Wie die Kirche der Welt beim Denken hilft

Im Rahmen der Veranstaltung "Amtseinführung Dr. Achim Budde", 08.02.2019

shutterstock

Ganz herzlichen Dank für die Einladung zur heutigen Abendveranstaltung! Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass dem Kardinal und mir eigentlich „rollenverdrehte“ Vortragstitel zugewiesen wurden: Der Kardinal redet über die Welt und ich über die Kirche.

„Wie die Kirche der Welt beim Denken hilft“ heißt meine Überschrift. Offensichtlich ist das ein Thema, das viele Menschen betrifft und interessiert, denn anders als bei meinen sonstigen Vorträgen haben mich unmittelbar nach dem Versenden der Einladung viele Briefe erreicht, die mir nahelegten, was man unbedingt einmal zu diesem Thema sagen müsste. Sie sehen also: Sie haben bei der Auswahl des Themas offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen.

 

Prolog

 

Wenn man den Titel, so wie er im Programm steht, wörtlich nimmt, zeugt er von einem guten Selbstbewusstsein der Kirche, denn er beruht er ja auf einer Feststellung: Die Kirche hilft der Welt beim Denken!

Ich glaube, nicht wenige Menschen würden diese Feststellung erst einmal infrage stellen. Und vielleicht würden sie dann weiterfragen: Wie genau meint denn die Kirche, der Welt beim Denken zu helfen? Braucht die Welt überhaupt Hilfe beim Denken? Und: Will die Welt überhaupt Hilfe beim Denken? Und wenn ja: Will sie sie ausgerechnet von der Kirche?

In den verschiedenen Sinus-Studien, die unter anderem das Verhältnis von Jugend und Glauben beleuchten, gehen die Jugendlichen (in einigen Milieus spielt Kirche gar keine Rolle mehr) hart ins Gericht mit der Kirche:

Eine der Aussagen lautet: „Also, für mich persönlich war es so, dass es mich irgendwann genervt hat und ich keinen Bock mehr hatte, weil die Kirche groß ist, die Kirche ist dunkel, die Kirche ist kalt, die Kirche ist langweilig. Ich glaub, dass Kirche definitiv ein negatives Image hat. Der Glaube an sich nicht, aber die Kirche einfach, weil die festgefahren ist, weil sie in altmodischen Regeln steckt, weil die Kirche sich einfach nicht mit den Menschen weiterentwickelt. Und das find ich echt…, also das ist schon gefährlich für die Kirche.“

Im Internet hat Philipp, von dem das Zitat stammt, eine Gruppe gegründet unter dem Motto: „Ich brauche keine Kirche, ich kann selber denken.

In der Tat, denken können nur wir Menschen – nicht Kirchen oder die Kirche. Dass Sie denken können, dass ich denken kann – das definiert uns als Menschen, und mehr noch: Es definiert Sie und mich auch als Individuum. René Descartes schreibt: „Ich denke, also bin ich.“ Er schreibt nicht: „Mir wird beim Denken geholfen, also bin ich.“ Und wenn Kant äußert, Unmündigkeit sei „das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ – spätestens dann dürfte uns auffallen: Man muss sehr vorsichtig damit sein, jemandem beim Denken helfen zu wollen.

Das Denken weiß, dass unter den Fakten auch immer Interessen liegen und die Macht von Institutionen, daher sucht es lieber nach Schlüsseln als nach Wohlbefinden und daher gibt es den Horizont der Wahrheit nicht auf.

Sie merken schon, es ist eine Eigenschaft von Professoren, immer erst „Begriffe“ zu klären, und ich als Germanistin bin natürlich hier besonders anfällig. Sie merken aber auch: „Wie die Kirche der Welt beim Denken hilft“ – das ist ein spannender Vortragstitel und zugleich ein spannungsgeladener!

 

Die Welt im Umbruch! – Chancen und Notwendigkeit einer neuen gemeinsamen Denkkultur

 

Die „Zeit“ hat in einer Beilage vom 25.10.2018 die Gefahr des geistigen Auseinanderfalls von Kirche und Welt ebenfalls erkannt und mit der neuen Serie „Sinn und Verstand“ eine ähnliche Idee wie wir heute Abend auf die Agenda genommen. Elisabeth von Thadden schreibt:  „Die Demokratie ist nervös, ihre Institutionen wirken zerbrechlich, und im moralischen Inventar sind Lücken, Löcher und Leere entstanden. Kaum einer wüsste noch, was unsere moderne Gesellschaft (…) zusammenhält, was ein Gemeinwesen seinen Bürgerinnen und Bürgern schuldet, auch was es von ihnen erwarten muss: Das sind offene Fragen, die unruhig machen.“

Die Nervosität hat ihr Gutes, in der Unruhe wächst das Interesse am Denken. „Das Denken“, so Michael Sandel, Philosophieprofessor in Harvard im selben Text, „hat seine besten Zeiten nicht, wenn Ruhe und Frieden herrschen, es steht dann in Blüte, wenn die Gesellschaften in Auffuhr sind.“

Das gemeinsame Denken unterscheidet sich vom Ratgeben, es schafft Spielraum und befreit aus Routinen. Wenn wir nur ein paar die Gesellschaft bewegende Fragen hernehmen, wird deutlich, wie wichtig das Zusammenspiel von Kirche und Wissenschaft bzw. Welt sein könnte: Was heißt Eigentum? Wie definieren wir Identität in einer Welt, in der jeder derjenige sein kann, der er will? Für wen tragen wir Verantwortung? Sind wir zu viele? Was heißt Heimat? Wie verändert die Digitalisierung die Gesellschaft?

 

Da Kirche und Welt ein sehr weites Feld sind, werde ich bei den folgenden Überlegungen den Fokus stärker auf die wissenschaftliche Welt legen.

Seit Humboldt hat sich in der Wissenschaftslandschaft viel verändert: Zum einen führen die Ansprüche des Arbeitsmarktes, Absolventenstudien, Bologna und in der Folge Regulierung von Programmen und Studiergeschwindigkeiten dazu, dass Faktoren, die nicht nur dem reinen Antrieb der Wissenschaft folgen, Universitäten prägen. Zum anderen wissen wir und erfahren wir täglich, wie Wissenschaft bis in jede Aktivität hinein weltverändernd ist und damit die Verantwortung in sich schließt.

Es gehört zu den bedrängenden Eindrücken unserer Zeit, dass alles, was Wissenschaft tut, niemals nur die Idee eines Gelehrten bleiben kann, sondern in das Ganze des Weltgeschehens eingreift, so dass jeder Gelehrte seine Verantwortung vor dem Ganzen kennen und bedenken muss und man nicht mehr davon ausgehen kann, dass per se eine moralische Grundhaltung wissenschaftsimmanent ist. Aus diesen drei Punkten folgt, dass Wissenschaft bzw. Universität Ihre Grundlagen neu bedenken muss – eine Debatte, die wir intensiv an unserer Universität führen. Kardinal Ratzinger hat bereits bei der Gründung der Katholischen Universität in Eichstätt darauf hingewiesen, wie sehr wir Orte brauchen, in denen ihre Verantwortung reflektiert wird. Die Aufgabe einer (katholischen) Universität besteht nicht alleine darin, auszubilden und zu forschen, sondern von neuem die inneren Grundlagen ihrer Verantwortung zu reflektieren und die Wissenschaft ins Ganze der menschlichen Existenz einzufügen. Und hier ist Kirche – auch und vor allem durch die Errungenschaften des Vatikanischen Konzils – nicht nur ein interessanter, sondern ein lebensnotwendiger Gesprächs- und Denkpartner!

Die Frage ist doch, ob es die reine, voraussetzungslose und folgenlose Wissenschaft gibt oder ob sie im Kontext Universität nicht immer auch Eingreifen in das Weltgeschehen ist – die Geisteswissenschaften, die Weltbilder gestalten, die Naturwissenschaften, die mit der Welt umgehen und so Bereiche berühren, die über die pure Fachlichkeit und ihre Methoden hinausführen und Verantwortung für das Ganze einschließen.

Der Glaube – und hier kann Kirche beim Denken helfen – ist ebenfalls auf das Ganze angelegt, er ist eine Eröffnung der Grundlagen unserer Existenz und gibt uns damit die Möglichkeit, tiefer und genauer zu fragen, als wir es von einem nur positivistischen Ansatz her können.

Eine Vorstellung von Vernunft, die für das Göttliche taub ist, und die Religionen in die Welt der Subkulturen verweist, war schon in den Augen von Papst Johannes Paul II. unfähig, in den Dialog der Kulturen einzutreten. Das Vertrauen in das menschliche Vermögen, Wahrheit zu finden und nach der Wahrheit zu leben, führte zur Gründung der großen europäischen Universitäten. Das sollten wir uns immer als Wissenschaftler vor Augen führen und eine Zukunft gestalten, die des Menschen würdig ist. Die Idee einer integralen Bildung, beruhend auf der Einheit des auf der Wahrheit gegründeten Wissens, muss zurück erlangt werden, um der starken Fragmentierung des Wissens entgegengehalten zu werden. Diesen Anspruch muss zumindest eine katholische Universität für sich zu verwirklichen versuchen.

Das Gleiche gilt für die Ausbildung der Studierenden: Auch hier handle ich nicht einfach in einem Raum von Ideen, die sich in sich selbst bewegen, sondern wir müssen für diese jungen Menschen einstehen. Und das menschenwürdige Miteinander kann den Imperativ des Glaubens gut vertragen.

Papst Franziskus formuliert in Veritatis Gaudium sehr direkt die Erwartungshaltung an Wissenschaft und katholische Universitäten: eine Beteiligung an den großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Katholische Universitäten als Sauerteig in der akademischen Welt und eine mutige kulturelle Revolution fordert Franziskus. Nun kann man sagen: Das ist heute Abend eigentlich Thema jenes Parts, den der Kardinal übernehmen sollte. Aber die Aufforderung hat zwei Seiten: Die Alleinstellung von Veritatis Gaudium zeigt sich alleine schon daran, dass Schlüsselworte wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Gemeinwohl dort an prominenter Stelle vorkommen – alleine der Begriff Wahrheit 20 Mal. In den deutschen Hochschulgesetzen und Richtlinien sucht man danach vergebens. So stellt der Dekan der School of Law der Yale University, Anthony Kronmann, die Frage, warum unsere Hochschulen die Frage nach der Bedeutung des Lebens aufgegeben haben  – seine einschlägige Publikation heißt Education‘s End.

Spätestens hier wird deutlich, dass Kirche und die Menschen in ihr ein wichtiger Partner für den geistigen Austausch von Wissenschaft sind.

Romano Guardini hat bereits vor Jahrzehnten auf die Gefahr hingewiesen, Politik, Wirtschaft, Sozialordnung, Wissenschaft, Kunst und Philosophie rein aus ihren immanenten Maßstäben heraus zu entfalten. Die Folge ist, dass auf der einen Seite ein vom Christentum abgelöstes Weltdasein entsteht, auf der anderen Seite eine Christlichkeit, die in eigentümlicher Weise diese Autonomie nachahmt. Wie sich eine rein wissenschaftliche Wissenschaft herausbildet, so auch eine rein religiöse Religiosität, die immer mehr die unmittelbare Beziehung zum konkreten Leben verliert. Das ist ein Beispiel, was passiert, wenn sich Kirche und Wissenschaft voneinander losgelöst bewegen und sich nicht mehr miteinander oder auch gegeneinander auseinandersetzen.

Dem versucht Papst Franziskus entgegenzuwirken. Er sucht der menschlichen (auch der akademischen) Gemeinschaft, einen Sinn und der menschlichen Sprache einen Inhalt wiederzugeben – und dies alles in der Weise, dass der Angelpunkt der sozialen Ereignisse „mein Menschsein“ ist. Auf diese Weise baut er Brücken, die den Dialog, das zweite Leitkriterium in Veritatis gaudium, ermöglichen – nicht als rein taktische Erfahrung, sondern um gemeinsam die Erfahrung der Freude der Wahrheit zu machen (was für ein toller Begriff!). Und hierzu braucht Wissenschaft die Kirche!

Aus diesem Grund richten wir als Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt derzeit auch ein Zentrum Kirche, Religion, Gesellschaft ein, das genau eine solche Loslösung verhindern soll und Kirche und Wissenschaft miteinander im Denken vernetzt und den Dialog in den Mittelpunkt stellt. Das besondere Profil eines solchen Zentrums kann gerade daraus erwachsen, dass die dezidiert theologische Arbeit an den Geltungsansprüchen des Glaubens und die unterschiedlichen geschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und soziologischen Zugänge „säkularer“ Wissenschaft in einen unvoreingenommenen und kritischen Dialog auf Augenhöhe treten.

Manches, was von Theologen im Laufe der Zeit gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Aber zugleich gilt, dass die Geschichte der vom christlichen Glauben her gewachsenen Menschlichkeit diesen Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert und damit auch zu einer Instanz für die öffentliche Vernunft macht.

Im Skript einer Vorlesung von Papst Benedikt an der römischen Universität „La Sapienza“ im Jahr 2008 findet sich ein schönes Zitat: „Wenn die Vernunft aus Sorge um ihre vermeintliche Reinheit taub wird für die große Botschaft, die ihr aus dem christlichen Glauben und seiner Weisheit zukommt, dann verdorrt sie wie ein Baum, dessen Wurzeln nicht mehr zu den Wassern hinunterreichen, die ihr Leben geben.“

Für den Paradigmenwechsel, die mutige kulturelle Revolution braucht es aber Grundlagen, flache Hierarchien, Transparenz und eine Neuaufstellung der Kirche, „des kirchlichen Personals“ und der geschlossenen Strukturen, ein Ende des Klerikalismus und eine konsequente Null-Toleranz-Strategie gegenüber menschenunwürdigem Verhalten – ein mea culpa reicht hier nicht! Herr Kardinal, Sie haben ja deutliche Worte gesprochen und den Wendepunkt markiert. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um als Dialogpartner weiterhin ernst genommen und respektiert zu werden. Wir brauchen Menschen, die Jugendliche und Menschen allen Alters inspirieren und vertrauenswürdige Vorbilder und Gesprächspartner sind!

Es ist sehr zu begrüßen, dass die Theologie an Universitäten beginnt, ihre Identität bewusst „draußen“ beim anderen zu sehen, dass der Diskurs, der Dialog mit Wissenschaft, anderen Religionen und den „religiös Unmusikalischen“ gesucht wird, dass Kirche akzeptiert, dass Theologie den experimentellen und innovativen Charakter, den Wissenschaft trägt, ausfüllen muss.

Papst Franziskus wendet in seiner Enzyklika Laudato si‘ – die mich persönlich unglaublich zum Denken angeregt – explizit an alle Menschen. Er schreibt wörtlich: „Angesichts der weltweiten Umweltschäden möchte ich mich jetzt an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt.“ Diese Formulierung ist ungewöhnlich – eine größere Zielgruppe kann man kaum benennen. Zugleich aber – das mag paradox klingen – kann dieser Anspruch nur einhergehen mit einer gewissen Bescheidenheit; nämlich mit der Bescheidenheit, von vornherein zu wissen: Allein mit der Autorität des religiösen Oberhauptes und den eigenen religiösen Glaubenssätzen kommt man bei dieser riesigen Zielgruppe nicht weiter. Sondern man muss sich seine Autorität und seine Wirksamkeit neu erarbeiten – und zwar mit der Kraft klarer Worte und guter Argumente.

Franziskus greift in seiner Enzyklika den Dreischritt von „Sehen – Urteilen – Handeln“ auf. Insbesondere im zweiten Schritt bekommen wir Denkanregungen, indem wir Grundwerte und die Linien seiner theologischen und sozialethischen Perspektive und Argumentation aufgezeigt bekommen. Es geht um das Evangelium der Schöpfung, die menschliche Wurzel der ökologischen Krise und sein Konzept einer ganzheitlichen Ökologie. Im Unterschied zu Evangelii gaudium, wo er sich an die Mitglieder der Kirche wendet, um einen immer noch ausstehenden Reformprozess in Gang zu setzen, appelliert er in Laudato si‘ nun aufgrund der allgemeinen Bedeutung und der Dringlichkeit der Thematik an die gesamte katholische Welt und darüber hinaus auch an „alle Menschen guten Willens“, um „in Bezug auf unser gemeinsames Haus in besonderer Weise mit allen ins Gespräch kommen.“ Er verbindet damit eindeutig die mehrfach betonte Intention des Dialogs mit Theologen, Philosophen und Sozialwissenschaftlern – diese Enzyklika ist ein Meisterwerk gelungener Denkanstöße.

 

Die Kirche im Wandel? Lenken statt Denken?

 

Sie sehen, Kirche hat viel zu sagen, der Dialog zwischen Welt und Kirche ist ein zweifellos notwendiger. Aber ist Kirche wirklich ein interessanter Diskussions- und Denkpartner? Und kann dieser theoretische Anspruch aufrechterhalten werden? Oder ist Kirche langweilig und altmodisch geworden und gefährdet, wie unser Jugendlicher am Anfang prophezeit hat? Ich möchte an drei Beispielen das Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken aufzeigen, wo die Gefahr besteht, dass es eher um Lenken anstatt um gemeinsames Denken geht.

 

A) Kirche und (akademische) Freiheit

Papst Benedikt XVI. unterstreicht beim Treffen mit Vertretern der katholischen Universitäten in Washington gegen Ende seiner Amtszeit zunächst sehr deutlich die große Bedeutung der akademischen Freiheit: „Kraft dieser Freiheit sind Sie dazu aufgerufen, die Wahrheit zu suchen, wohin auch immer die sorgfältige Analyse des Beweismaterials Sie führen mag.“ (Online unter http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2008/april/
documents/hf_ben-xvi_spe_20080417_cath-univ-washington.html)

Soweit so gut, vielleicht mit der kleinen Anmerkung, dass die Analyse von Indizien eher der kriminalistischen als der wissenschaftlichen Rhetorik entnommen ist. Aber nun kommt es – ich zitiere weiter aus seiner Rede: „Es gilt jedoch auch, daß jede Berufung auf das Prinzip der akademischen Freiheit zur Rechtfertigung von Positionen, die dem Glauben und der Lehre der Kirche widersprechen, die Identität und den Auftrag der Universität behindern oder sogar verraten würde […]. Die Lehrer und das Verwaltungspersonal sowohl an den Universitäten wie an den Schulen haben die Aufgabe und das Privileg sicherzustellen, daß die Schüler und Studenten Unterricht in katholischer Lehre und Glaubenspraxis erhalten. Das verlangt, daß das öffentliche Zeugnis über den Weg Jesu, wie es im Evangelium begründet und vom Lehramt der Kirche gestützt wird, alle Aspekte des Lebens einer Einrichtung, sowohl innerhalb wie außerhalb der Klassenräume, prägt. Ein Abweichen von dieser Vision schwächt die katholische Identität und führt, weit davon entfernt, die Freiheit zu fördern, unweigerlich zu Verwirrung, sei es auf moralischer, intellektueller oder geistiger Ebene..“

Ein ähnlicher Bruch ist auch in Veritatis Gaudium zu beobachten: Zu Recht fordert der Papst im ersten Teil von der Theologie, am Puls der Zeit zu sein und als Wissenschaft Neues zu wagen, Alternativen zum Gegebenen zu entwickeln und einer Dynamik der Veränderung Raum zu geben. Im zweiten Teil hingegen wird ein anderes Bild einer  Theologie entwickelt, die vornehmlich auf eine „Kultur des Gehorsams“ ausgerichtet ist und durch ein engmaschiges Regelwerk reguliert und kontrolliert wird. Gerade im Dialog mit anderen Wissenschaften wird man die Theologie nur ernst nehmen, wenn ihre Wissenschaftsfreiheit nicht eingeschränkt oder in Frage gestellt wird.

Sollen Wissenschaft und Kirche Denkpartner sein, so muss es erlaubt sein, die eigenen Positionen und Forschungsfragen mit der Glaubenslehre der Kirche in Gespräch zu bringen.

 

B) Kirche und Streitkultur

Wenn Kirche der Welt beim Denken helfen soll, sind „Vergebungsfähigkeit, Streitkultur, Wertschätzung, Wahrhaftigkeit, Transparenz, Projektorientierung statt Denken in Seilschaften“ von großer Bedeutung – so auch der Zukunftsforscher Erik Händeler in seinem Büchlein mit dem Titel „Himmel 4.0“. Eine neue Streitkultur ist „die Antwort auf den Umbau der Gemeinden und den Strukturwandel in der Wissensgesellschaft. In wie vielen kirchlichen Gremien gilt Kritik am Vorsitzenden als Majestätsbeleidigung statt als Verbesserungsvorschlag? In wie vielen gelten Hinterzimmer-Absprachen mehr als offene Diskussionen? In wie vielen lässt man Innovatoren einfach auflaufen, statt ihre Vorschläge wenigstens zu besprechen? […] Nie gab es mehr Gründe, sich zu streiten. Nicht, weil wir schlechtere Menschen geworden wären, sondern je komplexer jetzt Organisationen und das Leben werden, umso weniger funktionieren sie nach Befehl und Gehorsam“. Konflikte müssen bejaht werden. Die Alternative wären Schweigen und verkrustete Strukturen – und das wäre das Gegenteil davon, beim Denken zu helfen.

 

C) Kirche und Jugend

Die Ergebnisse der Sinus-Studie besagen eindeutig, dass alle Jugendlichen auf der Suche nach dem Schönen, Guten und nach dem Wahren sind. Das heißt: in jedem Milieu gibt es Fragen der Spiritualität, der Religiosität – das wird aber nicht in erster Linie mit Kirche als Ganzes kommuniziert und in Verbindung gebracht. Wenn die Kirche auch den Jugendlichen beim Denken helfen will, muss sie Jugendlichen das Gefühl vermitteln, dass sie hier ernst genommen werden und es Antworten auf ihre Fragen gibt. Dazu muss Kirche hinausgehen in die Welt der Jugendlichen, in deren Kontexte. Vielleicht könnte man sich – wie es der Philosoph Sandel ja auch tut – in Wartehallen des Bahnhofs, in Cafés und Kulturzentren treffen. Und die Logik des „Das-war-schon-immer-so“ überwinden – so eine im Abschlussdokument der Vorsynode geäußerte Kritik. Dort heißt es weiter: „Wir brauchen eine Kirche, die willkommen heißt und barmherzig ist, die ihre Wurzeln und ihr Erbe würdigt und jeden liebt, auch jene, die nicht den üblichen Standards folgen.“ Um das gemeinsame Denken zu erleichtern, überreichten die Jugendlichen dem Papst ein 13-seitiges Schreiben, das den Bischöfen als „Kompass dienen soll, um junge Menschen besser zu verstehen“. Ein impulsgebender Satz daraus sei noch zitiert: „Ich brauche keine Lichteffekte, Popmusik oder Party in der Kirche. Ich brauche eine Kirche, die ehrlich und im 21. Jahrhundert angekommen ist!!!!“.

 

Ausblick

 

Wo immer sich also die katholische Kirche nicht nur um sich selber dreht, sondern wo sie ihre Rolle ernst nimmt und annimmt, Verantwortung zu übernehmen in einer heterogenen, pluralistischen Welt – überall da kann die Kirche der Welt wirklich beim Denken helfen. Das ist eine große Herausforderung – aber es ist auch eine unheimlich spannende Herausforderung.

Die Katholische Akademie in Bayern ist ein ganz wichtiger Ort, an dem es genau darum geht: um den Austausch, den Dialog zwischen Kirche und Welt, ein Ort, der zwar noch vor dem Konzil, aber bereits aus seinem Geist heraus gegründet wurde.

Aus den Vorgesprächen mit Herrn Dr. Budde weiß ich, dass er nicht nur viele wunderbare Ideen für die Weiterentwicklung dieses tollen Begegnungsortes hat, sondern ihn auch Elan, Gestaltungsfreude und hohe Kompetenz auszeichnen. Aber das können Sie jetzt gleich im O-Ton hören!

Lieber Herr Dr. Budde, ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Inspiration und Gottes Segen bei und in Ihrer wichtigen Arbeit als Leiter der Katholischen Akademie in Bayern.

Weitere Medien vom Autor / Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Juicy Fish_Juicy Studios LTD
Akademiegespräch am Mittag
Gibt es überhaupt ein gerechtes Wahlrecht? Von Tücken und Tricks beim Ankreuzen
Mittwoch, 16.07.2025
Marco Verch_ccnull.de, CC-BY 2.0
Akademiegespräch am Mittag
Zoll- und Wirtschaftspolitik unter Donald Trump. Nationale und globale Auswirkungen
Mittwoch, 23.07.2025
Das Schloss Suresnes wartet auf Sie!
Sonntag, 14.09.2025
Laudato si’ und die ökologische Transformation
Donnerstag, 02.10.2025
Martin Egg/Wikimedia Commons
Glauben, der frei macht?
Freiheitsvorstellungen zur Zeit der Zwölf Artikel und heute
Dienstag, 14.10.2025
Anspruch, Realität, Reformbedarf
Mittwoch, 15.10.2025
Wikimedia Commons
Ludwig I. von Bayern
Prägungen, Konzepte und Politik eines katholischen Herrschers
Donnerstag, 16.10.2025
Bernd Maurer/VG Bildkunst
Ein europäisches Wunder?
Der polnisch-deutsche Bischofsbriefwechsel 1965 als Wegweiser für Frieden und Versöhnung
Donnerstag, 23.10.2025