Reden Sie – aber labern Sie nicht!

Im Rahmen der Veranstaltung "Nutztierhaltung – acatech", 04.05.2021

Wir haben es satt!“ versus „Wir machen Euch satt!“ – diese zwei Ausrufe, die alljährlich im Rahmen der Grünen Woche in Berlin erschallen, stehen stellvertretend für die mitunter tiefe Kluft zwischen Verbrauchern und Landwirten. Gerade die Haltung der landwirtschaftlichen Nutztiere wird häufig sehr scharf kritisiert.

Dabei ist das Thema Nutztierhaltung außerordentlich komplex und ein Schwarz-Weiß-Denken zwar einfach, aber es ist sicherlich nicht zielführend. Es existieren die unterschiedlichsten Haltungen und Vorstellungen zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Dies liegt zum einen daran, dass unterschiedlichste Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Nöten betroffen sind. Zum anderen kann die Nutztierhaltung aber auch nicht losgelöst von beispielsweise der Umwelt- und Klimadebatte betrachtet werden. Und dann gibt es natürlich nicht nur eine Form der Nutztierhaltung, sondern sehr unterschiedliche. So, wie es nicht nur den Landwirt oder den Verbraucher gibt, sondern viele unterschiedlich denkende Landwirte und Verbraucher. Der vorliegende Beitrag zeigt wesentliche Aspekte des Geflechtes aus unterschiedlichen Interessen und Schwierigkeiten auf und verdeutlicht, warum gemeinsame Gespräche von besonderer Wichtigkeit sind.

Extrem stark vereinfachend können Landwirte, Verbraucher und Handel als Hauptakteure dieses Geflechtes bezeichnet werden. Dabei produzieren „die“ Landwirte meistens nach den gesetzlichen Mindeststandards. Aber auch, wenn sie darüber nachdenken, etwas an ihrer Art der Tierhaltung zu ändern und bereit sind, höhere Tierwohlstandards umzusetzen, sehen sie für sich persönlich in einem System der langen Abschreibungsfristen und der komplizierten Genehmigungsverfahren oftmals kaum Spielraum für derartige Veränderungen.

Höhere Tierwohlstandards sind mit höheren Kosten verbunden. Inwiefern diese gedeckt werden können, inwiefern die erzeugten Produkte auch zu einem höheren, kostendeckenden Preis durch den Verbraucher gekauft werden, kann zum Zeitpunkt der Haltungsumstellung häufig nur gehofft werden. Und so kommt es, dass viele Landwirte das Risiko, ihre Tierhaltung zu verändern, nicht eingehen wollen oder nicht eingehen können. Werden Landwirte mit der Verunsicherung und dem Ärger der Verbraucher konfrontiert, reagieren sie häufig irritiert bis verständnislos. Sie können mit einigen Vorwürfen wenig anfangen, weil ihnen unklar ist, welches Problem ein Verbraucher zum Beispiel mit Silage oder Fressgittern haben könnte und fühlen sich in einer Verteidigungsposition oder einem Rechtfertigungszwang. Dazu kommt das Wissen, dass die meisten Verbraucher nach den günstigsten Produkten greifen, also mitnichten die Produkte kaufen, die sie fordern. Misstrauen und gegenseitige Vorwürfe sind die Folge.

Zwischen dem Landwirt und dem Verbraucher steht „der“ Handel: Hier zählen in erster Linie die Absatzzahlen. Und von diesen wird schnell auf die Präferenzen der Kunden geschlossen. In der vorliegenden Situation heißt das, dass primär die Produkte des gesetzlichen Standards gelistet und mitunter zu einem extrem günstigen Preis verkauft werden. Gerade Fleisch und Fleischprodukte werden regelmäßig als sogenannte Lockangebote eingesetzt, um den Verbraucher in das Geschäft zu bekommen. Schließlich steht der einzelne Händler in Konkurrenz mit anderen Händlern. Auch sind Produkte teilweise im Ausland günstiger zu beziehen, da dort zum Beispiel geringere Löhne gezahlt werden und die Tierschutzstandards häufig mit denen in Deutschland nicht zu vergleichen sind. Die Folge sind oftmals sinkende Verkaufspreise für die Landwirte.

Am Ende der Wertschöpfungskette steht „der“ Verbraucher: Die meisten Verbraucher kaufen preiswerte Produkte, die auf Basis der gesetzlichen Mindeststandards produziert wurden. Und dennoch träumen viele von ihnen von einer Tierhaltung, die eher einem romantischen Bild oder der Darstellung eines Kinderbuchs entspricht, weniger der landwirtschaftlichen Realität. Wie diese aussieht, können die Verbraucher jedoch kaum oder gar nicht beurteilen, denn nur wenige haben einen realistischen Einblick in die praktische Landwirtschaft. Die meisten sind vielmehr zunehmend von ihr entfremdet und oftmals verunsichert durch gesehene Berichte und Bilder.

Sie wissen zum Beispiel nicht, wie Silage produziert wird und fürchten, dass unnatürliche Zusatzstoffe dem Futter beigemischt werden. Und auch eine Kuh, die im Fressgitter steht, kann Unverständnis auslösen, weil dieses Bild mit einer Anbindehaltung gleichgesetzt wird und die Befürchtung besteht, dass die Kuh 24/7 in diesem Gitter fixiert ist. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, die Kühe mitunter gar nicht oder nur zeitweise, zum Beispiel für erforderliche Untersuchungen oder Behandlungen, fixiert werden, ist den Verbrauchern in der Regel
nicht bewusst. Woher auch!

Verbraucher werden mit unterschiedlichsten Informationen zur Nutztierhaltung konfrontiert: Mal wird die Nutztierhaltung zu positiv, mal zu negativ dargestellt und mal korrekt. Wie aber soll der Verbraucher beurteilen, welche der Information die richtige ist?

Beim Einkauf kommen dann zusätzlich verschiedene Zielkonflikte zum Tragen. Der offensichtlichste ist der Wunsch nach mehr Tierwohl und einem geringen Preis, weitere Konflikte entstehen beispielsweise mit der Frage, was für ihn schützenswerter ist – die Umwelt oder das Tierwohl?

Es ist offensichtlich, dass auf den unterschiedlichen Seiten viel Unzufriedenheit herrscht und das Konfliktpotential hoch ist. Diese Situation wird auch dadurch erschwert, dass lange Zeit nur übereinander statt miteinander geredet wurde, dass anstelle konstruktiven Austauschs nur pauschales bzw. destruktives „Gelaber“ stattfand. Aber so einfach es klingt, das miteinander Reden ist ein (nicht der alleinige!) Schlüssel zu mehr Verständnis.

Im Rahmen des Projektes SocialLab wurden von Mitarbeitern des Thünen-Instituts für Marktanalyse, der Fachhochschule Südwestfalen und der Universität Göttingen, Gruppendiskussionen mit Landwirten und Verbrauchern in unterschiedlichsten Orten in Deutschland und zu den drei Tierhaltungsverfahren Schweinehaltung, Milchviehhaltung und Hühnerhaltung durchgeführt. Während der Diskussionen wurden unterschiedliche Themen rund um die jeweilige Tierhaltung gemeinsam besprochen. Die Verbraucher konnten Fragen an die Landwirte stellen, und letztere nutzten die Möglichkeit, um sich zu erklären bzw. ihre Sicht der Dinge darzustellen. So konnte zum Beispiel die Unsicherheit eines Verbrauchers in Bezug auf Silage überwunden werden.

Um zu überprüfen, ob im Rahmen solcher Diskussionen eine messbare Annährung der Akteure möglich ist, wurden zu Beginn und am Ende der Gruppendiskussionen unterschiedliche Statements zu Themen abgefragt, die sowohl die Landwirte als auch die Verbraucher betrafen. Die Auswertung zeigte, dass weder Landwirte noch Verbraucher unbeeindruckt von den gemeinsamen Gesprächen blieben, sondern ihre Haltung während der gemeinsamen Diskussion mitunter statistisch signifikant änderten. Unterschieden sich beide Akteure zu Beginn der Diskussion bisweilen deutlich in ihrer Einschätzung der Nutztierhaltung, veränderte sich dies häufig durch das Gespräch. Dabei war zu beobachten, dass die Landwirte insgesamt stabiler in ihrer Wahrnehmung gegenüber der Nutztierhaltung blieben, während die Verbraucher schneller bzw. stärker ihre Meinung veränderten.

Zu betonen ist aber, dass die Veränderungen jeweils abhängig von der gewählten Argumentation und ihrer Argumentationsweise waren. Gelingt es den Landwirten, auf Interessierte einzugehen, die Sorgen des Gegenübers ernst zu nehmen und Informationen glaubwürdig und vertrauenswürdig zu vermitteln, ohne belehrend zu wirken, ist die Basis für ein gutes Gespräch geschaffen. Die meisten Verbraucher sind dann in der Lage, zuzuhören und die gegebenen Informationen anzunehmen. Wichtig ist, dass keiner der Gesprächspartner mit Anschuldigungen beginnt. Denn auch hier gilt wie so oft im Leben: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.

Das, was sich so leicht schreibt und einfach liest, kann im Alltag jedoch mitunter sehr schwer sein. Und das Reden wird auch nicht unmittelbar und zeitnah zu einer Verbesserung der Situation führen. Es ist aber ein wichtiger Schritt hin zu mehr Verständnis und kann der Anfang von etwas Neuem sein. Daher ist es als absolut positiv zu bewerten, dass immer mehr Landwirte den Mut und die Zeit aufbringen, sich dem Diskurs zu stellen und dass immer mehr Verbraucher diejenigen ansprechen, die es am besten wissen sollten: die Landwirte.

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