Wer zahlt die Zeche?

Über Staatsfinanzen und Generationengerechtigkeit

Im Rahmen der Veranstaltung "Wer zahlt die Zeche?", 25.11.2024

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Am 25. November 2024 widmete sich die Akademie in einem Vortrags- und Diskussionsabend kritisch und interdisziplinär dem Thema Staatsfinanzen; ein besonderer Fokus lag dabei auf dem Aspekt der Generationengerechtigkeit.

Die Idee zu dieser Veranstaltung war entstanden, als Ende 2023 rege über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts diskutiert wurde: Dieses hatte entschieden, dass ungenutzte Gelder aus dem Corona-Sondervermögen nicht in den Klima- und Transformationsfonds übertragen werden dürfen, wodurch der damaligen Bundesregierung Milliarden (u. a. für Klimaschutzprojekte) fehlten. Wie sollte man diese Mittel kompensieren? Durch Sparmaßnahmen? Durch Steuererhöhungen? Durch Kreditaufnahme? Und wie wollte man weiter mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse verfahren? In diese Debatte mischte sich auch die grundlegende Frage nach Generationengerechtigkeit: Sollen zukunftsgerichtete Projekte (z. B. für Klimaschutz, Bildung oder Infrastruktur) durch massive Schulden finanziert werden? Wie können die Interessen kommender Generationen angemessen berücksichtigt werden, die von langfristigen Investitionen profitieren, aber auch eine größere finanzielle Hypothek übernehmen würden? Kurz vor der Akademieveranstaltung erhielt das Thema noch einmal besondere Aktualität, als die damalige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen in der Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik auseinanderbrach.

Das ebenso aktuelle wie komplexe Thema wurde aus zwei Perspektiven beleuchtet, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern (etwa 60 vor Ort, rund 90 im Livestream) unterschiedliche Denkanstöße lieferten: Während Prof. Dr. Nils Goldschmidt, Professor für Kontextuale Ökonomik und Ökonomische Bildung an der Universität Siegen, die volkswirtschaftliche Position vertrat, gab Prof. Dr. Christian Neuhäuser, Professor für Praktische Philosophie an der Technischen Universität Dortmund, Einblick in die philosophische Sicht.

In seinem Vortrag erklärte Professor Goldschmidt volkswirtschaftliche Grundlagen (z. B. explizite/implizite Verschuldung), ordnete die aktuelle Wirtschafts- und Schuldenlage Deutschlands im internationalen Vergleich ein und gab Einblick in die deutsche Wirtschaftsgeschichte, u. a. in frühere Wirtschafts- und Finanzkrisen mit enormer Staatsverschuldung, wirtschaftspolitische Ansätze und Denkschulen (z. B. Keynesianismus) sowie Maßnahmen, die finanzpolitische Stabilität gewährleisten sollen. Habe man in den „Wirtschaftswunder-Jahren“ aufgrund hoher Wachstumsraten noch nicht viel über Haushaltsdisziplin nachdenken müssen, habe sich dies mit dem ersten konjunkturellen Einbruch der Bundesrepublik in den 1960er Jahren geändert. Im Umgang mit wirtschaftlichen Krisenzeiten gehe es seither vermehrt um das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft, so um die Frage, wie stark der Staat über das Setzen von Regeln hinaus in wirtschaftliche Prozesse eingreifen sollte, z. B. durch Kreditaufnahme. Eine Schranke für das diesbezügliche Staatshandeln stelle die Einführung der grundgesetzlich garantierten Schuldenbremse 2009 dar.

In der aktuellen Lage plädierte Professor Goldschmidt für eine „Politik der Behutsamkeit“ und „soziale Irenik“ anstelle von Neiddebatten und Panikmache, um die Bereitschaft für tragfähige Kompromisse und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Auch machte er deutlich: „Wir müssen lernen zu priorisieren. Es ist eben so, dass nicht mehr alles möglich sein kann, was wir gerne hätten.“ Gerade die Schuldenbremse helfe dabei, tatsächlich darüber zu diskutieren, was wie umgesetzt werden könne und ob neue Schulden jeweils angemessen und vertretbar seien oder nicht, z. B. in den Bereichen Verteidigung, Infrastruktur oder ökologische Transformation. Außerdem sprach er sich für den Abbau von Subventionen, Priorisierungen in der Bildungspolitik, eine Sozialpolitik der Befähigung, eine Reform der Sozialversicherungssysteme sowie gezielte Migration aus.

Im Anschluss legte Professor Neuhäuser die philosophische Sicht dar und führte die Teilnehmenden in Gerechtigkeitsbegriff und -theorie ein: „Gerechtigkeit – so ein großes Wort und eigentlich so eine einfache Idee, nämlich: Jeder/jede soll das bekommen, was ihm/ihr zusteht.“ Woher weiß man aber, was Menschen gerechterweise zukommen müsse? Die Philosophie könne dabei helfen, hier einen unparteilichen Standpunkt einzunehmen (z. B. Goldene Regel, Kategorischer Imperativ) und einen „Korridor akzeptabler Gerechtigkeitspositionen“ zu öffnen. Die Idee der intergenerationalen Gerechtigkeit gehe davon aus, dass Pflichten der Gerechtigkeit nicht nur gegenüber derzeitigen, sondern auch zukünftigen Generationen bestünden. Diskutiert werde, ob noch nicht existierende Generationen schon Rechte haben und wie geklärt werden kann, was diese benötigen. Letztlich müsse man künftige Generationen berücksichtigen, da die Idee der Würde aller Menschen auch für sie gelte und sie die Möglichkeit bekommen müssten, gleichrangig und selbstbestimmt zu leben.

Professor Neuhäuser plädierte dafür, die Grundfähigkeiten der Menschen für ein ebensolches Leben zu stärken. Nach dem Ansatz von Martha Nussbaum gehören dazu u. a. körperliche Gesundheit und Unversehrtheit, Denken, Emotionen, praktische Vernunft sowie Verbundenheit mit anderen Menschen und Lebewesen. Im Hinblick auf die Rolle und Aufgaben der Politik erklärte der Philosoph, dass Sparen allein diese Grundfähigkeiten nicht sichere, gerade angesichts wachsender Ungleichheit. Der Staat müsse sich z. B. um die Wirtschafts- und Bildungsstruktur kümmern sowie Rechtssicherheit und Sozialstaat gewährleisten. Wichtig sei, dass Hoffnung vermittelt werde: „Wir brauchen eine Haushaltspolitik, die Sicherheit vor dem Hintergrund einer massiven Krisenangst, die um sich greift, kommuniziert.“ Er schlägt einen Zukunftsfonds mit zweckgebundenen Schulden (z. B. für Bildung, Infrastruktur) vor, begleitet durch eine Reform des Steuersystems, die den Abbau der Schulden ermöglicht.

In der anschließenden Fragen- und Diskussionsrunde wurden einzelne Inhalte der Vorträge vertieft, weitere Aspekte ergänzt und politisch-gesellschaftliche Lösungsvorschläge aufgeworfen. So ging es u. a. um folgende Fragen: Wie kann man wissen, was zukünftige Generationen wollen und brauchen? Was ist nötig, damit die verschiedenen Generationen mit ihren jeweiligen Anliegen und Bedürfnissen nicht gegeneinander ausgespielt werden? Ist aktuell ein tragfähiger Kompromiss in der deutschen Gesellschaft realistisch? Und wie kann das Konzept der Leistungsgerechtigkeit in die Debatte integriert werden? Auch wurde die in den zwei Vorträgen vor allem national betrachtete intergenerationale Finanz- und Schuldenfrage auf die europäische Ebene ausgeweitet.

Zum Abschluss der Veranstaltung gaben die beiden Professoren dem Publikum noch jeweils eine hoffnungsvolle Botschaft mit auf den Weg. So plädierte Professor Goldschmidt dafür, nach vorne zu schauen: „Es ist ganz zentral, dass wir eben optimistisch bleiben, dass wir uns immer wieder auch sagen: Wir müssen eine Lösung finden.“ Und Professor Neuhäuser setzte im Hinblick auf Zukunftsgerechtigkeit auf ein positives Menschenbild: „Was wir im akademischen, aber auch im öffentlichen Diskurs brauchen, trotz aller Widersprüche, ist der Glauben daran, dass die aller-, allermeisten Menschen doch einen Gerechtigkeitssinn haben und er auch wirksam in ihnen ist.“

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