Ich wurde an den Hängen des Kilimandscharo geboren, wo wir einen sehr ausgeprägten Sinn für das Zusammenleben haben. Allerdings hatten wir einen Nachbarn, der nie lachte. Manchmal hat er auch seine Kinder und Frau verprügelt. Er war ziemlich unhöflich und wir mochten ihn nicht. Nachbarn gaben ihm den Spitznamen „Mkoloni“, das swahilische Wort für Kolonialist. Das war das erste Mal, dass ich von diesem Begriff hörte. Als Kind wusste ich: Dieser Begriff muss mit etwas Bösem oder Schlechtem zu tun haben.
Dann begann das Schulleben in den frühen 1980er Jahren. Zu dieser Zeit hörte ich von meinen Lehrern mehr über Kolonialismus. Sie können sich vorstellen, was unsere damalige sozialistische Regierung uns über Europa und sein Engagement in Afrika beibrachte. Wir lasen darüber, was die Belgier im Kongo, die Briten in Kenia, die Deutschen in Namibia und natürlich in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, taten. Die Geschichte war fast immer dieselbe: Fremde, die in die traditionelle Lebensweise der Afrikaner eingriffen, Zwangsarbeit, Diebstahl von Rohstoffen oder Kulturgütern, Brutalität, Amputationen, Tötungen und, und, und …
Rückblick mit historischem Blick
Ereignisse finden in bestimmten historischen Kontexten statt. Das frühe Leben der benediktinischen Mission in Deutsch-Ostafrika gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann fast zeitgleich mit der Einführung des deutschen Kolonialismus in unserem Land. Die benediktinischen Missionare begannen mit ihrer Arbeit zu der Zeit, als die Berliner Konferenz (1884–1885) den Erwerb von Kolonien gebilligt hatte. Es war ein historischer Rahmen, auf den die Benediktiner keinen Einfluss hatten. Aus heutiger Sicht waren die Kolonialisten und die Missionare sicherlich unterschiedliche Gruppen – jede mit ihrer eigenen Agenda. Damals war diese Unterscheidung für unser Volk jedoch nicht klar.
Der berühmte südafrikanische Erzbischof Tutu hat einmal gesagt: „Als die Missionare nach Afrika kamen, hatten sie die Bibel und wir hatten das Land. Jetzt haben wir die Bibel und sie haben das Land.“ Der kenianische Dichter und Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o stimmt Tutu zu, wenn er schreibt: „Die Missionare sagten uns, wir sollten unsere Augen schließen, um zu beten. Als wir sie öffneten, war unser Land verschwunden.“ Die Ermordung von Bischof Cassian Spieß und anderen Benediktinermissionaren in Tansania ist ebenfalls ein Beweis dafür. Die Mörder betrachteten auch Missionare als Weiße, die gekommen waren, um ihr Land zu nehmen. Es war nicht so einfach, eine Unterscheidung zu treffen. Wenn wir jetzt zurückblicken, ist die Situation klarer. Jetzt wissen wir, wer die Bösen und wer die Guten waren: Der Kolonialismus wurde beendet, Mission geht weiter …
Waren Missionare Agenten des Kolonialismus in Afrika?
Dies ist eine provokante Frage. Ihre Beantwortung hängt von demjenigen ab, der sie stellt. Richtet sich diese Frage an Andreas Amrhein und seine erste Gruppe von Missionaren, so wird die Antwort definitiv negativ ausfallen. Würde man hingegen argumentieren, dass die Benediktinermissionare in Tanganjika eine koloniale Agenda ihrer Heimatländer umsetzten, würde ich dieses Argument als absurd bezeichnen.
Ein Afrikaner mit moderaten Ansichten – wie ich – würde die Frage mit der zweideutigen deutschen Antwort JEIN beantworten.
Warum Ja?
1. Missionare spalteten: Bevor die Missionare kamen, hatte unser Volk keinen theologischen Streit untereinander. Die Missionare teilten unsere Gesellschaften in katholische und protestantische Gebiete auf und trennten somit die Stämme. Mein Chagga-Stamm am Kilimandscharo ist ein gutes Beispiel dafür – bis heute.
Die Gesellschaften wurden von den Missionaren in Heiden und Christen unterteilt. Die Afrikaner begannen, an ihren traditionellen Werten zu zweifeln, die sie jahrhundertelang gepflegt hatten. Dies führte auch zu einer Spaltung in ihren Herzen, da sie versuchten, die neuen christlichen Werte zu übernehmen und gleichzeitig ihre traditionellen Gewohnheiten beizubehalten. Ich kann Ihnen sagen, dass dieser Schaden auch heute noch in ganz Afrika zu beobachten ist. Bis heute wird der traditionelle Glauben Hand in Hand mit dem christlichen Glauben praktiziert.
2. Missionare waren indirekt oder direkt Agenten der Assimilation:
Abgesehen von der echten Evangelisierung ist es unbestreitbar, dass die Missionare entscheidend dazu beigetragen haben, die Afrikaner in die „modernen“ europäischen Werte und Lebensweisen einzuführen. Dies zeigte sich in folgenden Punkten:
- Sozialer Aspekt: Sprache, Kleidungsstil, westliche Bildung. All dies wurde an die koloniale Lebensweise angepasst.
- Wirtschaftlicher Aspekt: Produktionsmittel wie die Einführung von Cash Crops wie Kaffee am Kilimandscharo und anderswo passten gut in das koloniale Wirt-
schaftssystem. - Politischer Aspekt: Die Missionare mussten sich an das koloniale politische System halten. Sie arbeiteten mit ihm und ermutigten ihre Gläubigen sicher nicht zum Widerstand. Lambert Dörr schreibt über die Bemühungen von Abtbischof Gallus Steiger, dass dieser dafür zu sorgen hatte, dass seine Missionare in keiner Weise die Politik der Kolonialregierung kritisieren.
Bei der Bewertung dieser beiden Punkte möchte ich abschließend sagen: Die Spaltung der Gesellschaft ist sicher ein negativer Beitrag der Missionare. Auch wenn der Aspekt der Assimilierung seine Schattenseiten hat, muss ich sagen, dass es die westliche Bildung und die Einführung von Nutzpflanzen wie Kaffee waren, die einige afrikanische Gesellschaften zu Fortschritt und moderner Entwicklung katapultiert haben.
Und das bringt uns zu unserer ursprünglichen Frage: Waren Missionare Agenten des Kolonialismus? Meine Antwort lautet: JEIN.