Romano Guardini und der Ursprung seiner katholischen Weltanschauung

Ein Blick auf das Ganze des Kunstwerks und der Welt

Hiob von Andreas Neumann-Nochten

Im Grenzbereich zwischen philosophischer Ästhetik, Kunst- und Medienwissenschaften und interreligiöser Spiritualität und Mystik begegnet man in jüngster Zeit dem Wunsch und Gedanken, so etwas wie eine Geschichte des Schauens oder eine Geschichte des Sehens zu schreiben.

Eine Sehschule, wie Alfons Knoll in seinem einfühlsamen Blick auf Guardini es in seiner Predigt im Rahmen des Guardini-Tages genannt hatte.

In Roland Barthes’ Camera Lucida wünscht er sich eine Geschichte des „Blicks“. Er begründet dies mit der Geburt der Fotografie, die „das Erscheinen meiner selbst als jemand anderes“ sei, „eine raffinierte Dissoziation des Identitätsbewusstseins“. Auch Gottfried Boehm schreibt immer wieder über den Prozess des Sehens und seine Geschichte. Er spricht von „gelungenem“ Sehen, was ein Versehen sei. Damit thematisiert er das Gesehene und den Schatten des Unsichtbaren. Wiebke-Marie Stock trägt mit Texten von Georges Didi-Huberman zur „Geschichte des Blicks“ bei, indem sie keine Theorie vorstellt, sondern genauer verstehen möchte, was die Geschichte des Sehens bedeutet.

Guardini hatte eine Sehschule mit dem Blick auf das Ganze vorgeschlagen. In seinem Buch Über das Wesen des Kunstwerks (1938) spricht Guardini über das Sehen von Van Gogh: „Jedes Kunstwerk hat die Eigenschaft, ein Ganzes zu sein; kein Ausschnitt, wie die unmittelbar wahrgenommene Erscheinung. Der Stuhl, den ich vor mir sehe, steht in einem nach allen Seiten weitergehenden Zusammenhang; sobald ich ihn herausnehme, ist er Fragment. Wenn aber van Gogh den Stuhl sieht, dann vollzieht sich schon im ersten Sehen der Vorgang der Rundung. Er bildet ein Ganzes in sich selbst, und darin kommt das Ganze des Daseins zur Gegebenheit. Das geschieht bei jedem Kunstwerk; um so stärker, je größer die künstlerische Kraft der Gestaltung und je reiner die Erscheinung aus ihrer Mitte heraus gebaut ist.“

In seiner Einführung seines Buches Die Bekehrung des Aurelius Augustinus beschreibt er wiederum das Sehen: „Vom Ganzen, welche Augustinus heisst, hat sie (die Untersuchung) jene, wenn man so sagen darf, Stelle, jenen lebendigen Bereich im Auge, wo Philosophie und Theologie noch nicht im neuzeitlichen Sinne geschieden sind, ja noch nicht einmal so weit, als es im Mittelalter der Fall war – wo vielmehr das christliche Dasein als Ganzes genommen wird, und das Denken ohne sich um methodische Scheidungen zu kümmern, aus diesem Ganzen heraus auf das Ganze blickt. Die Stelle, auf welche diese Untersuchung gerichtet ist, liegt zum Teil sogar noch vor der Scheidung in theoretisches Denken und geistig-praktisches Leben. Unsere Arbeit möchte wissen, wie Augustins‘ Gedanke an der Wurzel aussieht; dort, wo er mit der Möglichkeit eines vom Christlichen absehenden „rein natürlichen“ Standpunktes gar nicht rechnet, sondern in der Welt, wie sie aus der Offenbarung hervortritt, „die“ Welt, und daher im Glaubensdenken das wahre Denken einfachhin sieht.“ 

Was sind die Hintergründe seines Blicks aufs Ganze? Neben vielen Einflüssen, gibt es einen Aspekt, den ich heute näher anschauen möchte.

Die Begegnung mit Michelangelo

Romano Guardini eröffnete sein umfangreiches literarisches Schaffen mit einer Übersetzung von Michelangelos Texten, die 1907 veröffentlicht wurden. Guardini definiert diese Texte als „Persönlichkeitsgedichte“. Es wird oft als jugendliche Eingebung eingeordnet. Andererseits bietet Michelangelo Guardini die Möglichkeit, den Kern seiner Reflexion über das Wesen der Kunst zu definieren. Anhand von Michelangelos Gedichten identifiziert Guardini die tiefe Beziehung zwischen „Gedanken und Form im Kontext seines künstlerischen Schaffens“ und entdeckt, wie ein Gedanke zur „Form“ werden kann, im künstlerischen Ausdruck Gestalt annimmt und schließlich dazu beitragen kann, „ein Mensch zu werden“. Nach Guardinis Meinung drücken Michelangelos Texte Michelangelos Kampf mit seiner eigenen Seele aus, ein Kampf, der durch die Spannung zwischen der inneren und idealen Vision des Künstlers und dem Weg zur Verwirklichung dieses Ideals in Richtung einer Einheit entsteht, die im Werk Michelangelos verkörpert ist. Im Rahmen dieser Reflexion spricht Guardini erstmals von der Ahnung und vom Begriff des Gegensatzes.

Der Satz seines Freundes Neundörfer „Im Letzten liegt die Wahrheit da, wo die größte Möglichkeit der Liebe ist.“ ist für Guardini Wegweiser in der Betrachtung Michelangelos geworden, um seinen inneren Kampf zu definieren. In der Einleitung wird der Satz über „Michelangelos kämpfende Seele“ mit Vorsicht, aber bedeutsam zitiert.

Benedetto Croce und Hugo Friedrich haben starke Vorbehalte gegen den literarischen Wert von Michelangelos Texten geäußert: „Hinter diesen Reimen steckt Michelangelo, der große Michelangelo, aber in ihnen ist er nicht wirklich oder nur in seltenen Zügen ein Michelangelo-Dichter und Künstler. Er komponierte sie zum einfachen „Vergnügen“, schreibt Benedetto Croce.

Hugo Friedrich unterscheidet Michelangelos Gedichte zwischen „Liebesgedichten“ und „Selbstdeutungsgedichten“. Friedrich versäumt nicht, zu betonen: „Michelangelos Liebe ist auch Selbstinterpretation insofern, als sie, sobald sie zur Poesie wird, es wird gleichermaßen zu einem Überschreiten des Partners als einer Selbstbesinnung“.

Die Poesie sei eine weitere Verkörperung der Dynamik, die die bildhauerische Kunst zum Ausdruck bringt. Michelangelo kämpft mit Marmor ebenso wie mit der Sprache. So wie viele seiner Skulpturen Gefängnisse sind, sind viele seiner Texte fragmentarisch oder unvollständig. Die Wirkung von Michelangelos erhabenem Werk bestand darin, eine hermeneutische Korrelation zwischen Malerei und Poesie herzustellen, die sich so gegenseitig beleuchten kann.

Michelangelos Kunsttheorie ist in dem Ausdruck „levare il soverchio“ (das Überflüssige entfernen) enthalten. Dieser Ausdruck ist in einem berühmten Brief an Benedetto Varchi aus dem Frühjahr 1547 enthalten. In diesem Zusammenhang definiert Michelangelo die Bildhauerei als eine Kunst, in der man „durch Gewalt der Entfernung“ arbeitet, um die vom Marmor gefangene Figur herzustellen. Der Begriff „Intellekt“ könnte mal den Geist des Künstlers (oder Dichters) bedeuten, mal den göttlichen Geist. Im Einklang mit dem Neuplatonismus der Florentiner Akademie übernimmt Michelangelo die Idee, dass die Welt durch die Ausstrahlung der göttlichen Essenz entstanden ist und dass in jedem Marmorblock eine einzige Seele und eine ideale Form verborgen ist, die der Künstler besitzt. Der Einfallsreichtum wird nur dann schlussfolgern und befreien können, wenn sich sein Intellekt beugt und sich dem göttlichen Intellekt anpasst, den das „Konzept“ dieser Form in der leblosen Materie verborgen hat.

Michelangelo schreibt, dass der beste Künstler keine Form („irgendein Konzept“) hat, die nicht bereits im Marmor ist. Das Konzept ist nicht das Bild der Form, da es im Marmor kein festes Bild gibt. Der Ausdruck „kein Begriff“ weist darauf hin, dass es sich nicht um ein exakt festgelegtes Bild im Marmor handelt, sondern es sich je nach Beschaffenheit des Marmorblocks sowohl um das eine als auch um das andere handelt. Das ideale Bild entsteht in den Händen des „besten Künstlers“. Etwas weiter lesen wir im zweiten Vierzeiler desselben Sonetts: „Das Böse, vor dem ich fliehe, und das Gute, das ich mir selbst verspreche, ist in dir verborgen, anmutige Frau, hochmütig und Diva; und damit ich nicht mehr lebe, setzt die Kunst der düsteren Wirkung entgegen.“15

Der Künstler, der der Materie das Gestaltungsprinzip seiner Kunst vermittelt, wird den Übergang von der Kraft des formlosen Marmors zum Akt der künstlerischen Form schaffen können und, genau wie der Marmor, der eine Form umschließt, in der „anmutigen Frau“ kann das Böse „hochmütige“, vor dem der Künstler fliehen muss, oder das Gute, das er erreichen will, verborgen bleiben.

Der Einfluss Polizians und auch der Einfluss des aristotelischen Denkens fehlt in Michelangelos Ästhetik nicht. Obwohl Michelangelo nie ausdrücklich von Aristoteles spricht, gibt es in seiner Ästhetik, wie auch Guardini betont, eine ontologische Dimension aristotelischen Ursprungs, die sich aus der klaren Beziehung zwischen Lieben und Schaffen aus dem Material des Werks des Künstlers ableiten lässt. Dies ist auch bei seiner Poesie der Fall.

Aristoteles veranschaulicht das Werden, das für die Poiesis charakteristisch ist, also für jene besondere Produktion, die künstlerische und dichterische Produktion miteinander verbindet und die Materie auf Form reduziert. Nach Aristoteles „hat alles außer dem, was wird, sei es durch die Natur oder durch die Kunst (téchne), eine Substanz, denn wer die Fähigkeit hat, sowohl zu sein als auch nicht zu sein, ist in einem aller Dinge“. Aristoteles erklärt den Ursprung der Dinge mit den Begriffspaaren hyle – eidos und dynamis – energeia. Von dort aus wird Guardini gemeinsam mit Neundörfer seine Thesen zum polaren Gegensatz formulieren. Die formlose Materie (hyle), in der die Form verborgen ist, ist: „das, was, ohne in Wirklichkeit ein bestimmtes Etwas zu sein, dennoch, soweit möglich, ein bestimmtes Etwas ist“. Deshalb: „Die Form, oder wie auch immer wir die Gestaltung des Sinnlichen nennen, ist vielmehr das, was es in einem anderen wird, durch die Kunst oder durch die Natur, oder durch die Fähigkeit, etwas zu produzieren.“

Geht es uns hier um ein künstlerisches Denken oder ein Denken, das sieht?

Geht es Guardini um eine Kunsttheorie? Was ist das Wesen der Künstler-Reflexionen? Wir müssten hier viel tiefer fragen: Ist der Künstler gezwungen vor sich über seine künstlerische Existenz und Daseinsberechtigung Rechenschaft abzulegen und somit über das Wesen der Kunst nachzudenken? Heute werden die schriftlichen Erläuterungen der Künstler oft mit Beuys oder aus den Wurzeln der Avantgarde des 19. Jahrhundert heraus erklärt. Aus dem Blickpunkt des gegen die Konvention revoltierenden Künstlers „sich selbst als eine Metaphysische Begründung“ zu schaffen, so Kurt Barth. Als eine Art metaphysische Begründungslast, die sich ins Positive wendet, indem sich die Künstler auf die Transzendenz, das Göttliche und Jenseitige, als letzte Instanz der Künstlerexistenz beziehen.

Eduard Trier hat Gründe genannt, warum die Künstler das Medium wechseln und das Wort ergreifen. Die Theorie entstand als notwendige Folge der schaffenden Tätigkeit. Die Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern aus der Kunst. Hier liegt wohl der Schlüssel. Ihre Erkenntnisse gehen gleichwohl über die spezielle Gattung der Malerei hinaus. Sie sind allgemeingültig für die Kunst, und das Leben. Was Klee die „elementare Lehre vom Schöpferischen“ oder Kandinsky das „Prinzip der inneren Notwenigkeit“ nennt. Dies beansprucht nicht nur die Malerei, sondern gilt für jede kreative Tätigkeit und damit für das Ganze des Lebens. Heute steht der Terminus Künstlertheorie für das Denken des Künstlers in seinen vielfältigen Differenzierungen, es sei der Gegenbegriff zu seiner bildnerisch-praktischen Tätigkeit, schreibt Bunge. Theorie und Praxis stehe in polarer Spannung, sie bilden eine komplementäre Einheit. Künstlertheorie, erklärt er, sei nicht Theorie im geläufigen Sinn. Die Eigenheit der Künstlertheorie wird deutlicher, wenn man auf die Etymologie des Wortes eingehe. Im Griechischen bedeutet Theoria das Anschauen, das Betrachten, die Umschau, woraus dann in der Philosophie die geistige Schau abstrakter Dinge oder die denkende Betrachtung der Phänomene wird. Im Gegensatz zur praktischen Auseinandersetzung mit ihnen.

Das übliche Verständnis von Theorie wird derart formuliert: „die gedankliche wissenschaftliche Überlegung in der Bemühung um ein streng logisches System der Erkenntnis“. Theorie in dieser Auslegung muss bestrebt sein, die sinnlichen Phänomene zu überwinden, da sie nicht bei der Wahrnehmung stehen bleiben darf. Man glaubt, die Künstler haben, von Ansätzen abgesehen, kaum eine Theorie der Kunst geschaffen, wohl aber häufig eine Theoria der Kunst gepflegt. Übersetzt man folglich Künstlertheorie mit Künstleranschauung und begreift darunter die Art und Weise, wie der Künstler in einer denkenden Betrachtung auf die eigene Praxis der Kunst und ihren Sinn schaut, erkennt man, dass die Übergänge von Theorie und Praxis fließend sind. Denn die Theorie ist schon eine bewusste Tätigkeit, wenn auch eine Handlung im Denken, und nicht mit den Händen. Die Theorie als die geistige Anschauung ist die Vorrausetzung und sie führt zur Praxis der Tat.

Aber wo hört in der Kunst die Theorie auf und wo fängt die Praxis an? Soll man den geistigen Entwurf, die Vision, die Ideenskizze, die geistige Schau des Urbildes, die Idea, die im Denken des Künstlers entsteht, als Theorie begreifen? Und ist dann die bildnerische Ausführung, das Formen des Tons oder das Auftragen der Farbe auf die Leinwand, wobei die sichtbare Gestalt (Eidos) des Bildes (Eikon) entsteht, die „Praxis“? Kann überhaupt von Bildern gesprochen werden ohne gleichzeitig denkend anzuschauen, d. h. geistig tätig zu sein? Ist folglich nicht die vermeintlich praktische Tätigkeit immer auch eine theoretische und umgekehrt? Kann es ein Bilden ohne Denken geben?

Man beruft sich heute auf den von Michelangelo überlieferten Ausspruch, dass man nicht mit der Hand, sondern mit dem Gehirn malt. Heißt das nicht, dass ein absoluter Dualismus von Theorie und Praxis für die Kunst niemals geltend gemacht werden könnte? Die Künstlertheorie unterscheidet sich dennoch vom abstrakten, wissenschaftlichen System-Denken: Es ist ein anschauendes oder gegenständliches Denken, das wir das bildnerische Denken nennen, weil es zur Fähigkeit des Bildens korrelativ ist.

Michelangelo und Guardini: der Kampf und die Liebe

Guardinis Umgang mit den theoretischen Schriften der Künstler, besonders den Gedichten Michelangelos, ist nicht typisch kunsthistorisch oder kunsttheoretisch. Er hatte damals, als er Michelangelo „anschaute“, schon einen Blick entwickelt, ähnlich dem, den er auf Augustinus geworfen hatte. Guardini widmet die ersten Seiten seiner Jugendarbeit dem Leiden der Seele und der Unfähigkeit des Künstlers Michelangelo zu lieben. Die Analyse eines Gedichts von Michelangelo für Vittoria Colonna macht ihm Michelangelos Unfähigkeit deutlich, „sich hinzugeben“ und „ganz im Anderen zu verlieren“. Michelangelos Unfähigkeit, sich dem Anderen zu öffnen, wird zum Ausgangspunkt einer unlösbaren inneren Spannung gegenüber einem Versprechen, das im Kunstwerk verkörpert ist. Romano Guardini und Josef Weiger leben in ihrer Freundschaft genau dieses Prinzip: Der Mensch ist erst durch den anderen wahrhaft menschlich. Das Kunstwerk offenbart diese Spannung und diesen Schmerz: Die künstlerische Produktion ist die Art und Weise, wie der Künstler versucht, dieses Drama zu überwinden. Michelangelo war, besonders im reifen Alter, oft mit sich allein, mit einem Mann, der allein mit seiner Seele darum kämpfen musste, sein edelstes „Ich“ gegen die Leidenschaften durchzusetzen, deren Stärke seine Schöpfungen vorgezeichnet hatte; so die Spannungen in ihm, die beschreiben, was er gesehen hatte: „Sage mir, Liebe, ob ich die heißersehnte Schönheit wirklich hier sehe, oder ob drinnen in meiner Seele sie lebt, und ich der Herrin Antlitz anschauend verkläre?“ Guardini beschreibt es als eine Spannungseinheit, die zum lebendigen Konkreten gehört, ohne dass die jeweiligen Pole aufhören zu existieren, und erkennt in Michelangelos Texten eine Polarität zwischen „gelungener“ oder „ungelungener“ Liebe und den sie deklinierenden Versen die Verkörperung der Vision der Liebe.

Tatsächlich ist Michelangelo nicht in der Lage, „sich wirklich an den Anderen [VI] zu verlieren, wirklich diesen, wie er war, zu sehen, als habe er auch in ihr den Genossen eigentlich nicht gefunden“. Die römische Adlige, so Guardini, sei die Person, die Michelangelo liebte, und doch war sie der „Ort“, an dem er selbst dort „seine Partnerin nicht fand“ (Genossen). Ungelöste Liebesspannungen bergen das ganze Geheimnis künstlerischen Schaffens. Später wird der Theologe diese Intuitionen in der Schrift Von der Beschäftigung mit der Kunst vertiefen, in der er eine Wahrnehmung der Kunst und ihrer Fähigkeit vorschlägt, den Menschen zur Liebe zu führen.

Michelangelos Kunst ist Sehnsucht. Er sah ihre Schönheit nur in den Menschen, die er liebte, wie es bei jemandem der Fall ist, der die Person, die er liebt, bedingungslos idealisiert. Als er die Größe und den Adel anderer verehrte, erkannte er die Vision von Bildern und sein eigenes Streben nach Perfektion, die er in die Form der Kunst ­verwandelte: Es gibt jedoch eine andere Wahrnehmung: eine Vision, die die Realität nicht definiert und in einen vom gesunden Menschenverstand anerkannten Rahmen einordnet, sondern die es ermöglicht, dass alles „sich der Vision annähert“ bzw. „in die Vision eindringt“. Das Wirkliche beginnt dort, wo es in seiner verborgenen und komplexen Tiefe erfasst wird, wo die Absicht aufhört. Es scheint, dass diese Worte die Prinzipien des kreativen Prozesses des Künstlers und den Prozess der tiefgreifenden Selbsterkenntnis offenbaren.

In dem Debütwerk, das Michelangelos Texten gewidmet ist, führt Guardini eine spezifische Modalität in der Anordnung der Gedichte ein, nämlich die Modalität, mit der Guardini selbst diese Texte auswählt und arrangiert: „Die Ordnung dieser Gruppen untereinander versucht von der Wertung auszugehen, die Michelangelo selbst an ihrem Inhalt vollzogen hat, indem sie ihn an dem Bilde des Menschen misst, den er in sich zu verwirklichen strebte. Ist dies gelungen, dann bilden die Gedichte eine Reihe, die von relativ Äusserlichem ausgehend immer mehr zu dem vordringt, was Michelangelo als sein Wertvollstes und Eigenstes beurteilte. Dass bei diesem Versuch die Gefahr der Subjektivität nahe sei, habe ich mir nicht verhehlt; aber hier schien die beste Möglichkeit zu liegen, aus einer blossen Aneinanderreihung ein innerlich verbundenes Ganzes zu machen. Die Briefe sind chronologisch geordnet. Aus der grossen Zahl mussten sehr wenige ausgewählt werden. Es sind besonders solche, in denen das eigenartige Verhältnis des Meisters zur Familie, sein stetes Sorgen und bereitwilliges Helfen, dann auch seine Stellung zu Freunden und Auftraggebern zum Ausdruck kommt. Als Anhang sind die wenigen erhaltenen Briefe Vittorias an ihn beigefügt.“

Guardini folgt in seinem Werk Michelangelo. Gedichte und Briefe der inneren Struktur des Schöpfer-Künstlers und der Schaffung des Kunstwerks. „Sie fasst die Gedichte zusammen, denen in der Seele ihres Schöpfers gleiche Voraussetzungen entsprechen, Grundkräfte, Anlagen seines Wesens, Ziele, die er erstrebte, Werte, die er bejahte und in denen er sein letztes Genügen fand. Die Ordnung dieser Gruppen untereinander versucht von der Wertung auszugehen, die Michelangelo selbst an ihrem Inhalt vollzogen hat, indem sie ihn an dem Bilde des Menschen misst, den er in sich zu verwirklichen strebte.“

Es ist die kämpfende Seele Michelangelos, die in seiner Poesie verborgen ist. Mit wenigen Ausnahmen erzählen seine Verse, selbst wenn er über andere spricht, von seinen Gefühlen, seinen Kämpfen, den Werten und Idealen, die er suchte und die er in den Menschen, die er liebte, verkörpert sah. Er war, besonders im höheren Alter, ständig mit sich allein, ein Mann, der ständig allein mit seiner Seele kämpfen musste und der sein edelstes Selbst gegen die Leidenschaften behaupten musste, deren Stärke seine Schöpfungen erahnen ließen; und so ließen ihn die Spannungen nicht zur Ruhe in seinem Ego kommen.

Die Reihenfolge der Gedichte offenbart „den inneren Prozess der Nachahmung/Verwirklichung des Wunsches/der Vision des Künstlers zu dem, was sein Kostbarstes ist, auch wenn es noch nicht realisiert, sondern nur in der Kunst vorgestellt wird“. In dieser Anordnung schaffen die Gedichte einen Weg, der – unserer Meinung nach vollkommen erfolgreich – den Anspruch hat, immer tiefer in das einzudringen, was Michelangelo für das Kostbarste und Persönlichste des Innersten hält. Schon die von Guardini gewählte Reihenfolge der Gedichte verrät sein großes pädagogisches Können. Anthropologie ist bei Guardini ein pädagogisches Prinzip, das das künstlerische Schaffen betrifft. Er drängt dazu, diese Entwicklung der Menschwerdung zu verfolgen, und spricht, während er den kreativen Prozess und die polare Struktur der künstlerischen Geste beschreibt, vom Kampf des Künstlers als einem Weg zur Erlösung. Der damals junge Theologe schrieb: „Diese Gedichte sind zum grossen Teil an Christus gerichtet, und die Ideen der Schuld, der Reue, des Ringens nach Erlösung finden in ihnen oft wundervollen Ausdruck.“ Sie werden immer von der Unfähigkeit inspiriert, den anderen zu lieben und sich ihm ganz hinzugeben.

Später im Jahr 1913 sehen wir in einem Brief, dass das Kunstwerk selbst zum Ort der Fürsorge für die Welt wird. Dort heißt es: „Grünewald hats, Michelangelo, auch bei anderen hab ichs gefunden. Und an solchen Stellen schaut man dem Menschen tief ins Herz hinein; oft ists nur wie ein leises Lächeln, das vorüberhuscht, und bald ist die Stirn wieder finster; der Mund hart! Hat man es aber einmal gesehen, dann muß man ihn lieb haben, mit einer, fast möcht‘ ich sagen, sorgenden Liebe, dann hat man das Kind gesehen, unter dem schweren Panzer.“

Im Zentrum der Guardini-Reflexion steht die Lauterkeit des Blicks des Menschen, der im Leiden einen tieferen Aspekt wahrnimmt. Guardini meditiert über Michelangelos Briefe und kündigt eine ästhetische Anthropologie an, in der die Haltung gegenüber dem Anderen oder der Welt als Askese, Distanz und Demut gesehen wird, die in Liebe synthetisiert und als authentische Sehfähigkeit verstanden wird: Wer liebt, schreitet ununterbrochen der Freiheit entgegen; wahre Freiheit
von der Bindung, also von sich selbst.

Form wird von Guardini als schöpferische Form verstanden. Wenn Guardini vom schöpferischen Akt und seinem Ausdruck spricht, führt er das Konzept der Form ein, das als lebenswichtiger Akt verstanden wird (ähnlich wie bei Kandinsky „innere Notwendigkeit“). Tatsächlich ist die Form immer sowohl konkret als auch dynamisch, wie die Gedichte Michelangelos, und offen für das Fundament und die Handlung. Denn Form ist jener Zusammenhang, in dem sich das Ganze und das Besondere gegenseitig geben; gegenüber der Tat: Denn die Form manifestiert sich erst in der Umsetzung, sie ist in der Tat gegeben. Die künstlerische Form ist zu suchen und dies geschieht im Falle des Wiedererkennens im Anderen. Ebenso hat der schöpferische Akt den Charakter einer Handlung; er leugnet weder noch widerspricht er dem Wesen des Grundes, noch drückt er es nur aus, sondern er setzt es präzise um. Es ist ein Prozess der anthropologischen, spirituellen und ästhetischen Erkenntnis, der über die Sehnsucht nach einer Idee hinausgeht.

Dies ist ein vor-weltanschaulicher Ansatz, den ich oft dankbar mit Helmut Zenz diskutiert und erwogen hatte, gerade im Hinblick auf seine neuen Entdeckungen in den Archiven, die diesen Ansatz untermauern konnten. Guardini hatte diesen Ansatz ab 1921/22 in Bonn und ab 1923 in Berlin insbesondere für das mental-rationale Erkennen im Bereich der Universität als „Weltanschauungslehre“ konzipiert und begreift dabei metaphysische, theoretische, begrifflich-abstrakte, deduktive Wissenschaften auf der einen Seite und empirische, erfahrungs-, typologierend-konkrete, induktive Wissenschaften auf der anderen Seite als rational-mentale Erkenntnisweisen, als zwei Denktypen im Bereich der Wissenschaften, die sich als polar-komplementäre Gegensätze gegenüberstehen. Sie kommen dem „Ganzen“, der „Wahrheit“, der „vollen“ Erkenntnis nur näher, wenn sie sich nicht wechselseitig ausschließen, sondern eben in Spannung halten.

Diese Spannungseinheit ist nach Guardini nur zu gewinnen, wenn diese Spannungseinheit ein eigenständiger nicht-wissenschaftlicher, aber dennoch mental-rationaler Erkenntnisweg ist, der die Ergebnisse aller Wissenschaften aufgreift und einbindet, aber ohne sie zu synthetisieren. Diesen dritten Weg auf anderer Ebene sieht Guardini in der Anschauung/Betrachtung/Kontemplation der Gesamtganzheiten Gott, Welt und Mensch (als Selbst). Im Bereich der Universität geht der Blick dabei vorrangig auf die Gesamtganzheit der Welt; es geht also um Welt-Wissenschaften, daher spricht Guardini auch von Welt-Anschauung. Die Welt ist dabei selbst eine in zahllose Polaritäten gegliederte Ganzheit, in der für Guardini der Bereich der „Kunst“ eine besonders paradigmatische Rolle einnimmt, um den „Blick auf das Ganze“, auf die volle Erkenntnis der Wahrheit zu ermöglichen. Der Kunst kommt ein Primat des Anfangs und der Ordnung im Blick auf andere Bereiche zu, der aber bei Guardini immer ein relativer Primat ist und nie ein Primat der Würde, des Wertes oder der Bedeutung. Im Blick auf den „Sinn der Universität“ beschränkt sich dabei selbst Guardini, da er ja als Professor für katholische Weltanschauungslehre an der Universität lehrt, auf den mental-rationalen Bereich der Erkenntnis, ohne aber dabei den intuitiv-sensualen Bereich der Kenntnis auszuschließen oder gar abzuwerten. Es handelt sich also um eine Schwerpunktsetzung und um eine pars pro toto-Entscheidung, die nach Guardinis eigenem Bekunden nur gelingt, wenn diese nicht dialektisch-ausschließend ist (siehe im Blick auf Bergsons Intuitionismus versus Kants Rationalismus). Wer als Universitätslehrer bzw. Akademiker den sensual-emotional-intuitiven Bereich leugnet, abwertet oder ausschließt, wird zwangsläufig im „Blick auf das Ganze“ scheitern, so wie auch Künstler und Propheten in ihrer Schau bzw. Vision des Ganzen scheitern, wenn sie dabei den mental-rational-intellektuellen Bereich leugnen, abwerten oder ausschließen würden.

Die Aufgabe jedes Menschen, und erst recht des Universitätslehrer oder des Akademikers, aber auch des Künstlers auf seinem Weg von der Idee zur Gestalt (Kunstwerk) ist es, sich die Gegensätzlichkeit des Lebens und insbesondere auch des eigenen Lebens und da wiederum des eigenen Innenlebens bewusst zu machen und somit auch deren davon ausgehenden Erkenntnis- und Liebes-Bewegungen und -Begegnungen und deren Voraussetzungen.

Das Konzept und die Methode der Gegensatzlehre hat Guardini wie vieles andere aus seiner eigenen, aber auch aus Georg Simmels Auseinandersetzung mit Michelangelo heraus entwickelt.

Guardini zog zu Beginn des Wintersemesters 1905/1906 nach Berlin und „hörte wieder Vorlesungen verschiedener Art, hauptsächlich um der politischen Ökonomie zu entgehen, die er nicht verstand: Philosophie von Georg Simmel, Kunstgeschichte von Heinrich Wölfflin [1864–1945]“. Die wissenschaftliche Inspiration geht auf die Vorlesungen von Simmel (1858–1918) zurück, der zunächst 1889, dann 1910 und schließlich 1916 einen Aufsatz über Michelangelo veröffentlichte.

Simmels Beitrag war für Guardini von grundlegender Bedeutung, nicht nur wegen des Michelangelo innewohnenden Hinweises, sondern auch für die Ausarbeitung seiner Theorie der „polaren Opposition“, die Guardini bereits 1914 in einer ersten Skizze darlegte. 1925 legte er das Werk in einer ausführlicheren Form vor, in dem Werke zitiert werden von Georg Simmel: Lebensanschauung und Philosophische Kultur, über den „Fluss des Lebens selbst“, und „die Fähigkeit sich das Leben zu überschreiten“. 1913 verwies Guardini in einem Brief vom 29. August 1913 an seinen Freund Josef Weiger auf „ein wirklich außergewöhnliches Buch“, der Goethe von Simmel, dessen Essay über Rembrandt aus dem Jahr 1916 ebenfalls erwähnenswert ist, in Anbetracht der Tatsache, dass Guardini diesem Künstler wenige Jahre später ebenfalls einige Seiten widmen würde.

Auf dem Weg, der Guardini zur Ausarbeitung der Theorie der „polaren Opposition“ führen sollte, muss man – neben einigen anderen Referenzen (Goethe, Bonaventura, Hegel…) – auch seine Begegnung mit Michelangelo berücksichtigen. Georg Simmels Michelangelo. Eine Metaphysik der Kultur ist keine Kunsttheorie, auch keine Ästhetik und auch keine Kulturwissenschaft, sondern hier geht es um eine Epistemologie des Sehens in der Kunsterkenntnis, Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis unvermischt und ungetrennt geschehen. Einerseits hat der Künstler also nach Simmel und Guardini in seinem künstlerischen Talent eine besondere „Veranlagung“ für den „Blick auf das Ganze“ durch den Teilbereich der Kunst, allerdings eben nicht in der Verwirklichung automatisch gegeben, es braucht nicht das einseitige Anbauen auf einer Seite der Polarität, die somit zum Extrem degeneriert, sondern das bewusste Anbauen an der Spannung aller Polaritäten in Richtung einer lebendig-konkreten Spannungseinheit, also keiner synthetisch-abstrakten, integralistischen Einheit.

Diese theoretische Methodologie von Guardini dient im Grunde ausschließlich dem eigenen Bewusstsein in der Begegnung mit dem Selbst, mit der Welt und mit Gott, um aufgrund eigener Prägungen oder Veranlagungen in der rational-denkenden und mental-kontemplativ-anschauenden Auseinandersetzung ebenso wie in der intuitiv-fühlenden und sensual-kontemplativ-schauenden Auseinandersetzung sowohl in der Vorbereitung (Einübung des Blicks mit den „neuen Augen“) als auch in der Durchführung nicht in Einseitigkeiten zu verfallen, also nicht am Ende doch etwas zu „übersehen“ und somit doch nicht das „Ganze“, sondern nur einen „Ausschnitt“ zu erkennen.

Guardini wird dies zeitgleich mit der Ausarbeitung der 1925er Fassung der Gegensatzlehre seinem Freund Josef Weiger an den später unter dem Titel Briefe vom Comer See veröffentlichten Briefen vorexerzieren und zwar am Beispiel seiner eigenen Theorien, seiner eigenen Reflexionen über die gemachten Erfahrungen und seiner eigenen Anschauungen der „Kulturgestalt“ der Landschaft rund um den Comer See. Am Ende schreibt er: „Aber das alles kommt nicht als etwas Neues; es ist die alte, verdrängte Einsicht, die sich wieder Raum schafft. Worum es jetzt überall geht, im Bilde von der Welt, wie in dem vom Menschen, ist dies: Zu sehen, wie die Kräfte zueinanderstehen. Quantität und Qualität; Rechnung und Schaffen; Maschine und Leben; Sache und Person. Im Einzelnen wie in der Gesamtheit.“

Ende

Vielleicht versteht man nun die Dimensionen zwischen dem deutschen Physiker Werner Heisenberg (1901–1976) und dem französischen Künstler Pierre Soulages (1919–2022). Die Kunsthistorikerin Marie-Amélie zu Salm-Salm machte mich auf diese Parallelen aufmerksam. Diese Nähe erscheint mir umso spannender als Heisenberg 1973 mit dem Guardini-Preis ausgezeichnet wurde. In seiner Rede Naturwissenschaft und religiöse Wahrheit anlässlich der Preisverleihung erzählte Heisenberg, wie nachhaltig beeindruckt er von Guardini war, seit er seine Schriften gelesen hatte, und dass er ihm als junger Mann persönlich begegnet war. Heisenberg sagt, dass wir seit dem berühmten Galileo-Prozess denken, dass die wissenschaftliche Wahrheit nicht mit der religiösen Interpretation der Welt hätte in Einklang gebracht werden können. Der Physiker möchte die Inhalte religiösen Denkens nicht einfach als Teil einer überholten Stufe des menschlichen Bewusstseins abzutun, auf den wir in Zukunft verzichten müssen. Er war gezwungen, immer wieder über die Beziehung zwischen diesen beiden geistigen Welten nachzudenken, weil er, wie er sagt, nie an der Realität dessen zweifeln konnte, was sie anzeigten. Guardini hatte in Heisenbergs Augen so überzeugend geschrieben, dass er versuchte, die Beziehung zwischen diesen beiden Wahrheiten zu beschreiben. Die Erkenntnisse des Physikers haben einen Bruch mit dem traditionellen Verständnis einer rein „objektiven“ Realität geschaffen. Nachdem er eine Wanderausstellung der Werke von Soulages im Jahr 1948/49 gesehen hatte, soll er – wie der Künstler in einem Interview mit Salm-Salm berichtete – gesagt haben, dass das, was diese Maler tun, nicht ähnlich, aber doch parallel sei zu dem, was sie täten. Sowie Soulages seit jeher der Ansicht ist, dass ein Bild immer wieder neu Sinne annimmt oder umwandelt, die Betrachter in ihm zu sehen vermögen, ist der Physiker der Meinung, dass das, was wir sehen, erfassen und objektivieren, nicht mehr nur dem Bereich der Realität und Wissenschaft angehört, sondern auch dem, was wir denken. Sinneswissen und Wissen des theoretischen Denkens sind nicht mehr zu trennen, sondern stehen in einem direkten Spannungsverhältnis. Heisenberg geht über das sogenannte Kausalitätsdenken hinaus, indem er den Zusammenhängen, den Beziehungen zwischen den Elementen eine Wissensebene zuschreibt. Seine Ergänzungstheorie geht demnach über das herkömmliche Verständnis einer objektiven Realität hinaus, und erkennt sogar parallele kognitive Prozesse als Teil der Realität an.

Für Heisenberg sind die Künste Zwischen-Wesen. In der Literatur wurden im Laufe der Zeit in Soulages Kunstwerken verschiedene kognitive Prozesse erkannt, die sich auf Neurologie, Musik, Poesie, Linguistik, Physik oder andere Bereiche beziehen. Der Filmregisseur Stéphane Berthomieux zeichnete in seinem Dokumentarfilm für Arte im Jahr 2017 ein transdisziplinäres Werk, da er u. a. Astrophysikern, Musikern und einem Pfarrer Raum gab von ihrer jeweiligen Nähe zu Soulages Kunst zu sprechen. Diese einzelnen Erkenntnisprozesse, die von einzelnen Disziplinen untersucht werden können, scheinen im Kunstwerk ein Ganzes zu ergeben, ohne dass sich die unterschiedlichen Erkenntnisprozesse vermischen, kombinieren oder ineinander integrieren lassen. Genau das ist das Wesen eines geschaffenen Werkes, das ein interdisziplinäres Bewusstsein in sich trägt, das – wie im Falle von Soulages – vom Betrachter erfahrbar und wiedererkennbar ist.

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