Priestersein zwischen Missbrauch und Pastoralplan

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Missbrauch und Pastoralpläne: Es sind dies die beiden Pole, zwischen denen sich das Priestersein heute bewegt. Da ist zum einen der Missbrauch, die Frage nach Aufklärung, nach Prävention, die Infragestellung von Autorität welche auch die Priester insgesamt trifft. Den zweiten Pol mag ich mit Pastoralplänen umschreiben, die Strukturen der Bistümer und Pfarreien und damit die Lebenswelt von Priestern wandeln sich radikal.

Dem muss sich Priestersein heute widmen. Und an dieser Stelle möchte ich das aus einer ganz bestimmten Perspektive tun, der Perspektive des Papstes. Papst Franziskus äußert sich immer wieder zum Priestersein, aber obwohl in der Öffentlichkeit vor allem seine Kritik wahrgenommen wird, gibt es auch sehr viel Positives von ihm.

 

Markenkern Missbrauch?

 

Bei einer Veranstaltung mit katholischen Medienschaffenden habe ich Anfang des Jahres die Frage des Missbrauchs als „Markenkern“ des Katholischen heute bezeichnet. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man kirchlichen Medienmachern sagen kann. Und es stimmt auch, kaum ein Artikel über Missbrauch irgendwo, der nicht ohne Verweis auf die katholische Kirche auskommt. Die Krise, in der die Kirche steckt, hat den Namen „Missbrauch“.

Es ist aber Vorsicht geboten. Wie Andreas Püttmann in der Märzausgabe der Herder-Korrespondenz zeigt, befände sich das „abendländische Christentum“ auch ohne Skandale in der Krise, eine Krise die wohl „mehr mit dem jahrzehntelangen Massenwohlstand, Frieden, Wertewandel und Bildungsinhalten zu tun hat als mit ‚Gottes Bodenpersonal‘.“ Deswegen lautet ja auch die Analyse der vier Bischöfe beim Ständigen Rat der DBK, ein Papier das die ZEIT veröffentlicht hat: „Die Kirche befindet sich in einer existenziellen Krise, die vom Missbrauchsskandal nicht ausgelöst ist, hierin wohl aber einen Brennpunkt findet. Die Krise ist eine Glaubenskrise, eine Strukturkrise, eine Leitungskrise.“

Beispiel Papst Franziskus: Er gehört sicherlich zu den weltweit profiliertesten Priestern und Katholiken, und er hat ein Programm. Oder hatte. Eigentlich wollte er über Freude des Evangeliums sprechen, über Kirche im Aufbruch, eine missionarische Seelsorge, über die Bewahrung der Schöpfung und den Blick der Welt aus der Peripherie. Dafür steht er.

Davon ist wenig übrig geblieben. Im Augenblick sind da viele Knoten, viele Widersprüche, viele Fehler. Und vor allem ist da im Augenblick das Thema Missbrauch. Es ist nicht neu, im Gegenteil. Aber es scheint dass das Thema sich erst jetzt in seiner ganzen Wucht entfaltet. Hier ist sie, die angesprochene Glaubens- und Strukturkrise.

Das Ganze fühlt sich beim Papst etwas an wie das Fahrradfahren im Sand. Mit viel Schwung gestartet wird es mühsam, sobald man auf den Strand kommt. Viel Energie, kaum Vorwärts-Kommen.

 

Glaubensfeind Klerikalismus

 

Der Feind, welchen der Papst hier erkannt und benannt hat, ist der Klerikalismus. Zu Missbrauch Nein sagen, heißt zu Klerikalismus nein sagen, das ist die Formulierung, mit welcher der Papst immer wieder zitiert wird. Es ist ein schillernder Begriff und soziologisch schwer zu fassen.

Es ist immer gefährlich, mit Begriffen wie „Grundübel“ oder „fundamentale Schwäche“ zu hantieren. Will ich ein Problem analysieren, stehen solche alles überragende Begriffe gerne im Weg herum. Und doch ist in der innerkirchlichen Debatte so ein Begriff allgegenwärtig: Der Klerikalismus unter Priestern.

Zuletzt hatte der Papst vor Seminaristen des Bistums Agrigent davon gesprochen, in seiner immer sehr überdeutlichen Sprache nannte er den Klerikalismus die „schlimmste Perversion“ des Priesterseins. Auch in seinem Brief an die ganze Kirche nennt er die zersetzende Kraft des Klerikalismus ausdrücklich.

Im Zuge der Debatte um die MHG-Studie im September haben wir aber auch viel Kritik an der Kritik des Klerikalismus gelesen, und auch das zu Recht. Wer zu schnell die Schuld dahin schiebe, übersehe individuelle Verantwortung, so die Kritik. Die Klage über Klerikalismus könne so zu einem Abschieben ins Abstrakte, in die Allgemeinheit werden. Und dieser Kritik schließe ich mich an. Das macht das Benennen des Klerikalismus als Ursache nicht falsch, warnt aber vor zu schnellen Schlüssen.

 

Verantwortung darf nicht verschleiert werden

 

Genau das Gegenteil von Abwälzen ist gefordert: Wer auf Klerikalismus hinweist, muss ihn zuerst bei sich selber suchen, es ist also ganz bewusst ein Wahrnehmen von Verantwortung, um die es hier geht. Nicht ein Abwälzen.

Und was ist das dann, dieser Klerikalismus?

Lesen wir mit dem Papst das Markusevangelium. Johannes geht zum Herrn und beklagt sich, da sei einer, der nicht zu den Jüngern gehöre und im Namen Jesu Dämonen austreibe, das gehe doch nicht. Eigentlich sei dieser Enthusiasmus etwas Gutes, trotzdem sei das in einer „Haltung des Abschottens“ abgeglitten. Was nicht Teil der Pläne war, wird als Gefahr gedeutet. Jesus dagegen erscheint an dieser Stelle „ganz frei“, offen für die Freiheit des Geistes Gottes, „der in seinem Tun durch nichts begrenzt ist“.

„In gutem Glauben, ja, mit Eifer, möchten wir die Authentizität einer bestimmten, besonders charismatischen Erfahrung schützen, indem wir den Gründer vor falschen Nachahmern bewahren. Aber gleichzeitig gibt es die Angst vor Konkurrenz, dass jemand neue Anhänger wegnehmen kann, und dann kann man das Gute, das andere tun, nicht schätzen: nicht gut, weil „nicht von uns ist”. Es ist eine Form der Selbstreferentialität,“ so die Papstpredigt. Und das – wenn es bei Amtsträgern vorkommt – kann man Klerikalismus nennen.

Der Theologe Rainer Bucher nennt zwei Kategorien, die ich hilfreich finde, um das Phänomen zu verstehen. Erstens beginne Klerikalismus da, wo das Interesse sich auf den Priester oder die Priester richtet, auf Struktur und Stand, nicht auf das Volk Gottes, für das Priester ja da sind. Und zweitens gelte für die Einschätzung nicht die Selbstwahrnehmung der Priester, sondern die Fremdwahrnehmung durch die anderen. Klerikalismus ist also etwas, was sich der Priester sagen lassen muss, um ihn zu überwinden.

 

Das Bartimäus-Problem

 

Es ist das klassische Bartimäus-Problem: „Sei still, störe nicht, werde nicht lästig”, das ist die Haltung von Bischöfen, Priestern und Seelsorgepersonal, die denken, das Leben Jesu sei nur für die Geeigneten. Dahinter vermutet der Papst eine „Geringschätzung des gläubigen Gottesvolkes”. Es soll nur Platz geben für Geeignete, für die „Richtigen”, für Berechtigte, für die mit der korrekten Einstellung, so sagte er im Juli 2015 in Santa Cruz in Bolivien.

Man sieht sich als Stand an, mit eigenem Rang, den man sich nicht nehmen lassen will. Meistens hat das dann auch einen eigenen Code, sprachlich wie auch in Kleidung etc., ein klassischer gesellschaftlicher Stand eben.

Man trennt sich auf diese Weise – so der Vorwurf – vom Volk Gottes, immer noch etwas ungeschickt „Laien“ genannt. Dieser Stand will die Entscheidungen treffen, „Herren des Glaubens, nicht Diener der Freude“, wenn ich das Paulus-Zitat hier einmal umdrehen darf. Dabei entwickelt sich Glaube aus dem Volk heraus, so im Brief an die Lateinamerika-Kommission 2016. Oder schlicht in Zahlen ausgedrückt: „Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger“ (Enzyklika Evangelii Gaudium 102).

 

Die Zeit der Pastoralpläne

 

Und hier kommen dann auch die so genannten Pastoralpläne ins Spiel. Als ich 1993 zum Philosophiestudium nach München kam, sagte uns der Jesuit und Spiritual des Gregorianum, P Heinz Schulte, dass die Angst der Priesteramtskandidaten nicht das Leben im Zölibat sei, sondern der Speyrer Pastoralplan. Erinnern Sie sich? Das war der erste große der vielen Pläne, ganz bewusst auf Priestermangel reagierend.

Wer sein Bistum an der Priesterzahl orientiert, der verwaltet einen Angebotsbetrieb. Das kann man machen. Man muss sich nur klar darüber werden, was man dann tut. Denn man darf sich dann nicht mehr darüber beschweren, dass der Glaube immer weniger Wurzeln hat. Wie der Papst es formuliert: „Jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre.“ (Enzyklika Evangelii Gaudium 120)

Wenn ich an die Macht von Pastoralplänen denke, an Machbarkeiten in denen Generalvikare und Personalchefs denken müssen, dann höre ich dagegen die Worte von Franziskus: „Wir können in die Falle geraten, den Wert unserer apostolischen Bemühungen nach den Kriterien der Effizienz, der Funktionsfähigkeit und des äußeren Erfolgs zu messen, welche die Geschäftswelt vorschreibt. Sicher, diese Dinge sind wichtig. Es ist uns eine große Verantwortung übertragen worden, und zu Recht erwartet das Volk Gottes von uns, dass wir ihr entsprechen. Doch der wahre Wert unseres Apostolats wird daran gemessen, was er in den Augen Gottes gilt.” (New York 2015)

Das ist keine Spiritualisierung des Problems, Papst Franziskus will damit nur deutlich machen, dass „Effizienz“ kein Name Gottes ist.

Beide Pole, die Frage um die Gestaltung der zukünftigen Form der Kirche – Stichwort Pastoralpläne – als auch die Frage nach Missbrauch in der Kirche, haben das Thema der Macht auf die Tagesordnung gesetzt. Zu lange haben wir gehört, dass es in der Kirche keine Macht gäbe, sondern nur Vollmacht. Das ist Verantwortungs-Verschleierung, das ist Spiritualisierung. Wenn wir über Priestersein heute sprechen, über Vollmacht und Autorität, über Planen und Machbarkeit, dann müssen wir auch über Macht sprechen.

 

Nein sagen!

 

Die klassische christliche Antwort auf alle Probleme ist der Aufruf Jesu zur Umkehr. Neu das Evangelium ins Zentrum des Lebens zu setzen, sein Leben immer wieder neu auszurichten, einzeln und als Gemeinschaft.

Aber was genau heißt das heute? Mit Blick auf Priestersein, auf Macht? Was ist eine Umkehr, welche Verantwortung nicht spiritualisiert und damit verschleiert?

Ich mag das mit Johan Baptist Metz die „bürgerliche Religion“ nennen. Sein Buch „Jenseits bürgerlicher Religion“, 1980 erschienen erscheint es mir heute noch prophetisch. Metz geht von der Autoritätsfrage aus: „Haben wir nicht selbst die Betreuungskirche so sehr verinnerlicht, dass wir meinen, alles an kirchlicher Erneuerung hinge schließlich davon ab, dass die Betreuer, also vorweg der Papst und die Bischöfe, sich ändern? Tatsächlich geht es darum, dass die Betreuten sich ändern und sich nicht einfach wie Betreute benehmen.“

Metz sieht die Gefahr der Verwandlung des Christentums in eine bürgerliche Religion, also die Gefahr, dass wir die Erneuerung der Kirche auf Basis der bürgerlichen Religion suchen, die „als besonders ‚fortschrittlich’ und gar ‚befreiend’ vorkommen mag“. „Die bürgerliche Gesellschaft ruht nicht, bis die Religion zu ihr und zu ihren Plausibilitäten passt“. Oder an einer anderen Stelle in demselben Text: „Der Bürger lässt die Religion nicht mehr an sich heran, er bedient sich ihrer, wenn er sie ‚braucht’.“

 

Unterworfener Glaube

 

Das Problem bei dieser Kirche ist, dass sie vorgibt, was Glaube und Gott sein darf und welchen Stellenwert Gott zugewiesen werden darf. Man unterwirft Glaube, Religion und Gott also bürgerlichen Funktionalismen, damit alles glatt und schön und ohne anzuecken verläuft. „Diese bürgerliche Religion fordert nichts, tröstet aber auch nicht. Gott ist in ihr zwar zitierfähig, aber kaum mehr anbetungswürdig,“ sagt Metz: „(Hier hilft) nur eine bis in die Wurzeln gehende Umkehr“.

Wir finden in dem Text nicht die vertrauten und in Ehren angegrauten Forderungen, mit denen die bürgerliche Religion vorgibt, alle religiösen Probleme lösen zu können. Die klassischen Forderungen sich selbst als reformorientiert sehender Revolutionäre: Zölibat, Sexualmoral und so weiter. Diese Themen sind wichtig, Metz ist aber radikaler. Seiner ist ein genuin religiöser Ansatz: Die Umkehr. Diese ist – auch das macht Metz klar – nicht rein spirituell und innerlich zu verstehen, sondern hat gesellschaftliche Wucht und vor allem verlangt sie Änderungen im Lebensstil. Umkehr betrifft nicht nur mich und meinen Gott im Gebet, Umkehr hat Folgen in meinem und unserem Leben. Das nimmt dem Begriff auch die etwas angestaubte Bedeutung, die wir manchmal damit verbinden. Und es zeigt, dass Umkehr keine Verharmlosung von Problemen ist, keine Verschleierung durch Spiritualisierung.

Umkehr bedeutet also ein Nein-Sagen. Nein sagen zu einer Version von Religion, die innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft „funktioniert“, Nein sagen zu ihren Fehlformen wie dem Missbrauch von Macht, Nein sagen zu Planbarkeit und Machbarkeit. Und alles aus religiösen Gründen.

 

Elemente des Priesterseins à la Franziskus

 

Für Papst Franziskus ist diese Umkehr ein Zentralbegriff seines Sprechens vom Glauben. Auch wenn er ungeschickt in der deutschen Übersetzung von Evangelii Gaudium als „Neuausrichtung“ wiedergegeben wird, es geht ihm um den religiösen Begriff der Bekehrung, auch um die Bekehrung der Strukturen.

Sein Bild des Priesterseins erscheint gerne im Gewand eines von ihm erfundenen Wortes. Sein Wort lautet „Diözesanität“. Ordenspriester haben es einfacher, sie werden im deutschen Sprachgebrauch ‚Pater‘ genannt oder ‚Bruder‘, während die Diözesanpriester mit ‚Herr‘ angesprochen werden wie jeder andere Mann auch, da ist die Distinktion schwieriger.

Das Wort „Diözesanität“ hilft uns, konkret zu bleiben. Die Krise, die Schwierigkeiten, der Druck, der Wandel, die Transformation des Priesterbildes und des Priesterlebens heute findet ja vor allem in den Pfarreien statt. Die Orden haben es einfach, die ziehen sich zurück, wenn etwas nicht mehr geht, oder machen das Kloster zu. Das kann ein Bischof nicht. Und erst hier wird es wirklich relevant und kritisch.

Aber trotz allem ist das Wort, welches der Papst ein diesem Zusammenhang immer und immer wieder nennt, das Wort „Freude“. Es ist auffällig, wie oft er von Freude spricht, Evangelii Gaudium, Laudete et Exultate, Amoris Laetitia, Veritatis Gaudium, alles Freuden-Texte. „Das Evangelium lädt mit Nachdruck zur Freude ein“, beginnt er Evangelii Gaudium.

Mit Freude ist natürlich nicht einfach nur eine Stimmung gemeint, genauso wenig wie man befehlen kann „liebe!“ kann man befehlen „freu dich!“. Genauso wie „liebe deinen Nächsten“ als Gebot nicht den Charakter einer Anweisung hat, so ist die „innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums“, wie es Papst Paul VI. in Evangelii Nuntiandi genannt hat, nichts was ich verordnen kann. Das ist das Ergebnis eines Weges, eines geistlichen Werdens.

An dieser Stelle mag ich diese Dynamik und dieses Werden in Begriffe übersetzen, die Papst Franziskus als Jesuit vertraut sind und die in seinem Sprechen mitschwingen. Schauen wir in das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola, dort taucht „Freudigkeit“ an bezeichnender Stelle auf, nämlich da es Ignatius um „geistlichen Trost“ geht. Das ist nicht zu verwechseln mit ‚trösten‘ oder gar ‚vertrösten‘, es darf eben nicht um Spiritualisierung und damit Vertuschung gehen.

Ignatius beschreibt den Trost so: „Überhaupt nenne ich ‚Tröstung‘ alle Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe und alle innere Freudigkeit, die zu den himmlischen Dingen ruft und hinzieht und zum eigenen Heil seiner Seele“ (Exerzitienbuch Nr. 316).

Etwas vereinfachend formuliert: Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe führt uns, führt uns weiter, führt uns zu uns selbst, zum Nächsten und zu Gott. Und das mag ich dann mit Papst Franziskus „Freude“ oder mit Ignatius „innere Freudigkeit” nennen.

 

„Innere Freudigkeit“

 

Diese Zunahme von Hoffnung, Glaube, Liebe bedeutet noch nicht das Gleiche wie angenehme Gefühle zu haben. Reue zum Beispiel ist auch ein Trost, wie ihn Ignatius versteht. Schmerzen verspüren über die eigenen Sünden, all das kann Trost sein, also Zunahme an Glaube, Liebe, Hoffnung. Weil es ein Weg ist, weil es ein Weg mit Gott ist, ein Weg, der zu Gott hinführt. Es ist die Verheißung eines Weges zu Gott, der schön und erbaulich, fromm, aber auch steinig und trocken sein kann. Für die Freude, von welcher der Papst spricht, gilt das gleiche, möchte ich hier behaupten.

‚Freude‘ darf eben nicht überfordern, sie muss im Alltag, den Normalität, den Realitäten des Lebens gefunden werden. Sie ist nicht zu verordnen ist. Und vor allem: „Freude“ darf sich nicht einfach behaupten, die darf nicht umdeuten. Diese Einschränkung ist wichtig: Die Erfahrung muss von der Wirklichkeit gedeckt sein, sie darf nicht einfach ein Umdeuten von Wirklichkeit sein.

Unser Ausgangspunkt ist also ein doppelter: die Krise, Identitätskrise, Lebenskrise, Glaubwürdigkeitskrise, Amtskrise des Priesters einerseits, und die Zunahme von Hoffnung, Liebe und Glaube, die Schritte auf dem Weg zu Gott, andererseits. „Die Welt von heute, die sowohl in Angst wie in Hoffnung auf der Suche ist, möge die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkünder hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, deren Leben voller Glut erstrahlt, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben“, so Paul VI. in Evangelii Nuntiandi.

 

Der Orden des Petrus

 

Spiritualität des Diözesanklerus, das ist in den Worten des Papstes „die Spiritualität des Ordens, den der heilige Petrus gegründet hat“. Drei Richtungen macht der Papst dabei aus, drei Beziehungen: „Die erste Beziehung: Man kann kein guter Diözesanpriester sein ohne die Beziehung zum Bischof. Der Bischof ist Vater. Er ist ein Vater, der hilft zu wachsen. (…) Zweitens: die Beziehung innerhalb des Presbyteriums. Freundschaft unter euch. Es ist wahr, dass man nicht jedermanns vertrauter Freund sein kann, weil wir nicht alle gleich sind, aber gute Brüder ja, die einander wohlgesonnen sind. (..) Und drittens: die Beziehung zum Volk Gottes. Wir sind vom Herrn berufen, dem Herrn im Volk Gottes zu dienen. Ja, wir sind vielmehr aus dem Volk Gottes genommen! (…) Denn wenn wir das vergessen, dann verfallen wir allzu oft dem Klerikalismus und vergessen das Volk, aus dem wir gekommen sind“, ermahnte Franziskus im November 2018 vor den Seminaristen in Agrigent. Das klingt auf den ersten Blick noch nicht sonderlich originell, es wird aber interessant, wenn man es ausbuchstabiert.

Der Bischof soll also ein Vater sein. Für uns ist das ein schwieriges Wort, wir haben – hoffentlich – mit unseren Vätern andere Beziehungen gehabt als wir sie mit den Bischöfen haben.

Papst Franziskus benutzt hier eine Sprache, die knirscht und knackt. Die emotional überfordert und vielleicht sogar – in unserem Zusammenhang – übergriffig ist. Selbst bei Ordensoberen, deren Verhältnis zu Ordensmitgliedern eine anderes ist als das des Bischofs, klingt das für unsere Ohren mindestens schwierig.

Zum Verständnis hilft es zu sehen, dass es in erster Linie ein Anspruch an den Bischof ist, nicht an den Priester. Der Bischof darf das nicht einfordern. „Siehe, ich bin der Bischof, du machst das jetzt, denn ich bin ja Vater.” Gerade in unseren Großbistümern hier in Deutschland, mit den riesigen Apparaten und einem Bischof, den man kaum sieht, wird das schwierig.

Was der Papst uns damit sagt bleibt aber wichtig: Sendung des Priesters ist nicht funktional, nicht weil hier eine Pfarrei zu besetzen und eine zweite dazu zu nehmen ist, ein Pfarrverband zu gründen und überhaupt Not am Mann ist. Sendung des Priesters hat auch eine persönliche und religiöse Natur, und dafür verantwortlich auf Bistumsseite – wir reden ja über Diözesanität – ist der Bischof. Es geht eben auch um den persönlichen Weg des Priesters mit Gott. Verwalten reicht da nicht.

 

„Entscheidung zur Brüderlichkeit“

 

Die Beziehung im Presbyterium: Hier geht es um das, was der Papst „Entscheidung zur Brüderlichkeit“ nennt: „Ich spreche mit Absicht von Entscheidung. Es kann nicht nur etwas sein, das dem Zufall, den günstigen Umständen überlassen wird (…) Diese Gemeinschaft muss in der Suche nach konkreten Formen gelebt werden, die zeitgemäß und der Wirklichkeit des Umfeldes angemessen sind, aber stets in apostolischer Perspektive, mit missionarischem Stil, mit Brüderlichkeit und Einfachheit des Lebens.“ (Rede in Cassano all’Ionio im Juni 2014)

Die Gemeinschaft muss in der Suche nach konkreten Formen gelebt werden: das ist die Herausforderung heute. Vor allem, weil das wegen der strukturellen Überforderung auf dem Land immer schwieriger wird. Aber das ist Verantwortung des Bischofs, das ist Entscheidung der Priester, und wenn es wirklich auf die Sendung und Verkündigung ausgerichtet ist, dann ist es auch wirksam für die Gemeinschaft der Glaubenden.

Und das führt uns dann wieder zurück zu unserem Thema: „Was ist das Zeichen, dass es um diese beiden Beziehungen, zwischen Priester und Bischof und zwischen dem Priester und den anderen Priestern, gut bestellt ist? Das ist die Freude“.

Diözesanität, die geistliche Grundhaltung des Priesters – um das überbewirtschaftete Wort „Spiritualität“ zu vermeiden – ist also eine Entscheidung, ein Tun, ein Bemühen. Freude – Trost und Zunahme von Hoffnung, Glaube, Liebe – finden sich in dem Bemühen und im Weg dahin.

 

Die erste Liebe

 

Ein privilegierter Weg der Zunahme ist der Blick zurück, der Blick auf das, was der Papst „die erste Liebe“ nennt. „Darum darf ein Bischof, ein Priester, eine gottgeweihte Person, ein Seminarist nicht „vergesslich“ sein: Er verliert dann den wesentlichen Bezug zu dem Augenblick, mit dem sein Weg begann“, sagte er 2013 in Rio de Janeiro.

Hier geht es aber nicht um Sentimentalität. Auch verändern sich unsere Erinnerungen ja auch mit dem Erinnern selbst, sie sind kein Fixpunkt der sich nicht mit uns wandeln würde. Es geht bei der „Gnade der Erinnerung“ um etwas anderes. Die Begegnung mit Jesus hat unser Leben verändert, „sie schafft ein Vorher und ein Nachher“. „Es ist gut, sich immer an diese Stunde zu erinnern, an dieses Schlüsselereignis für jeden von uns, als wir ernsthaft erkannten, dass „das, was ich spürte,“ keine Lust oder Anziehung war, sondern dass der Herr mehr erwartete“. Der Papst zitiert den Einwand: Im Gebet, in der Anbetung, begegne ich aber auch heute Jesus, warum dann die Erinnerung? Antwort: es geht nicht darum, auf den Herrn zu blicken, sondern sich zu erinnern, wie der Herr mich angeblickt hat. ER hat zuerst geschaut. Das ist es, woran wir uns erinnern sollen. Der Herr hat zuerst geschaut.

Die erste Liebe nicht zu vergessen – also die Freude der allerersten Begegnung mit Jesus, den Moment der Trennung zwischen Vorher und nachher – bedeutet laut Papst Franziskus, unablässig die Hoffnung zu nähren. Und Hoffnung, da sind wir auf dem Weg zum Trost. Die Erinnerung an die „erste Liebe“ nährt die Hoffnung. Und damit die Freude.

 

Die verwundete Kirche

 

„Eine verwundete Kirche kann die Wunden der Welt von heute verstehen und sich diese zu eigen machen, sie erleiden, begleiten und zu heilen versuchen. Eine Kirche mit Wunden stellt sich nicht in den Mittelpunkt, glaubt nicht, perfekt zu sein; sie stellt den in den Mittelpunkt, der allein ihre Wunden heilen kann und der da heißt: Jesus Christus. … Das Bewusstsein, das wir verwundet sind, macht uns frei; ja, es befreit uns davon, selbstbezogen zu sein und uns besser als andere zu fühlen“, so der Papst in Santiago de Chile im Januar 2018. Dass wir inmitten der Missbrauchskrise aber auch im radikalen Strukturwandel eine verwundete Kirche sind, das ist mehr als deutlich.

Aber noch einmal: das Zitat des Papstes wäre falsch verstanden, wenn wir jetzt den in Predigten beliebten Satz heran zögen, jede Krise sei auch eine Chance.

Nehmen wir die Pastoralpläne: Was in Wirklichkeit geschieht ist, dass Pfarreien keine Priester mehr haben, dass zusammen gelegt wird, das aufgegeben wird, dass die Räume größer und damit unpersönlicher werden. Das wird dann aber mit schönen Namen belegt. Salz im Norden, Sendungsraum, Apostelgeschichte, Geistlicher Weg, immer schauen diese Projekte nach vorne, immer klingen sie positiv. Und das geschieht in guter Absicht, es soll ja ein weiter geben, eine Zukunft.

Was dabei aber fehlt, ist Trauer. Wir geben ab, lösen auf, ziehen uns zurück, aber wir nennen das nicht so. Mir scheint, dass Kirche nicht trauert, dass wir nicht die Wunden, die das alles schlägt, akzeptieren können. Wir haben Pläne und Konzepte, aber wenig Trauer. Wir haben „Neo-Pelagianismen“, Vertrauen auf die eigenen Kräfte und Pastoralpläne, aber das ist die falsche Reaktion. Das ist eine Form der Umdeutung, der Spiritualisierung.

Und was für die Pastoralpläne gilt, das gilt erst recht für die Frage von Missbrauch von Macht, hier darf ich schon gar nicht „Aufbruch“ und „gereinigte Kirche“ sagen. Hier verbietet sich das semantische oder geistliche Umdeuten von selbst.

Und trotz all dem bleibe ich hoffnungsvoll. Und zwar reflektiert. Diese Hoffnung ist nicht naiv, weil uns ja eh nichts anderes übrig bleibt. Keine Wirklichkeitsverweigerung.

Sie ist keine „Vertröstung”, um die Falschdeutung des „geistlichen Trostes” noch einmal aufzugreifen. Das ist es nicht. Innere Freudigkeit, Zunahme an Hoffnung, Glaube, Liebe, das muss sich in der Wirklichkeit finden, wie sie ist, nicht wie wir das gerne hätten.

Nicht fliehen. Nicht sich verstecken. Nicht sein Heil in irgendwelchen -ismen suchen. Nicht auf die eigenen Kräfte und Pastoralpläne vertrauen, denn nicht von ihnen kommt das Heil und die Freude.

Der Papst spricht von der Identitätskrise des Priesters, welche mit dem Wandel von Kultur und Gesellschaft einhergehe. Aber genau hier – im „Meer der heutigen Welt“ – zeige sich die Salbung des Priesters als das, was sie sein soll. Priestersein ist Gnade. Nicht Funktion.

Gott ist ein „Gott des Trostes“, sagt der Römerbrief, und auch wenn Paulus sicherlich nicht Exerzitien bei Ignatius gemacht hat, weist dieser „Trost“ in dieselbe Richtung. Papst Franziskus legt die Römerbriefstelle (Kap 15) so aus: „Der ‚Trost‘ hingegen ist die Gnade, in jeder Situation, auch in denen, die am meisten von Enttäuschung und Leiden geprägt sind, die Gegenwart und das barmherzige Handeln Gottes zu erkennen“, sagte er bei der Generalaudienz am 22. September  2017.

Und wenn ich das erkenne oder zumindest erahne, dann ist da eine Zunahme, von Hoffnung, von Glaube, von Liebe. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir oft nicht wissen, mit diesen neuen Situationen umzugehen. Manchmal träumen wir von den ‚Fleischtöpfen Ägyptens‘ und vergessen, dass das Gelobte Land vor uns liegt, nicht hinter uns“, formulierte der Papst im Januar 2018 in Santiago de Chile.

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