Verbotene Bücher in Klosterbibliotheken

Regelung von Aufbewahrung und Umgang mit der verbotenen Literatur

Im Rahmen der Veranstaltung "Verbotene Bücher", 24.03.2023

© DerBelter / Wikimedia Commons

In der Einleitung zur zehnten Auflage des deutschsprachigen Index Romanus von 1951 hält der Herausgeber und Osnabrücker Priester Albert Sleumer fest: „Es gibt wohl kaum eine zweite Disziplinfrage der katholischen Kirche, die von Zeit zu Zeit mit solcher Gehässigkeit und mit einem solchen Mangel an Wahrheitsliebe bekämpft wird, wie die Einrichtung des Index librorum prohibitorum, d. h. des Verzeichnisses verbotener Bücher.“

Der Verfasser lässt eine ausführliche Rechtfertigung der kirchlichen Bücherzensur folgen. Darin hebt er vor allem auf die kaum hinterfragten staatlichen Bücherverbote ab und schließt mit dem Satz: „Was dem Staate recht ist, das ist der Kirche billig“, also der Forderung nach Gleichbehandlung von staatlicher und kirchlicher Zensur. Da seine Rechtfertigung immerhin 113 von 192 Seiten des Buches einnimmt und viele Gegenargumente ausführlich zitiert und kaum widersprochen werden, kann man doch heraushören, dass eine Bücherzensur im Nachkriegsdeutschland und auf dem Hintergrund der schwarzen Listen der Reichskulturkammer als problematisch empfunden wurde.

Tatsächlich erschien 1948 die letzte Ausgabe des Index Romanus und 1966 wurden die Indexvorschriften außer Kraft gesetzt. Die Glaubenskongregation schrieb in einer eindrucksvollen Verlautbarung, dass die Gläubigen bei der Wahl ihrer Lektüre zwar nicht ganz den Glauben und den Anstand unberücksichtigt lassen sollten, dass aber die Kirche dem reifen Gewissen der Gläubigen und vor allem der Autoren und Verlage vertraue (AAS 1966, 445). So ganz uneingeschränkt war dieses Vertrauen allerdings nicht. Daher ergehen zwar heute keine Bücherverbote mehr, aber gelegentlich erlässt die Glaubenskongregation noch Notifikationen wie bei Leonardo Boff oder Jacques Dupuis.

Dank der Archivöffnung der früheren Indexkongregation im Jahr 1998 sind die kirchlichen Verbotsverfahren aus vier Jahrhunderten inzwischen zunehmend erforscht. Damit sind auch erstmals die internen Begründungen für die Bücherverbote zugänglich geworden, einschließlich der Namen der Denunzianten. Denn üblicherweise erging eine Indizierung ohne Anhörung und ohne Begründung. Die Aufarbeitung der Indexakten ist zum guten Teil ein Verdienst des DFG-Forschungsprojekts Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, in dessen Rahmen die römischen Akten unter Leitung des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf untersucht wurden. Die Öffnung der Indexakten brachte dabei auch Klärungen seltsam anmutender Bücherverbote: Wie der englische Historiker Peter Godman unter manchen anderen skurrilen Vorgängen nachweisen konnte war der Umstand, dass ein beträchtlicher Teil der Meisterwerke der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts auf dem Index stand, das Verdienst einer einzigen Person, nämlich eines besonders engstirnigen französischen Bischofs, dessen absurde Argumente Godman genüsslich zerlegt. Dennoch könnte noch viel geforscht werden, zum Beispiel zu den praktischen Folgen kirchlicher Zensurmaßnahmen, vor allem für die betroffenen Autoren und Theologen, die mit der Indizierung nicht selten vor dem Nichts standen.

Auf jeden Fall ist klar, dass die Frage nach verbotenen Büchern in der Kirche größere Themenkreise berührt, vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Kirche zu Wissenschaft und Kunst, zu Gewalt und Toleranz. Gerade weil sich beim kleinen Thema der verbotenen Bücher große Fragen eröffnen, soll im Folgenden nur auf Klosterbibliotheken kurz vor der Aufhebung des Index eingegangen werden, also um 1960. Dies hat einen ganz konkreten Grund: Der Buchbestand dieser Endzeit ist der interessanteste und umfangreichste, weil sich dort die ganze Bandbreite der Bücherverbote widerspiegelt, und für die Praxis kann man auf die Erinnerungen von noch lebenden Mitbrüdern und -schwestern zurückgreifen. Daher im Folgenden nur gelegentliche Blicke auf die Barockbibliotheken, deren weggeschlossener Bestand überwiegend aus protestantischer und etwas gallikanischer Literatur bestand.

Rechtliche Vorgaben

Zu Beginn sei kurz an die kirchenrechtlichen Vorgaben für Bücherverbote erinnert, die bis 1966 galten. Diese gehen zurück auf die frühchristlichen Verbote häretischer Schriften, die schließlich beim tridentinischen Konzil in der Bulle Dominici Gregis vom 24. März 1564 zusammengefasst wurden. Diese Bulle stellte entsprechend der Konzilsbeschlüsse 10 Regeln (regulae decem) auf, die definierten, was Katholiken nicht lesen durften. Zugleich wurde der erste Index der verbotenen Bücher veröffentlicht.

Man findet diese Vorschriften im Vorspann der Indexausgaben, zusammen mit den späteren rechtlichen Erweiterungen. Da die nachtridentinischen Vorschriften recht weitläufig sind, sei auf die recht gute Zusammenfassung in den Vorschriften des CIC/1917 verwiesen. Das Kirchenrecht in der reformierten Fassung von 1917 nennt in can. 1399 zwölf allgemeine Arten von verbotener Lektüre für Katholiken. Dazu zählen unter anderem Bibelübersetzungen nichtkatholischer Autoren, Schriften, die Glaubenssätze angreifen, Schriften protestantischer Autoren, wenn sie sich mit Religion befassen, erotische und astrologische Literatur. Bei den lateinischen Klassikern, die ja für den Schulunterricht gebraucht wurden, purifizierte man anstößige Stellen. Wer solche Bücher trotzdem besaß oder las oder weitergab, war nach can. 2318 eo ipso von den Sakramenten ausgeschlossen, also vor allem vom Kommunionempfang und einer katholischen Beerdigung. Von dieser Kirchenstrafe musste der Heilige Stuhl befreien.

Vom Leseverbot einzelner Bücher konnte nach can. 1402 der Ortsbischof dispensieren. Eine allgemeine Leseerlaubnis musste bei der Indexkongregation und später beim Heiligen Offizium erfragt werden, in der die Indexkongregation 1917 aufgegangen war. Nach can. 1405 hatten die Bischöfe außerdem in geeigneter Weise öffentlich vor glaubensschädlichen Büchern zu warnen. Für katholische Buchhändler war can. 1404 von Bedeutung, wonach Indexliteratur nicht verkauft werden durfte. Eine Ausnahme bildeten lediglich Katholiken mit Dispens wie theologi­sche Hochschulprofessoren.

Gegen diese Einschränkung hatte im Jahr 1919 Friedrich Pustet als Vorsitzender der katholischen Buchverlage protestiert und darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift den katholischen Buchhandel massiv schädige. Beispielsweise dürfe man bei den Gesammelten Werken beliebter Unterhaltungsschriftsteller wie Balzac, Alexandre Dumas, Victor Hugo, Heinrich Heine oder Flaubert einzelne Bände nicht ausliefern, weil die auf dem Index ständen. Dem Buchhandel solle doch eine gewisse Freiheit eingeräumt werden. Die Besorgnis der Buchhändler bezog sich dabei vermutlich nicht auf die ungefähr 6.000 Indexeinträge im engeren Sinne, die ja meistens ziemlich langweilige Literatur sind und schon damals wenig Leser hatten, sondern auf die Schriften, die gegen gute Sitten verstoßen und daher für Käufer besonders interessant waren.

Einen gewissen Höhepunkt fanden die Bücherverbote erneut im Rahmen des Antimodernismus: In der Enzyklika Pascendi Dominici gregis von Papst Pius X. vom 8. September 1907 wurden die Indexvorschriften nochmals verschärft und in ein System vermehrter Kontrollvorschriften eingebunden, vor allem im Bereich der theologischen Ausbildung und der Lehrbeaufsichtigung. Da die Indexkongregation die Vielzahl glaubensfeindlicher Schriften nicht mehr bewältigen könne, regte die Enzyklika an, dass die Bischöfe stärker einschreiten und über Zensoren bedenklich wirkende Bücher für ihre Diözese verbieten sollten, auch wenn diese vielleicht in anderen Bistümern erlaubt worden seien. Denn ein Buch, das in einer Diözese harmlos sei, könne in einer anderen schädliche Wirkungen entfalten. Neben den Bücherverboten des gesamtkirchlichen Index gab es also auch regionale kirchliche Bücherverbote.

Praxis in kirchlichen bzw. klösterlichen Bibliotheken

Für unser Thema wichtig ist die Vorschrift von can. 1403 § 2, wonach die Bücher so aufzubewahren waren, dass sie nicht in fremde Hände gelangen konnten: Insuper gravi praecepto tenentur libros prohibitos ita custodiendi, ut hi ad aliorum manus non perveniant. Dies bedeutete, dass kirchliche und damit auch klösterliche Bibliotheken die verbotenen Bücher in irgendeiner Weise separieren und unzugänglich machen mussten. So legt die Melker Bibliotheksordnung von 1625 fest: „Der Bibliothekar hat dafür zu sorgen, dass der Katalog der verbotenen Bücher, die separat aufzustellen und nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Oberen auszuhändigen sind, immer auf dem neuesten Stand ist.“ Auf dem neuesten Stand deswegen, weil bei Visitationen der Giftschrank überprüft werden und dabei ein unerklärtes Fehlen oder ein Zusatzbestand zu unbequemen Rückfragen führen konnte.

Frauenklöster besaßen kaum verbotene Bücher, da diese gar nicht erst aufgenommen wurden, schlossen allerdings gelegentlich Titel weg, welche anstößig schienen. Bei den Separata befanden sich nämlich auch viele Titel, die zwar nicht auf dem Index standen, aber von der Klosterleitung oder von dem Bibliothekar bzw. der Bibliothekarin als Verstoß gegen die guten Sitten eingestuft wurden. Dazu waren sie nach dem Kirchenrecht berechtigt, da auch Bücher, die gegen die boni mores verstoßen, unter Verschluss zu halten waren.

Die vorgeschriebene Zugangsbeschränkung wurde üblicherweise durch abschließbare Schränke erfüllt. Bei größeren Beständen konnte es aber auch ein eigener Raum sein wie in Maria Laach. Interessanterweise zeigte sich, dass in den angefragten älteren Stiften mit barocken Traditionen in Schweiz, Österreich und Bayern die Bücherverbote anscheinend nicht besonders ernst genommen wurden. Im Schweizer Kloster Engelberg beispielsweise waren verbotene Bücher ohne Einschränkung zugänglich, lediglich auf dem Eingangsblatt stand ein warnender Indexvermerk. Auch im Stift St. Peter in Salzburg waren indizierte Bücher frei zugänglich, allerdings nur für die Patres des Konvents, weil andere Nutzer üblicherweise nicht zugelassen waren. Lediglich auf dem Titelblatt stand jeweils „liber prohibitus“ oder „autor damnatus“, letzteres wenn wie bei Luther, Calvin oder Melanchthon die opera omnia verboten waren. In Kloster Einsiedeln gab es insofern eine Einschränkung, da die Bücher zwar frei zugänglich, aber nicht im Katalog verzeichnet waren, d. h. allein der Bibliothekar wusste, wo sie standen. Diese Praxis einer unterlassenen Katalogeintragung war möglicherweise auch eine Absicherung gegenüber Visitationen. Diese ungewöhnliche Praxis eines freien Zugangs zu verbotenen Büchern lässt sich möglicherweise aus Einflüssen durch die katholische Aufklärung erklären. Dagegen waren die im 19. Jahrhundert neu gegründeten Kongregationen von Beuron oder St. Ottilien wohl stärker vom Ultramontanismus geprägt und daher auch rechtstreuer bei der Einrichtung von Giftschränken.

Die Entscheidung über die Herausgabe eines verbotenen Buches erteilte zumindest in neuerer Zeit der Bibliothekar, bei etwas bedenklicheren Titeln konnte die Entscheidung des Abtes eingeholt werden. Novizen und Laienbrüder erhielten keinen Zugang zu verbotenen Büchern und meistens war ihnen überhaupt das Betreten der Bibliothek verboten. Uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek hatten üblicherweise nur die Patres. Für eine allgemeine Lektüreerlaubnis war ein Dispens vom Heiligen Stuhl, d. h. der Indexkongregation einzuholen. Diese konnte auch delegiert werden. Beispielsweise durfte in der Hochschule Einsiedeln der Abt immer zwei Professorenpatres eine uneingeschränkte Lektüreerlaubnis erteilen.

Mit Abstand die größten Mengen an libri prohibiti besaßen die Klöster mit einem Scholastikat oder einer philosophisch-theologischen Hochschule wie Einsiedeln, Beuron, St. Ottilien oder Maria Laach. Auch im sonstigen kirchlichen Bereich finden sich die umfangreichsten Sammlungen von libri heterodoxi oder haeretici in Studienbibliotheken, vor allem der Jesuiten, wie sich beispielsweise aus den erhaltenen Bücherverzeichnissen der Jesuitenkollegien von Rottenburg, Freiburg und Konstanz ersehen lässt.

Wie die Einrichtung des Giftschranks zeigt, sollten die Bücher nicht vernichtet werden, sondern das Anliegen war eine Zugangsbeschränkung. Zugang erhielten Ordensleute, welchen der zuständige Obere die ausreifende geistige Reife zutraute, um mit nicht-katholischen Inhalten angemessen umzugehen. In Klöstern mit philosophisch-theologischer Ausbildung gehörte die Begegnung mit nicht-katholischen oder kontroversen Themen im Rahmen des Fachs Apologetik auch zum Studieninhalt. Dies natürlich in sorgfältig abgesicherter Form, die gleich schon die passende Antwort auf kritische Anfragen der kirchenfeindlichen Seite lieferte. Aber es konnten auch nicht-katholische Bücher vom jeweiligen Fachdozenten ausgegeben werden, was vom Bibliothekar zu bestätigen war. Wenn ein Ordensstudent von sich aus etwas Verbotenes lesen wollte, musste er sich das vom Klerikermagister genehmigen lassen.

Insgesamt scheint in der Nachkriegszeit das Verhältnis zu indizierten Büchern zunehmend lockerer geworden zu sein. Wie ein Mitbruder erzählte, habe ein Dozent seinen Studenten die Lektüre von Teilhard de Chardin nahegelegt, allerdings darum gebeten, dass es nicht nach außen dringe.

Wo kamen die verbotenen Bücher her?

Den Ursprung der verbotenen Bücher kann man zu einem beträchtlichen Teil anhand der Besitzvermerke im Eingangsbereich der Bücher nachvollziehen: In vielen Büchern findet man im Vorsatz Namen, Stempel oder Exlibris der Vorbesitzer. Die erhaltenen Bestände oder Listen zeigen deutlich, dass indizierte Bücher nie erworben wurden, sondern durch Schenkungen oder Nachlässe, auch Nachlässe von Mönchen, in Klosterbibliotheken gelangten. Es gibt allerdings Ausnahmen, nämlich Schriften von katholischen Theologen wie Joseph Wittig, Franz Wieland oder Herman Schell, die ganz normal erworben wurden und nach ihrer Indizierung in den Giftschrank verbannt wurden.

Dennoch besaßen manche Klöster erstaunlich umfangreiche Sammlungen thematisch weit gestreuter Indexliteratur, was hauptsächlich an der Qualität der Nachlässe lag. Dafür zwei Beispiele: Im Giftschrank der Abtei Maria Laach, der ungefähr 2.000 Bände umfasst, kamen ca. 550 Bände, also gut ein Viertel, aus dem Nachlass von Friedrich von Rosenberg-Gruszczynski (1838–1913). Bei dieser Person handelt es sich um den Spross einer preußischen Beamten- und Soldatenfamilie. Entsprechend der Familientradition wollte er Berufssoldat werden, musste dann aber wegen Kränklichkeit den Dienst quittieren. Er zog daraufhin zu seinen Eltern nach Bonn, vertiefte sich dort als Privatgelehrter zunehmend in theologische Fragen und konvertierte schließlich zum katholischen Glauben. Sein Nachlass enthält auf anspruchsvollem Niveau evangelische Studien- und Predigtliteratur, dazu zahlreiche Kontroversschriften, vor allem zur Leben-Jesu-Forschung. Dazwischen finden sich auch Autographen von wohl befreundeten Theologen wie des Elberfelder Pastors Wilhelm Löhr oder des Berliner Pastors ­Emil Steffann.

Im Giftschrank von St. Ottilien stammt der qualitativ beste Teil gleichfalls aus einem einzigen Nachlass, nämlich des russischen Priesters Graf Sergius von Grum-Grgimaylo (1866–1945). Anhand des Besitzvermerks auf dem Vorsatzblatt lassen sich 108 libri prohibiti seinem Nachlass zuordnen, wobei es sicher etliche mehr sind, die nicht eigens gekennzeichnet waren. Graf Grum-Grgimaylo stammte aus einer St. Petersburger Großgrundbesitzer- und Gelehrtenfamilie, war zum katholischen Glauben konvertiert und in Innsbruck zum Priester geweiht worden. In München lebte er als Privatgelehrter im Ottilianer Studienkolleg. Später verschlug es ihn nach Berlin als Seelsorger für russische Emigranten. Er starb 1946 in Wien. Sein Forschungsgebiet war eine umfassende Aufarbeitung der modernistischen Theologie, die er samt und sonders als religiös eingefärbten Kantianismus nachweisen wollte. Mit diesen Bemühungen einer Systematisierung des Modernismus lag Grum-Grgimaylo auf der Linie der genannten päpstlichen Enzyklika Pascendi Dominici gregis von 1907, welche hinter sämtlichen liberalen und reformkatholischen Bestrebungen eine einheitliche „Lehre“ vermutete. Für dieses Unterfangen hatte er eine systematische Sammlung modernistischer Literatur in französischer, italienischer und deutscher Sprache aufgebaut.

Systematik und Inhalt der verbotenen Bücher

Die Einstellung der verbotenen Bücher erfolgte meist chronologisch nach Zugang. Dabei gibt es gelegentlich Sonderentscheidungen wie in Maria Laach, wo beispielsweise Neuzugänge von Schriften des Rousseau oder des Ulrich von Hutten unter einer Signatur zusammengestellt wurden. Die aufwändigste Einteilung findet sich in Kloster St. Ottilien, wo der Giftschrank mit gut 1200 Bänden in 29 Kategorien unterteilt ist, welche die Systematik der Hauptbibliothek übernehmen. Man findet also für jede erlaubte Abteilung wie Dogmatik, Aszese, Geschichte oder Kunst eine Gegenabteilung mit unerlaubter Literatur zu den gleichen Themen. Aufgrund der thematischen Einteilung in St. Ottilien kann man auch sehen, dass der umfangreichste Teil der ausgesonderten Bücher den Bereich der Bibelexegese und Kirchengeschichte betrifft. Das hat mit den modernistischen Auseinandersetzungen um die Jahrhundertwende zu tun, die eben diese Fächer wegen des kirchlicherseits verurteilten historisch-kritischen Ansatzes besonders hart traf.

Die Funktion der Bücherverbote

Man trifft heute auf viele Klagen über den Verlust des geschlossenen katholischen Milieus, wie es noch weit bis in die Nachkriegszeit bestand. Bei dieser katholischen Burg der Vergangenheit muss man sich bewusst bleiben, dass die geschlossene Front auf Kosten vieler Ordnungsmaßnahmen mit Zwangscharakter erkauft war. Der Giftschrank war ein Teil dieser Zwangsmaßnahmen und reihte sich in ein ganzes System kirchenrechtlicher Ver- und Gebote ein, die die katholische Identität sichern sollten. Diese wurden auf höchster Ebene durch die päpstlichen Lehrschreiben festgelegt, welche definierten, was katholisch war und was nicht.

Die Zensur war dabei nur ein Baustein im Bereich kirchlicher Sanktionen: Wenn ein katholischer Theologe ins Visier der Glaubenskongregation geraten war, wurde üblicherweise die Ordensleitung oder der zuständige Bischof informiert, es kam zur Forderung nach einer Unterwerfungserklärung, Vorlage unpublizierter Schriften bei einem Zensor, einer Herabstufung und Versetzung, und im Extremfall zu einem Lehr- und Schreibverbot. Dabei verfuhr man zunehmend „großzügig“ und beließ es bei einer bloßen Unterwerfungsforderung ohne Zwang zum Widerruf: Als beispielsweise der Dominikanertheologe Marie-Dominique Chenu 1954 von seinem Lehrstuhl entfernt wurde wegen seiner theologischen Unterstützung der Arbeiterpriester, sagte er zum Ordensgeneral: „Ich stehe weiter zu meiner Lehre, aber ich akzeptiere auch die Konsequenzen der von mir vorgetragenen Wahrheit.“

Ähnlich erging es den Jesuiten Henri de Lubac oder Teilhard de Chardin, über die zwar bei der Glaubenskongregation ein belastendes Dossier angelegt wurde, bei denen es dann aber bei ordensinternen Maßregelungen und Lehrverboten belassen wurde. Auch bei Graham Greene wurde so verfahren – als sein Buch Die Kraft und die Herrlichkeit indiziert werden sollte, intervenierte Kardinal Montini, also der spätere Papst Paul VI., so dass am Schluss nur der Kardinal von Westminster Graham Greene im persönlichen Gespräch um mehr Zurückhaltung bei der Behandlung katholischer Themen bat.

Das präventive Gegenstück zur Nachzensur ist die Vorzensur, die im kirchlichen Bereich über das Imprimatur ausgeübt wird. Das Imprimatur wurde 1515 von der Kurie eingeführt, also noch vor dem Tridentinum, aber auch im Zusammenhang mit der Abwehr protestantischer Ideen. Erneut darf auf das CIC von 1917 verwiesen werden, weil es die nachtridentinische Rechtslage gut zusammenfasst. Dort wird die praevia censura direkt vor dem Bücherverbot geregelt. Nach can. 1385 musste jede Schrift mit religiösem Inhalt oder zu moralischen Fragen vor ihrem Erscheinen vom Ortsbischof genehmigt werden. Autoren, die zu einem Orden gehörten, mussten ein Imprimatur ihres höheren Oberen erbitten. Für Priester galt, dass jede ihrer Veröffentlichungen, egal um welches Thema es sich handelte, vom zuständigen Bischof zu genehmigen war. Ordenspriester brauchten ein Imprimatur von ihrem höheren Oberen sowie vom jeweiligen Ortsbischofs. Für die Bücherprüfung wurden und werden Zensoren eingesetzt. Das Imprimatur musste im veröffentlichten Buch mit abgedruckt werden, und dabei den Namen des genehmigenden Zensors und Ort und Zeitpunkt der Genehmigung enthalten. Dank des Imprimatur war bei religiösen Schriften schnell klar, was katholisch war und wo man den Giftschrank ­in Erwägung ziehen konnte.

Heute ist das Imprimatur weitgehend verschwunden, allerdings in manchen Kongregationen, Orden und katholischen Hochschulen weiterhin üblich. Ansonsten ist das frühere System von Vor- und Nachzensur durch Empfehlungen verschiedener Einrichtungen wie den katholischen Bibliotheks- oder Filmdiensten abgelöst worden, welche der katholischen Welt Literatur, Filme oder Kunst nahelegen oder auch kritisch beurteilen. Damit soll der Blick für christliche Inhalte und Anliegen geschärft bleiben, wobei der konfessionell-katholische Standpunkt kaum mehr eine Rolle spielt.

Zum wissenschaftlichen Wert einer Beschäftigung mit libri prohibiti

Das Thema der „Giftschränke“ wirkt heute kurios oder erweckt Befremden. Wir reagieren mit moralischer Entrüstung, weil durch Leseverbote Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Man muss auch offen zugeben, dass die Giftschränke mehr Abgrenzung als Berührung brachten: Viele Klöster besaßen zwar große Sammlungen heterodoxer Literatur, diese wurden aber nur wenig gelesen. Das heutige Unverständnis für zeittypische Erscheinungen wie Zensur und Leseverbote hat dazu geführt, dass die Giftschränke als antiquierte Erscheinungen weitgehend aufgelöst wurden. Gibt es aber vielleicht doch einen möglichen Erkenntnisgewinn, wenn wir diese Tradition vertieft aufarbeiten? Im Folgenden seien einige Gesichtspunkte genannt, die für eine nähere Beschäftigung mit „verbotenen Büchern“ sprechen:

1) Quellengeschichtlicher Aspekt: Wer sich mit theologischen und kirchenpolitischen Kontroversen wissenschaftlich beschäftigt, wird die Giftschränke als Fundgruben schwer auffindbarer und oft kaum bekannter Literatur schätzen. Die neuzeitliche Geschichte der Kirche ist durchzogen von zahlreichen Konflikten, zunächst die konfessionellen Grabenkämpfe zwischen den Kirchen, dann aber auch die Auseinandersetzungen um Jansenismus, Gallikanismus, Febronianismus, Josephinismus, Illuminaten und Freimaurer, antijesuitisches Schrifttum, Kölner Wirren, Hermesianismus, Güntherianismus, Erstes Vaticanum, Gründung der altkatholischen Kirche, Kulturkampf, Darwinismus, Esoterik, Modernismus, historisch-kritische Exegese, Nationalsozialismus, Kommunismus, Arbeiterpriester, nouvelle théologie, sexuelle Revolution. Zu all diesen Themen findet man Flugschriften, Pamphlete und schwer erhältliche Titel, die hier auf engem Raum zusammenstehen und als Zeitzeugen eines kulturgeschichtlichen Brennpunkts, einer heftigen kirchlichen Kontroverse überlebt haben.

2) Lokalgeschichtlicher Aspekt: Ein beträchtlicher Teil der verbotenen Literatur in den Giftschränken enthält Besitzeinträge oder Herkunftsnachweise. Wir können also gut Nachlässe, Ankäufe oder Geschenke nachvollziehen. Das hilft bei der Klärung der Bibliotheksgeschichte und beim Nachweis der zumeist kaum aufgearbeiteten Vernetzungsgeschichte eines Klosters. Da eine Reihe Bücher auch aus dem Privatbesitz von Mönchen stammt, gibt der Giftschrank außerdem Auskunft über unkonventionelle Lesegewohnheiten in der Klostergemeinschaft und erhellt damit individuelle Biographien.

3) Kirchengeschichtlicher Aspekt: Die Bestände des Giftschranks erfahren in der Zeit zwischen 1870 bis 1958 eine außerordentliche Verdichtung. Dies hat vor allem mit der innerkirchlichen Durchsetzung des römischen Lehramts sowie des Neothomismus und den Modernismusstreitigkeiten zu tun. Ein wichtiges kirchenpolitisches Instrument waren dabei Verurteilungen und Indizierungen. Dabei gab es je nach Papst und Präfekt der Indexkongregation unterschiedliche Phasen des Vorgehens mit Indizierungen. Beispielsweise ermahnte Papst Benedikt XIV. 1914 die Indexkongregation, dass ihre Aufgabe nicht ausschließlich in der Verdammung denunzierter Bücher, sondern in einer unparteiischen Begutachtung bestehen müsse. Die Auswertung der Giftschränke kann unter anderem Bausteine liefern für die Geschichte des Ultramontanismus und des antirömischen Affektes.

4) Kulturgeschichtlich-soziologischer Aspekt: Eine Identität gewinnt man zu einem guten Teil durch Abgrenzungen. Die katholische Kirche macht davon keine Ausnahme. Die Giftschränke mit ihren umfangreichen Sammlungen schwer erhältlicher und grauer Literatur geben einen verdichteten Überblick über die Strömungen, Standpunkte, Theologien und Ideologien, von denen sich die katholische Kirche absetzte. Wenn man ihren Inhalt genauer durchgeht, dann erfährt man anhand zahlreicher heute vergessener Titel, wo die katholische Kirche ihre Gegner sah. Damit ermöglichen sie gewissermaßen eine negative Annäherung an das Selbstverständnis der katholischen Kirche und schärfen unseren Blick für eine ungern gesehene und daher oft übersehene Seite kirchlichen Lebens, nämlich die Selbstdefinition durch Grenzziehungen gegenüber anderen Standpunkten.

5) Phänomenologisch-theologischer Aspekt: Die evangelische Kirchengeschichtsschreibung hat eine wichtige Anregung durch Gottfried Arnolds Unparteiische Kirchen- und Ketzergeschichtsschreibung von 1699 erfahren. Darin hat der pietistische Theologe Arnold wohl zum ersten Mal kirchliche Kontroversen nicht polemisch, sondern nach seinen Worten „unparteiisch“ dargestellt: Sogenannte Häresien zeigen oft Missstände auf und führen langfristig oder in der Reaktion zu einem theologischen oder spirituellen Fortschritt, sie bringen also einen Erkenntnisgewinn, ja gehören in gewisser Weise zur „Heilsgeschichte“. Man muss dabei Arnold nicht in seiner Umwertung folgen, dass auf einmal Ketzer zu den besseren Christen erklärt werden. Aber Arnolds geweiteter Blick auf das religiöse Leben in seiner Vielfalt und Gegensätzlichkeit hilft für ein umfassenderes Bild kirchlichen Lebens. Sie kann uns bewusster machen, durch welche Mechanismen Lehrmeinungen zur Vorherrschaft gelangen und andere Positionen ausgegrenzt werden. Eine solche Kulturgeschichte der theologischen Abgrenzungen, der katholischen Minderheiten und der Lehrstreitigkeiten würde viele kirchliche Erscheinungen und vor allem Empfindlichkeiten bis hin zur Gegenwart verständlicher machen und vielleicht zu einem reiferen Umgang mit Dissens und theologischen Meinungsverschiedenheiten beitragen.

Das alles setzt voraus, dass der Auflösung der Giftschränke Einhalt geboten wird. Daher sollten Bestände verbotener Bücher, soweit es sie noch gibt, als kulturgeschichtlich interessanter Sonderbestand aufbewahrt und erschlossen werden.

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