Renouveau Catholique heute?

Über das Katholische in der Bayerischen Literaturgeschichte

Im Rahmen der Veranstaltung "Rückkehr der Religion – passé?", 21.11.2022

©tilialucida, canva

Im Zeitalter des Konfessionalismus seit dem frühen 16. Jahrhundert zeigt sich eine scharfe Trennlinie zwischen protestantischer und katholischer Literatur. Dabei kommt es im Zuge der sogenannten Gegenreformation im katholischen Bayern zu einer regelrechten Literaturexplosion. Diese ist freilich grenzüberschreitend. Denn die Jesuiten in Ingolstadt oder München setzten auch auf den bewährten Augsburger Buchdruck. Darüber hinaus eignete dieser Literatur mit Einflüssen aus der Romania ein übernationaler Zug. Nicht zuletzt spielten hier die Ehen der Wittelsbacher mit Prinzessinnen etwa aus Italien eine wichtige Rolle.

Katholische Literatur ist vom 16. bis zum 18. Jahrhundert – und dies gilt für Bayern wie für Österreich gleichermaßen – alles andere als von nationaler deutscher Enge geprägt. Herausragende Vertreter wie Abraham a Sancta Clara werden allerdings schon vom Pietisten Friedrich Schiller in der Kapuzinerpredigt seines ‚Wallenstein‘ karikiert.

Renouveau Catholique in Bayern

Im langen 19. Jahrhundert nach den sogenannten Befreiungskriegen hatte es das Katholische literaturgeschichtlich, aber auch im Kanon der neuen Wissenschaft Germanistik zunehmend schwer. Kulturkampfrhetorik und kleindeutsch-nationalliberale Bestrebungen sowie die Etablierung der Duden-Norm waren einer süddeutsch geprägten katholischen Literatur insgesamt nicht günstig. Dem wollte eine letztlich von Frankreich ausgehende Bewegung Einhalt gebieten. Die Wurzeln des Renouveau Catholique in Bayern und insbesondere in Schwaben, wo diese literarische Bewegung stark ausgeprägt war, liegen eigentlich in Berlin und reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Denn der von Reichskanzler Bismarck eingefädelte sogenannte Kulturkampf, der zur Bekämpfung der Zentrumspartei und des polnischen politischen Katholizismus diente, ließ bei katholischen Intellektuellen die Befürchtung aufkommen, im protestantisch geprägten Bismarck-Reich nicht nur politisch, sondern auch kulturell marginalisiert zu werden.

Zur Bedrohung aus Berlin kam eine allem Modernen zutiefst abholde Haltung in Rom, nicht erst seit dem Risorgimento. Überdies sorgte die römische Kurie dafür, dass gerade die fortschrittlicheren Katholiken sich der von Rom ausgehenden Verfolgung einer liberalen und fortschrittsoffenen, den Wissenschaften verpflichteten Gesinnung ausgesetzt sahen. Der Kampfbegriff des Modernismus litterarius betraf gerade die ambitionierteren und weltoffenen katholischen Schriftsteller. Dem sollte die Zeitschrift Hochland als Publikationsorgan dieser fortschrittlichen katholischen Intellektuellen Abhilfe schaffen, die 1903 von Carl Muth gegründet wurde und bis 1971 existierte. Zu den frühen Mitarbeitern gehörte Konrad Weiß, der mit dem Gedichtband Tantum dic verbo bekannt wurde und ab 1905 in München als Kunstreferent für Hochland tätig war. Die Zeitschrift wurde schließlich zu einem Forum für den deutschen Zweig der europäischen Bewegung des Renouveau Catholique, die ihr geistiges Zentrum in Frankreich hatte. Internationale Ausrichtung nach Westen und Süden kennzeichneten demnach den Renouveau Catholique, ganz im Gegensatz zu Franzosenhass (Sedan-Feiern!) und nationaler Selbstgenügsamkeit des wilhelminischen Zeitgeists im Kulturkampf.

Produktive Vertreter

Zu den produktivsten Vertretern des deutschsprachigen Renouveau Catholique ist der lange in München lebende, aber aus Schwaben stammende Peter Dörfler zu rechnen, der einst durchaus als Erfolgsschriftsteller gelten konnte. Bekannt wurde er unter anderem mit Als Mutter noch lebte (1912) oder mit Die Papstfahrt durch Schwaben (1923). Bis in die Zeit des Wirtschaftswunders hinein war auch sein Künstlerroman Die Wessobrunner ein Verkaufserfolg, der dem epochalen Höhepunkt bayerischen Kirchenbaus im Pfaffenwinkel des 18. Jahrhunderts ein literarisches Denkmal setzte.

Ähnlich erfolgreich wie Peter Dörfler war auch Joseph Bernhart mit seinem autobiographisch inspirierten Roman Der Kaplan, dessen Protagonist in seiner Mischung aus Literaturbegeisterung und Fortschrittsoffenheit geradezu idealtypisch dem Programm des Renouveau Catholique entsprach. Aus der Fülle der damals modischen Kaplansromane sticht er durch besondere literarische Ambition deutlich hervor. Dies gilt auch für die erst noch zu entdeckenden Gedichte Joseph Bernharts, der zudem als Pionier der katholischen Mystikforschung gelten kann und dessen Augustinus-Übersetzung noch heute ein Klassiker ist. Jedenfalls fand Joseph Bernhart im ‚Hochland‘-Kreis Gleichgesinnte. Zu diesem Kreis um Carl Muths Zeitschrift Hochland gehörten aber auch Schriftstellerinnen wie Ruth Schaumann, Verfasserin unter anderem von Gedichten und Mysterienspielen, sowie Regina Ullmann.

Ein widerständiger Geist äußerte sich bei Joseph Bernhart in den quer zum Hurrapatriotismus des Ersten Weltkriegs stehenden historischen Romanen Rudolf von Schlüsselberg und Thomas Morus. Dabei tritt Thomas Morus als Patron des Gewissens gegen staatliche Willkür auch im gleichnamigen Schauspiel des in Gestapohaft ermordeten, aus alter bayerischer Künstlerfamilie stammenden Albrecht Haushofer auf die Bühne. Dessen berühmte Moabiter Sonette konnten vor der Gestapo versteckt und der Nachwelt überliefert werden, wie etwa Qui resurrexit:

In tausend Bildern hab ich Ihn gesehn.

Als Weltenrichter, zornig und erhaben,

als Dorngekrönten, als Madonnenknaben, –

doch keines wollte ganz in mir bestehn.

Jetzt fühl ich, daß nur eines gültig ist:

Wie sich dem Meister Mathis Er gezeigt –

doch nicht der Fahle, der zum Tod sich neigt –

der Lichtumflossne: dieser ist der Christ.

Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt.

Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend,

das Haupt mit goldnem Leuchten rings umwebend.

Von allen Farben geisterhaft umstrahlt,

noch immer Wesen, dennoch grenzenlos,

fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß.

Aus ähnlichem Geist wurde der Nationalsozialismus von Joseph Bernhart ebenso frühzeitig wie entschieden publizistisch bekämpft. Der hier in München lebende Schwabe Joseph Bernhart hatte sich Alfred Rosenberg, Chefideologe des Nationalsozialismus, zum Feind gemacht. Einer Verhaftung entging Bernhart offenbar nur, weil sich Mussolini für den international renommierten Autor von Der Vatikan als Weltmacht eingesetzt haben soll. Vor allem gegen Kriegsende – 1941 hatte Joseph Bernhart Schreib- und Redeverbot erhalten – zog er es deshalb vor, aus der Schusslinie des NS-Regimes zu gelangen, indem er sich aus München ins ländliche Schwaben, seine eigentliche Heimat, und ins Allgäu zurückzog.

Joseph Bernhart publizierte vor diesem Rückzug in der dem völkischen und neuheidnischen Geist auf katholischer Grundlage entgegenstehenden Zeitschrift Hochland, wie auch die bekannte (1971 in ihrem späten Wohnort Oberstdorf verstorbene) Dichterin Gertrud von Le Fort oder der in der Nachkriegszeit vielgelesene Werner Bergengruen. Auch der sich zuletzt im schwäbischen Ustersbach aufhaltende Theodor Haecker ist als Hochland-Autor wie als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus zu nennen. Nachdem die Zeitschrift vom NS-Regime eingestellt worden war, konnte sie erst ab 1946 unter Franz Josef Schöningh und Karl Schaezler in München wiedererscheinen. In Augsburg kam als Pendant ab 1946 unter der Leitung von Johann Wilhelm Naumann die katholisch orientierte Zeitschrift Neues Abendland heraus, die – als Lehre aus dem Zusammenbruch 1945 – der bis dahin geltenden „verpreußten“ Geschichtsauffassung ein Bayern gemäßes „föderalistisch-universalistisches“ Geschichtsverständnis gegenüberstellen wollte.

Würdigung und Potenzial

Da die Vertreter des Renouveau Catholique die Diktatur vergleichsweise unbelastet, ja nicht selten als Opfer überlebt hatten, konnten sie nach 1945 auch im Literaturbetrieb wieder Fuß fassen. Oft wurden sie in einem geistig-moralischen Vakuum mit Ehrenämtern und dergleichen geradezu überhäuft, wie etwa Joseph Bernhart, der in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen wurde. Gleiches gilt für den bereits erwähnten Werner Bergengruen, der mit seinem Römischen Erinnerungsbuch (1949) auch stofflich den Weg von der germanophilen Hybris zurück zum katholischen Abendland wies.

Jedenfalls konnten die Vertreter des Renouveau Catho­lique nicht nur als (weitestgehend) Nazigegner, sondern auch mit ihrer weltanschaulich-kulturellen europäischen Süd- und Westorientierung, die seit jeher literarisch und kulturell für Bayern bestimmend war, in der politisch-geographisch nach 1945 vergleichbar ausgerichteten bayerischen Kulturpolitik auf Förderung hoffen. Dies zeigte sich etwa in einem Ehrendoktorat der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität für Werner Bergengruen (1958). Träger des Literaturpreises der Stadt München waren bezeichnenderweise 1945 der Schwabe Peter Dörfler und 1947 die Wahlallgäuerin Gertrud von Le Fort, deren Roman Das Schweißtuch der Veronica als Klassiker des deutschsprachigen Renouveau Catholique gelten darf und die noch von Hermann Hesse für den Nobelpreis vorgeschlagen worden war.

Dass den Vertretern des Renouveau Catholique sogar innovatives Potenzial zukommt, erweist sich in einer letztlich schöpfungstheologisch begründeten, damals aber völlig neuartigen Sichtweise, die man bei Reinhold Schneider ebenso findet wie erstaunlich früh bei Joseph Bernhart, dem man mit seinen Essays Die unbeweinte Kreatur. Reflexionen über das Tier (1961) oder Heilige und Tiere eine seiner Zeit weit vorauseilende ökologische Denkweise attestieren kann, die vor dem Hintergrund damaliger Technikgläubigkeit geradezu revolutionär anmutet. Vielleicht wären von daher auch Linien zum Bayern Carl Amery zu ziehen, den man ebenfalls als literarischen Heros der Ökologiebewegung bezeichnen muss.

Vor diesem literaturgeschichtlichen Hintergrund erhoffe ich mir von der Tagung an der Katholischen Akademie Bayern starke Impulse für eine Neubewertung des Katholischen im literarischen Leben unserer Zeit.

Zur weiteren Vertiefung des Themas seien abschließend folgende Werke empfohlen: Klaus Wolf, Joseph Bernhart – ein Autor des Renouveau Catholique? In: Perspektiven bayerisch-schwäbischer Literaturgeschichtsschreibung, herausgegeben von Thomas Groll und Klaus Wolf und Klaus Wolf, Bayerische Literaturgeschichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt.

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