Weitergabe des Glaubens?

Moderne Formen religiöser Bildung

Im Rahmen der Veranstaltung Was ist religiöse Bildung?, 20.10.2022

© Wendy van Zyl, canva

Religiöse Bildung ist ein Schlüsselbegriff der Religionspädagogik, die als wissenschaftliche Reflexion religiöser Bildung definiert werden kann. Da der Begriff der religiösen Bildung je nach Kontext, geschichtlicher Verortung und religiösem Referenzrahmen unterschiedliche Konturierungen erfährt, fokussieren die folgenden Ausführungen den gegenwärtigen deutschsprachigen Diskurs zu (religiöser) Bildung aus christlicher Perspektive und benennen ausgewählte aktuelle religionspädagogische Überlegungen zu religiöser Bildung.

Klärung des Bildungsbegriffs

Der Begriff Bildung wird heute in verschiedenen Lebensbereichen wie Politik, Wirtschaft, der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und im Bildungswesen verwendet und erfährt je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen. Unterschieden werden kann zwischen einer beschreibenden Verwendung, wie bei Bildungswesen oder schulische Bildung, und einer normierenden Verwendung, wie dies bei Bildungsstandards oder lebenslanger Bildung der Fall ist. Das Wort Bildung umfasst sowohl den Vorgang (sich bilden) als auch das Ergebnis, das sich in der Entwicklung von Fertigkeiten, Steigerung des Wissens oder kognitiver Fähigkeiten sowie der Formung einer Haltung ausdrücken kann. Der deutschsprachige Begriff der Bildung führt seit seiner ersten Blütezeit im 18. Jahrhundert unterschiedliche inhaltliche Akzente mit, von denen ich einige für mein religiöses Bildungsverständnis relevante Aspekte benennen möchte:

Jeder Mensch ist bildsam und bildungsbedürftig. Der Akzent von Bildung liegt auf Selbstbildung und Selbstreflexion, da diese von jedem Menschen eigenständig zu realisieren ist. Jede Person kann sich ausschließlich selbst bilden, der Prozess der motivierten, selbsttätigen Entfaltung der Person steht im Vordergrund. Dementsprechend ist ein Maß an Freiheit die Voraussetzung für Bildungsprozesse. Bildung umfasst ein reflexives Moment, wodurch sich Menschen Sachverhalte, Prozesse oder Situationen bewusstwerden und sich in ein Verhältnis zu diesen setzen.

Bildung als Prozess schließt Lernen ein und ist auf Überlieferung, auf geschichtliche Wissensbestände etc. bezogen, die gelernt und kritisch reflektiert werden können. Bildung weist darüber hinaus, da diese das Menschsein als Ganzes, d. h. Subjektwerdung, Transformation des Selbst- und Weltverständnisses, Verantwortungsübernahme etc. umfasst. Sie verweist auf eine Mehrdimensionalität des Lebens, da unterschiedliche Dimensionen wie kognitive, emotionale, ästhetische, ethische, politische Dimensionen im Prozess der Bildung entfaltet werden. Gleichzeitig ist Bildung mehr als die Summe der entfalteten Dimensionen. Es tritt die Aufgabe hinzu, dem Leben eine Gestalt, eine lebensförderliche Ordnung, zu geben. Bildung bezieht sich nicht auf die Steigerung und Ergänzung von Welt- und Selbsterschließung, sondern umfasst eine grundlegende Veränderung, sich auf sich selbst, auf andere und die Welt zu bezieht. Sie ist lebensbegleitend-transformatorisch, ihr ist ein Moment des Unbestimmten und Idealen eingeschrieben und wird häufig eine visionäre Kraft zugeschrieben.

Des Weiteren zielt Bildung auf die Subjektwerdung des Menschen, was gleichzeitig ein unabschließbarer Prozess ist. Dieser Prozess der Subjektwerdung vollzieht sich in Beziehungen mit anderen. Bildung ist daher stets auf personale Beziehung angewiesen. So lernt der Mensch u. a. andere Personen wahrzunehmen und zu kommunizieren. Bildung kann als Existenzprojekt verstanden werden, in dem Menschen ein Bewusstsein und darin ein Verhältnis zu Personen, Dingen und sich selbst entwickeln und im Horizont der Geschichte und des Lebens mit anderen handlungsfähig werden. Damit verwoben ist die kritisch-solidarische Aufgabe und das gesellschaftspolitisch-kritische Potenzial von Bildung. Ein Anspruch von Bildung nach Helmut Peukert ist, sich gegenseitig in einer gemeinsamen Welt Leben zu ermöglichen. Dies umfasst den Erhalt des Lebensraumes, Nachhaltigkeit, einen verantwortlichen Umgang mit Kultur und Technik sowie die Frage nach Gerechtigkeit und Frieden unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Solidarität. Darin wird deutlich, dass Bildung die Auseinandersetzung mit Unvollkommenheit, Kritik und Grenzerfahrungen umfasst. Einerseits können sich in der Auseinandersetzung mit Unvollkommenheit, Grenzerfahrungen und Krisen Bildungsprozesse ereignen, andererseits konfrontiert Bildung mit eigenen Grenzerfahrungen und Unverfügbarkeiten. Zudem ist Bildung selbst stets fragmentarisch und unvollständig.

Dieses skizzierte Bildungsverständnis widerspricht erstens gegenwärtigen Tendenzen einer vereinnahmenden Verwendung von Bildung, in denen diese durch ökonomische Zwänge auf Verwertbarkeit reduziert wird und durch Bildung das Wirtschaftswachstum im jeweiligen Land erhöht werden möchte. Zweitens steht dieses Bildungsverständnis Tendenzen entgegen, die den Begriff der Bildung verzwecken, um die Elite der „Gebildeten“ von den „Ungebildeten“ abzugrenzen. Um den Bildungsbegriff nicht zu verkürzen, ist Bildungskritik notwendig – auch um Fortschrittsgläubigkeit immer wieder kritisch anzufragen. Insbesondere religiöse Bildung kann deutlich machen, dass ein Selbstwerdungsprozess nicht strategisch zu verwerten ist.

Zusammenhang Religiöse Bildung und Glaube?

Unter Berücksichtigung des eben skizzierten Bildungsverständnisses stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von religiöser Bildung und Glaube: Was bedeutet dieses Bildungsverständnis für die Weitergabe des Glaubens, wie dies im ersten Teil des Titels als Fragestellung formuliert ist?

Deutlich wird in der Breite des formulierten Bildungsverständnisses, dass religiöse Bildung nicht in der Weitergabe des Glaubens aufgeht. Der Begriff der Weitergabe adressiert die Person, die weitergibt und nicht die Selbsttätigkeit der sich bildenden Person. So zeigen beispielsweise die Aspekte der Subjektwerdung, die Bedeutung des reflexiven Elements sowie die freie Verantwortungsübernahme von Personen auf, dass das Anliegen, Glaube weiterzugeben, sowohl begrifflich als auch im Anspruch dem weiten Anliegen religiöser Bildung nicht gerecht wird. Wo wäre in einer Weitergabe die Reflexion, die kritische Auseinandersetzung mit Tradiertem und exogenen Impulsen?

Dennoch stehen Bildung und Glaube im Verständnis dieses religionspädagogischen Bildungsbegriffs in einer Wechselwirkung: Hier kann die Unterscheidung des Wortes „Glauben“ in die inhaltliche Ausprägung des Glaubens (fides quae creditur) und den Akt des Glaubens (fides qua creditur) herangezogen werden, wobei diese aufeinander verwiesen sind. Außer Frage steht, dass Inhalte des Glaubens (fides quae creditur) lehr- und lernbar sind, dass sie sich geistig aneignen und verarbeiten lassen. So ist es realistisch, dass Personen den Glauben von Menschen in Vergangenheit und Gegenwart kennen und nachvollziehen. Die Frage nach Lehr- und Lernbarkeit, nach der Weitergabe des Glaubens richtet sich auf den Aspekt des existenziellen Vollzugs, also auf fides qua creditur, auf den Akt des Glaubens. Religiöses Lernen kann im Sinne des fides quae creditur Möglichkeiten eröffnen, konkrete Religionen kennenzulernen und somit Voraussetzungen schaffen, einen konkreten Glauben existenziell zu bejahen. Fides qua ist auf fides quae angewiesen, wobei gleichzeitig fides quae auf fides qua verweist, weil der Inhalt des Glaubens Gott selbst ist.

Da der Glaube mit Erfahrungen, deren Reflexion und dem Verstehen von Sprache und dem Kennen von Glaubensinhalten verwoben ist, kann im Zusammenhang mit Glauben von Lernen gesprochen werden. Glaube und religiöse Bildung stehen in einer Beziehung der Wechselseitigkeit. So ist Glaube auf Bildung angewiesen, da der Glaube selbst zu bilden und in die personale Identität zu integrieren ist. Durch religiöse Bildung eignet sich der Mensch Reflexionsfähigkeit und Urteilsbildung an und kann dadurch bewusste Glaubensentscheidungen treffen. Gleichzeitig gilt es im Kontext religiöser Bildung, die Unverfügbarkeit von Glaubensentscheidungen bewusst zu halten. In dieser Unverfügbarkeit des Glaubens zeigen sich Grenzen, die jedes pädagogische Handeln prägen, was bei komplexen Lernvorgängen besonders deutlich wird. Die Wirksamkeit pädagogischen Handelns entzieht sich der äußeren Einflussnahme, wie dies auch im religiösen Bildungsbegriff grundgelegt ist. Religiöse Lehr- und Lernprozesse können den Menschen nicht zu einem gläubigen Menschen machen, Glaube kann nicht hergestellt und somit nicht weitergegeben werden. Demnach kann die Weitergabe des Glaubens nicht das Anliegen und die Zielsetzung heutiger religiöser Bildung sein.

Was aber ist dann das Anliegen und die Zielsetzung religiöser Bildung? Bildungspraxis kann Räume eröffnen, in denen Personen ihren Zugang zu Glauben und Religion reflektieren und sich mit anderen Personen über ihre Erfahrungen und Einstellungen verständigen können. Wird das Transformatorische, das dem Bildungsbegriff eingeschrieben ist, berücksichtigt, ist es Anliegen religiöser Bildung, das eigene Welt- und Selbstverständnis anzufragen und herauszufordern. Dazu gilt es, die unterschiedlichen Lebenswelten, individuellen Voraussetzungen sowie religiösen und weltanschaulichen Einstellungen in den Blick zu nehmen. Neben den individuellen Faktoren beeinflussen gesellschaftliche und institutionelle Faktoren religiöse Bildungsprozesse. Die institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigend zeigt sich, dass je nach Lernort unterschiedliche Formen religiöser Bildung angeboten werden. Lernorte, denen sich religionspädagogische Überlegungen widmen, sind vor allem die Schule und die Gemeindekatechese, aber auch Erwachsenenbildung, Familie, elementare Bildungseinrichtungen, kirchliche Jugendarbeit oder digitale Medien. Da im jeweiligen Kontext, ausgehend vom zugrundeliegenden Anliegen religiöser Bildung, unterschiedliche Formen religiöser Bildung angeboten werden, fokussieren die folgenden Überlegungen aus dem religionspädagogischen Diskurs den Lernort Schule.

Lernort Schule – Zielsetzung und Formen religiöser Bildung heute

Schule ist ein Bildungsort, an den vielfältige Erwartungen mit unterschiedlichen Absichten gestellt werden. So ist auch der Religionsunterricht mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert, denen er nicht allen gerecht werden kann. Wird das weite Bildungsverständnis zugrunde gelegt, hat sich Religionsunterricht gegen eine Funktionalisierung wie beispielweise im Sinne der Ökonomisierung oder dem Gewinn von Kirchenmitgliedern oder der Glaubensweitergabe abzugrenzen. Vielmehr ist das übergeordnete Anliegen religiöser Bildung in der Schule, wie dies im Dokument „Religionsunterricht in der Schule“ 1974 im Rahmen der Würzburger Synode (1971–1975) benannt worden ist, dass dieser zu „verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen“ soll.

Anliegen religiöser Bildung in der Schule ist es dementsprechend, Schüler:innen Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit Glauben und Religion zu befassen und sich dazu reflektiert in ein Verhältnis setzen zu können. Damit verbunden ist das Anliegen, dass der Mensch Verantwortung für seine Entscheidungen – auch in religiösen Fragen – übernimmt. Wie Religionsunterricht durchgeführt wird, ist von vielfältigen religionspädagogischen Konzepten und Lernformen geprägt, die in ihrer Vielfalt unterschiedliche religiöse Bildungsdimensionen in den Blick nehmen, um Schüler:innen mehrdimensionale religiöse Bildung zu ermöglichen. Diese Mehrdimensionalität von (religiöser) Bildung wird im aktuellen religionspädagogischen Diskurs durch den Bezug auf religiöse Kompetenz zu gewährleisten versucht. Wird religiöse Kompetenz in diesem Sinne interpretiert, entspricht sie dem skizzierten religiösen Bildungsverständnis, wenn die Diskurse um die Orientierung an religiöser Kompetenz religionspädagogisch auch kontrovers geführt werden.

Religiöse Bildung in ihrer Mehrdimensionalität

Für den Religionsunterricht werden in Kompetenzmodellen Dimensionen unterschieden, die mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Akzentuierungen zu fassen versuchen, was mit religiöser Kompetenz gemeint ist: Als prozessbezogene Kompetenzen werden zusammengefasst die Wahrnehmungskompetenz, die Deutungskompetenz, die Urteilskompetenz, die
Sprach-/Dialog-/Kommunikationskompetenz sowie die Gestaltungs- und Partizipationskompetenz unterschieden. Die Wahrnehmungskompetenz bezeichnet, dass Schüler:innen wahrnehmen, was geschieht, was sie berührt, was sie anspricht. Dies umfasst, religiös bedeutsame Phänomene als solche wahrnehmen zu können und inkludiert auch die affektive Dimension. Die Deutungskompetenz bezeichnet die Fähigkeit, religiös bedeutsame Sprache und Inhalte verstehen und deuten zu können sowie Zusammenhänge aufzudecken. Im Rahmen der Urteilskompetenz sind Schüler:innen fähig, in religiösen und ethischen Fragen zu werten und begründet urteilen zu können, wodurch eigene Zugänge und Ansichten bestärkt oder irritiert werden können. Die Sprach-/Dialog-/Kommunikationskompetenz beschreibt, dass Lernende sprachfähig sind und ihre eigenen Vorstellungen ausdrücken sowie der gegenseitigen Achtung Ausdruck verleihen können. Die Sprachfähigkeit in Interaktionen umfasst sowohl das Sprechen über Religion als auch religiöses Sprechen. In der Gestaltungskompetenz können Lernende bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen verwenden, und die Partizipationskompetenz ermöglicht verantwortliches Handeln für sich und andere. Schüler:innen können begründet am gesellschaftlichen, sozialen und kirchlichen Leben (nicht) teilnehmen. Diese prozessbezogenen Kompetenzen entwickeln sich in Auseinandersetzung mit bestimmten Inhaltsbereichen. So werden beispielsweise im Lehrplan PLUS für katholische Religionslehre in Bayern die Inhaltsbereiche Mensch und Welt, die Frage nach Gott, Bibel und Tradition, Jesus Christus, Kirche und Gemeinde sowie Religionen und Weltanschauungen unterschieden.

Die benannten Kompetenzen können ausschließlich von den sich bildenden Personen erworben werden. Wie Religionsunterricht durchgeführt werden sollte, um Schüler:innen religiöse Bildung in ihrer Mehrdimensionalität zu ermöglichen, wird religionspädagogisch breit diskutiert. Hier möchte ich einige Akzente setzen, die gegenwärtige Formen religiöser Bildung heute kennzeichnen.

Religiöse Bildung als Wechselgeschehen zwischen Subjekt und Inhalt

Im bereits benannten Synodenbeschluss zum Religionsunterricht wird die Wechselbeziehung von christlicher Botschaft und gegenwärtigen Erfahrungen, von Tradition und Lebenswelt als wesentlich benannt. Das Anliegen, dass der Religionsunterricht so angelegt ist, dass die religiöse Tradition und ihre Zeugnisse sowie die gegenwärtige Lebenswelt und Erfahrungen der Schüler:innen aufeinander bezogen werden, wird religionsdidaktisch mit dem Begriff der Korrelation diskutiert. Als Wegbereiter des Verständnisses von Korrelation gelten die Theologen Paul Tillich, Karl Rahner sowie Edward Schillebeeckx.

So meint beispielsweise Paul Tillich, dass Gott auf die Fragen des Menschen antwortet und der Mensch unter dem Eindruck von Gottes Antworten seine Fragen stellt. Theologie sollte dementsprechend die menschlichen Fragen und Inhalte der Offenbarung so bearbeiten, dass deren Wechselbeziehung deutlich wird. Paul Tillich versucht, die Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu betonen, ohne die Andersheit Gottes oder die Eigenheit der Welt aufzugeben. Auch Karl Rahner hat als wesentlicher Wegbereiter der Korrelation das statische Verhältnis von Offenbarung und Erfahrung aufgebrochen. Der Mensch ist ein freier Partner „für die Selbstmitteilung Gottes“ und von Gott her befähigt, in einen echten Dialog mit der biblischen Offenbarung zu treten. Diese anthropologische Orientierung wurde durch das Zweite Vatikanum aufgegriffen, was grundlegend für das korrelative Denken in der katholischen Religionspädagogik ist. Edward Schillebeeckx betont u. a. die Differenz zwischen Glaubenstradition und Gegenwartserfahrung und verweist darauf, dass Korrelationen scheitern können und damit auf die Fragilität von Korrelationen.

Anliegen von korrelativen Prozessen ist es, einen Dialog zwischen Inhalten und der eigenen Lebenswelt zu ermöglichen. Religionsunterricht kann den Lernenden Optionen eröffnen, Glaubensüberlieferung und eigene Erfahrungen bzw. die eigene Lebenswelt miteinander zu korrelieren. Beispielsweise können Elemente der Glaubensüberlieferung Jugendlichen zur kritischen Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt werden. Korrelationen lassen sich durch bestimmte Methoden begünstigen, aber nicht herstellen. Der Prozess des Korrelierens kann ausschließlich von der Person selbst durchgeführt werden und dementspreched ist es individuell verschieden, ob und wie Schüler:innen korrelativ lernen.

Der Prozess des Korrelierens wird als offener, fragiler und dynamischer Prozess gefasst und kann scheitern. Korrelatives Lernen wird immer wieder kritisiert. So wird angemerkt, dass die beiden Elemente Überlieferung und Lebenswelt als zwei Pole gedacht werden, was diese erst künstlich trenne. Außerdem kann kritisch angefragt werden, wie die beiden Pole Glaubensüberlieferung und Gegenwartserfahrung gewichtet werden und welche Bedeutung den beiden jeweils zugedacht wird. Dies ist mit der Frage verbunden, ob ein Pol vorrangig bedacht wird, wie beispielsweise die Thematisierung von Erfahrungen verzweckt werden kann, um Inhalte entsprechend anzupreisen. Auch wird deutlich, dass manche Inhalte keine oder wenig Entsprechung in der Lebenswelt von Schüler:innen finden, weswegen nicht generell von korrelativem Unterricht, sondern von korrelativem Lernen innerhalb des Religionsunterrichts gesprochen wird. Trotz diverser Anfragen ist korrelatives Lernen im Religionsunterricht ein wesentlicher Zugang im Kontext der Religionsdidaktik.

Ein Modell, das den Bezug zur Lebenswelt und den Inhalten didaktisch konkretisiert, ist das der Elementarisierung. Grob zusammengefasst meint Elementarisierung, dass Unterrichtsinhalte unter Berücksichtigung der jeweiligen Schüler:innen auf das Wesentliche und Elementare konzentriert werden. Im Rahmen der Elementarisierung werden fünf Dimensionen unterschieden, von denen zwei die Lernenden, zwei die Inhalte und eine die Methode fokussieren, wobei die Dimensionen miteinander verschränkt sind. Unter elementaren Erfahrungen werden die das Verständnis vorstrukturierenden Erfahrungen, die Schüler:innen bezogen auf bestimmte Lerninhalte bereits gemacht haben, verstanden. Elementare Zugänge berücksichtigen die Lernvoraussetzungen von Schüler:innen wie entwicklungspsychologische Voraussetzungen. Bezogen auf die Inhalte umfassen die elementaren Strukturen die Auswahl und Strukturierungen eines Themas, wohingegen sich die elementaren Wahrheiten die Frage stellen, inwiefern im jeweiligen Inhalt Wahrheiten verhandelt werden und welche Bedeutung das jeweilige Thema hat. Die Lernformen als fünfte Dimension beziehen sich auf die adäquate methodische Gestaltung, die sowohl die Inhalte als auch die Schüler:innen berücksichtigt.

Sowohl in der Korrelation als auch bei der Elementarisierung werden die Lebenswelt bzw. Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen wesentlich bedacht. Die Berücksichtigung der Erfahrungen scheint für religiöse Bildung von besonderer Bedeutung zu sein. Je nach inhaltlicher Auseinandersetzung haben Schüler:innen unterschiedliche Erfahrungen gesammelt, die sie im Kontext des Religionsunterrichts reflektieren bzw. ausgehend von diesen auch Inhalte anfragen können. Teilweise haben Kinder und Jugendliche keine oder wenige religiöse Erfahrungen, sofern ein enger Religionsbegriff zugrunde gelegt wird, gemacht wie bspw. einen Gottesdienst besucht, ein Gebet gesprochen oder eine Segenshandlung erlebt. Inwiefern vor diesem Hintergrund religiöse Erfahrungen im Religionsunterricht ermöglicht werden sollen, damit Schüler:innen diese reflektieren können, wird religionsdidaktisch unter dem Begriff des performativen Lernens verhandelt.

Religiöse Bildung als Reflexion von Erfahrungen

Dietrich Benner hält fest, dass Lernen Erfahrungen braucht und betont, dass grundlegende Welt- und Umgangserfahrungen künstlich zu sichern sind, sofern diese nicht gegeben sind. Da Schüler:innen heute oft kaum mit christlicher Tradition und deren Ausdrucksformen vertraut sind, befassen sich performative Ansätze damit, wie Religion im Klassenzimmer erleb- und verstehbar gemacht werden kann. Diskurse zum performativen Religionsunterricht sensibilisieren dafür, dass es im Religionsunterricht keineswegs selbstverständlich ist, zu beten, einen Gottesdienst zu feiern etc. Werden Schüler:innen im Kontext des Religionsunterrichts Erfahrungen ermöglicht, so sind diese als freiwillige Angebote zu verstehen. Auch hier wird die Eigenverantwortung von Schüler:innen stark berücksichtigt.

Ein Ansatz des performativen Lernens, der von Hans Mendl geprägt wurde, versteht religiöse Erfahrungen im Kontext des Religionsunterrichts als „Teilhabe auf Zeit“. Dadurch werden zeitlich begrenzte, authentische Erfahrungen mit Religion ermöglicht, auf die sich Lernende freiwillig einlassen können, ohne dass damit eine dauerhaft existenzielle Haltung angestrebt wird. Dementsprechend kann nicht vorhergesagt werden, welche Bedeutung Lernende dem Erleben beimessen. Grundlegend für performatives Lernen ist, dass Schüler:innen ihre Erfahrungen distanziert reflektieren können und in einen Austausch mit der Gruppe eintreten können. Im Ansatz von Hans Mendl können drei Komponenten des performativen Lernens unterschieden werden: In der diskursiven Einführung erhalten Schüler:innen Hinweise, was sie erwarten wird, wie sie sich verhalten können, und ihnen wird der Freiwilligkeitscharakter der Erfahrung verdeutlicht. Das performative Erleben ermöglicht Lernenden thematisch fokussierte Erlebnisoptionen, die auch Momente der Zwischenreflexion enthalten können, die Distanzierung ermöglichen. In der abschließenden diskursiven Reflexion wird das Erfahrene im Anschluss ausgehend reflektiert, Möglichkeiten ­ eröffnet, sich mit anderen auszutauschen und sich selbst in ein Verhältnis ­zum Erlebten zu setzen.

Religiöse Bildung durch Kommunikation

Sowohl in der Auseinandersetzung mit Korrelation und Elementarisierung als auch beim performativen Lernen wird die Berücksichtigung von Erfahrungen und der Lebenswelt von Schüler:innen betont. Ein Religionsunterricht, in dem Erfahrungen reflektiert und unterschiedliche Lebenswelten berücksichtigt werden, eröffnet mehrperspektivische Kommunikationsräume, in denen Schüler:innen miteinander in ein Gespräch eintreten können. In Gesprächen und Begegnungen können Personen unterschiedliche Einstellungen kennenlernen und eigene artikulieren und dabei sowohl ein Verständnis für unterschiedliche Zugänge entwickeln als auch eigene Vorstellungen reflektieren und gegebenenfalls verändern.

Ein religionsdidaktischer Zugang, der die Kommunikation miteinander fokussiert und methodisch ausgestaltet, ist das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen. Anliegen ist, Kinder und Jugendliche als Subjekte ernst zu nehmen und ihnen Raum zu geben, ihre Überlegungen zu unterschiedlichen (religiösen) Themen mit anderen Kindern und Jugendlichen zu diskutieren. Dies wird so konzipiert, dass lebensweltliche Erfahrungen und Fragen von Kindern und Jugendlichen sowie deren Potenzial zu Theologisieren ernst genommen werden. Die Theologie von Kindern umfasst die Fähigkeit der Kinder, Überlegungen zu theologischen Fragen anzustellen. Die Theologie mit Kindern beschreibt den Dialog zwischen Kindern und berücksichtigt die Fähigkeit der Kinder, miteinander über ihre Einstellungen zu sprechen. In der Theologie für Kinder werden den Kindern theologische Impulse und Inhalte zum Weiterdenken angeboten. Im Prozess des Theologisierens werden diese drei Aspekte bedacht, indem die theologischen Überlegungen von Kindern ernst genommen werden, Kinder als Gesprächspartner:innen geschätzt werden und ihnen gleichzeitig Impulse zum Weiterdenken angeboten. Es werden offene Fragen gestellt, die kommunikativ bearbeitet werden. Diese theologische Kommunikationspraxis setzt keinen Glauben voraus, sondern die Offenheit, sich zu unterschiedlichen Themen Gedanken zu machen und ins Gespräch mit anderen einzutreten, worin sich religiöse Bildung ereignen kann.

Weitere religionsdidaktische Formen religiöser Bildung

Neben den hier benannten Überlegungen zu religiöser Bildung in der Schule werden vielfältige Formen religiöser Bildung angewandt, um mehrdimensionale religiöse Bildung zu ermöglichen. Hierfür existieren umfangreiche religionsdidaktische Überlegungen wie zu symbolischem Lernen, biblischem Lernen, ästhetischem Lernen, ethischem Lernen, interreligiösem Lernen, globalem Lernen, Lernen an Kirchengeschichte und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zu all diesen Formen liegen unterschiedliche Konzepte und religionsdidaktische Überlegungen vor.

In der Vielfalt an unterschiedlichen Zugängen und religionsdidaktischen Überlegungen zu religiöser Bildung zeigt sich die Komplexität und Mehrdeutigkeit des Begriffs religiöser Bildung und das Ringen darum, religiöse Bildung in der Gegenwart in Formen anzubieten, die unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen sowohl der Lebenswelt und den Erfahrungen der Schüler:innen gerecht werden als auch die theologischen Inhalte und Traditionen angemessen berücksichtigen. Wie religiöse Bildung eröffnet wird, unterscheidet sich je nach Lernort, aber auch gesellschaftlichem Kontext, weswegen die Frage nach Formen religiöser Bildung sowohl in der Theorie als auch in der Praxis immer wieder zu stellen und wissenschaftlich zu reflektieren ist.

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