Der Spessart ist ein über 200 Quadratkilometer großes, überwiegend mit Buchen und Eichen bewaldetes Mittelgebirge, das vom Main in einem Viereck umflossen wird. Das Waldgebirge verdankt seinen Namen den Spechten: „Spechts-Hardt“, so die alte Bezeichnung des Gebiets, bedeutet ein mit Hartholz bestocktes und von vielen Spechten bewohntes Waldgebiet. Erstmals wird sein Name im Nibelungenlied im 13. Jahrhundert erwähnt.
Vor allem den Jagdinteressen der Erzbischöfe von Mainz ist es zu verdanken, dass der Spessart bis heute als großes Laubwaldgebiet erhalten blieb. Sie förderten die Eiche als Mastbäume für das Wild und verhinderten eine stärkere Besiedelung des Waldes. Ein weiterer Grund ist sicher auch die Armut des Buntsandsteins, aus dem nur wenig ertragreiche Böden entstehen. Doch wie und wann sind diese Laubwälder entstanden?
Der Baum als Strategie
Die meisten Kräuter und Gräser können ihre Blätter nur wenige Meter über dem Boden positionieren. Farne waren bereits deutlich erfolgreicher und langlebiger. Aber es waren erst die Bäume, bei denen sich der Stängel zu einem massiven Stamm formte – eine Entwicklung, die vor rund 300 Millionen Jahren mit der Evolution von Nadelbäumen begann. Damit gelang es, die Blattmasse bis ca. 40 Meter vom Boden zu heben und einen enormen dreidimensionalen Raum zu erschließen, um so ein Maximum an Sonnenenergie aufzunehmen. Dadurch bestimmen Bäume bzw. Wälder das Lichtregime, die Temperatur und das Kleinklima unter sich. Dass dies physikalisch möglich ist, liegt an einem Baustoff, dem Lignin. Ähnlich dem Beton, der ein Stahlgerüst versteift, lagert sich das Lignin an der Zellwand ab. Zusammen mit der Zellulose ist es ein Hauptbestandteil von Holz.
Aus diesem Grundbaustoff bestehen nicht nur Stamm und Äste, sondern auch die Wurzeln. Ihre stabile Verankerung im Boden ist Voraussetzung für die Bildung der gewaltigen, oft viele Tonnen schweren Stämme. Durch sie gelangt das lebensnotwendige Wasser von den Wurzeln in die Blätter und ein Teil des dort erzeugten zuckerreichen Saftstroms zurück zu den Wurzeln.
Bäume bilden seither Wälder, und mit ihnen formen sie ganze Landschaften. Sie erschließen Wasserreservoirs in tiefen Bodenschichten und geben es über eine gigantische Blattoberfläche ab. Eine alte Buche verdunstet so rund 300 Liter Wasser täglich, ein Buchenaltbestand gar 60.000 Liter. Damit prägen sie unseren Wasser- und Temperaturhaushalt entscheidend mit. Wälder sind im Vergleich zum Offenland um rund 4°C kühler. Durch den Verdunstungsstrom transportieren Wälder Wasser in das sonst trockene Landesinnere, fernab von Küsten. Damit formen sie über die Wassererosion auch das Relief mit, erschaffen Flüsse und gestalten das Erscheinungsbild der Erde entscheidend mit.
Mitteleuropa wäre ohne den Einfluss des Menschen weitgehend von Wald bzw. Bäumen geprägt. Lediglich die besonders feuchten, trockenen oder steilen Lagen wären baumfrei. Dieser Wald würde in weiten Teilen von der Buche dominiert. Je nach Feuchtigkeit, Nährstoffausstattung und Vegetationslänge treten weitere Baumarten hinzu. In Mittelgebirgslagen ist oft die Tanne ihre unmittelbare Begleiterin, da sie der Buche in ihr Schattenreich folgt und ein etwas anderes Lichtspektrum als diese nutzt. Ansonsten haben die anderen Baumarten nur dort eine Chance, wo die Buche zusammenbricht und damit eine Lücke im Kronendach entsteht. Nadelwälder befinden sich dagegen in von Natur aus rauen Berglagen, angepasst an hohe Niederschläge mit niedrigen Durchschnittstemperaturen und kurzer Vegetationszeit.
Anpassungen an das Schattenreich
Andere Pflanzenarten haben sich an diesen Schatten angepasst. So haben Frühjahrsgeophyten die Fähigkeit entwickelt, die kurze Phase im Vorfrühling bis zum Blattaustrieb der Laubbäume zu nutzen, um so viel Sonnenenergie in ihren unterirdischen Wurzeln zu speichern, dass sie das ganze restliche Jahr damit überdauern können. Als erstes Grün im Jahr sind sie aber entsprechend beliebt bei Pflanzenfressern. Um diesen zu entgehen, sind die Frühjahrsblüher in der Regel leicht giftig. Stoffe wie das Anemonin schützen sie und ihre Knollen vor Säugerfraß.
Die Nische der Eiche neben der Buche
Betrachten wir nun die beiden wichtigsten Baumarten des Spessarts beziehungsweise der temperaten mitteleuropäischen Laubwälder überhaupt.
Dies ist allen voran die bereits erwähnte Buche, gefolgt in großem Abstand von der Eiche.
Die Buche als Schattenbaumart ist dabei die dominante Baumart. Sie ist als Konkurrenzstratege in der Lage, alle Energie in ihr Wachstum zu investieren. Dadurch schafft sie, ohne in besonderes aufwändige Schutzmechanismen (keine dicke Borke, kaum chemischer Schutz) zu investieren, ihr eigenes kühl feuchtes Kleinklima.
Damit stellt sie alle anderen Baumarten in den Schatten. Nur die Tanne kann ihr folgen, indem sie ein eigenes Lichtspektrum nutzt. Die Eiche als Lichtbaumart setzt hingegen auf Langlebigkeit und auf Lücken im Kronendach. Bis zu 1000 Jahre können einzelne Exemplare werden. Der Schutz der Blätter über Gerbstoffe sowie der Schutz des Holzes vor Pilzbefall machen die Eiche so haltbar. Sie ist daher zu Recht bei uns das Sinnbild der Stabilität. Sie hat im Laufe ihres langen Lebens viele Chancen, sich in der Nähe einer Lichtlücke anzusamen oder ihre schweren Früchte verbreiten zu lassen. Mit ihren nährstoffreichen Eicheln hat sie nämlich im Eichelhäher einen besonderen Verbreiter gefunden. Damit konnte sie sich nacheiszeitlich erheblich schneller ausbreiten als die Buche.
Die Eiche als Lichtbaumart ist entsprechend attraktiver für Insekten und liefert gerade zur Vogelbrutzeit das Vierfache mehr an Insektenbiomasse als die Buche, die als eine der nahrungsärmsten Laubbäume gilt. Entsprechend wenige Insekten finden sich als Blattfresser auf ihr. Ein Beispiel für eine der wenigen Ausnahmen ist der Buchenrotschwanz mit seiner markanten Raupe.
Störung und Regeneration
Doch wie findet die Regeneration beziehungsweise Störung und Verjüngung im Buchenwald statt? In der Regel sterben nur einzelne Bäume, oft im Zusammenspiel mit Wind und Zunderschwamm. So entstehen kleine Lücken, die oft nur eine bis wenige Baumkrone(n) umfassen. Bei Analysen im Semenic Buchenurwald in Rumänien konnten wir feststellen, dass die Mehrzahl der Lücken nur weniger als 500 m2 ausmachten. Das bedeutet, dass Buchen sich aus sich heraus in der Bestandstiefe verjüngen und Störungen meist nur kleinflächig auftreten.
Betrachtet man nun diese Lücken näher, erkennt man deutliche Strukturen wie Totholz. In Urwäldern nimmt Totholz oft 10 % der gesamten Biomasse ein. Dabei entfällt rund ein Drittel auf stehendes und zwei Drittel entfallen auf liegendes Material. Dieses Totholz bildet zahlreiche Nischen und hat eine große Bedeutung für die Humusanreicherung als Wasserspeicher, aber auch als Lebensraum für zahlreiche xylobionte Arten. So sind rund 1300 Käfer und etwa 1500 Großpilzarten auf Totholz angewiesen. Daneben ist verrottetes Holz und Mulm ein wichtiges Keimbett für die Waldverjüngung. Gerade im calcium- und magnesiumarmen Spessart ist dies besonders bedeutend. Nur hier findet man auch Gehäuseschnecken, die diese Nährstoffe benötigen, um ihr Kalkgehäuse aufzubauen. Diese Kalkgehäuse sind wiederum wichtig für viele Vogelarten, die daraus die Eischalen für ihre Eier bilden.
Die Höhle als Lebensraum
Neben dem Totholz finden sich aber auch Altbäume, die nicht abgestorben, aber durch Wunden bereits von Pilzen besiedelt sind. An diesen Bäumen legen bevorzugt Spechte ihre Bruthöhlen an. Besonders markant ist dies bei unserem größten heimischen Specht, dem Schwarzspecht.
Es gibt wenige Entscheidungen, die von solcher Tragweite für ihn sind, wie die Wahl des Neststandorts. Hiervon hängt maßgeblich ab, ob die Jungen groß werden und damit die Gene erfolgreich weitergegeben werden. Spechte haben mit ihren Höhlen den Nestbau optimiert. Die Höhlen sind sicherer und besser vor Wetterunbilden geschützt und kleinklimatisch günstiger. Doch die größere Höhle ermöglicht auch Beutegreifern einen leichteren Zugang.
Der Baummarder ist der wichtigste Selektionsfaktor und steht im Focus der Feindvermeidung. Wo die Buche vorkommt, ist sie der mit Abstand wichtigste Höhlenbaum für Schwarzspecht und Baummarder. Hier legt die größte heimische Spechtart die Höhle weit oben am Stamm an, auf ca. 10–12 m Höhe. Dort oben sind die Höhlen schwerer zu entdecken, auf jeden Fall aber mühsamer, auf der glatten Buchenrinde schwerer zu erklimmen und damit leichter zu verteidigen. Besonders hohe Höhlen (über 15 m) wurden in unseren Untersuchungen nie vom Baummarder aufgesucht. Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist der Abstand der Naturverjüngung zum Höhleneingang. Wird dieser geringer als der halbe Höhlenabstand, ist diese Höhle für den Schwarzspecht nicht mehr attraktiv. Das heißt bei einer 12 m hohen Höhle wird sie nicht mehr zur Brut verwendet, wenn die Naturverjüngung die Höhe von sechs Metern erreicht hat. Ansonsten werden die Höhlen in der Buche über lange Zeiträume immer wieder zur Brut genutzt, oft fünf bis sieben Jahre hintereinander. Besonders Wilhelm Meyer hat über Jahrzehnte Langzeitstudien zur Nutzung von Schwarzspechthöhlen durchgeführt. Dabei fand er heraus, dass diese Höhlen ohne weiteres 30 Jahre stehen und als Habitatbaum genutzt werden können. Als weitere passive Antipredationsstrategie spielt auch die Höhlentiefe eine Rolle gegen die Angriffe von Habicht, Mäusebussard und Habichtskauz. Nur so lässt sich erklären, warum Schwarzspechte in der Buche, einer der härtesten heimischen Baumarten, energie- und zeitaufwändig eine ca. 40 cm tiefe Höhle zimmern – gerade so tief, dass der Fang (die krallenbewehrten Greiffüße) die Jungvögel nicht mehr erreichen kann.
In Skandinavien hat der Schwarzspecht eine andere Strategie: Er zimmert seine Höhle gerne in die weiche Aspe. Da die Bäume niedriger und in der Regel aufgrund der kürzeren Vegetationszeit auch schwächer sind, wird die Höhle im Durchschnitt 4 m tiefer am Stamm angelegt. Das höhere Risiko wird ausgeglichen, indem er jährlich neue Höhlen anlegt und die Brut damit in der Regel schon abgeschlossen hat, bevor der Baummarder die Höhle überhaupt entdeckt.
Anders ist die Strategie der Hohltaube. Als sekundärer Höhlenbewohner ist sie auf das vorhandene Angebot angewiesen und nimmt auch noch Höhlen als Brutplatz, wo der Unterstand bis zum Höhleneingang reicht. Als ein mögliches Mittel, um das Risiko gegenüber Habichtsangriffen zu verringern, mag die geringe Fütterfrequenz von nur rund zweimal täglich dienen. Diese geringe Frequenz ist durch die enorm fettreiche Kropfmilch möglich, die der Säugermilch ähnelt.
Die Hohltaube als wichtigster Nachfolger der Höhlen ist plastischer und als sekundärer Höhlennutzer zwangsläufig toleranter in Bezug auf die Ansprüche an die Höhlenqualität. Ausgefaulte oder leicht nasse Höhlen können durch das von ihr eingebaute Zweignest noch genutzt werden. Auch was die Höhe der tolerierten Naturverjüngung angeht, werden Höhlen noch genutzt, deren Eingang bereits von den Kronenspitzen erreicht wurden, während der Schwarzspecht bereits Höhlen mit Naturverjüngung ab der halben Höhlenhöhe meidet.
Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass Schwarzspechthöhlen Schlüsselstrukturen sind, die komplexe Bedeutung im Waldökosystem haben. Ein wesentlicher Faktor für die aktuelle Höhlenwahl ist offenbar die Feindvermeidung. Deren Bewertung scheint vor jeder Brut neu zu erfolgen. Grundsätzlich können diese Strukturen aber über lange Zeiträume (Jahrzehnte) von einer Reihe von Arten genutzt werden. Damit die Naturverjüngung die Höhlennutzung nicht zu rasch für die Leitarten in Frage stellt, sollten Höhlenkomplexe im Altholz besonders lange dunkel gehalten werden. Entsprechend sollten diese Trittsteine nicht zu klein sein (ca. 0,5 bis 1 ha), damit kein Seitenlicht das Wachstum fördert.
Diese Höhlen unterliegen einer Sukzession. Sind es zunächst Spechte, die die selbstgebauten Höhlen nutzen, folgen dann Hohltauben, Raufußkäuze, später, wenn das Höhlendach ausfault, auch Fledermäuse wie der große Abendsegler und später, wenn der Boden sich langsam mit Mulm, Kot, Nistmaterial und Insektenresten füllt, wird es zum Lebensraum zahlreicher Insekten mit Sonderbiologien.
Mulmkörper von über 100 l Größe können so entstehen. Sie sind Lebensraum einer besonders charismatischen Art von Rosenkäfer: dem Eremiten, einer prioritären Art nach Europäischem Recht. Daneben gibt es Gegenspieler im Mulm, wie den Feuerschmied, eine Schnellkäferart, der die Larven des Eremiten und anderer Rosenkäfer jagt.
Andere Höhlen füllen sich nach Auszug des Schwarzspechts mit Wasser, weil dieser nicht mehr den Wundkallus weghackt und somit Wasser in die Höhle fließt. Diese wassergefüllten Höhlen sind wiederum ein besonderer Mikrokosmos. Hier entwickeln sich beispielsweise die Larven von Schwebfliegen, sogenannten Rattenschwanzlarven; das sind Arten, die am Hinterleib eine Art Rüssel für die Aufnahme von Sauerstoff an Luft besitzen. Schwarz-gelb gefärbte Totenkopfschwebfliegen oder Sumpfschwebfliegen gehören zu diesen besonderen Besiedlern.
Als kleines Fazit lässt sich ziehen, dass Wälder eine überragende Bedeutung für uns haben. Sei es als kühlendes Landschaftselement, als Wasserspeicher und Verdunster, sei es als Hort der Artenvielfalt oder als Psychotop. Der Klimawandel bedroht in meinen Augen nicht den Wald als Ganzes, aber er erfordert Anpassungen an unseren Umgang mit ihm. Künftige Wälder werden wohl weniger hoch wachsen, lichter und weniger holzertragreich sein und vor allem Laubbäume enthalten. Das Primat dabei muss sein, dass wir bei all unseren Ansprüchen an den Wald die Resilienz des Ökosystems in den Vordergrund stellen. Und diese Resilienz muss heute unter dem Aspekt des Klimawandels neu bewertet werden.