Mathematisches Genie und streitbarer Theologe

Über Leben, Werk und Wirkungsgeschichte von Blaise Pascal

Prof. Dr. Gisela Schlüter/Privat; Datenbank Joconde / Wikimedia Commons

Von seinem Vater inspiriert, interessierte sich der 1623 geborene Blaise Pascal schon früh für Mathematik und verfasste mit gerade einmal 16 Jahren einen Essay zum Thema Kegelschnitte. Er erfand eine Rechenmaschine, die 1652 fertiggestellt war und von Pascal unter anderem an Königin Christine von Schweden gesandt wurde. Wenig später begann er, sich mit dem Thema des Vakuums zu beschäftigen, worüber er auch mit Descartes korrespondierte. Mathematik, Geometrie und Arithmetik haben ihn sein Leben lang begleitet, Pascal war einer der herausragenden Mathematiker seiner Zeit. Dauerhaft beschäftigte ihn die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die er mit prominenten zeitgenössischen Mathematikern wie Fermat diskutierte, ein Thema, das naturgemäß die Theoretiker des Glücksspiels besonders interessierte. Für Pascal sollten wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen später auch in einem ganz anderen Zusammenhang relevant werden, nämlich in der Frage nach der Existenz Gottes.

1646 bekehrte sich Pascals Familie zum Jansenismus, und er selbst widmete sich in der Folge intensiven biblischen und theologischen Studien, als Jansenist vor allem den Schriften von Augustinus und ihrem Exegeten, Cornelius Jansenius (Augustinus, 1640). Nach einer schweren Erkrankung 1647 verlagerte Pascal seinen Lebensmittelpunkt nach Paris. In seinen mittleren Jahren bewegte er sich in mondänen Pariser Salons und im Milieu des gelehrten Libertinismus, Epikureismus und Skeptizismus – auch dies ist von großer Bedeutung für seine spätere Philosophie der Religion.

In Folge einer persönlichen Krise, die mit einer religiösen Vision verbunden war – diese ist in einem Mémorial dokumentiert –, gab Pascal sein Leben in der Pariser Gesellschaft auf, zog sich mehr und mehr aus der Welt zurück und trat in engen Kontakt zu Port-Royal, dem Nonnenkloster, in dem seine Schwester Jacqueline ab 1652 eine leitende Funktion innehatte. Dort lebte er in den Granges, dem Gut des Klosters, wo sich ein Kreis von gebildeten adeligen Männern, die sogenannten Solitaires, zur Meditation und zum Unterricht von Schülern, unter ihnen Jean Racine, versammelte. Hier kam er auch in engen Kontakt mit einer Gruppe um Antoine Arnauld und Pierre Nicole, die augustinisch-jansenistisch geprägt, wissenschaftlich ambitioniert und stark vom cartesischen Rationalismus beeinflusst waren. Arnauld und Nicole verfassten eine Grammatik und, wohl unter Mitwirkung Pascals, die einflussreiche Logik von Port-Royal. Im Milieu des rationalistisch gefärbten Flügels von Port-Royal um Arnauld vertiefte Pascal nicht nur seine theologischen Kenntnisse, sondern schärfte auch seine logischen Fähigkeiten; Albert Camus, ein aufmerksamer Leser Pascals, hat diesem attestiert, er sei „geübt in intellektueller Gymnastik“ gewesen (Camus, Carnets II, 78).

Als Jansenist polemisierte Pascal unter dem Pseudonym Louis de Montalte in seinen fiktiven Briefen Lettres provin­ciales (1656/57) scharfsinnig gegen die Jesuiten, denen er eine probabilistische Kasuistik und moralischen Laxismus vorwarf. Das Werk wurde auf den Index gesetzt. Später sollte es zum oft uneingestandenen Vorbild der aufklärerischen Polemik in Frankreich und speziell auch des Polemikers und Kirchenkritikers Voltaire avancieren – ein bemerkenswerter Umstand eingedenk der tiefen Frömmigkeit und namentlich des prononcierten Wunderglaubens Pascals.

Aus heutiger Perspektive mag es merkwürdig erscheinen, dass Pascal, ein in Physik, Mathematik und Logik bestens geschulter Geist, über Jahre und bis ans Ende seines Lebens als Mathematiker produktiv und im Gespräch unter anderem mit Descartes, Huygens und Fermat, vermutlich einer der intelligentesten Köpfe seiner Zeit, ein mit allen Wassern gewaschener Polemiker, dass ausgerechnet dieser Pascal bereit war, die Erfahrung christlicher Wunder ins Zentrum seines Denkens zu rücken. 1656 war eine Nichte Pascals von einem gravierenden Augenleiden geheilt worden, als sie in Port-Royal eine Reliquie mit einem Dorn aus der Krone Christi berührt hatte. Angesichts dieses sogenannten Wunders des heiligen Dorns entwarf Pascal den Plan einer Apologie de la religion chrétienne, aus dem die berühmten Pensées (verfasst Ende der 1650er Jahre) hervorgingen, welche das Zentrum seines nicht-wissenschaftlichen Werkes bilden. Pascal schrieb den Wundern eine wesentliche Funktion in der Offenbarung Gottes gegenüber den Menschen zu und verlangte dem Christen den Glauben an Wunder ab, richtiger: er erhoffte für den Christenmenschen den Glauben an Wunder als göttliche Gnade. Sein entschiedener Glaube an Wunder hat im 18. Jahrhundert prominente Philosophen als Kritiker auf den Plan gerufen wie etwa David Hume und – trotz dessen Bewunderung für Pascal – den Sarkasmus Voltaires provoziert.

Blaise Pascal war ein außerordentlich vielseitiger Mensch von höchster intellektueller Strenge. Doch nicht nur das. Zu seinen erstaunlichsten Seiten zählten seine technischen, logistischen und ökonomisch-gemeinwohlorientierten Initiativen und Innovationen, so etwa zur Trockenlegung von Sümpfen und zur Einführung eines öffentlichen Transportsystems in Paris, der sogenannten carrosses à cinq sols. Im August 1662 starb Pascal, der sein Leben lang unter schweren Krankheiten gelitten und heftige psychische Krisen durchlebt hatte, im Alter von nur 39 Jahren. Die Hälfte seines Vermögens vermachte er wohl­tätigen Einrichtungen.

Wissenschaftstypen

Pascal hat mathematische Schriften verfasst, unter anderem über Kegelschnitte, physikalische, unter anderem über das Vakuum, dann bedeutende theologisch-philosophische Schriften, hier sind zentral die Pensées anzuführen. Des Weiteren hat er kleinere philosophische Schriften unterschiedlicher Art verfasst, etwa methodologische wie De l’esprit géométrique, aber auch Texte über Rhetorik und höfische Verhaltenstraktate, wie sie in seiner Zeit üblich waren. Angesichts der Vielfalt seiner intellektuellen Interessen und Aktivitäten würde man ihn als einen Universalgelehrten bezeichnen. In der Gelehrtenrepublik des 17. Jahrhunderts gab es deren nicht wenige, unter ihnen ragt Leibniz hervor. Und doch war Pascal kein Polyhistor wie Leibniz. Denn Pascal war im Bereich der historischen Erudition, der humanistischen Gelehrsamkeit weniger ausgewiesen als andere profilierte Zeitgenossen und eben auch als Leibniz.

Schon um 1650 hat Pascal in einem erst mehr als hundert Jahre später erschienenen kurzen Essay sein Wissenschafts- und Fortschrittsverständnis dargelegt (Préface au Traité sur le vide). Hier wird kategorisch zwischen den Wissensfeldern unterschieden, die wir seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als Geistes- und als Naturwissenschaften bezeichnen. Dieser Essay, deutlich beeinflusst von der Wissenschaftsauffassung Francis Bacons, ist ein früher Beitrag zu der Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich ausgetragenen Querelle des Anciens et des Modernes. In den Naturwissenschaften und der Mathematik, den Vernunftwissenschaften, wächst Pascal zufolge die Erkenntnis durch rational deduzierten oder empirisch-experimentell vorangetriebenen Fortschritt kontinuierlich. Im Bereich dieses Typs von Wissenschaften sind die Modernen und unter ihnen die jeweiligen Zeitgenossen den Alten (der Antike und Nachantike) prinzipiell überlegen. Zu den den Naturwissenschaften entgegengesetzten, von Pascal so genannten Gedächtniswissenschaften gehören vor allem die Geschichte, die Philologie, die Jurisprudenz und die Theologie. Diese Wissenschaften stützen sich, so Pascal, auf die Autorität, auf Zeugnisse und Texte, die so nah wie möglich an den maßgeblichen Quellen situiert sein sollten. Dementsprechend besteht Fortschritt in diesem Wissenschaftstyp in der immer größeren Annäherung an die als solche erkannten Quellen. Im Bereich dieses autoritätsbasierten Wissenschaftstyps gibt es kein progressiv-akkumulatives Voranschreiten, sondern ein quellenbasiertes, stetig zu vertiefendes Wissen.

Pascal unterscheidet zwei Wissenschaftstypen und dementsprechend unterschiedliche Modelle von Erkenntnisgewinn und wissenschaftlichem Fortschritt. Im Bereich der Vernunft- und Erfahrungswissenschaften gibt es bereichsspezifische Fortschritte – die entsprechende Differenzierung und Pluralisierung des Fortschritts sind ja Voraussetzungen des aufklärerischen Begriffs vom unbegrenzten Fortschritt. Seiner Konzeption der historischen und hermeneutischen Wissenschaften zufolge kann Erkenntnisgewinn hier nur in einer immer stärkeren Annäherung an die ursprünglichen Quellen, die Bibel, die historische Quelle, den Gesetzestext bestehen. Den Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Medizinern der Vergangenheit sollte man, so lässt sich Pascals Sichtweise zusammenfassen, nur historische Bedeutung beimessen, ohne ihre revisionsbedürftigen Erkenntnisse für aktuell gültig zu halten. Theologen und den Kirchenvätern hingegen könne man sich in der Schriftauslegung anschließen, da sie als Exegeten dem Prinzip der Autorität folgten; wer freilich in der Gegenwart Innovationen in der Theologie suche, habe das Prinzip der Gedächtniswissenschaften nicht verstanden und riskiere es, zum Häretiker zu werden.

Pascal hat, entsprechend der skizzierten Wissenschaftstypologie, als Mathematiker und Naturwissenschaftler anders gearbeitet als als Philosoph und Theologe: nämlich mehr im Austausch mit anderen Wissenschaftlern, ergebnisoffener und kompetitiver. Als Philosoph hingegen war er vor allem Theologe und als solcher einerseits streitbar (vgl. Lettres provinciales), andererseits und vor allem aber un grand solitaire, der in fragmentarischen Reflexionen die Wahrheit des Menschen und die Wahrheit Gottes zu ergründen suchte (vgl. Pensées).

Eine skeptische Vernunft

Derjenige frühneuzeitliche Philosoph, der im 17. Jahrhundert in Frankreich vermutlich am meisten gelesen wurde, war Michel de Montaigne mit seinen 1580 zuerst erschienenen Essais, die Pierre Charron in einer Art Digest unter dem Titel De la sagesse (1601) popularisiert hatte. Montaigne hat den antiken Skeptizismus und dessen Darstellung durch Sextus Empiricus im frühneuzeitlichen Europa bekannt gemacht, und zwar sowohl die gemäßigte Akademischen Skepsis als auch den radikalen Pyrrhonischen Skeptizismus. Zudem hat er die sogenannte Lehre von der doppelten Wahrheit vertreten und, damit verbunden, dem Fideismus im frühneuzeitlichen Europa ein klares Profil verliehen. Im längsten seiner Essais, der Apologie de Raimond Sebond, fragt Montai­gne, ausgehend von der Übersetzung und Kommentierung eines theologischen Textes des 15. Jahrhunderts, der Theologia naturalis des Raimundus Sebundus, nach der Reichweite der menschlichen Erkenntnis. Die Wahrheit Gottes erweist sich dabei als der menschlichen Vernunft unzugänglich. Es gibt, so Montaigne, eine Wahrheit der Vernunft und eine Wahrheit des Glaubens. Letztere lässt sich nur mittels eines Sprunges in den Glauben, sola fide, erfassen. Die Wahrheit Gottes ist transzendent und jenseits der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten. Die fideistische Position entwickelt er, freilich nicht als Theologe und eher unsystematisch, im Gegensatz zur tradierten natürlichen oder rationalen Theologie, welche von der Zuständigkeit der menschlichen Vernunft auch in theologischen Fragen und religiösen Belangen ausging. Und eben diese fideistische Linie führt zu Pascal.

Doch ist die menschliche Vernunft, so Montaigne in besagtem Essay weiter, auch über ihre Unzuständigkeit in theologischen Fragen hinaus ein wenig zuverlässiges Instrument zur Erkenntnis der Wahrheit. Sie ist durch und durch fehlbar und irrtumsanfällig. Diese Fallibilität des menschlichen Erkennens betrifft aber nicht nur die menschliche Vernunft, sondern auch den Sinnesapparat des Menschen. Immer wieder täuschen die Sinne den Menschen, und Montaigne führt zahlreiche Beispiele von Sinnestäuschungen an, um zu dem Fazit zu gelangen, dass weder die rationale noch die sinnlich-empirische Erkenntnis des Menschen tragfähig ist und zur Erkenntnis einer objektiven Wahrheit führt. Die Akademische Skepsis der Antike hatte diesen Befund in die Maxime gefasst, man wisse, dass man nichts wisse. Montaigne referiert dies, hält es aber eher mit den radikaleren Pyrrhonischen Skeptikern, die die Meinung vertreten, man könne nicht einmal wissen, ob man etwas wisse oder wissen könne und müsse sich daher jeder Meinung enthalten. Pascal seinerseits hat auf die charakteristische Frageform von Montaignes skeptizistischem Wahlspruch Que sais-je? hingewiesen; denn zu fragen Was weiß ich? vermeidet die ihrerseits assertorische Aussageform von: Ich weiß nicht, ob ich etwas weiß oder wissen kann.

Pascal ging nun, wie auch Descartes, von der von Montaigne wirkmächtig dargelegten skeptischen Ausgangslage aus. Die skeptizistische Option lag angesichts seiner Kontakte zu mondänen Pariser Milieus und libertinistischen Kreisen nahe. Wie Arnauld, Nicole und andere intellektuelle Vertreter von Port-Royal teilte er andererseits in vielen Bereichen den cartesischen Rationalismus und dessen Methode des mos geometricus. Doch gelangte Pascal zu einer Position jenseits von Skeptizismus und Rationalismus: „Der letzte Schritt der Vernunft ist anzuerkennen, dass es unendlich viele Dinge gibt, die über sie hinausgehen.“

Die Vernunft ist selbstlimitativ, doch in ihre Selbsterkenntnis wirkt die göttliche Gnade hinein. Für Pascal sieht sich die Vernunft angesichts der göttlichen Transzendenz mit ihren Grenzen konfrontiert und öffnet sich dank der göttlichen Gnade der Möglichkeit des Glaubens, ja, sie verlangt nach dem Glauben. Zur Erkenntnis Gottes gelangt der Mensch nicht durch den esprit de géométrie, sondern durch esprit de finesse und cœur. Aus der Heiligen Schrift und aus der Geschichte empfängt das nach Glaubenswahrheit und -überzeugung strebende Herz aufgrund der göttlichen Gnade die Offenbarung. In diesem Zusammenhang gelangt Pascal zu der berühmten Formulierung: „Le cœur a ses raisons, que la raison ne connaît point.“ „Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht kennt.“ (Das französische Wortspiel lässt sich im Deutschen schlecht nachbilden.)

Mit dem Skeptizismus Montaignes und dem Stoizismus Epiktets hat Pascal sich in einem Entretien avec M. de Sacy sur Epictète et Montaigne auseinandergesetzt. Dem Stoizismus Epiktets wirft Pascal vor, den Menschen zu überschätzen und zu überfordern. Der Skeptizismus Montaignes hingegen bestreite jegliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen und spreche ihm damit seine Würde ab – ein Einwand, der mit Blick auf Montaigne freilich nur dessen Apologie de Raimond Sebond treffen kann, denn Montaigne ist in seinen Essais keineswegs durchgängig vernunftkritisch. Pascals Einschätzung der Vernunft ist mindestens so ambivalent wie diejenige Montaignes, bei dem die Vernunft überwiegend als wertvolles und dynamisches menschliches Vermögen figuriert: Pascal wie Montaigne betonen und würdigen die Kraft der menschlichen Vernunft und diskreditieren sie nicht minder nachdrücklich.

Pascal entwirft eine Anthropologie, derzufolge der Mensch nach dem Sündenfall ins Elend gefallen, ein „entthronter König“ ist. Nur durch die Gnade – ein Leitkonzept des Jansenismus – könne er zur Größe gelangen. Allein die christliche Betrachtungsweise kann dem Wesen des Menschen vollständig gerecht werden. Dies ist der Ausgangsbefund der Pensées, die Fragen der Anthropologie und der Religion, aber auch der Psychologie, Moral und der Politik behandeln. Pascals Anthropologie bewegt sich zwischen dem Pessimismus der Augustinischen und dem Optimismus der Montaigneschen Anthropologie. Montaigne ist mit seinen im Ton gelassenen Betrachtungen über die menschliche Natur sehr präsent in den Pensées, doch Pascal wendet Montaignes Duldsamkeit gegenüber den Schwächen des Menschen, dessen Neigung sich zu zerstreuen etwa und seiner Neigung, seine Sterblichkeit zu verdrängen, in die Diagnose der Beunruhigung und Ängstlichkeit des gefallenen Menschen, die nur durch göttliche Gnade zu heilen sind.

Pensées: die Skepsis heilen

Pascals hat rund 1.000 Aufzeichnungen und Notate von unterschiedlicher Länge und Elaboriertheit hinterlassen, die eine ‚Apologie‘ der christlichen Religion ergeben sollten. Deren anvisiertes Gesamtarrangement ist undurchsichtig und bis heute umstritten. Es hat im Laufe der Zeit viele und unterschiedliche Ausgaben dieses philosophischen Hauptwerks Pascals gegeben, oft philologische Meisterleistungen. Die erste Ausgabe der Pensées wurde schon 1670 von seinen jansenistischen Glaubensbrüdern veranstaltet. Eine der prominenten späteren Ausgaben besorgten zwei der wichtigsten französischen Aufklärer in den 1770er Jahren, nämlich der Mathematiker und Philosoph Condorcet und Voltaire. Zu den prominenten katholischen Übersetzern und Kommentatoren der Pensées im deutschsprachigen Raum zählten Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar.

Für die diskontinuierlich verlaufene und allemal unübersichtliche philosophische Wirkungsgeschichte Pascals gibt es mehrere gewichtige Gründe. Zu diesen zählt zuvörderst die philologisch seit Jahrhunderten umstrittene Anordnung der Pensées als ein kardinales philosophisches Problem der Pensées: das nämlich der von Pascal reflektierten und thematisierten Frage des ordre, der Ordnung als solcher im Spannungsfeld von mathematisch-geometrischer Ordnung einerseits, dialektisch-rhetorisch-diskursiver Ordnung andererseits, und zwar von diskursiver Ordnung auch in ihrer performativen Bedeutung (den rechten Anfang findet man erst, wenn man schon ans Ende gelangt).

Es gibt aber auch einen wichtigen sprachlich-begrifflichen Grund für die teilweise unübersichtliche philosophische Wirkungsgeschichte der Pensées: Pascals philosophische Sprache ist philosophisch vor-terminologisch, und aus späterer Sicht zeigen sich etliche der von ihm verwendeten Begriffswörter – wie zum Beispiel le cœur – als philosophisch schwer fassbar. Diese vorterminologische Begrifflichkeit ist aber nicht zuletzt auch eine Folge seiner Konzeption von der Vernunft als Begriffsvermögen und dem Herzen als Vermögen intuitiver Einsicht.

Ziel der Apologie der christlichen Religion in den Pensées ist es, Ungläubige, Skeptiker und Freigeister zum Glauben zu führen. Anthropologische Voraussetzung der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ist dessen kognitives und emotionales, moralisches und gesellschaftliches Elend in Folge des Sündenfalls. Pascal geht, so könnte man etwas oberflächlich sagen, nicht nur als Physiker und Techniker von der Empirie aus, sondern auch als Anthropologe und Philosoph. Insofern wird er zu Recht der großen französischen Tradition der Moralistik zugerechnet. Grundlage der Erkenntnis ist die Erfahrung, die der Mensch mit sich selbst als denkendem Wesen, mit seinem Leben als Individuum und in Gesellschaft macht. Obwohl der gefallene Mensch verelendet und korrumpiert ist, verlangt es ihn doch nach wahrer Erkenntnis, nach dem guten und dem rechten Leben. An dieser inneren Bestimmung scheitert er freilich immer wieder, indem er Impulsen gehorcht, den falschen Gütern und Werten nachjagt und Zerstreuung sucht statt allein in seinem Zimmer zu verweilen: das Streben nach Besitz, Ämtern, hohem Status, eine rastlose Ruhmsucht, die Pascal selbst wohl nicht ganz fremd war, all das fesselt den Menschen an das irdische Diesseits und entfremdet ihn von seiner eigentlichen transzendenten Bestimmung. Nur in Gott kann er zu sich selbst finden. Nur als Gottsuchender kann er auch ein moralisch guter Mensch sein. Der Mensch ohne Gott hypostasiert sich selbst in verwerflicher Weise: „Das Ich ist hassenswert“, so eine weitere viel zitierte und erläuterungsbedürftige Formulierung aus den Pensées Pascals.

In den Pensées charakterisiert Pascal die christliche Moral als Ineinander von Gottesliebe und Nächstenliebe. Seine zahlreichen und vielfältigen karitativen Aktivitäten bezeugen, dass er persönlich sein Handeln dieser moralischen Direktive unterstellte. Pascal rechtfertigt den christlichen Gottesglauben durch die Geschichte der Offenbarung. Die Selbstoffenbarung eines Gottes, den er jansenistisch als einen deus absconditus, einen verborgenen Gott, begreift, ist demzufolge aus Zeichen zu erschließen: Dass Jesus Christus gelebt und auf Erden gewirkt hat, dass darin die Prophezeiungen des Alten Testaments in Erfüllung gegangen sind, dies kann der verständige und gläubige Mensch dergestalt erkennen. Pascal liest die Heilige Schrift in typologisch-figuraler Weise. Gott hat sich dem Menschen auch in Wundern offenbart, die der menschlichen Vernunft notwendigerweise rätselhaft bleiben, sich aber, wenn Gott dem Menschen diese Gnade erweist, dessen Herzen als Zeichen der göttlichen Wahrheit erschließen. Ohne die Bereitschaft des Herzens sind diese Zeichen nicht zu entziffern. Derjenige, der Gnade erfährt, dessen Herz bereit, das heißt von der Liebe zu Gott durchdrungen ist, bedarf keiner Vernunftbeweise für die göttliche Wahrheit. Solche Beweise kann es auch gar nicht geben; Descartes‘ ontologischer Gottesbeweis geht ins Leere.

Die Wette

Die Wette auf die Existenz Gottes kann als das exzentrischste Theoriestück der Pensées gelten, und außerhalb seines unmittelbaren Zusammenhangs ist es kaum verständlich. Man muss sich den Kontext dieser Passage und deren konkret dialogische Struktur vor Augen führen, um die Wette zu verstehen.

Pascals Wette auf die Existenz Gottes stützt sich auf wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen und zeigt, dass es vorteilhafter, im pragmatischen Sinne vernünftiger ist, an Gott zu glauben als nicht an ihn zu glauben. Im Mittelpunkt des Textes steht eine Wette auf die Existenz Gottes, zu der Pascal einen in Glaubensfragen indifferenten, agnostischen Freigeist auffordert. Zu wetten, das liegt einem Freigeist nahe, denn die Wette spiegelt seine Erkenntnisskepsis und seine Risikobereitschaft. Der Freigeist ist typologisch ein Glücksspieler und Hasardeur, der sich aber durch wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen gegen die Verlustrisiken des Glücksspiels zu wappnen sucht. Der Chevalier de Méré, ein Libertin, der möglicherweise hinter dem libertinistischen Gesprächspartner in Pascals Wette steht, hatte mit Pascal über Wahrscheinlichkeitskalkulationen im Zusammenhang des Glücksspiels korrespondiert und Pascal zu entsprechenden Studien angeregt. Die Wette (le pari), dieses kurze, zentrale Teilstück der Pensées, muss notwendigerweise unverständlich bleiben, wenn man seine dialogische Struktur nicht klar erkennt (in manchen Ausgaben und Übersetzungen fehlen die typographischen Hinweise auf diese Gesprächsstruktur, insbesondere Anführungszeichen oder Spiegelstriche). Für die Argumentationsstruktur selbst spielt es zwar keine Rolle, für den Stellenwert in den Pensées ist es aber wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Pascal selbst zeitweilig ein Freigeist war und dass man insofern die dialogische Konstellation des Textes wie überhaupt die apologetische Absicht der Pensées auch als inneren Dialog zwischen dem einstigen Libertin und Skeptiker Pascal und dem gläubigen Pascal von Port-Royal lesen kann.

Bei dieser Wette auf die Existenz Gottes, für die Pascal den Freigeist gewinnen will, geht es nicht um einen rationalen Gottesbeweis. „La raison n’y peut rien déterminer.“ „Die Vernunft kann dabei nichts ermitteln.“ (déterminer: dt. entscheiden). Pascal zeigt aber auf, dass der Glaube an Gott nicht vernunftwidriger ist als eine indifferentistisch ­agnostische Haltung. Das Textstück inszeniert ein fiktives Gespräch zwischen einem ungläubigen Libertin/Libertinisten und dem gläubigen Pascal, der diesen auffordert, sich wie in einer durch Münzwurf ausgeführten Wette für Bild oder Schrift, das heißt sich für oder gegen den Glauben an Gott zu entscheiden. Wichtig ist die anthropologisch fundierte Prämisse: Der Mensch muss wetten. Die Entscheidung, auf die Existenz Gottes zu wetten, ist dem Menschen nicht freigestellt, sondern er muss wetten, er muss sich in der Gottesfrage positionieren und kann sich nicht indifferentistisch als Agnostiker aus der Affäre ziehen.

„Ja, aber man muss wetten. Das ist nicht freiwillig. Ihr seid mit hineingezogen. [(…) il faut parier. Cela n’est pas volontaire, vous êtes embarqué(s).] Wofür entscheidet Ihr Euch also? Prüfen wir nach; da man ja wählen muß, prüfen wir nach, was am wenigsten in Eurem Interesse liegt. […] Wenn Ihr gewinnt, so gewinnt Ihr alles, und wenn Ihr verliert, so verliert Ihr nichts: Wettet also, ohne zu zögern, daß er [Gott] ist.“

Da der Freigeist gezwungen ist, sich in der Gottesfrage zu positionieren, kann Pascal ihm im Rahmen eines probabilistischen Kalküls klar machen, dass es ratsamer ist, sich für als gegen Gott zu entscheiden. Wenn Gott existiert, gewinnt er alles, falls er auf Gottes Existenz gewettet hat; wenn Gott nicht existiert, verliert er nichts, falls er fälschlich auf Gottes Existenz gewettet hat.

Das eigentlich Paradoxe an diesem im Einzelnen komplizierten Gedankenspiel Pascals, welches den Weg zum Glauben bahnen soll, besteht ja in Folgendem: Pascal, der durchgängig auf die durch göttliche Gnade verliehene Willenskraft des menschlichen Herzens setzt, um zum Glauben zu gelangen, überbietet mit seiner Wette gewissermaßen den von ihm kritisierten Rationalismus der traditionellen Gottesbeweise und macht die kalt kalkulierende Vernunft statt des empfindsamen Herzens zum Richtmaß der Entscheidung für oder gegen den Glauben an Gott. Dieses Paradox ist ihm durchaus bewusst, sodass er am Ende des Textfragments schreibt: „Wenn diese Rede Euch gefällt und sie Euch machtvoll scheint, so wißt, daß sie von einem Menschen verfasst wurde, der vorher und nachher auf die Knie gefallen ist, um dieses unendliche und unteilbare Wesen, dem er sein ganzes Wesen unterwirft, zu bitten, daß es sich auch zu Eurem eigenen Wohl und zu seinem Ruhm Euer Wesen unterwirft und daß sich so die Macht mit dieser Niedrigkeit vereinigt.“

Angesichts der mathematisch begründeten entscheidungstheoretischen Option auf die Existenz Gottes zu setzen, muss sich der Libertin geschlagen geben. Er hat sich überzeugen lassen, erstens, dass er wetten muss, und zweitens, dass er pragmatisch rational agiert, wenn er auf die Existenz Gottes setzt. Doch selbst wenn er sich, durch die Kraft des besseren Arguments belehrt, geschlagen gibt und Gottes Existenz annimmt, verbindet sich diese rational, pragmatisch, mathematisch induzierte Bereitschaft, Gottes Existenz anzunehmen, doch noch keineswegs mit einer genuinen Glaubensüberzeugung. Credere non potest homo nisi volens, so hatten schon die Kirchenväter befunden. Und selbst wenn jemand bedingungslos glauben will, mag es sein, dass er nicht glauben kann. Glaube lässt sich nicht erzwingen.

Eine genuine Glaubensüberzeugung könne und müsse, so hingegen Pascal gegen Ende des Textes, durch diverse Praktiken der Selbstdisziplinierung und religiösen Habitualisierung notfalls auch erzwungen werden: Demut, sacrificium intellectus, Selbstkasteiung, mechanische Einübung in rituelle religiöse Praktiken: „Das Äußere muß mit dem Inneren vereint sein, damit man zu Gott gelangt; das heißt, man soll auf die Knie fallen, mit den Lippen beten usw., damit der stolze Mensch, der sich Gott nicht unterwerfen wollte, nun der Kreatur unterworfen sei.“ Derjenige, der nicht glaubt, aber glauben will, muss sich einem Prozess der Selbstkonditionierung und Habitualisierung unterziehen. Er simuliert, imitiert, praktiziert gewissermaßen hypothetisch das Leben eines Gläubigen: „Ganz natürlich wird Euch das gleiche zum Glauben führen und Euren Verstand demütigen.“ (dt. Übersetzung ungenau: „Naturellement même cela vous fera croire et vous abêtira.“; abêtira: ein facettenreicher Begriff; Nietzsche wird diesen Ausdruck Pascals aufgreifen). In einer philosophisch-theologischen Kontroverse wurden die Pascalschen Praktiken des den Glauben Erzwingens als eine Frage des to deceive oneself into faith diskutiert.

Der Weg des Libertins von der Skepsis zum Glauben muss demnach drei Stationen durchlaufen: vom Verstand über die Gewohnheit zum Herzen: „Es gibt drei Mittel zu glauben: Vernunft, Gewohnheit und Eingebung. […] man muß seinen Geist für die Beweise öffnen und sich durch Gewohnheit darin bestärken, jedoch muß man sich auch durch Demütigungen für die Eingebungen empfänglich machen, die allein die wahre und heilsame Wirkung hervorbringen können.“

Wirkungsgeschichte

Pascal hat als Wissenschaftler große Denker wie Leibniz beeindruckt und als Wissenschaftler und Philosoph Aufklärer wie Voltaire und Condorcet für sich eingenommen – andererseits dürfte nach dem Gesagten auch klar geworden sein, warum er als gläubiger Christ, der zum sacrificium intellectus bereit war, Aufklärer wie Voltaire auch irritiert und Kritiker des Christentums wie Nietzsche abgestoßen hat. Nietzsche freilich hat auf der anderen Seite Pascal auch mehrfach gerühmt: „Pascal, den ich beinahe liebe, weil er mich unendlich belehrt hat: der einzige logische Christ.“ (Nietzsche, Brief an Georg Brandes, 20.11.1888) Nicht nur scheiden sich an Pascal die Geister. Sondern große Geister vom Range Voltaires und Nietzsches spiegeln in Pascal vielmehr auch die Ambivalenzen ihres eigenen Denkens.

Exkurs: Pascal und Wittgenstein

In der Erforschung der Wirkungsgeschichte von Pascals Werk ist bei dieser Gelegenheit eine Rezeptionsetappe zu verzeichnen, der seitens der Pascalforschung mehr Beachtung geschenkt werden sollte, denn von hier her ergibt sich auch ein interessanter neuer Blick auf Pascal. Man kann nämlich einen substantiellen Einfluss Pascals auf Wittgenstein annehmen. Wittgenstein, der als intellektuelle Persönlichkeit und in seiner mathematisch-logischen und philosophischen Doppelbegabung Pascal wohl recht ähnlich war, hat dessen Lettres Provinciales und vor allem die Pensées gelesen. Spuren eines solchen Einflusses finden sich in seiner Religionsphilosophie und Haltung zur Mystik, in der literarisch-diskursiven Form seiner Philosophie, in seiner Konzeption von Praktiken, in seinem Anticartesianismus, in seiner Auffassung von der Philosophie.

Schon aus der Ferne betrachtet, fallen religionsphilosophische Konsonanzen zwischen den beiden Augustinus zutiefst verpflichteten Denkern in Wittgensteins Lectures on Religious Belief (1938) auf, dort etwa die Religion als Ausübung einer Praxis betreffend. In der Analyse des Gottesgefühls durch Wittgenstein hat man substantielle Berührungspunkte mit Pascal gefunden. Mehrfach wurde darüber diskutiert, inwieweit man Wittgenstein fideistische Positionen zuschreiben kann. Pascal wie Wittgenstein bezeugten überdies persönlich die Bedeutung tätiger Nächstenliebe.

Philosophisch betrachtet: Bei parallelem Studium von Wittgensteins Schrift On Certainty und Pascals Pensées wird man zu der Überzeugung gelangen, dass Wittgensteins Reflexionen über Skepsis, Gewissheit und Glauben im kritischen Dialog mit Pascals Pensées entwickelt wurden, und zwar vermutlich nicht oder nicht ausschließlich über Dritte vermittelt, sondern in einem direkten Dialog. Nicht nur auf der propositionalen Ebene der Erkenntnisse über den Status von Gewissheit, über die Unhaltbarkeit radikaler Skepsis und über die Abgründigkeit des Glaubens als Modus des Für-Wahr-Haltens zeigt sich in Wittgensteins Schrift, ihrerseits ein Ensemble von Fragmenten, unverkennbar der Einfluss der Fragmentensammlung der Pensées. Vielmehr zeigt sich dieser Einfluss, oder richtiger wohl: diese Inspiration durch Pascal auch an der heuristischen Funktion und performativen Dimension einer epistemisch fundierten fluiden diskursiven Ordnung des Textarrangements („La dernière chose qu’on trouve en faisant un ouvrage, est de savoir celle qu’il faut mettre la première.“; dt. korrekt: „Das Letzte, was man findet, wenn man ein Werk verfasst, ist die Einsicht, was man an den Anfang stellen muss.“). Man mag On Certainty, über die Auseinandersetzung mit George Edward Moore hinaus, sogar als einen verkappten Dialog mit Pascal lesen, wie Pascal seinerseits ja, vor allem, aber nicht nur in der Wette, einen verkappten Dialog mit einem Libertinisten inszeniert hatte. Verkappt heißt: nicht einmal typographisch als Dialog markiert – der Leser muss überhaupt erst einmal erkennen, dass es sich um einen Dialog handelt.

Weitere markante Übereinstimmungen jenseits von On Certainty lassen sich in der Bedeutung von Praxis und Praktiken im Denken beider Autoren finden, Übereinstimmungen zwischen Wittgensteins Konzepten der Abrichtung, der Therapie und Pascals Habitualisierungsinstruktionen. Und schließlich: Wittgensteins exzentrische Äußerungen über das Philosophieren mag man als Nachhall von Pascals Ansicht wahrnehmen, man müsse sich, um ein rechter Philosoph zu sein, über die Philosophie lustig machen: „Se moquer de la philosophie, c’est vraiment philosopher.“ Dies ist übrigens ein von Montaigne überlieferter Topos, und auch Montaigne zählte ja zu Wittgensteins Lektüren. Die Wege der Überlieferung sind verschlungen und halten für denjenigen, der auch die entlegeneren Quellen aufsucht, manche Überraschung bereit.

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