Eine global hochgeachtete kirchliche und moralische Stimme

Laudatio auf den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I.

Im Rahmen der Veranstaltung "Verleihung Ökumene-Preis", 06.06.2025

Robert Kiderle

In einer Zeit der Mauern und der Angst ist Bartholomäus eine Brücke und eine Stimme des Mutes – ein geistlicher Führer, dessen moralische Klarheit uns daran erinnert, was Menschlichkeit sein kann.“

Diese Worte über den Mann, den wir heute mit dem Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie in Bayern ehren, stammen von keinem geringeren als Kofi Annan, dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. Sie sind umso gewichtiger, als sie aus dem Munde eines Menschen kommen, der nicht als Religionsvertreter spricht, sondern als Repräsentant der wichtigsten weltweiten Vertretung der Staaten mit ihren jeweils völlig unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen.

Es zeigt: Der Ökumenische Patriarch ist nicht nur einer der wichtigsten religiösen Impulsgeber unserer Zeit, sondern genießt auch weit über die Grenzen der Religionen hinaus hohes Ansehen. Er ist ein Patriarch mit globaler Vision und sanfter Kraft. Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus wird als bescheiden und doch mutig, sanftmütig und doch entschlossen, intellektuell brillant, seelsorgerisch mitfühlend und ökologisch prophetisch beschrieben. Er ist ein Brückenbauer, ein moralischer Kompass, ein Verteidiger der Stimmlosen und vor allem eine dienende Führungspersönlichkeit, die tief in der orthodoxen Tradition verwurzelt und dennoch radikal offen für die Welt ist.

 

I.

Persönlich habe ich ihn schon 2014 als bayerischer Landesbischof kennengelernt, als er in München die Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilians-Universität entgegennahm und wir danach gemeinsam mit Kardinal Reinhard Marx ein ökumenisches Symposion zum Thema Nachhaltigkeit abhielten. Zwei Jahre später, dann schon als EKD-Ratsvorsitzender in Istanbul, durfte ich dann die herzliche Gastfreundschaft Seiner Allheiligkeit erfahren. Damals schenkte er mir ein Kreuz, das ich nun bei allen wichtigen Anlässen als Vorsitzender des Weltkirchenrats immer trage. So spüre ich auch durch dieses äußere Zeichen eine innere Verbindung zu ihm persönlich und zur orthodoxen Weltchristenheit.

Im Reformationsjubiläumsjahr 2017 hat Patriarch Bartholomäus uns dann in Deutschland mit einem Besuch in Tübingen beehrt, bei dem er die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen entgegennahm und bei dem wir den ökumenischen Dialog fortführten, den es bereits im 16. Jahrhundert in Gestalt eines sieben Jahre dauernden Briefwechsels zwischen lutherischen Theologen in Tübingen und dem damaligen Patriarchen von Konstantinopel, Jeremias II., gegeben hatte. Die Tübinger hatten eine griechische Übersetzung des lutherischen Augsburger Bekenntnisses an den Bosporus geschickt. Der Dialog wurde nach dem Abbruch dann 400 Jahre später wieder offiziell mit dem Lutherischen Weltbund aufgenommen.

Ein ganz besonderes Erlebnis, aber auch eine ganz besondere Ehre, war die Einladung, die er mir zu einem Ereignis zukommen ließ, das Kirchengeschichte geschrieben hat und sicher als einer der Höhepunkte seiner gesamten bisherigen Amtszeit gelten kann: das panorthodoxe Konzil im Sommer 2016 in Kreta. Trotz des zu vermerkenden Fernbleibens der russisch-orthodoxen Kirche und einiger weniger weiterer Kirchen in der Folge, gelang es dem Ökumenischen Patriarchen dennoch, das Konzil zu einem Markstein orthodoxer Kirchengeschichte zu machen. Die Texte des Konzils zeigen eine tiefe Verwurzelung in der Tradition und markieren zugleich eine Öffnung gegenüber der heutigen Welt, durch die der Schatz der Tradition für Menschen von heute neu zugänglich wird.

Ich gestehe, dass ich der Veröffentlichung der Abschlusstexte mit einer Mischung aus freudiger Erwartung und Bangen entgegengesehen habe. Würde darin die ökumenische Aufgeschlossenheit des Ehrenoberhauptes der weltweiten Orthodoxie Niederschlag finden? Würde die Tür für den weiteren Weg zur Einheit der Kirchen sich öffnen oder würden die ökumenischen Bremser die Oberhand gewinnen? Ich bin dankbar und froh nach Hause gefahren, weil ich in den Texten den ökumenischen Geist Seiner Allheiligkeit wiederfinden konnte.

An uns als ökumenische Gäste gewandt, betonte der Patriarch am Ende des Konzils auf Englisch seine Dankbarkeit über unsere Anwesenheit und dafür, dass wir und unsere Kirchen für den Erfolg des Konzils gebetet hätten. „Wir alle“, so sagte er, „bestätigen den Wert des Dialogs mit allen christlichen Kirchen“.

Und tatsächlich unterstreicht das Abschlussdokument in seinem Teil über die „Beziehungen der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt“ ausdrücklich, dass der Orthodoxen Kirche „der Geist der Ökumenizität und Menschenliebe eigen ist“ und sie „sich immer um die Wiederherstellung der Einheit der Christen gemüht habe.“ Von daher – so heißt es weiter „ist die Mitwirkung der Orthodoxen in der Bewegung für die Wiederherstellung der Einheit mit anderen Christen in der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche in keiner Weise der Natur und Geschichte der Orthodoxen Kirche fremd; es ist dies der Ausdruck des apostolischen Glaubens und der Überlieferung in neuen historischen Umständen” (Ziffer 4).

Auch wenn mir 2016 noch nicht mein jetziges Amt anvertraut war, habe ich mich schon damals sehr gefreut, dass die Konzilstexte den Wert der Mitwirkung der orthodoxen Kirchen im Weltkirchenrat mit seinen 352 Kirchen in 120 Ländern mit um die 600 Millionen Mitgliedern ausdrücklich bekräftigen. Eines der wichtigsten Organe in der Geschichte der ökumenischen Bewegung – so heißt es in Ziffer 16 des Ökumenedokuments – „ist der Weltkirchenrat. Einige Orthodoxe Kirchen waren unter seinen Gründern, und später sind alle seine Mitglieder geworden. Als ein strukturiertes interchristliches Organ erfüllt der Weltkirchenrat wie auch andere zwischenchristliche Organisationen und regionale Organe wie etwa die Konferenz Europäischer Kirchen und der Rat der Kirchen im Mittleren Osten, unbeschadet dessen, dass sie nicht alle christlichen Kirchen und Konfessionen einschließen, eine wichtige Aufgabe im Werk der Erreichung der Einheit der christlichen Welt.“

Die Orthodoxen Ortskirchen, die Mitglieder des Weltkirchenrates sind, nähmen voll und gleichberechtigt teil in der Struktur des Rates und leisteten „mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihren Beitrag zum Zeugnis der Wahrheit und der Förderung der Einheit der Christen“ (Ziffer 17).

Dass das tatsächlich so ist, kann ich aus meiner täglichen Arbeit nun aus vollem Herzen bestätigen. Die Orthodoxie ist kein Zusatz zum ÖRK – sie ist Teil seiner Seele. Ohne sie würde der Rat einen Teil seiner Kernidentität verlieren. Und auch persönlich kann ich nur sagen: Viele der orthodoxen Schwestern und Brüder sind mir zu Freunden geworden. Ich danke Gott für die ökumenische Gemeinschaft, die mein Leben so sehr bereichert. Ich erlebe die „Ökumene des Herzens“, von der die Karlsruher Vollversammlung in ihrem Einheitsdokument 2022 gesprochen hat, bei unseren Versammlungen als Realität. Dass wir fast alle unsere Beschlüsse nach einer von ehrlichem Zuhören geprägten Debatte im Konsens beschließen können, empfinde ich immer
wieder als ökumenisches Wunder.

Und es ist mir eine große Freude, dass ich Sie, Ihre Allheiligkeit, und nun wage ich auch zu sagen, lieber Bruder Bartholomäus, nun noch regelmäßiger sehe, ob nun bei Ihrem Besuch im Ökumenischen Zentrum in Genf, wo Sie bei der Eröffnung der letzten Zentralausschusssitzung gepredigt haben, oder in jüngster Zeit bei den traurigen Anlässen der Begräbnisse von Erzbischof Anastasios von Albanien, einem Leuchtturm der Ökumene, und Papst Franziskus und dann kurz danach bei dem freudigen Anlass der Einführung von Papst Leo XIV.

 

II.

Gerade das langjährige Wirken Seiner Allheiligkeit im Weltkirchenrat zeigt, wie sehr die Ökumene ihm ein Herzensanliegen ist. Ab 1975, lange vor dem Beginn seiner Amtszeit als Ökumenischer Patriarch, war er Mitglied der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung und hatte acht Jahre lang das Amt des Vizepräsidenten inne. Im Januar 1991 leitete er als Metropolit die orthodoxe Delegation bei der siebten Vollversammlung des Weltkirchenrates in Canberra, Australien. Auf dieser Tagung brachte er auch die orthodoxen Einwände gegenüber Positionen ein, die theologisch von wesentlichen orthodoxen Überzeugungen abwichen. Aber im Gegensatz zu einigen anderen orthodoxen Kirchenmännern war er ein starker Befürworter der Aufrechterhaltung ausgedehnter Kontakte mit anderen Kirchen. Bis heute bin ich unendlich dankbar, dass die Differenzen der 90er Jahre nicht zu einem Bruch geführt haben. Es wäre eine Amputation gewesen. Wesentliche Glieder am Leib würden fehlen.

Was ist die Wurzel seines ökumenischen Engagements? Ich hatte die Ehre, zu der deutschen Übersetzung des Buches mit dem Titel Begegnung mit dem Mysterium, in dem der Ökumenische Patriarch das orthodoxe Christentum für Menschen von heute verständlich darlegt, ein Vorwort beizutragen. Wenn man das Buch liest, stößt man immer wieder auf Begriffe wie Beziehung, Begegnung, Gemeinschaft, Miteinander teilen, Austausch und Dialog. Diese Begriffe kennzeichnen sein Denken, aber auch seine ganze Persönlichkeit. So habe ich ihn selbst immer wieder kennengelernt: eine geistliche Führungspersönlichkeit, der als Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christenheit höchste Würde zukommt, der aber zugleich einfach Mensch ist und die Liebe Jesu Christi, von der er spricht, selbst ausstrahlt. Es ist die Zugewandtheit, die jede Begegnung mit ihm zu einer Freude macht.

Und man spürt, wie darin das zum Ausdruck kommt, was er theologisch, so inspirierend beschreibt: Der Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Als Christen verstehen wir Gott als den dreieinigen, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Deswegen heißt, von Imago Dei zu sprechen, immer auch von Imago Trinitatis zu sprechen. Gott ist in sich selbst Beziehung. Wo wir wirklich Menschen sind, wo wir wirklich Gottes Ebenbild sind, da können wir deswegen nur in Beziehung sein. Mensch sein heißt immer auch Gemeinschaft. Deswegen verleugnen Egoismus und Gier unser Menschsein.

Dabei spielen für den Ökumenischen Patriarchen gerade die kleinsten und verletzlichsten Glieder der Gemeinschaft eine besondere Rolle. Aufgrund seines großen Engagements für Initiativen zur Förderung der Rechte und der Würde von Kindern auf der ganzen Welt wurde er auch „Patriarch der Kinder“ genannt. Er hat aktiv mit UNICEF und dem Ökumenischen Rat der Kirchen zusammengearbeitet, um Kinderarmut, Kinderhandel und Ausbeutung zu bekämpfen. Ob er sich für die Bildung von Flüchtlingskindern einsetzt, das Bewusstsein für Kinderarbeit schärft oder sich für den Zugang von Kindern zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung einsetzt – Bartholomäus‘ Stimme war stets klar und deutlich: „Eine Gesellschaft wird nicht nach ihrem Reichtum oder ihrer Macht beurteilt, sondern danach, wie sie ihre Kinder behandelt.“

 

III.

Patriarch Bartholomäus sieht den Beziehungscharakter des Menschseins nicht nur auf die Beziehung zwischen Menschen bezogen, sondern auch auf die Beziehung zwischen Mensch und außermenschlicher Natur. Mit guten Gründen wird er deswegen gerne auch der „Grüne Patriarch“ genannt. Aus meiner Sicht ist das ein Ehrentitel, ein Titel, der nicht nur ein thematisches Interesse, sondern eine tiefe theologische Überzeugung widerspiegelt. Für Seine Allheiligkeit ist die natürliche Welt weder eine neutrale Kulisse für das menschliche Leben noch eine bloße Ressource, die es zu verwalten gilt. Sie ist eine heilige Realität, ein göttliches Geschenk, eine Schöpfung, die die Herrlichkeit Gottes besingt.

Der Schöpfungsgedanke hat in der orthodoxen Theologie schon immer eine zentrale Rolle gespielt. In den letzten Jahrzehnten sind die damit verbundenen theologischen Themen in der orthodoxen Kirche auch ausdrücklich mit der ökologischen Fragestellung verbunden worden. 1989 erklärte der damalige Ökumenische Patriarch Dimitrios I. den 1. September, mit dem im Heiligenkalender der Orthodoxen Kirche ein neues Jahr beginnt, zum Tag besonderen Dankens und Bittens für die Schöpfung. Internationale öffentliche Aufmerksamkeit fanden die Symposien, die unter der Schirmherrschaft und aktiven Teilnahme von Bartholomäus jeweils unter Beteiligung internationaler Wissenschaftler und Theologen auf Schiffen stattfanden. Nach dem Symposion Offenbarung und Umwelt im September 1995 auf einem griechischen Fährschiff im Ägäischen Meer und dem zusammen mit der Europäischen Union auf einem verschiedene Häfen am Schwarzen Meer anlaufenden Schiff veranstalteten ­Symposion Das Schwarze Meer in der Krise im September 1997 fand im Oktober 1999 auf einem Donauschiff das dritte, ebenfalls unter der Beteiligung der EU organisierte Symposion statt, das sich mit dem Thema Ein Strom des Lebens. Die Donau hinab bis zum Schwarzen Meer beschäftigte. Es muss als ein klares Zeichen des Einsatzes für ökologische Anliegen gesehen werden, dass der Patriarch zu Beginn des Symposions am 17. Oktober 1999 an dem ökumenischen Donaugebet teilnahm, das im Umweltschutz engagierte niederbayrische Christinnen und Christen seit 1994 jeden Sonntag am Donaukreuz in Niederaltaich abhalten. Das Ökumenische Patriarchat hat sein Engagement mit Symposien an der Adria (2002), an der Ostsee (2003), am Amazonas (2006) und in der Arktis (2008) fortgesetzt.

In seiner Ansprache zum Schwarzmeersymposion hat Bartholomäus deutlich gemacht, welcher theologischen Grundlage sich sein Engagement verdankt: „So stehen wir vor der Natur… mit der gleichen Bekräftigung ihres Eigenwertes wie der, mit der der Schöpfer aller Dinge sie als ‚sehr gut‘ charakterisiert hat. Gleichzeitig stellen wir uns indessen der Realität der Hierarchie, die dem Bauplan der kosmischen Fülle innewohnt, sowohl in ihren materiellen als auch in ihren spirituellen Dimensionen, und wir weisen jedem ihrer Teile den ihm eigenen Ort zu. Weder machen wir aus der Natur einen absoluten Wert, noch missachten wir sie bis zur absoluten Negation…“ Was der Ökumenische Patriarch hier beschreibt, ist eine eindrucksvolle Verbindung von Spiritualität und Ethik. Das Sich-Versenken in die göttliche Liturgie und die Ausbeutung der Erde sind wie Feuer und Wasser.

Im Mittelpunkt von Bartholomäus‘ Theologie der Schöpfung steht eine patristische Vision: Das Universum ist von göttlicher Gegenwart durchdrungen. In der Tradition der kappadokischen Väter und Maximus des Bekenners ist die Schöpfung keine gefallene Materie, der man entkommen muss, sondern ein liturgischer Raum, in dem die Menschheit aufgerufen ist, an der göttlichen Gemeinschaft teilzuhaben. Diese Schöpfung zu verunreinigen, sie auszubeuten und zu entweihen, ist nicht nur ein Verbrechen gegen die Natur, sondern eine Sünde. Bartholomäus zögert nicht, dieses Wort zu benutzen: Sünde. Er war der erste große religiöse Führer, der den Missbrauch der Umwelt zu einem geistlichen Vergehen erklärte. „Ein Verbrechen gegen die natürliche Welt zu begehen,“ – so sagt er –„ist eine Sünde. Wenn Menschen die biologische Vielfalt von Gottes Schöpfung zerstören, wenn Menschen die Unversehrtheit der Erde beeinträchtigen, indem sie Klimaveränderungen verursachen, indem sie die Erde ihrer natürlichen Wälder berauben oder ihre Feuchtgebiete zerstören, wenn Menschen die Gewässer, das Land, die Luft und das Leben der Erde verunreinigen – das sind Sünden.“

Sünde ist eine Störung in Gott. Martin Luther sagt: „die Verkrümmung des Menschen in sich selbst“. Mit heutigen Worten könnte man sagen: ein Fliehen vor der Verantwortung, die Gott dem Menschen gegeben hat, auch in seiner Beziehung zur außermenschlichen Natur.

„Natürlich“ – sagt der Patriarch in seinem Buch Begegnung mit dem Mysterium, auf das sich die Zahlen in Klammern beziehen – „spielt die Menschheit eine einmalige Rolle und trägt eine eindeutige Verantwortung, aber sie bildet trotzdem einen Teil des Universums, der nicht getrennt von dem Universum betrachtet oder konzipiert werden kann. Auf diese Weise hört die natürliche Umwelt auf, etwas zu sein, das wir objektiv betrachten und selbstsüchtig ausbeuten und wird zu einem Teil der kosmischen Liturgie oder Feier der wesentlichen Vernetzung und gegenseitigen Abhängigkeit aller Dinge.“

Das Missverständnis der Sonderstellung des Menschen als Lizenz zur Ausbeutung wird hier theologisch überwunden: Die „orthodoxe Theologie betrachtet die Menschheit als Teilhaberin an einer königlichen, jedoch nicht tyrannischen Dimension. Der Glaube an die Haushalterschaft und den Dienst der Menschheit innerhalb der Schöpfung ist von einem tiefen Sinn für Gerechtigkeit und Mäßigung geprägt“ (79). Man kann in diesen Worten die wichtige Unterscheidung zwischen Anthropozentrik der Interessen und Anthropozentrik der Verantwortung wiederfinden. Während erstere dem christlichen Verständnis von Schöpfung klar widerspricht, ist letztere ein Schlüssel zu ihrem Verständnis. Die Sonderstellung des Menschen prädestiniert ihn zur Verantwortung, nicht zur Ausbeutung.

Wenn Patriarch Bartholomäus über Umwelt und Klima spricht, spricht er immer auch über Gerechtigkeit. „Wissenschaftler“ – so betont er – „schätzen, dass in den kommenden Jahren diejenigen am meisten durch die globale Erwärmung geschädigt werden, die es am wenigsten verkraften können. Daher ist das ökologische Problem der Umweltverschmutzung unvermeidlich mit dem sozialen Problem der Armut verbunden; und wird jede ökologische Aktivität letztlich durch ihre Wirkung und Auswirkungen auf die Armen gemessen und richtig beurteilt (siehe Mt 25)“ (77).

Er gebraucht starke Worte, um den Zusammenhang zwischen Spiritualität und Ethik zum Ausdruck zu bringen: „Eine Gesellschaft, „die das Gebot ignoriert, sich um alle Menschen zu kümmern,“ ist „eine Gesellschaft, die die Schöpfung Gottes misshandelt, die natürliche Umwelt eingeschlossen. Das kommt Gotteslästerung gleich“ (87). Aber nicht nur um Gerechtigkeit zwischen den jetzt Lebenden geht es, sondern auch um Generationengerechtigkeit: „Es ist ein Zeichen, von Arroganz anzunehmen, dass wir Menschen allein diese Welt bewohnen. Aus dem gleichen Grund ist es auch arrogant, sich vorzustellen, dass nur die heutige Generation diese Erde bewohnt“ (88).

Das alles sind starke Worte. In unseren aktuellen Diskussionen werden solchen Worten oft Moralismus-Etikette angehängt. Dass Seine Allheiligkeit über jeden Moralismusverdacht erhaben ist, zeigt seine immer wieder deutlich zum Ausdruck kommende Freude am Leben, an anderen Menschen und an der Natur, die in einer tiefen Freude an Gott verwurzelt ist.

Der Schlüssel dafür ist das Gebet und die Liturgie: Das Gebet und die Liturgie hilft uns, „ alle Menschen und alle Dinge anzunehmen – nicht aus Angst oder Notwendigkeit, sondern mit Liebe und Freude. Wir lernen dann, uns um Pflanzen und Tiere, Bäume und Flüsse, Berge und Meere, die gesamte Menschheit und die ganze natürliche Umwelt zu kümmern. Wir entdecken dann Freude – anstatt Kummer zu bereiten – in unserem Leben und in unserer Welt“ (83).

Man möchte in die Welt hinausrufen: Hört auf diese Worte! Glück besteht nicht aus immer mehr Reichtum und der damit einhergehenden Umweltzerstörung! Weniger kann wirklich mehr sein! Öffnet euch für die Erfahrung, dass das, was auf den ersten Blick als Verzicht erscheinen mag, sich am Ende als Gewinn an Lebensglück und spiritueller Kraft entpuppen könnte!

Wenn Patriarch Bartholomäus von Umkehr, von Metanoia spricht (93), dann meint er nicht Sauertöpfigkeit und Selbst­optimierungsstress, sondern Einladung zur Freude in und an Gottes Schöpfung! Genauso werden wir im Weltkirchenrat diesen Begriff verstehen, wenn wir damit übernächste Woche bei der Zentralausschusssitzung des Weltkirchenrats in Johannesburg eine weltweite Dekade für Klimagerechtigkeit ausrufen und auf den Weg bringen werden.

Die Spuren des Wirkens Seiner Allheiligkeit sind auch unübersehbar, wenn wir in diesem Jubiläumsjahr, in dem wir 1.700 Jahre Nizäa feiern, eine ökumenische Initiative weltweit vorantreiben, die seit einem Jahr eine große Dynamik gewonnen hat. Am 15. und 16. März 2024 fand in Assisi ein inspirierendes ökumenisches Treffen statt. Vertreter verschiedener weltweiter Kirchenfamilien kamen zusammen, um über die Möglichkeit nachzudenken, den 1.700. Jahrestag von Nizäa zu ehren, indem ein Prozess zur Einführung eines neuen ökumenischen Festes im Kirchenjahr eingeleitet wird, das Gott den Schöpfer mit einem Fest der Schöpfung feiert. Damit würde der ursprünglich vom Ökumenischen Patriarchen initiierte Impuls der orthodoxen Welt aufgegriffen, eine Schöpfungszeit um den 1. September herum zu begehen und ihr auch in der westlichen Christenheit einen prominenteren Platz einzuräumen. Sie, lieber Patriarch Bartholomäus und der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, als Oberhaupt der anglikanischen Gemeinschaft, richteten ermutigende Worte an die Konferenz. Der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Victor Fernandez, und ich selbst, als Vorsitzender des ÖRK-Zentralausschusses, hielten theologische Vorträge zum Thema Schöpfung und unterstützten die Idee.

Die Konferenz führte zu einer inspirierenden Dynamik. Drei der fünf katholischen Bischofskonferenzen des Kontinents haben diese bereits unterstützt. Auf der Folgekonferenz im Mai dieses Jahres, ebenfalls in Assisi, waren so ziemlich alle großen Kirchenfamilien vertreten und sich einig, dass der Assisi-Prozess eine vielversprechende Initiative ist und ein dauerhaftes Ergebnis des 1.700. Jubiläumsjahres von Nizäa sein sollte.

 

IV.

Anhand des Themas Schöpfung ist deutlich geworden, wie sehr die Stimme des Ökumenischen Patriarchen heute gebraucht wird. Es ist eine ökumenisch hoch geachtete globale kirchliche Stimme. Er hat sich unermüdlich dafür eingesetzt, alte Gräben zwischen den christlichen Konfessionen zu überbrücken, indem er mit der römisch-katholischen Kirche, der anglikanischen Gemeinschaft, dem Lutherischen Weltbund und zahlreichen reformierten und orientalischen Kirchen und ganz besonders mit dem Weltkirchenrat zusammenarbeitet. Unter seiner Führung ist die orthodoxe Kirche zu einem glaubwürdigen und großzügigen Teilnehmer an der weltweiten ökumenischen Bewegung geworden.

Das hat auch viel Mut erfordert. Von fundamentalistischen Stimmen innerhalb und außerhalb der Orthodoxie wurde er scharf kritisiert. Seine Bemühungen wurden von denen, die befürchten, dass der Dialog die Tradition verwässert, oft mit Misstrauen betrachtet. Und doch hält er daran fest – nicht, weil die Ökumene ein Trend ist, sondern weil sie Christusnachfolge ist. Mit seinen eigenen Worten gesagt: „Wir verraten die Orthodoxie nicht, wenn wir uns auf den Dialog einlassen. Wir sind dem Evangelium treu“.

Der Ökumenische Patriarch ist aber auch eine hoch geachtete globale moralische Stimme. In einer Welt, die durch Krieg, Ungleichheit, Klimakollaps und zunehmendem Autoritarismus zerrissen ist, ist Bartholomäus zu einer moralischen Stimme geworden, die keine Grenzen kennt. Er spricht nicht nur als geistliches Oberhaupt der orthodoxen Welt, sondern als globales Gewissen. Er hat sich für den Frieden in der Ukraine, für die Rechte von Flüchtlingen, für den interreligiösen Dialog und für eine globale Wirtschaft eingesetzt, die sowohl die Menschen als auch den Planeten respektiert. Er hat vor dem Europäischen Parlament und den Vereinten Nationen gesprochen und die politischen Führer daran erinnert, dass Macht nicht von der ethischen Verantwortung getrennt werden kann.

Er verkörpert das Beste, was religiöse Führung sein kann: weder sektiererisch noch selbstbeschützend, sondern prophetisch, offen und tief verwurzelt in Mitgefühl.

Wenn wir ihn ehren, ehren wir nicht einfach einen Kirchenführer. Wir ehren eine Vision: von der Menschheit, die mit der Schöpfung versöhnt ist, von den Kirchen, die miteinander versöhnt sind, und von einer Welt, die noch an Gerechtigkeit und Barmherzigkeit glaubt.

Eure Allheiligkeit, lieber Bruder Bartholomäus, Sie sind ein Segen für die Kirche und Sie sind ein Segen für die Menschheit. Heute bekommen Sie den Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie in Bayern verliehen. Es hat genau den Richtigen getroffen. Ich gratuliere von Herzen
zu diesem Preis!

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Akademiegespräch am Mittag mit Dr. Thomas von Mitschke-Collande und Christian Gärtner
Mittwoch, 08.10.2025
Martin Egg/Wikimedia Commons
Glauben, der frei macht?
Freiheitsvorstellungen zur Zeit der Zwölf Artikel und heute
Dienstag, 14.10.2025
Akademiegespräch am Mittag mit Prof. DDr. Thomas Fuchs und Prof. Dr. Georg Gasser
Mittwoch, 15.10.2025
Anspruch, Realität, Reformbedarf
Mittwoch, 15.10.2025
Wikimedia Commons
Ludwig I. von Bayern
Prägungen, Konzepte und Politik eines katholischen Herrschers
Donnerstag, 16.10.2025
Akademiegespräch am Mittag mit Kardinal Reinhard Marx
Mittwoch, 22.10.2025
Bernd Maurer/VG Bildkunst
Ein europäisches Wunder?
Der polnisch-deutsche Bischofsbriefwechsel 1965 als Wegweiser für Frieden und Versöhnung
Donnerstag, 23.10.2025
Verantwortung übernehmen und Chancen nutzen
Mittwoch, 29.10.2025