gandalf im Herrn der Ringe oder an Dumbeldore und Voldemort in Harry Potter.

1. Der getrocknete Fisch (ActPt 13)

Simon Magus hält sich im Haus des Senators Marcellus auf, den er erfolgreich dem Christentum abspenstig gemacht hat. Ein Teil der Menge verlangt im Hof von Petrus Wunderzeichen, denn auch Simon habe viele Wunder gewirkt, nur deshalb seien sie ihm gefolgt.

Petrus sieht einen geräucherten Fisch im Fenster hängen. Der springende Punkt bei „geräuchert“ besteht darin, dass hier eine Steigerung von „tot“ quasi zu „mausetot“ vorliegt. Noch mehr „tot“ geht einfach nicht. Petrus fragt die Menge, ob sie zum Glauben bereit wäre, wenn dieser getrocknete Fisch wieder schwimmen würde, und erhält eine bejahende Antwort. Er wirft den Fisch in ein Wasserbecken, und dieser schwimmt sofort munter umher. Damit dieser Vorgang nicht als Phantasiegebilde nach Art der Wunder Simons erscheine, bleibt der Fisch am Leben und lockt Besucherscharen herbei, die ihn mit Brotbrocken füttern.

Aus dieser Szene geht zunächst hervor, dass Wunder für unseren Autor Beweisfunktion haben. Aber sie von den „magischen Tricks“ der Gegenseite zu unterscheiden fällt nicht immer leicht. Auch hier lässt sich darüber hinaus ein vergleichbarer Vorfall aus der griechischen Überlieferung anführen. Die Schlusspassage von Herodots Historien berichtet von einem Wunderzeichen. Als einer aus der Wachmannschaft, die einen persischen Statthalter gefangen hält, Salzfische röstet, ereignet sich Folgendes: „Als die gesalzenen Fische über das Feuer kamen, sprangen und zappelten sie gerade wie frisch gefangene Tiere.“ Die richtige Deutung gibt der gefangene Statthalter selbst. Er hatte gegen einen Heros gefrevelt, und dieser Heros „Protesilaos will mir zu verstehen geben, dass er, obgleich er tot und eine Mumie ist, dennoch die Macht von den Göttern erhält, den Frevler (das ist der Sprecher selbst) zu züchtigen“, was durch dessen Hinrichtung am Kreuz geschieht. Der Witz besteht darin, dass das griechische Wort für „Räucherfisch“ auch „Mumie“ bedeuten kann. Eine vertrocknete Mumie kehrt nicht gerade ins Leben zurück, wird aber dennoch rächend aktiv, wie die zappelnden Fische.

Darüber hinaus ist die spezifisch christliche Symbolsprache dieser Wundererzählung mit Händen zu greifen. Die Wiederbelebung von Toten, innerweltlich wie endzeitlich, wird angedeutet. Das Hineinwerfen ins Wasserbecken erinnert an das Bad der Taufe, das Wiedergeburt beinhaltet. Petrus ist präsent als Fischer von Beruf, der vom Herrn zum Menschfischer bestimmt wurde. Gut bekannt ist auch die Verwendung des Fischsymbols für Christus selbst, aber auch für die Christen, die Tertullian einmal als pisciculi bezeichnet, als kleine Fische des großen Fisches Jesus. Ob es in Anbetracht dieser symbolischen Effekte zu weit führt, wenn man bei den Brotbrocken, die der Fisch bereitwillig verzehrt, an das gebrochene Brot des Herrenmahls denkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht.

2. Der Tod des Petrus (ActPt 3539)

Diesmal ergreifen wir die Gelegenheit, uns auch den Tod wenigstens eines Apostels genauer anzusehen. Petrus macht sich in Rom auf gewohnte Weise hochgestellte Feinde. Er überredet vier Konkubinen des Stadtpräfekten, fortan keusch zu leben, was diesen alles andere als erfreut. Petrus ist in höchster Gefahr, und die Mitchristen überreden ihn, die Stadt zu verlassen.

Petrus geht allein zum Tor hinaus. Der Herr Jesus kommt ihm entgegen, auf dem Weg in die Stadt. Auf die Frage des Petrus „Wohin, Herr?“ antwortet dieser: „Ich gehe nach Rom hinein, um gekreuzigt zu werden“, und auf erneute Nachfrage hin fügt er hinzu: „Ja, um wiederum gekreuzigt zu werden.“ Petrus hat verstanden. Er begibt sich in die Stadt zurück, in den sicheren Tod am Kreuz.

Den Grundeinfall können wir bis ins Neue Testament zurückverfolgen. Im Johannesevangelium kündigt Jesus an, dass er fortgehen wird, und Petrus fragt ihn: „Herr, wohin gehst du?“. Wenn wir das ins Lateinische übersetzen, kommt Quo vadis heraus, Titel eines berühmten Romans (1895) und eines nicht weniger berühmten Films (1951). Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Jugendlicher erst vom Buch und dann vom Film zutiefst beeindruckt war. Hier bekommen wir es sozusagen mit einem modernen Apokryphon zu tun, den Quo-vadis-Akten.

Seine vier Henker fordert Petrus dann auf, ihn mit dem Kopf nach unten zu kreuzigen, was nicht völlig unerhört ist. Der römische Philosoph und Staatsmann Seneca schreibt um etwa diese Zeit: „Ich sehe dort Marterhölzer, nicht einer Art allein freilich … mit dem Kopf zur Erde schlagen manche ans Kreuz … andere breiten am Kreuz die Arme aus“. In dieser Position hält Petrus eine lange, tiefgründige Rede, die eine eigene Auslegung erfordern würde. Die besondere Lage – Kopf nach unten – interpretiert er nicht, wie es die landläufige Meinung will, als Demutsgeste, weil er sich nicht für würdig hielt, auf die gleiche Art wie sein Herr zu sterben. Seine verkehrte Stellung symbolisiert vielmehr die gefallene menschliche Natur. Durch den Fehltritt des ersten Menschen ist in der Welt alles auf den Kopf gestellt und verdreht. Rechts erscheint als links, und Schlechtes als gut. Deshalb hat der Herr in einem sonst nicht bekannten Wort gesagt: „Wenn ihr nicht das Rechte wie das Linke macht und das Linke wie das Rechte und das Obere wie das Untere und das Hintere wie das Vordere, werdet ihr das Reich Gottes nicht erkennen“. Unter dem Vorzeichen der Sünde bedeutet diese Verkehrung bei Petrus sogar so viel wie Wiederherstellung der ursprünglichen, richtigen Ordnung. Das ist wahre Erlösung.

IV. Johannesakten

1. Mit Drusiana und Kallimachos in der Grabkammer (ActJoh 62–86)

Wir zoomen gleich hinein in eine farbige Wundererzählung. Sie ereignet sich bei der Rückkehr des Johannes nach Ephesus, seiner Stadt (kein Paulus weit und breit). Die Gläubigen strecken ihre Hände nach Johannes aus, und wenn ein Kontakt, und sei es nur mit seinem Gewand, gelingt, küssen sie diese anschließend (man vergleiche die blutflüssige Frau im Evangelium und die therapeutisch wirksamen Taschentücher des Paulus in Apg 19).

Die eigentliche Handlung beginnt mit einem Rückblick auf einen neuen Keuschheitskonflikt. Drusiana verweigert sich nach der Hinwendung zum christlichen Glauben konsequent ihrem Mann Andronikus, der sich nach anfänglichem Widerstand gleichfalls bekehrt und mit ihr als Bruder und Schwester zusammenlebt. Aber die sexuellen Prüfungen sind damit noch nicht ausgestanden. Kallimachos, ein „Abgesandter Satans“, wird von heilloser Begierde nach der schönen Drusiana erfasst. Darüber grämt sich Drusiana so sehr, dass sie vom Fieber gepackt wird und binnen weniger Tage stirbt, was man psychologisch erklären kann oder als wunderbaren Eingriff des Herrn.

Während der Apostel im Kreis der Brüder ein rhetorisch ausgefeiltes Loblied auf Drusiana vorträgt, geht in der Grabanlage der „vielgestaltige Satan“ durch seine Gehilfen ans Werk. Fortunatus, der geldgierige Verwalter des Andronikos, nimmt eine hohe Bestechungssumme an und öffnet die Grabkammer für Kallimachos, der sich am Leichnam Drusianas vergehen will. Als Drusianas Körper schon bis auf das letzte Hemd entkleidet ist, erscheint plötzlich eine riesige Schlange, tötet Fortunatus mit einem Biss, bringt Kallimachos zu Fall und ringelt sich über ihm zusammen. Der junge Mann verfällt in eine totenähnliche Starre. Lesenswert ist hier Edgar Hennecke, der verdiente Schöpfer der „Neutestamentlichen Apokryphen in deutscher Übersetzung“ von 1904, der seiner Empörung freien Lauf lässt: Den Johannesakten ist „ein starker sinnlicher Zug beigemischt, der gelegentlich – bei Kallimachus – sogar den Gipfelpunkt des Abscheulichen erreicht … Man wird schon in der gleichzeitigen Profanliteratur suchen müssen, um Scenen von gleich abstoßender Wirkung wie diese zu finden.“ Man kann ihm nicht einmal völlig widersprechen. Hinter dieser besonders anstößigen Nekrophilie dürfte sich außerdem ein negatives Urteil über die Sexualität verbergen. Geschlechtlicher Umgang vollzieht sich zwischen toten Körpern und hat mit einer Gemeinschaft lebendiger Seelen nichts zu tun.

Am Morgen des dritten Tages begibt sich Johannes mit Andronikos und anderen Brüdern zum Grab, um dort Gottesdienst zu feiern. Durch ein Türöffnungswunder, das im Vorbeigehen erledigt wird, verschaffen sie sich Zugang zur Grabkammer. Nur Andronikos erkennt sofort, was hier „gespielt“ wird (die Metaphorik des Theaters ist in diesem Fall völlig angemessen, denn Andronikos spricht direkt von der „dramaturgia der Hinterlist“, die hier tätig war). Er muss dem begriffsstutzigen Apostel erklären, was vorgefallen ist.

Daraufhin schafft Johannes Ordnung. Er setzt das „giftige Reptil“ außer Betrieb. Kallimachos kehrt in den Wachzustand zurück. Drusiana wird auferweckt und bittet ausgerechnet um das Leben des immer noch toten Bösewichts Fortunatus. Sie darf ihn selbst in Auftragsarbeit auferwecken, was aber nicht viel Sinn macht, denn er stirbt wenig später an den Residuen des Schlangengifts. Für den Moment ist die christliche Gruppe in Ephesus wieder im Lot.

2. Jesu Tod am Kreuz (ActJoh 97–102)

Bisher haben wir noch nicht über die Christologie gesprochen, die Wahrnehmung der Person Jesus Christi. Zu ihr haben die Johannesakten einen sehr eigentümlichen Zugang, der eines genauen Hinsehens bedarf.

In Jerusalem, am Tag der Hinrichtung Jesu, fliehen die Jünger in alle Richtungen, Johannes allerdings nur bis zum Ölberg, wo er sich in einer Höhle versteckt. Exakt zur Stunde der Kreuzigung, als Finsternis auf der ganzen Erde eintritt, erscheint der Herr, erleuchtet die Höhle und sagt zu seinem Jünger: „Nur für die Menge drunten in Jerusalem werde ich mit Lanzen gestoßen und Rohren. Mit dir aber rede ich…“. Dann zeigt ihm der Herr ein Lichtkreuz von kosmischen Dimensionen, dessen Querbalken als Grenze zwischen der unteren, materiellen und der oberen, spirituellen Welt dient. Den Herrn selbst sieht Johannes oben über dem Kreuz. Er hat keine leibliche Gestalt mehr, sondern ist nur noch Stimme, und zwar eine wahrhaft göttliche Stimme, die dem Apostel erklärt: Das Lichtkreuz „ist nicht das hölzerne Kreuz, das du sehen wirst, wenn du von hier hinuntergehst. Auch ich, den du jetzt nicht siehst, sondern dessen Stimme du nur hörst, bin nicht der am (hölzernen) Kreuz“. Auf fast schon obsessive Weise geht es in diesem Geleise weiter. Der Herr spricht, im Originalton:

Nichts von dem also, was sie über mich sagen werden, habe ich gelitten … Du hörst, dass ich gelitten habe – und doch habe ich nicht gelitten …, dass ich (mit der Lanze) gestochen worden sei, – und doch bin ich nicht geschlagen worden, dass ich aufgehängt worden sei, – und doch bin ich nicht aufgehängt worden, dass Blut aus mir geflossen sei, – und doch ist es nicht geflossen –, kurz, dass ich das, was jene von mir sagen, nicht zu erdulden gehabt habe, jenes aber, was sie nicht sagen, gelitten habe.

Der letzte Satz ist noch einmal besonders änigmatisch und kann selbst dem Apostel nur in Rätselworten erklärt werden. In aller Kürze geht es darum, dass alle diese historischen Aussagen entmaterialisiert und spiritualisiert werden müssen und sich in metaphorischer Weise auf ein geistiges Geschehen im Drama der Erlösung beziehen. Deshalb kann Johannes sagen: Als ich hinuntergegangen war nach Golgota, verlachte ich all jene, die mir weismachen wollten, was geschehen sei, denn ich wusste doch, „dass der Herr das alles nur symbolisch und ökonomisch (heilsgeschichtlich) ausgeführt hatte zur Bekehrung und Rettung der Menschen“.

Dass wir hier einen besonders drastischen Entwurf vor uns haben, leidet keinen Zweifel. In der Forschung spricht man von Doketismus und Gnosis. Doketisch bedeutet, dass Christus nicht wirklich Mensch geworden ist, sondern entweder nur einen Scheinleib hatte oder lediglich eine zeitweilige Verbindung mit dem Menschen Jesus einging, von der Taufe bis kurz vor der Kreuzigung. Gnosis impliziert eine Abwertung der Geschöpflichkeit und Leiblichkeit und eine Überbewertung von Intellekt und Erkenntnis. In der Forschung zum frühen Christentum sind wir inzwischen zurückhaltend geworden mit den Wertungen „orthodox“ oder „häretisch. Aber wenn Sie mich fragen, kann ich der Christologie der Johannesakten wirklich nicht viel abgewinnen, ebenso wenig der versuchten Nekrophilie.

 

V. Thomasakten

1. Die Aussendung nach Indien (13.1725)

Die Thomasakten sind, wie schon erwähnt, als einzige vollständig erhalten, was bedeutet, dass sie über eine Einleitung verfügen, die in den anderen Akten fehlt, und wir diesmal ganz vorn einsetzen können. Die Apostel, elf an der Zahl, ohne Judas Iskariot, sind nach der Himmelfahrt in Jerusalem versammelt. Unter ihnen befindet sich auch Judas Thomas Didymos, wie er mit vollem Namen heißt. „Thomas“ ist ein aramäischer Beiname und bedeutet „Zwilling“, während „Didymos“, auch im Johannesevangelium zu finden, auf Griechisch dasselbe meint, so dass wir letztlich „Judas Zwilling Zwilling“ vor uns haben. Dieser Mann wurde tatsächlich in Teilen der frühen Kirche als Zwillingsbruder Jesu angesehen und konnte nach der Himmelfahrt als Jesu irdischer Doppelgänger fungieren.

Die Apostel verlosen die potentiellen Missionsgebiete untereinander und nehmen den Losentscheid als Auftrag des abwesenden Herrn. Indien fällt Thomas zu, der gleich einwendet: Wie kann ich denn als Hebräer ohne Sprachkenntnisse nach Indien gehen? Der Herr spricht ihm während der Nacht Mut zu, aber er bleibt störrisch: „Wohin du mich senden möchtest, sende mich, aber anderswohin. Denn zu den Indern gehe ich nicht.“

Es folgt eine Radikalkur. In der Stadt hält sich ein indischer Kaufmann auf, der für seinen König Gundafor einen Zimmermann anwerben soll. Der Herr verkauft ihm Thomas für drei Pfund Silber und setzt folgenden Kaufbrief auf: „Ich, Jesus, der Sohn des Zimmermanns Josef, bestätige, einen Sklaven von mir namens Judas an dich verkauft zu haben.“ Auf die sehr doppeldeutige Frage des Kaufmanns an Thomas: „Ist dieser dein Meister“, gibt der zurück: „Ja, er ist mein Herr“, und willigt damit implizit in sein Schicksal ein. Die Frage des Kaufmanns, welches Handwerk er beherrsche, beantwortet er mit dem Eingeständnis:

(Ich kann) aus Holz Pflüge und Joche und Waagen und Schiffe und Schiffsruder und Masten und kleine Räder (für Flaschenzüge) machen, aus Steinen aber Säulen und Tempel und königliche Paläste.

Das hört sich gut an, ist aber ebenfalls wie fast alles in diesen Akten doppelbödig, denn Ackern wie Pflügen ebenso wie Navigieren und Lenken können Bilder für die Missionsarbeit sein und Säulen und Tempel Bilder für die Gemeinde und ihre Leiter. Nicht zufällig ist Jesus selbst Zimmermann und eines Zimmermanns Sohn, wie schon vernommen.

In Indien angekommen, fragt König Gundafor, hocherfreut über den Neuerwerb, als erstes, ob Thomas ihm einen Palast bauen wolle. „Ja“, antwortet dieser, „ich baue und vollende; denn dazu bin ich gekommen, zu bauen und zu zimmern.“ Wir Leser wissen es schon besser und sind gespannt auf dieses Bauwerk. Der König begibt sich mit dem Apostel zu dem vorgesehenen Bauplatz außerhalb der Stadt, und der Apostel beginnt, mit einem Messrohr den Grundriss abzustecken und ihn auf die Erde zu zeichnen, mit genauer Angabe der Lage von Türen, Fenstern, Backhaus und Wasserzufuhr, was den König tief beeindruckt und zu dem Kommentar bewegt: „Du bist wirklich ein Künstler. Es ziemt sich für dich, Königen zu dienen“, wiederum völlig richtig, nur dass es sich um einen anderen König handelt. Als Gundafor sich wieder fortbegibt, lässt er genügend Geld zurück und sorgt von Zeit zu Zeit aus der Ferne für Nachschub, so etwa als der Apostel ihm zu verstehen gibt, der Palast sei gebaut, aber das Dach fehle noch. Thomas aber nimmt das ganze Geld und verteilt es in den umliegenden Ortschaften an die Armen, unter ihnen die sprichwörtlichen Witwen und Waisen. Außerdem predigt er und vollbringt Heilungen, das alles ohne Bezahlung, bei extrem asketischer eigener Lebensweise.

Endlich bekommt der König doch mit, was tatsächlich abläuft, und reagiert entsprechend wütend. Dass der Apostel ihm zu verstehen gibt: „Du wirst den Palast erst sehen, wenn du aus diesem Leben geschieden bist“, beeindruckt ihn nicht, obwohl wir Leser bereits an den Schatz im Himmel aus der Bergpredigt denken. Gundafor will den Apostel und den zuständigen Kaufmann grausam hinrichten lassen.

Aber es kommt anders. Ein Lieblingsbruder des Königs namens Gad stirbt. Engel nehmen seine Seele in Empfang und geleiten sie zum Himmel hinauf. Sie zeigen ihm dort Orte und Wohnungen, von denen er sich eine zum Verweilen aussuchen soll, was sicher anspielt auf die vielen Wohnungen im Haus des Vaters aus Joh 14,2f. Sie kommen dabei auch zu dem Bauwerk, das Thomas für den König mit dessen Geld im Himmel errichtet hat, und das ist offenbar ein besonders prächtiger Palast geworden, denn Gad möchte nichts lieber als in einem der unteren Räume dieses Gebäudes wohnen. Die Engel müssen ihm diese Bitte abschlagen, weil der Palast nicht ihm, sondern seinem Bruder gehört, aber Gad ist um einen moralisch leicht bedenklichen Einfall nicht verlegen: „Ich bitte euch, meine Herrn, erlaubt mir, wegzugehen zu meinem Bruder, damit ich ihm diesen Palast abkaufe. Denn mein Bruder weiß nicht, was das für ein Gebäude ist, und wird es mir verkaufen“.

Gesagt, getan. Die Seele Gads kehrt in seinen Körper, der noch auf dem Totenbett liegt, zurück. Der König vernimmt die frohe Nachricht und eilt zu ihm. Gad bittet seinen Bruder: „Verkaufe mir den Palast, den du im Himmel hast“. Der König zeigt sich zunächst überrascht, braucht aber dann nicht sonderlich lange, um die zwei Komponenten zusammen zu zählen, den Augenzeugenbericht aus dem Jenseits einerseits und die Verheißung des Apostels, er selbst, der König, werde den Palast erst nach seinem Lebensende sehen, andererseits. Gundafor gibt seinem Bruder Gad zu verstehen, er könne ihm seinen eigenen Palast nicht verkaufen, aber der Apostel könne ihm leicht einen anderen, noch prächtigeren bauen.

Mit dieser Einsicht ist die Bekehrung der beiden Brüder bereits eingeleitet. Apostel und Kaufmann werden aus dem Gefängnis herbeigeholt. Der Apostel richtet ein Dank- und Weihegebet an Jesus und bereitet so die sakramentale Versiegelung der beiden Brüder vor.

Der Apostel hat für den König mit dessen Schatz einen Platz im Himmel bereitet, mit vielen Wohnungen, aber die biblischen Metaphern sind unter der Hand zu einer allegorischen Erzählung ausgesponnen worden. Sympathisch berührt die sozialkritische Komponente im Verhalten des Apostels: Steuergelder sollten denen zugutekommen, die sie wirklich brauchen, und nicht in Prachtbauten investiert werden. Aber dennoch ist eine gewisse Weltflüchtigkeit nicht zu verkennen. Nur die unsterbliche Seele macht sich auf die Reise, und sie findet ihre wahre Heimat im Himmel.

2. Der Tod des Eselsfüllens (ActThom 3941)

Der Apostel befindet sich auf einer Landstraße und redet zur Menge. Da kommt ein Eselsfüllen auf ihn zu und spricht ihn an: „Zwillingsbruder des Christus (sehr gut informiert, dieses Füllen!), Apostel des Höchsten und miteingeweiht in sein verborgenes Wort…, Mitarbeiter des Sohnes Gottes, der du, während du frei warst, ein Sklave geworden bist und, verkauft, viele zur Freiheit geführt hast…, steige auf, setze dich auf mich und ruhe dich aus, bis du in die Stadt eingehst!“

Der Apostel fragt das Eselsfüllen nach seiner Herkunft, und es zeigt sich, dass es eine wirklich noble Ahnengalerie vorweisen kann. Ein Vertreter seiner Familie, der übrigens auch sprechen konnte, hat Bileam gedient, der im Buch Numeri Israel verfluchen soll, stattdessen aber segnet; ein anderer hat Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem getragen. Besser geht es kaum. Unser Eselsfüllen drängt sich dem widerstrebenden Apostel als Reittier förmlich auf. Wie Jesus zieht jetzt der Apostel, auf dem Eselsfüllen sitzend und von der Menge begleitet, in die Stadt ein. Das Füllen verendet nach Erledigung seiner Aufgabe und wird trotz inständigen Bittens der Zuschauer nicht wieder erweckt.

Dieses Ende lässt auch uns etwas unbefriedigt zurück. Warum musste das arme Füllen unbedingt sterben? Den Schlüssel zu einer symbolischen Lektüre gibt eine Zeile aus dem Gebet an die Hand, in dem Thomas den Herrn anspricht: „O Jesus Christus…, o verborgene Ruhe…, unser Erlöser und Ernährer, der du uns bewahrst und auf fremden Körpern ruhen lässt“. Unter dem „fremden Körper“ ist auf der Erzählebene das Füllen zu verstehen, auf dessen Rücken der Apostel bereits einen Teil der ersehnten „Ruhe“ erfährt. Ruhe (Anapausis) gilt in der Gnosis als wesentlicher Teil der Erlösung. Der „fremde Körper“ lässt sich aber auch auf den Leib des Apostels beziehen, der dessen Seele an ihr irdisches Ziel transportiert. Der Tod des Füllens nimmt dann als erzählerische Vorausschau das Sterben des Apostels in den Schlussparagraphen vorweg. Der Weg auf dem Rücken des Füllen stellt also die Lebensreise dar, wie in dem verwandten Gleichnis des zeitgenössischen Philosophen Epiktet: „Der ganze Leib ist nicht anders zu betrachten als wie ein beladener Esel, der seine Ware trägt, solange er kann und solange man sie ihm lässt“. Auch der heilige Franziskus hat seinen Leib als „Bruder Esel“ bezeichnet und einen tatsächlichen Esel „Bruder“ genannt, wobei ich mich frage, was das für die tatsächlichen Brüder bedeutet.

Die üblichen Verwicklungen in Ehefragen selbst im Königshaus führen zum Martyrium des Apostels, der von vier Soldaten mit vier Lanzen erstochen wird. Erstaunlich bleibt seine Fernwirkung. In Indien gibt es bis heute Thomaschristen, die ihren Ursprung auf den Apostel zurückführen und sein Grab zeigen und verehren. Die Thomasakten dienen ihnen als Dokument ihres Ursprungs.

 

VI. Schluss

Unsere Schlussreflexion kann kurz ausfallen, weil die Texte eigentlich für sich selbst sprechen. Die apokryphen Apostelakten sind (1) weithin unbekannt, (2) manchmal lehrreich und erbaulich, (3) des Öfteren auch gefährlich und (4) nicht zuletzt spannend und unterhaltsam.

1. Unbekannt. Warum sind die apokryphen Apostelakten nicht besser bekannt? Es verhält sich damit in verändertem Maßstab wie mit den vier Evangelien und der kanonischen Apostelgeschichte im Neuen Testament. Die vier Evangelien haben eine viel prominentere Stellung, gerade in der Liturgie, weil sie von Jesus handeln. Die Apostelgeschichte des Lukas zieht viel weniger Aufmerksamkeit auf sich. Das lässt sich übertragen. Die meisten Leute wissen inzwischen, was apokryphe Evangelien sind. Vor allem das Thomasevangelium ist in aller Munde, während kaum jemand die Thomasakten zur Notiz nimmt.

2. Lehrreich und erbaulich. Als erbaulich würde ich z.B. die Geschichte mit dem Eselsfüllen ansehen, wenn man ihre doppelbödige Bedeutung erkennt. Nach einem tieferen Sinn zu fragen, ist allerdings dafür oft erforderlich. Hierher gehört auch, was wir gar nicht ansprechen konnten, nämlich die vielen Gebete, Predigten, Reden, Offenbarungsdialoge, Hymnen, Lieder (die Thomasakten enthalten das berühmte Perlenlied), Visionen, Rituale usw.

3. Gefährlich. Allerdings können diese Texte auch gefährlich werden, in unterschiedlichem Ausmaß. Hier geht es unter anderem um ihr Verhältnis zur Gnosis, wenn wir dabei bleiben wollen, und zum sogenannten Enkratismus, das meint die sexuelle Enthaltsamkeit bis hin zur Verwerfung der Ehe. Am weitesten entfernt von der Gnosis sind die Paulusakten, als geradezu aggressiv gnostisch würde ich die Johannesakten wenigstens zum Teil einstufen. Bestehende Ehen fortan unmöglich zu machen als Ziel ist am deutlichsten ausgeprägt in den Thomasakten. Man entwickelt bei der Lektüre geradezu einen Widerwillen gegen die unvermeidliche nächste Geschichte, in der der Apostel schon wieder eine funktionierende Ehe erfolgreich sabotiert.

4. Spannend und unterhaltsam. Dieses Moment entschädigt für manches andere, und dass es vorliegt, hat unsere kursorische Lektüre wohl gezeigt. Hier erlaube ich mir, ein letztes Mal ein profanes Werk heranzuziehen, das vielleicht auch unsere christlichen Autoren kannten. Im 2. Jahrhundert n. Chr. hat Apuleius aus Madaura in Nordafrika, Rechtsanwalt und platonischer Philosoph, einen erfolgreichen Roman geschrieben mit dem Titel Metamorphosen, auch bekannt als „Der Goldene Esel“. Am Anfang wird der Hauptheld Lucius durch Hexerei in einen Esel verwandelt und beschreibt seine Welt fortan aus dieser Perspektive. Wir werden auf weite Wanderungen und Reisen mitgenommen und erleben zahlreiche bunte Abenteuer mit, teils sehr schlüpfriger Art, was Apuleius aber nicht daran hindert, auch das philosophisch gestimmte Märchen von Amor und Psyche einzubauen und in Buch 11 einen religiös inspirierten Schluss anzufügen. Bei dem langen Märchen geht es um nicht weniger als die Hochzeit der Seele mit ihrem himmlischen Bräutigam, und das 11. Buch ist der ägyptischen Göttin Isis und ihrem Mysterienkult gewidmet. Bei einer Prozession zu ihren Ehren in der Nähe von Korinth gewinnt Lucius seine menschliche Gestalt wieder. Hier erkennen wir eine Moral der Geschichte: Sie zeigt, wie aus einem alten Esel mit göttlicher Hilfe doch noch ein ganz brauchbarer Mensch werden kann.

Mir geht es jetzt aber um den Anfang, denn dort sagt Apuleius: lector intende, laetaberis, das heißt: „Leser, merk auf! Du wirst deinen Spaß daran haben.“ Das könnten wir zumindest über die Begegnung von Paulus und dem Löwen schreiben, aber es passt auch für den Räucherfisch und das Eselsfüllen und andere Begebenheiten: „Leser und Leserin, gib acht! Merk auf! Du wirst – hoffentlich – deinen Spaß daran haben.“

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