Abt Norbert schloss, während am Abend des 5. Januar 1908 in St. Ottilien die Glocken das Fest Epiphanie einläuteten, eine Schrift ab mit dem Titel Euntes in mundum universum. Diese Weisung gibt Jesus seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt: „Gehet hin in alle Welt und verkündet aller Schöpfung die Frohe Botschaft!“ Der Satz formuliert den zentralen Auftrag des in den Himmel zurückkehrenden Erlösers. Um die Bedeutung von Webers Schrift zu erkennen, ist es nötig, das historische Umfeld zu betrachten.
Anfänge der Benediktinermission in Ostafrika
Als sich die erste Gruppe aus der kurz zuvor gegründeten St-Benedictus-Missionsgenossenschaft 1887 auf den Weg machte in die militärisch noch keineswegs gesicherte Kolonie Deutsch-Ostafrika, hatte sie weder staatlich noch kirchlich feste Grundlagen. Der Aufbruch geschah nur vier Tage nach dem Umzug aus der ersten Niederlassung in dem notdürftig renovierten Kloster Reichenbach in die ebenfalls ruinösen Gebäude um die Ottilienkapelle in Emming in Oberbayern. Nicht alle der 14 Männer und Frauen waren, als sie zum Aufbruch nach Afrika in Türkenfeld den Zug bestiegen, schon 20 Jahre alt. Sonderlich vorbereitet war niemand. Zwei von ihnen starben rasch unter der tropischen Sonne, drei von ihnen starben bei einem Überfall auf ihre mit eigenen Kräften gebaute Station in Pugu im Januar 1893, vier in Gefangenschaft geratene kaufte man wieder frei. Drei Mitglieder dieser Gruppe kehrten aber noch im gleichen Jahr nach Ostafrika zurück, um in Daressalam Ruinen aus der Zeit der arabischen Herrschaft zu renovieren für die Arbeit mit freigekauften Sklaven. Es kam zu Schwierigkeiten, als der Gründer ihrer Gesellschaft, P. Andreas Amrhein, St. Ottilien verließ. Im Auftrag Roms übernahm die Beuroner Kongregation die Sorge für die Entwicklung. Während P. Maurus Hartmann als Apostolischer Präfekt die Arbeit in Afrika konsolidierte und erste Stationen im Landesinneren einrichtete, sorgte Abt lldefons Schober für die monastische Sicherung des Klosters in St. Ottilien. Ein Generalkapitel im April 1902 gab der Kongregation den Namen Missionsbenediktiner. Am 15. September 1902 wurde P. Cassian Spiß zum Bischof des Vikariats Süd-Sansibar ernannt. Am 18. Dezember 1902 wurde P. Norbert Weber einstimmig zum ersten Abt des Klosters St. Ottilien gewählt. Lange war nicht geklärt, wie sich beide Rollen zueinander verhalten.
Abt Norbert brach im März 1905 zu einer Visitation des Missionsgebiets auf. Als er an Weihnachten heimkam, waren durch den Maji-Maji-Krieg im Süden von Deutsch-Ostafrika die Stationen Nyangao, Lukuledi, Peramiho und Kigonsera zerstört; er selbst war mit einer Gruppe von Schwestern durch Mozambique nach Daressalam geflüchtet, wo er am 22. Oktober 1905 „wohlbehalten“ ankam. Die Ereignisse in dieser Zeit waren dramatisch. Dabei bezieht sich Webers sofort geschriebener Visitationsrezess zunächst nur auf den Alltag der „monachi missionarii“. Er beginnt also mit der Selbstdisziplinierung der Mönche und „bittet und beschwört“ sie, „die Mittel, die sie im Mutterhause als Förderung ihres Strebens nach Vollkommenheit kennen und lieben gelernt haben, auch in der Mission zu benutzen“. Kritik am Leben in den Stationen gibt es nicht. Über das Leben mit Afrikanern fällt kein Wort.
Kritik am kolonialen Treiben
Dabei war die Sorge um das monastische Leben der Missionare das eine, der Blick auf die Afrikaner, denen die Arbeit der Gemeinschaft galt, das andere Problem, das auf keinen Fall unkommentiert bleiben durfte. Schon während seiner Flucht vom Nyassasee in den Süden, um dort über den Sambesi das offene Meer zu erreichen, fand Abt Norbert Formulierungen für das, was man damals einen „Negeraufstand“ nannte, inzwischen heißt es Maji-Maji-Krieg. Als der Angestellte einer deutschen Firma behauptete, Sultane in Ostafrika hätten den Aufstand provoziert, widersprach Weber energisch und sein Tagebuch beinhaltet ungewöhnliche Äußerungen. Zweimal benützte er das Wort „Freiheitskampf“, das erst Jahrzehnte später zum Leitwort für den Angriff auf die deutsche Kolonialmacht wurde. Er fühlte sich an den Kampf der Deutschen gegen Napoleon erinnert trotz des schlimmen Schadens, den die Mission erlitten hatte und stellte fest:
„Der Grund ist im deutschen Gebiet sicher die verhasste Steuer und die noch odiösere Steuereintreibung. Ich möchte den Krieg fast für einen Freiheitskampf eines unterdrückten und geknechteten Volkes halten, das die Sklavenketten abschütteln will, die man ihm angelegt hat […] So sehr ich suche und so sehr ich und unsere Kongregation durch diesen Aufstand betroffen sind, so kann ich an sich in diesem Aufstand nichts Ungerechtes finden. Wir Deutschen haben uns auch gewehrt, um das Napoleonische Joch abzuschütteln, und wir sind stolz auf unsere heldenhaften Ahnen, die es im blutigen Kampf getan. So wie in unseren Kolonien gewirtschaftet wird und wie oftmals der Schwarze behandelt wird, versteht man es sehr wohl, warum dieser sich zum Freiheitskampf aufrafft.“ (Mission im Krieg. Abt Norbert Webers Reisetagebuch aus Ostafrika 1905, hrsg. von Sigrid C. Albert, St. Ottilien 2018, S. 350)
Kritik am kolonialen Treiben geht in die Frühzeit des Ottilianer Lebens zurück. P. Andreas Amrhein unterschrieb zwar in München und in Rom 1887 einen Vertrag, der die Mission vollständig abhängig von den Kolonialherren machte. Doch schon in Pugu begann die Distanzierung. Die hauseigene Zeitschrift Missionsblätter nannte schon damals die Unruhen von 1889, den sogenannten „Araberaufstand“, einen „Aufstand des Volkes“ – das ist im Druck unterstrichen. Grund dafür waren die „nicht zu leugnenden Fehler“ der deutschen Politik und das Auftreten der deutschen Amtsträger. Um aber im Gespräch zu bleiben und die missionarische Arbeit, sobald es die Umstände erlaubten, wieder aufnehmen zu können, hielt sich die Kritik aus St. Ottilien in Grenzen. Leider wurden, wie man zugab, in St. Ottilien Schriftstücke zensiert, die aus historischen Gründen wichtig wären. P. Amrhein fasste im Februar 1889 Berichte aus Afrika zum Abdruck in den Missionsblättern zusammen (Vgl. Missionsblätter 1, 1888/89, Sp. 553ff) und erklärte: „Da sich P. Bonifaz sehr offen über die ostafrikanische Gesellschaft und andere ,deutsche‘ Verhältnisse ausspricht, darf aus Vorsicht (um unserer und den katholischen Missionen in Ostafrika nicht sehr zu schaden) vieles nicht veröffentlicht werden. Ich muß daher die Berichte von A bis Z zurichten.“ (Annalen St. Ottilien 27.2.1889) Wenig später stand in den Annalen: „In einem Briefe, der heute ankam, äußerte sich P. Bonifaz wieder gegen die ostafrikanische Gesellschaft.“ (Annalen St. Ottilien 11.3.1889)
Es ist nicht korrekt, wenn neuerdings wieder behauptet wird, die Mission habe sich auf Seiten der Kolonialmacht gegen die Afrikaner gestellt. Um noch weiter zu gehen, es ist grober Unfug, die Ottilianer Missionare als „Gläubige Imperialisten“ zu bezeichnen. Nur behutsamen abwägend lässt sich ihr Ort zwischen den Parteien fassen. Abt Norbert hielt sich in den Wochen, die er nach der Rückkehr von seiner Safari in Daressalam verbrachte, gegenüber der Prominenz der Kolonie mit Äußerungen zum Maji-Maji-Krieg, die man von ihm erwartete, sehr bedeckt. Dabei erfuhr zu diesem Zeitpunkt die Berliner Kolonialpolitik eine entscheidende Wendung. Im April 1906 wurde der vielsprachige Albrecht von Rechenberg, der als „Kenner der Eingeborenen“ galt, erster ziviler Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. (Deutsch-Ostafrikanische Zeitung, 19.5.1906) Und im September 1906 übernahm der Bankfachmann Bernhard Dernburg die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Mit ihm machte erstmals ein Berliner Politiker eine Inspektionsreise. Er kam nach Afrika mit dem „Reformkonzept einer rationalen und humanen Kolonisation“ (Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 137) und stand neben Rechenberg für eine Politik, die den „Wert“ der afrikanischen Bevölkerung hervorhob.
Die Politik Rechenbergs und Dernburgs
Es gab damals erst rund 1.000 Deutsche in Ostafrika neben rund 18 Millionen Afrikanern. Wie viele es genau waren, wusste man nie und der deutsche Zuzug ließ sich nicht steuern. Wenn deshalb etwas „zum Besten des Landes“ geschehen sollte, dann galt es, die Lage der Afrikaner zu verbessern. Nötig war eine Lockerung des Zwangs, damit sie für ihren eigenen Bedarf arbeiten konnten und nicht nur von Zwangsarbeit für Exportkulturen leben mussten, wobei sie oft um den Lohn für ihre Arbeit betrogen wurden. Der Verkauf von Land, das Afrikanern gehörte, an weiße Siedler wurde verboten, ebenso der eigenmächtige Gebrauch der Nilpferdpeitsche. Auch von größerer Selbstverwaltung war die Rede. Im Reichstag beschimpfte man Rechenbergs Politik als „negerfreundlich“ und „siedlerfeindlich“. Aus kolonialen Vereinen kam heftiger Widerstand.
Sowohl Albrecht von Rechenberg als auch Bernhard Dernburg suchten in Daressalam den Kontakt zur katholischen Kirche. Die Missionsblätter begrüßten Rechenberg mit dem Wunsch, es möge ihm gelingen, „die Verhältnisse der Kolonie zum Besten des Landes und des Vaterlandes zu leiten“. (Missionsblätter 10, 1905/06 (August 1906), S. 174) Nach einem Sonntagsgottesdienst bat Albrecht von Rechenberg am 30. September den Bischof um einen Spaziergang und schlug vor, „um den Christen ein Übergewicht über den Mohamedanismus zu verschaffen“ tüchtige afrikanische Völker zu Christen zu machen, ohne es mit der Taufe genau zu nehmen, „das hätte man bei den alten Germanen auch nicht immer getan und doch seien sie Christen geworden“. Nach dem Vorbild der „äthiopischen Bewegung“ sollten sich die Missionskirchen mithilfe der Bibel selbst organisieren und die Geschlossenheit der Kolonie sichern. Bischof Thomas war so irritiert, dass er sich „schleunigst verabschiedete“, so formulierte er es in seinem Tagebuch am 30.09.1906, denn trotz der guten Absicht war die Verachtung Rechenbergs gegenüber dem Glauben ebenso wie gegenüber den Afrikanern deutlich zu erkennen. Die historische Wissenschaft gesteht Rechenberg aber zu, dass er sich „gegenüber der afrikanischen Bevölkerung an humanen Grundvorstellungen“ orientierte und dass seine „Verantwortungsethik“ dem „elitären politischen Denken einen begrenzenden und richtungsweisenden Maßstab“ bot. (D. Bald, Die Reformpolitik von Gouverneur Rechenberg. Koloniale Handelsexpansion und industrielle Minderheit in Dt-Ostafrika, in: D. Oberndörfer (Hg.), Africana Collecta II, 1971, S. 243)
Der Versuch, die Möglichkeiten deutscher Kolonialpolitik besser auszunützen als bisher und gleichzeitig die Unterdrückung der Afrikaner zu verringern, entsprach, obwohl sich die Herren durchaus nicht einig waren, auch den Zielen von Bernhard Dernburg, der als „Spezialist für die Sanierung heruntergewirtschafteter Aktiengesellschaften“ im Mai 1907 die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes übernahm, die zum Reichskolonialamt wurde und damit dem Reichskanzler unterstand. Die Kolonien galten nun als „rein innerdeutsche Angelegenheiten“. Bei einem Vortrag in Berlin interpretierte Dernburg wie gehabt „Kolonisation“ als „Nutzbarmachung“ von Menschen zugunsten der „kolonisierenden Nation“, machte dabei jedoch eine entscheidende Wendung: „Hat man früher mit Zerstörungsmitteln kolonisiert, so kann man heute mit Erhaltungsmitteln kolonisieren, und dazu gehören eben der Missionar wie der Arzt, die Eisenbahn wie die Maschine, also die fortgeschrittene theoretische und angewandte Wissenschaft auf allen Gebieten.“ (Zielpunkte des Deutschen Kolonialwesens. Zwei Vorträge gehalten von Bernhard Dernburg, Berlin 1907, S. 9) Es ging also nicht um jene Aufwertung des Afrikaners, die die Missionare wollten. Aber es wurden gemeinsame Interessen sichtbar.
Dernburg besuchte unmittelbar nach seiner Ankunft in Daressalam die katholische Kirche, saß dort längere Zeit allein und meldete sich dann für den nächsten Morgen an. Weil Bischof Thomas nicht zugegen war, übernahm Provikar P. Anton Ruedel den Empfang. Dernburg fragte – eine ganze Seite war nötig, um die Fragen zu notieren – vor allem, wie die Mission vorging, wenn sie sich den Menschen näherte; viele Siedler taten das mit brutalem Zugriff. P. Anton erklärte seinen Gästen, die erste Berührung mit Afrikanern bei der Gründung einer Station geschehe, indem man ihnen „gegen Bezahlung Arbeit gibt“. Die Eingeborenen lernen so die Intention der Missionare kennen; regelmäßiger Unterricht findet, auch wegen der Sprachprobleme, noch nicht statt. Weil aber die Missionare täglich beten, Gottesdienst halten und mit Geschriebenem umgehen, werden die Leute neugierig. Der Unterricht im Lesen und Schreiben beginnt mit zwei bis drei Mutigen. Ähnlich geschieht es mit dem katechetischen Unterricht. „Gezwungen wird niemand zum Katechumenen-Unterricht.“ (Annalen Daressalam 3.–6.8.1907)
Die Mission hatte also in 20 Jahren ein Programm entwickelt für das, was die Politik suchte. Entscheidend für dieses Programm war der letzte von P. Antons Sätzen: Es bestehe „Hoffnung“, dass es „nach einigen (!) Generationen“ seine Wirkung zeigt. Schon während Dernburgs Aufenthalt entstand Streit in den Zeitungen. Radikale Siedler erklärten in der Usambara-Post am 4. Januar 1908, es gebe zwar neben den „allerdings ziemlich degenerierten Küstennegern“ auch eine intelligente, auf die Arbeit ihres Körpers angewiesene Bevölkerung. Doch die Leute arbeiteten nur, weil sie mussten. Und weil sie faul seien, liefen sie lieber als Träger herum, statt Eisenbahnen zu bauen oder sich am wirtschaftlich wertvollen Plantagenbau zu beteiligen. Die Folgerung hieß: „Das Material (also pauschal: der Afrikaner, JM) ist gut, aber zurzeit noch sehr roh; es ist für ein wirkliches Blühen des Landes weder dicht noch langlebig genug.“ (Usambara-Post. Unabhängiges Organ für die wirtschaftlichen Interessen von Deutsch-Ostafrika 4.1.1908) Zeitungen im Reich übernahmen den Vorwurf und warfen Dernburg vor, er schütze und hätschle die Eingeborenen. Durch die Abschaffung der Prügelstrafe würden die Afrikaner frech. Es gab inzwischen Beispiele, wie in Daressalam weiße Siedler von Afrikanern verprügelt wurden.
Mission auf Augenhöhe
In diesem Kontext entstand Abt Norberts Schrift „Euntes in mundum universum“. Zitate, die er einfügte, zeigen, dass er die Kolonialliteratur kannte, außerdem traf er im Dezember 1907 „Excellenz Dernburg“ zum Gespräch. Weber ging davon aus, dass das Benediktinertum „wie geschaffen sei für die Missionstätigkeit unter den Heiden“ und kritisierte den gegenwärtigen Stand der eigenen Arbeit. Man habe „benediktinische Prinzipien und Traditionen“ aufgegeben und ein „Pfarrsystem“ entwickelt, das mehr der Organisation der Stationen diente, als dass es versuchte, „auf die Schwarzen einzuwirken“. Zur Zeit des heiligen Benedikt stand die Kirche auch „vor der großen sozialen Frage, welche die römische
Selbstsucht in Italien geschaffen hatte“; vor der Kluft nämlich „zwischen dem reichen Patrizier und seinen Hörigen, die auf den Latifundien ihr elendes Dasein fristeten“. Diese Kluft galt es zu überwinden und „große soziale Schäden auszubessern“. Das könne auch in der Gegenwart nicht geschehen auf dem Weg reiner Belehrung, deshalb erklärte Abt Norbert:
„Die Gnade will, daß wir menschliche Mittel gebrauchen. Und eines der vorzüglichsten, ja menschlicher Weise gesprochen, ein unerläßliches Mittel ist das Eingreifen in das Leben der Neger. Seine Kulturentwicklung spielt sich nicht ausschließlich in der Schule und in der Kirche ab. Sein Christentum baut sich nicht auf der Belehrung auf, die er hier empfängt. Das Christentum soll und muß ja das ganze Leben erfassen und es in eine neue Form umgießen […] Wir müssen, um eine Operationsbasis für unsern Feldzugsplan gegen den Unglauben und das geistige Elend zu haben, hinabsteigen zum Neger und müssen ihm begegnen als friedliche Mitkämpfer im Kampfe gegen das leibliche Elend und gegen die soziale Not […] Neben der sittlichen und geistigen Ausbildung muß die Mission angestrengt arbeiten an der Herstellung eines gewissen materialen Wohlstandes unter den schwarzen Völkerschaften.“
Was hier „herabsteigen“ genannt wird, ist nur möglich, wenn die Mission den Afrikanern hilft, dass sie sich selbst helfen können und dazu ist es nötig, sie unabhängig zu machen. „Man mag den Neger in die Handelsstadt am Meer verpflanzen und mag ihm dort ein sorgenfreies Leben auf Grund horrender Löhne schaffen, die sich seine starken Muskeln mit Leichtigkeit verdienen, er wird immer ein unzivilisierter Mensch bleiben; ja er wird tiefer sinken als er in seiner Wildnis war.“ Ein gesunder Entwicklungsprozess im Volke findet nur statt durch selbständige Arbeit, „die einen direkten Gewinn abwirft“. Ausdrücklich wird angefügt: Es gehe nicht um Gewinn durch „Arbeit für Andere“.
Ausführlich schildert Weber die Schritte, wie die afrikanischen Menschen, aufbauend auf der Landwirtschaft, unabhängig werden können von kolonialen Arbeitgebern. Ein besonderes Kapitel erhalten die Frauen und ihr möglicher Aufstieg in der Gesellschaft, wenn sie zu einem Stück Eigenbesitz kommen. Nur so wird christliches Leben möglich:
„Ist diese Erziehung so weit gediehen, daß das Volk soviel produziert, daß es nicht mehr von der Hand in den Mund leben muss, wie es jetzt der Fall ist, sondern daß es auch für die Zeit der Not zurückgelegt hat; ist das Volk soweit vorangeschritten, daß es infolge eines gewissen Reichtums an Vieh und besserer Bodenkultur seine Heimat zu lieben beginnt und nunmehr an der Scholle haftet; ist dann die Zeit angebrochen, da sich das Volk in sicherem und besserem Wohnen bei einem behaglichen Wohlstand und bei bescheidenen Ansprüchen an das Leben glücklich fühlt; dann ist es auch für die Lehre des Christentums zugänglicher; es bilden sich christliche Gemeinden, die ein in sich geschlossenes Ganzes ausmachen. Das Christentum beginnt das Leben zu durchdringen, das durch die sittigende Kraft der Arbeit gehoben und veredelt worden ist.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Es bleibt die Frage, warum Webers Schrift auch in der eigenen Gemeinschaft kaum beachtet wurde. Eine einfache Antwort bietet der Hinweis auf das Schicksal von Albrecht von Rechenberg und Bernhard Dernburg, deren Konzept eines „radikalen Kurswechsels und einer Aussöhnung mit den Afrikanern“ (H. Gründer: Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884–1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, S. 231) so viel Widerstand fand, dass sie es aufgaben. Besonders Bernhard Dernburg stritt während seines Aufenthaltes in Ostafrika vergeblich mit Siedlern, die darauf bestanden, dass die Afrikaner „Material“ zu sein hätten für ihren kolonialen Wohlstand. Leider hat sich kein Widerspruch von Bischof Thomas Spreiter erhalten, dem Webers „Schriftehen“ sicher nicht gefielen und der für seine Arbeit engen Kontakt mit der Kolonialregierung suchte. Erhalten ist nur ein Brief Webers an seine Mitbrüder vom Oktober 1908. Darin bat er, alles „Kritisieren und Murren unter einander“ zu vermeiden und dem Bischof unbedingt zu gehorchen. Weber bestand aber auf seinem Vorschlag, anstelle des Kisuaheli in den Schulen „die Eingeborenensprache als Schulsprache“ zu benützen, weil nur so das Kind lernt, durch den Gebrauch der Muttersprache sich aus der Welt seiner Familie heraus zu entwickeln ohne sinnlos Zeit abzusitzen. Nur wenn es gelingt „tüchtige Handwerker, Garten- und Feldarbeiter heranzubilden“, sind sie im Lauf der Zeit in der Lage, mit Dingen zurechtzukommen, „die ihnen gehören“.
Keinesfalls soll die Arbeit der Mission dazu dienen, den Reichtum der Siedler zu vergrößern. Was sie den Afrikanern bietet, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist aber nur möglich, wenn sie ihnen von Beginn an auf Augenhöhe begegnet, also anders als die zur eigenen Bereicherung entschlossenen Siedler. Dieser Gedanke ließ sich in der Kolonie vorläufig nicht vermitteln, auch nicht an die Bischöfe. Bischof Thomas demonstrierte das, als er P. Johannes Häfliger maßregelte und versetzte, als dieser sich in Kigonsera scharf gegen Soldaten verwahrte, die dorfweise aufständische Afrikaner niedermachten.
Die Frage ist, was bleibt, wenn die Landwirtschaft, von der Abt Norbert ausging, 120 Jahre später nicht mehr die Basis des modernen Lebens bildet. Vielleicht sollte man noch einmal den Titel der Schrift beachten. Es ist die Mahnung Jesu, die Botschaft von seinem Leben über die Länder und über die Völker hinweg zu verbreiteten. Dabei ist aber die deutsche Übersetzung nicht korrekt. „Euntes“ ist ein Partizip, kein Imperativ. Es heißt übersetzt „Gehend in alle Welt …“ oder „Indem ihr in die Welt geht, verkündet aller Schöpfung die Frohe Botschaft“. Der Weg in die Welt ist etwas, das für Missionsbenediktiner unter sich ständig verändernden Bedingungen immer geschieht. Die Aufforderung Webers, die Verkündigung auf dem Weg über die Landwirtschaft stattfinden zu lassen, bezieht sich auf eine bestimmte historische Situation, deren Schritte im Rückblick verständlich sind. Was zeitlich über diese Situation hinaus bleibt und zur Lebensaufgabe der Missionsbenediktiner wird, ist die Mahnung, mit der P. Norbert Weber sein Buch am Festtag Epiphanie abschließt. Ein Aufbruch in die Welt ohne die monastische Grundlage zu verlieren, geschieht zur Hilfe für Menschen, die verstrickt sind in Lebensbedingungen, die sie am Aufbruch hindern. So wird es möglich, gemeinsam ins Offene zu gehen, damit Epiphanie beginnen kann: Erscheinung, Wiederkunft Christi.