Pflege und (Roboter-)Technik

Ethische Aspekte des Einsatzes neuer Technologien in der pflegerischen Versorgung

Im Rahmen der Veranstaltung "Pflege-Robotik – SZ-Forum Gesundheit", 22.10.2019

In der Abteilung Pflegewissenschaft an der Universität Osnabrück haben wir in der interdisziplinären Forschung und Entwicklung altersbezogener Assistenztechnologien reichhaltige Erfahrungen gesammelt. Das Thema Robotik hat Manfred Hülsken-Giesler und mich in einem Gutachten für den Deutschen Bundestag zu Autonomen Assistenzsystemen in der Pflege intensiv beschäftigt. Dabei spielten ethische Fragen, mit denen ich mich in diesem Vortrag befassen werde, ebenso eine prominente Rolle.

 

I.

 

Einige klärende Vorbemerkungen möchte ich voranstellen. Wir befinden uns in einem sich beschleunigenden Prozess der Digitalisierung nicht nur technisch-gewerblicher oder auch administrativer Sektoren unserer Gesellschaft, sondern auch aller lebensweltlichen Sphären des Menschen. Da ich meinen Vortrag hier in der Katholischen Akademie in München halten darf, komme ich erst einmal um zwei sehr bedeutende Soziologen nicht herum, die sich mit Fragen der Digitalisierung unserer Gesellschaft befasst haben. Der eine ist vor wenigen Jahren jäh aus dem Leben gerissen worden: Ulrich Beck. In seinem letzten Buch diagnostiziert der die „Digitale Metamorphose“ unserer Gesellschaft. Zu den neuen „Risikokulturen“ gehören jene Freiheitsrisiken, welche sich einer Praxis der totalen Überwachung durch eine mächtige Koalition aus Staaten und Konzernen verdanken. Mit dem technologiegetriebenen sozialen Wandel verwandeln sich gleichzeitig die Subjekte. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Es löst sich der Zusammenhang von örtlicher, physischer und sozialer Nähe auf. Es entsteht nicht nur eine neue „digitale Intelligenzija“, es besteht auch die Gefahr, dass demokratische und rechtsstaatliche Institutionen schleichend ausgehöhlt werden.

Eine weniger bedrohliche Perspektive entwickelte jüngst Armin Nassehi in seiner „Theorie der digitalen Gesellschaft“: ein breit fundiertes, durch die Systemtheorie abgesichertes Werk, das aber genau aus diesem Grunde daran zweifeln lässt, inwieweit ethische Fragestellungen überhaupt bedeutsam sind. In seinen Augen kann nämlich von einer digital abgesicherten Integration auseinanderstrebender Kräfte unserer Gesellschaft ausgegangen werden.

Entgegen diesem Befund halte ich an einer ethisch-normativ begründeten Problematisierung technologischer Entwicklungstendenzen fest. Ethische Erwägungen sind zutiefst eingelassen in einen lebensweltlichen Horizont des Menschen, der seinerseits verankert ist in kulturellen, selbstreflexiv verflüssigten Traditionen und Verständigungsformen. Die kulturelle, normative Integration dieser Lebenswelt lässt sich ohne pathogene Nebenwirkungen nicht umstellen auf rechenhafte, algorithmische Kalküle der Systeme von Wirtschaft, Arbeit und Verwaltung.

Diese Unterscheidung scheint mir noch aus einem weiteren Grund von größter Tragweite zu sein. Man bedenke nämlich, dass gerade die Systeme der medizinischen Behandlung und pflegerischen Versorgung stets in einer kritischen Weise mit der Lebenswelt hilfebedürftiger Personen verwoben sind.

Es wäre daher mit gesundheitsprofessionellen Normen unvereinbar, zum Beispiel Menschen mit Pflegebedürftigkeit, das heißt im Zustand starker psychophysischer Verletzlichkeit, als bloße Fälle bürokratisch vorgezeichneten Handelns zu betrachten; das heißt bloß zu fragen, welche allgemeinen Rechtsvorschriften auf diesen besonderen Fall anzuwenden sind. Der Bedürftigkeit, letztlich der Subjektivität Hilfesuchender können Hilfeleistende nur dadurch entsprechen, dass sie aus einer durch formale Rechtsvorschriften und standardisierte Verfahren geordneten Sphäre heraustreten, dass sie in einen Interaktionszusammenhang eintreten, in dem das singuläre subjektive Erleben einer pflegebedürftigen Person hoch bedeutsam ist. Auf ihnen entgegenkommende Beziehungsstrukturen sind pflegebedürftiger Personen essenziell angewiesen.

Diese gewissermaßen mit der Lebenswelt der Betroffenen zu verschränkende Perspektive ist sogar unter ethischen Gesichtspunkten eines echten Nutzens relevant. Ich denke an den Einsatz unterstützender Technologien in der Häuslichkeit älterer pflegebedürftiger Menschen. Zu erschließen ist die Alltagssituation dieser Menschen mit ihren Augen. Was sollte ihrer Meinung nach unbedingt erhalten bleiben. Welche zum Teil sehr kreativen Bewältigungsstrategien haben ältere Menschen entwickelt, um mit wiederkehrenden Problemen zurecht zu kommen? Was erscheint wirklich änderungsbedürftig? Was wird als technisch hilfreich empfunden? In der Forschung und Entwicklung von Assistenzsystemen in der Pflege wurde bislang immer von einer technisch-konstruktiven Logik vor dem Hintergrund meist negativer Altersbilder ausgegangen. Unterstellt wird ein gewiss plausibles Sicherheitsinteresse, dessen technische Erfüllung indessen mit sozial problematischen Folgen, etwa Vereinsamung, verbunden sein kann. Ich werde darauf später eingehender zu sprechen kommen.

Lassen Sie mich als letzten Schritt meiner Vorüberlegungen auf künstliche Intelligenz als Wahrnehmungs-, Regulations- und Verarbeitungszentrum moderner IuK-Technologien sowie der Robotik zu sprechen kommen. Entscheidend sind dabei in der naturwissenschaftlich ausgerichteten Kognitionswissenschaft verwendete atomistische Modelle eines geschlossenen Geistes. Einem isolierten Individuum werden sehr komplizierte Reiz-Reaktionsverhaltensmuster zugeschrieben. Auf diesen Mechanismen stützen sich auch Systeme maschinellen Lernens. Diesen kognitivistischen Modellen versucht Wolfgang Prinz Modelle eines offenen Geistes zu integrieren. Dessen Strukturen sind in soziokulturellen, kommunikativ-interaktiven Prozessen der Selbstvergegenwärtigung einer Person angelegt. Aber: An diesen semantischen Kern einer Person reichen intelligente robotische Systeme nicht heran. Er lässt sich nicht elementarisieren. Ein Roboter kann Perspektiven von Personen nicht vollständig übernehmen.

 

II.

 

Die Bundesregierung geht in einem immensen Förderprogramm ihrer High Tech Initiative – in Kombination mit dem Programm: Das Alter hat Zukunft – davon aus, dass durch neue Assistenzsysteme dem altersbedingt zunehmenden pflegerischen Versorgungsbedarf entsprochen werden kann. Durch neue Technologien soll ein möglichst langes selbständiges Leben in einer selbst gewählten Umgebung auch bei zunehmender Beeinträchtigung gewährleistet werden. Erwartet wird auch, dass auf diese Weise der zukünftig sich zuspitzende Fachkräftemangel kompensiert und das interprofessionelle Zusammenwirken in Gesundheitswesen verbessert werden kann.

Dabei zeigt die Technikentwicklung allerdings eine klassische Pfadabhängigkeit, indem sie im Wesentlichen Systemimperative des ökonomischen Wachstums und einer in der industriellen Produktion vorherrschenden Rationalisierungslogik folgt. Stichwort: technische Substituierbarkeit von persönlichen Dienstleistungen mit dem Ziel ökonomischer Einspareffekte.

Wendet man sich nun ethischen Bewertungsfragen des Einsatzes neuer Technologien in der Pflege zu, so wird man verschiedene Beurteilungsperspektiven zu klären haben. Dies können Bewertungsperspektiven der Betroffenen oder ihrer An- bzw. Zugehörigen sein, aber auch Perspektiven professioneller Akteure oder auch der politischen Öffentlichkeit. Für letztere stellen sich immer dringlicher werdende Fragen, die da lauten: Wie wollen wir im Alter leben? Wie stellen wir uns „gutes, menschenwürdiges Altern“ vor? Was soll dafür auch technisch vorgeleistet werden? Grundsätzlicher gefragt: Können durch technische Apparate überhaupt soziale Probleme gelöst werden?

Diesen Fragenkatalog kann man aus Sicht einer konsequenzialistischen, also auf die Folgen einer technischen Innovation ausgerichteten Ethik konkretisieren. Dabei geht es um Fragen nach der Erwünschtheit und Angemessenheit technischer Hilfsmittel, nach den damit verbundenen Chancen und Nutzenpotenzialen, aber auch den damit verbundenen Risiken. Als ethische Bewertungskriterien gelten beispielsweise: Selbstbestimmung, personale Integrität (d.h. vor allem Schutz der Persönlichkeit, aber auch freie Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 GG), Unabhängigkeit, vitale Sicherheit, aber auch Erhalt oder Steigerung von Wohlbefinden. Nun ist Wohlbefinden einerseits ein schwammiger Begriff, andererseits ein wissenschaftliches Konstrukt, und zwar abhängig von bestimmten Annahmen über den Menschen; über das, was seinem Gedeihen dient oder für ihn abträglich ist. Wohlbefinden ist stark an Selbsterleben, an Emotionen und Stimmungen gebunden.

Wir haben es also mit verschiedenen Bewertungskriterien zu tun, verankert auch in verschiedenen moralphilosophischen Traditionen. In Traditionen der deontologischen Ethik geht es vor allem um Beurteilungen nach Maßgabe universalisierbarer Normen; in Traditionen des Utilitarismus werden Bewertungen des persönlichen oder gesamtgesellschaftlichen Nutzens vorgenommen. Ich komme darauf später noch zurück. Anders verhält es sich mit Berufsethiken wie etwa der Medizinethik. Auf ihr lastet nicht die Normbegründung, sondern ihre pragmatische Anwendung. Zu sprechen wäre hier desgleichen von einer Ethics of Care oder Care Ethik. Recht besehen kann eine solche Ethik der Sorge oder Fürsorge auch als ein Oberbegriff verstanden werden, unter den eine Ethik ärztlichen sowie pflegerischen Handelns zu subsumieren ist.

Was zeichnet eine Care-Ethik in besonderer Weise aus und warum ist sie besonders geeignet für eine perspektivische Beurteilung neuer Technologien in der Pflege? Eine Care Ethik geht von der anthropologischen Prämisse aus, dass menschliches Leben auf einen integralen Zusammenhang zwischenmenschlicher Beziehungen angewiesen ist. Ein strukturelles Charakteristikum dieser Beziehungen ist Fürsorge, weil Menschen in der einen oder anderen Weise aufeinander angewiesen sind. Diese potenzielle wechselseitige Angewiesenheit tritt besonders hervor im Falle der Einbußen selbständiger Versorgungskompetenzen. In solchen Fällen drängen sich Bedürfnisse nach Sicherheit und nach Rückgewinnung eines Autonomiegefühls in den Vordergrund. In solchen Situationen versteht sich Pflege als eine an den Grundbedürfnissen hilfebedürftiger Menschen ansetzende Beziehungsarbeit. Diese Beziehungsarbeit ist undenkbar ohne emotionales Engagement oder ohne leibliches Beteiligt-Sein.

Auf die damit zusammenhängenden psychosozialen Probleme starker beruflicher Belastungen kann ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Eines aber lässt sich schon jetzt sagen: Wenn sich durch den Einsatz maschineller Unterstützungstechnologien physische und nervliche Belastungen des Pflegepersonals reduzieren lassen, dann wäre das ein großer Gewinn. Dabei sollte aber immer bedacht werden, dass pflegerische Interaktionsarbeit (einschließlich High Touch) technisch-maschinell nicht ersetzt werden kann. Das stabilisierende Gefühl leiblicher Gegenseitigkeit (jemand ist da und fängt mich auf) und dadurch gestiftetes Vertrauen hat einen technisch nicht ersetzbaren Eigenwert.

Allerdings scheint es so zu sein, dass die Erfahrungen menschlichen Lebens unter Bedingungen physischer Abhängigkeiten und sozialer Angewiesenheiten in unserer Gesellschaft abnehmen. Scheinen damit zusammenzuhängende Erfahrungen menschlicher Verletzlichkeit ebenso abzunehmen? Die Orte dieser Erfahrungen sind zumeist räumlich säuberlich abgeschiedene Pflegeheime. Gleichwohl lassen sich Fragen menschlichen Gedeihens, persönlichen Wohlergehens und biografischen Gelingens – Fragen also, die im Zentrum einer Care Ethik stehen – nicht aus einem sozialen Kontext herauslösen. Wir sind weiterhin mit der Frage konfrontiert, wie sich schweres Leiden lindern oder mindern lasse; wie indisponible Rechte kooperationsbedürftiger und kooperationsfähiger Personen geschützt werden können. Am Ende steht dabei immer die Frage, inwieweit durch technische Innovationen ein Beitrag zur Kompensation unterschiedlicher, sozial oder biologisch bedingter Benachteiligungen geleistet werden kann. In dieser Hinsicht sollte das technologische Innovationspotenzial sorgfältig überprüft werden. Jedoch immer unter der Prämisse, inwieweit damit eine Befähigung zu sozialer Teilhabe geleistet werden kann.

Damit bewegen wir uns in Richtung eines care-ethischen Ansatzes, der auf eine „Grundbefähigungsgleichheit“ ausgerichtet ist. Grundbefähigung besagt in Anlehnung an Martha Nussbaum und Amartya A. Sen, Bedingungen zu ermöglichen, welche Individuen in die Lage versetzen, ein wünschenswertes, gutes Leben zu führen. Ziel des Befähigungsansatzes ist es, dem kooperationsfähigen Menschen ein zivilisatorisches Minimum zu garantieren, das heißt, ihn in die Lage zu versetzen, je eigene Lebenspläne zu verfolgen bei für ihn ausreichenden Teilhabemöglichkeiten.

Alle auf diese Grundbefähigungen bezogenen Leistungen übersteigen den klassischen Rahmen der Gesundheitsfürsorge. Und: Zur Förderung dieser Grundbefähigungen ist es unabdingbar, dass von Seiten Dritter Fürsorge, Schutz und Fürsprache in verantwortlicher Weise übernommen wird. Damit kommt der von mir akzentuierten Beziehungsethik eine große Bedeutung zu, weil sie mit spezifischen Wahrnehmungs- und Urteilsperspektiven verbunden ist.

 

III.

 

Ich möchte diese Beurteilungskriterien und Perspektiven nun auf den Einsatz digitalisierter und automatisierter Assistenzsysteme bei stark beeinträchtigten Personen anwenden. Welche Ziele sind damit verbunden und welche Folgen zu erwarten? Wir nennen dies eine konsequenzialistische Beurteilungsperspektive. Unter utilitaristischen Gesichtspunkten würde die Nutzenmaximierung im Vordergrund stehen, zum Beispiel der Erhalt oder die Steigerung von Wohlbefinden. In einer eher Kantianischen Beurteilungsperspektive ginge es darum, inwieweit generelle Ansprüche Selbstbestimmung, personale Integrität (Privatheit) oder Unabhängigkeit respektiert werden. Nicht auszuschließen sind Bewertungskonflikte. In solchen Fällen muss abgewogen werden.

Es ist zum Beispiel möglich, dass durch assistierende Technologien häusliche Unabhängigkeit erzielt werden kann. Dies muss aber nicht automatisch auch persönliches Wohlbefinden bedeuten. Es könnte ja sein, dass technisch unterstützte häusliche Unabhängigkeit zu einem Sicherheitsgefühl, auch bei betreuenden Angehörigen, führt. Dies könnte aber gleichzeitig zu einer Verminderung sozialer Kontakte und zu größerer Einsamkeit führen. In solchen Fällen ist zu klären, welche ethischen Ansprüche (z.B. persönliche Sicherheit, Autonomie, persönliche Zuwendung) in den Augen der betroffenen Person höheres Gewicht haben.

Aus der Perspektive einer Care Ethik sollte bedacht werden, inwieweit normative Ansprüche wie beispielsweise mit einem möglicherweise zu engen Person-Begriff verbunden sind. Der Philosoph Michael Sandel zum Beispiel betont, dass Menschen nicht in einer Art Robinsonade leben, sondern in sozialen Beziehungen. Er leitet daraus ein relationales, nicht-individualistisches Konzept von Autonomie ab. Das Selbst einer Person bildet sich stets nur in Beziehungen.

Relational verstandene Autonomie beruht konzeptionell darauf, dass Personen sich durch soziale Unterstützung und Anerkennung überhaupt erst konstituieren und dadurch Selbstvertrauen und Selbstachtung herausbilden. Und umgekehrt: Wer andere unterstützt, kann aus diesem sozialen Verhalten wiederum Selbstvertrauen und Selbstachtung gewinnen.

Damit ergeben sich systematische Übergänge zu ethischen Fragen der Advokation. Diese Fragen spielen beispielsweise beim Einsatz von Therapierobotern in der Pflege dementiell Erkrankter eine wichtige Rolle. In welcher Weise sind diese Personen autonom handlungsfähig? Und in welcher Weise kann Fürsprache für Personen, die zu einem authentischen Bekunden von Wünschen nur beschränkt fähig sind, geleistet werden? Bis zu einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung verfügen demente Menschen über Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse ebenso wie Aversionen und Ablehnungen auf nonverbalem Wege (Blick, Gestik, Mimik) zu signalisieren. Ihre Vorlieben, persönlichen Anliegen und Präferenzen lassen sich in der Regel gezielt durch explorative Verfahren (zum Beispiel die fasziale Ausdrucksanalyse) individuell erschließen. Die Folgen des Einsatzes von Therapie- oder Emotionsrobotern bei Menschen mit Demenz konnten bisher nur unzureichend erforscht und bewertet werden.

 

IV.

 

Welche Chancen und Potenziale birgt nun der Einsatz moderner Assistenztechnologien insbesondere für ältere Menschen, ihre Angehörigen, aber auch für Pflegefachpersonen? Ältere Menschen können von technischen Assistenzsystemen profitieren, wenn sie in ihren alltäglichen Routinen unterstützt werden. Das reicht von einfachen Erinnerungsfunktionen bis hin zur komplexen Servicerobotik (Anreichen von Speisen, Getränken, korrekte Medikamenteneinnahme). Wohnungen können mit Sensoren (in Teppichböden) oder optischen Geräten verbaut werden. Auf diese Weise kann Mobilität (zum Beispiel die Gangsicherheit) kontrolliert werden. Die Kontrolle kann auch auf das Ernährungsverhalten ausgedehnt werden. Anhand standardisierter Einschätzungsinstrumente können Normabweichungen frühzeitig erkannt und notwendige, auch präventive Maßnahmen eingeleitet werden. In akuten Notfällen (zum Beispiel bei Sturz) werden Angehörige, Pflegedienste und Ärzte automatisch alarmiert.

Bei alldem gilt es ein ethisches Gebot zu beachten, welches besagt: Alle technischen Installationen müssen persönlich gewollt und befürwortet sein. Dazu sind ergebnisoffene Gespräche mit allen Beteiligten hinsichtlich zu erwartender Auswirkungen auf das Lebensgefühl der unmittelbar Betroffenen und ihre sozialen Beziehungen zu führen.

Wie verhält es sich beim Einsatz von Sozial- oder Therapieroboter? Durch Kombination verschiedener Kommunikationsangebote dienen sie der Aufrechterhaltung sensorischer und kognitiver Fähigkeiten. Geistige Animation kann beispielsweise durch Musik-, Film- und Literaturangebote mit interaktiven Elementen erfolgen. Aus ethischer Sicht wäre unter anderem die Frage zu stellen, inwieweit auf diese Weise Kreativitätspotentiale bei älteren Menschen entfaltet werden können. Das ist bislang ungewiss.

Eine vorsichtige ethische Zwischenbilanz könnte lauten: Durch neue Assistenz-Technologien kann das Wohlergehen vor allem älterer Menschen gesichert oder gesteigert werden. Für Angehörige könnte sich eine Entlastung von möglicherweise schwerwiegenden Verpflichtungen ergeben. In ihrem Vertrauen auf technisch gestützte virtuelle Visiten professioneller Helfer könnten Schuldgefühle, Unsicherheit und Angst verringert werden. Für das Pflegepersonal könnten Vorteile darin bestehen, durch ständige Kontrolle virtuell verfügbarer Daten zusätzliche Zeitreserven zu gewinnen für besonders versorgungsbedürftige Menschen oder Patienten. Angesichts sich zuspitzender Personalknappheit wird diese Hoffnung wohl enttäuscht werden. Als ein ethisch unbestreitbares Gebot halte ich dagegen die Entwicklung von Service-Robotern, um Pflegefachpersonen von körperlich und nervlich schwerer Arbeit zu entlasten.

 

V.

 

Befassen wir uns nun mit den Risiken und ethischen Einwänden gegenüber der Einführung neuer Technologien in der Pflege.

Autonomieeinwand: Als Beispiel sollen Tracking-Systeme mittels GPS bei kognitiv beeinträchtigten Personen dienen. Der Überwachungscharakter dieser Technologie stellt einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre von Personen dar. Eine Zustimmung müsste den mit Tracking Systemen einhergehenden Verlust personaler Selbstverfügung einschließen. Hier sind Abwägungen zwischen den Gütern „Privatheit“ sowie „Schutz und Fürsorge“ erforderlich.

Substitutionseinwand: Autonome Assistenzsysteme werden als ein probates Mittel der Personal- und Zeitersparnis betrachtet. Ethisch relevante Probleme ergeben sich dann, wenn Pflegebeziehungen in ganz elementaren Bereichen (Zuwendung, körperliche Nähe, therapeutisch bedeutsame Berührung) technisch ersetzt werden sollen. Eine Reduzierung authentischer menschlicher Kontakte kann soziale Isolation nach sich ziehen. Kommt es zu sozialer Vereinzelung und Vereinsamung, dann – und das ist paradox – wird daraus das Argument der Notwendigkeit stärkerer Kontrollen abgeleitet. Überdies: Durch Verringerung sozialer Beziehungen und Aktivitäten steigt das Risiko, kognitive Einbußen zu erleiden. Und: Durch den Einsatz autonomer Assistenzsysteme kann ein problematischer Einstellungswandel bei Pflegefachpersonen herbeigeführt werden.

Gerechtigkeitseinwand: Ich beziehe mich auf den Ansatz einer Befähigungsgerechtigkeit. Sie besagt, dass jeder einen Anspruch auf Befähigung zu einer möglichst selbständigen Lebensführung hat, auch unter Einschluss technisch-assistierender Systeme. Die Frage lautet, ob durch Reformen der sozialen Pflegeversicherung Trends sozialer Ungleichheit befestigt werden, zum Beispiel wenn eine Verpflichtung besteht, statt persönliche Leistungen technische Hilfen in Anspruch zu nehmen. Problematisch wird es auch dann, wenn eine finanzielle Beteiligung vorgesehen ist vor dem Hintergrund steigender Altersarmut.

Der Verantwortungseinwand zielt auf ungeklärte Fragen, wer bei Fehlfunktionen oder Funktionsausfällen autonomer Systeme eine Verantwortung zu übernehmen hat, zum Beispiel in einem schuld- oder haftungsrechtlichen Sinne.

 

VI.

 

Ethisch problematische Folgen des Einsatzes etwa von Emotions- oder Therapierobotern möchte ich abschließend am Beispiel von Personen mit kognitiven Einschränkungen aufzeigen. Steht Wohlergehen im Vordergrund, so ist dieses in jedem Einzelfalle zu spezifizieren. Grundsätzlich dürfen kognitive Einschränkungen nicht gleichgesetzt werden mit einem Unvermögen, persönliches Wohlergehen zum Ausdruck bringen zu können. Das emotionale Erleben dieser Menschen, selbst bei ausgeprägter Demenz, kann als Bewertungsmaßstab von Wohlergehen gelten. Es gibt inzwischen valide und verlässliche Instrumente (facial expression analysis), mit denen emotionales Wohlergehen nachgewiesen werden kann.

Ergebnisse der Interventionsforschung bei Menschen mit Demenz geben Hinweise darauf, dass durch Förderung von Erlebnisfähigkeit das Wohlbefinden dieser Personen verbessert werden kann. Dies kann in unterschiedlicher Weise geschehen: durch gezielte Ansprache und Kommunikation, auf nonverbale Weise durch visuelle, auditive und gustatorische Anregungen. Auch im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung können lebensgeschichtlich aufgebaute emotionale Ressourcen erschlossen sowie Vereinsamung und Isolation vermieden werden.

Wichtig für die ethische Bewertung des Einsatzes von Emotionsrobotern scheint mir das vom britischen Gerontologen Lawton und anderen entwickelte und später erweiterte Lebensqualitätsmodell bei Demenzkranken zu sein. Die wichtigsten, ethisch relevanten Bewertungsdimensionen lauten: (1) räumliche Umwelt, (2) soziale Umwelt, (3) Betreuungsqualität, (4) subjektives Erleben und emotionale Befindlichkeit. Zur Kenntnis zu nehmen sind ferner Studien, welche besagen, dass die Lebensqualität demenzkranker Personen bis in fortgeschrittene Stadien durch Schaffung individuell (!) anregender, emotional bedeutsamer Situationen gefördert werden kann. Zu beachten ist auch, dass sich mit Veränderungen des kognitiven Status von Personen auch deren Vorlieben und Bewertungsmaßstäbe ändern können.

Für die ethische Beurteilung des beispielsweise auf Demenzkranke zugeschnittenen Emotionsroboters PARO ergibt sich folgende Quintessenz: Emotionsroboter sind ihren algorithmischen Basisfunktionen nach auf reproduzierbare Verhaltensschemata orientiert und programmiert. Es ist ihnen nicht möglich, im Rahmen der von mir aufgezeigten Lebensqualitätsindikatoren und ihrer situativen Bewertung eine differenzierte Antwort im Sinne eines persönlichen Verhaltensangebots zu generieren. Bestimmte Verhaltensoptionen sind dann als ethisch inakzeptabel zurückzuweisen, wenn sie sich mit emotional und verhaltensförmig zum Ausdruck gebrachten Vorlieben und Wünschen nicht vereinbaren lassen.

Überdies gehören demenziell veränderte Menschen zu einem äußerst vulnerablen Personenkreis. Für sie stellt sich das Problem einer informierten Zustimmung zum Einsatz eines Emotionsroboters. Schwer zu entkräften scheint mir auch das Argument der Entwürdigung zu sein angesichts einer künstlichen, persönlich indifferenten Manipulation von Gefühlszuständen unter Missachtung auch der intrinsischen Wertquellen einer pflegerischen Beziehung. Die Gefahr besteht, dass Roboter ein menschlich fürsorgliches Umfeld in beträchtlichem Umfang ersetzen. Ihr Einsatz ist deswegen möglichst zu begrenzen.

 

VII.

 

Knapp zusammengefasst lauten meine Empfehlungen:

Können persönliche Selbständigkeit und eigenverantwortliche Lebensführung durch Assistenz-Technologien aufrechterhalten werden, so sind sie ethisch grundsätzlich zu befürworten.

Grundsätze der Selbstbestimmung werden als hochrangig eingestuft. Autonomie sollte aber im Zusammenhang mit persönlichen Lebensentwürfen, Lebenslagen und sozialen Beziehungen beurteilt werden.

Ethisch bedeutsam ist, in welcher Weise Assistenz-Technologien zur kreativen Verarbeitung altersspezifischer Herausforderungen und Belastungen beitragen.

Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, inwieweit ein Zugewinn an Sicherheit durch technische Überwachungssysteme mit Intimitäts-, Souveränitäts- und sozialen Verlusten erkauft wird.

Sorgestrukturen im Alter werden zukünftig aus einem Mix (quasi-)familiärer, bürgerschaftlich erbrachter und professioneller Pflege bestehen. Das Potential digitaler Hilfen zur besseren Koordinierung von Pflege ist positiv zu bewerten.

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