Zuerst war die Idee da, ein kurzfristig agiles Format rein online über Zoom zu entwickeln, das relativ wenig Aufwand für die Akademie innerhalb des Hauses bedeutet und sehr aktuell an Themen dran sein kann.
Der Tod von Papst Franziskus, das folgende Konklave und alles, was sich unter dem neuen Papst Leo XIV. entwickeln könnte, waren dann der Auslöser, die Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Reihe Habemus papam. Ecclesia, quo vadis? war geboren.
Als Zeitraum der Veranstaltung wurde der Mittwochmittag von 12.00 Uhr bis 13.00 Uhr gewählt: Es sollte für möglichst viele Menschen die Möglichkeit bestehen, sich während der Mittagspause, womöglich sogar beim Mittagessen, in ein gut halbstündiges Gespräch zwischen Akademiedirektor Dr. Achim Budde oder einem/einer Studienleiter:in und einem oder mehreren interessanten, teils prominenten Gesprächsgästen aufzuschalten – und sich dann sogar selbst an der Diskussion zu beteiligen und persönlich und exklusiv Fragen zu stellen.
Dank des exzellenten Kontaktnetzwerks der Akademie konnten kurzfristig genügend kompetente Gesprächsgäste gefunden werden, die seit dem 14. Mai 2025 entweder allein oder zu zweit Habemus papam bestritten haben: Den Auftakt machten P. Dr. Andreas R. Batlogg SJ und Bischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, am 21. Mai folgten Prof. Dr. Johanna Rahner und Prof. Dr. Stefanos Athanasiou. Mit Prof. Dr. Thomas Söding unterhielt sich Dr. Achim Budde am 28. Mai und am 4. Juni tauschten sich Dr. h. c. mult. Annette Schavan und Stefan von Kempis mit dem Akademiedirektor aus. Ein weiteres Gesprächsduo waren am 2. Juli Sr. Dr. Katharina Ganz OSF and P. Felix Meckl OSA. So entsteht derzeit eine authentische Sammlung in unserer Mediathek, die auch zahlreich aufgerufen wird, und über die man sich ein buntes Mosaik an Wahrnehmungen zu einem eigenen Bild von Leo XIV. zusammenfügen kann.
I.
Im ersten Gespräch from Habemus papam. Ecclesia, quo vadis? am 14. Mai, sechs Tage nach der Wahl von Robert Francis Prevost zu Papst Leo XIV., gaben P. Dr. Andreas R. Batlogg SJ als Franziskus-Kenner und ZDF-Kommentator und Prof. Dr Heinrich Bedford-Strohm als Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) erste Einschätzungen zum neuen Pontifikat ab.
Zunächst ging es darum, dass Leo XIV. nun eine riesige weiße Projektionsfläche sei, auf die alle mit ganz unterschiedlichen Wünschen und Ideen zukämen. Die Mischung aus Seelsorger, Missionar, Kurienerfahrung als Vorsteher des Dikasteriums für die Bischöfe, Bischof vor Ort und Generalprior, Amerikaner, der sowohl Nord- als auch Südamerika durch einen langjährigen Peru-Aufenthalt kennt – all das habe ihn als Kandidaten wohl attraktiv gemacht. Auch die Tatsache, dass die Wahl innerhalb von 24 Stunden nach Beginn des Konklaves beendet gewesen sei, deute darauf hin, dass es wenig Grabenkämpfe zwischen sogenannten Konservativen und Progressiven gegeben habe.
Wichtig werde sein, ob der Synodale Prozess, den Papst Franziskus bis 2028 angestoßen habe, nun auch tatsächlich fortgesetzt werde.
Vom neuen Pontifex werde zudem weniger erwartet, dass er eine scharfe Kante z. B. gegenüber US-Präsident Donald Trump zeige, aber eine klare inhaltliche Perspektive in den öffentlichen Diskurs einbringe. Immerhin werde er fast mehr als Südamerikaner denn als Nordamerikaner wahrgenommen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde zitiert, der beim Requiem für Papst Franziskus sagte, dass ein Papst natürlich politisch sein müsse. Wenn sich ein Papst aber aus allem raushalte, dann sei auch dies ein politisches Statement. Insgesamt gehe man bei Papst Leo XIV. von einer Kontinuität in einem anderen Stil aus.
Für die Ökumene erhofft man sich Ermutigung, wie durch Franziskus, dann aber auch die nötigen kirchenrechtlichen Konsequenzen, die dieser etwas habe vermissen lassen. Es gehe um eine „Ökumene des Herzens“ mit konkreten Auswirkungen, die den Menschen vor Ort dann auch Sicherheit gebe.
II.
Als zweites Gesprächsduo befragte Akademiedirektor Dr. Achim Budde die Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen, Dr. Johanna Rahner, und den Professor für Dogmatik, Ethik und Ökumenische Theologie an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der LMU München, Dr. Stefanos Athanasiou.
Hier ging es zunächst, wegen der Namenswahl des neuen Papstes, um die katholische Soziallehre, aus der in der heutigen Zeit mit ihrer Kapitalismuskritik durchaus eine kleine Revolution entstehen könne. Es werde spannend zu sehen, wie in einem Land wie den USA, wo inzwischen bereits das Konzept einer allgemeinen Krankenversicherung quasi als Kommunismus angesehen werde, diese Auffassung mit der katholischen Soziallehre zusammengebracht werden könne. Hier könne der Papst tatsächlich als Pontifex/Brückenbauer fungieren, indem er im (auch politisch) gespaltenen Katholizismus der USA extreme Positionen womöglich einhegen und Wunden heilen könnte.
Auch wurde darauf hingewiesen, dass Leo XIV. in Bezug auf das Lehramt sinngemäß schon von einem gemeinschaftlichen Lernweg und einer Diskursgemeinschaft gesprochen habe, was bemerkenswert sei; da es im 19. Jahrhundert zu einer Extremisierung des Katholischen gekommen sei, sei eine Wende hier notwendig.
In Bezug auf die Ökumene in alle Richtungen wurde hier angemerkt, dass wenn die Katholische Kirche nach innen (nicht) funktioniere, auch die Ökumene (nicht) funktioniere. Hier seien Feinfühligkeit und Verständnis auf beiden Seiten gefragt. Dass der neue Papst der Einladung des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zum Nizäa-Treffen Ende November 2025 gerne nachkommen wird, wurde als positives Zeichen gewertet, dass der ökumenische Dialog weitergeführt werde. Interessant in diesem Zusammenhang sei auch, dass die Synodalität viel in der Katholischen Kirche, die Primatialität hingegen in der Orthodoxen Kirche diskutiert werde; beide Prinzipien würden auf der jeweils anderen Seite nicht in Frage stehen.
Erwähnung fand auch das Sozialpapier des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, das 2020 hauptsächlich von den Orthodoxen der USA verfasst wurde; hier sei der interreligiöse und interkulturelle Dialog als Bestandteil bemerkenswert und ein Novum, aber auch der innerorthodoxe Diskurs zwischen West und Ost sei ein spannendes Feld, etwa in Bezug auf unterschiedliche Lebensformen und die Sexualmoral.
III.
Prof. Dr Thomas Söding, Seniorprofessor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), bestritt das dritte Gespräch der Reihe; sein nächstes Buch trägt passenderweise den Titel Wohin will die Katholische Kirche?. Er berichtete von seinem Eindruck des neuen Papstes, mit dem, noch als Kardinal Prevost, das ZdK schon vor der Wahl ein Gespräch hatte: Leo XIV. ist höflich, zugewandt, kontrolliert, informiert, beobachtend, diskursfähig und war bestens informiert über die innenpolitische Lage. Im Weiteren ging es in verschiedenen Blickwinkeln um das Verhältnis von Weltkirche zu Lokalkirche. Nirgendwo gebe es einen ähnlichen Organisationsgrad des sogenannten Laienkatholizismus wie in Deutschland; andere Länder sagten oft: Macht was, tut was, wir hängen uns gerne dran! Aber: Wer spreche für die Katholische Kirche? Weltweit tue das der Papst, doch spreche er alleine? Wisse er sich getragen von der Gemeinschaft, auch in organisierter Form? Die Kirche brauche Rom, aber auch dezentrale Partizipationsstrukturen, in denen sich das Volk Gottes wiederfinden könne. Entscheidend werde, dass es weniger Gremien als bisher gebe, die aber mehr zu sagen hätten.
Inhaltlich werde es, so Söding, weiterhin um drei wichtige Themen gehen müssen: Zum ersten nähmen Fragen der Klimagerechtigkeit stetig an Bedeutung zu, auch wenn sie gerade drohten, etwas zurückgedrängt zu werden. Zweitens würden in einer globalisierten Welt der gesellschaftliche Zusammenhalt sowie internationale Solidarität immer wichtiger. Und zum dritten rücke die soziale Gerechtigkeit vermehrt in den Blick, die Solidarität mit den Schwachen, wobei man mit Wirtschaftsbashing nicht weiter käme, dafür aber vielleicht mehr mit dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft.
IV.
To the vierten Gespräch waren Dr. h. c. mult. Annette Schavan, ehem. Bundesbildungsministerin und Botschafterin am Hl. Stuhl, und Stefan von Kempis, Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News, geladen. Am Anfang habe es eher zu viele als zu wenige Informationen über den neuen Papst gegeben, obwohl dieser ein „low profile“ habe, da es kaum Publikationen von ihm gebe und er sich auch wenig öffentlich äußere. Er kenne die Weltkirche wie kein zweiter, sei ein Mann des Wortes und des Zuhörens. Seine Wahl könne wahrscheinlich schon als Gegenentwurf zur aktuellen Weltlage verstanden werden, gerade wenn es um die drei Prinzipien Personalität, Subsidiarität und Solidarität gehe. Daher werde seine erste Enzyklika spannend werden: Welchen Spin will er seinem Pontifikat geben?
Zukünftig könne es womöglich einen besseren Kommunikationsstil geben: eventuell regelmäßige Besprechungen mit allen Kardinälen („Kabinettssitzungen“) und ein insgesamt freundlicherer Ton, der bereits jetzt bis in die mäandernden Wurzeln des Vatikanapparats spürbar sei. Der Kampf gegen den Zentralismus setze zudem mutige Ortskirchen voraus, die nicht wegen jeder Kleinigkeit in Rom um eine Entscheidung anfragen; hier wäre das Kennenlernen von Ortskirchen untereinander wichtig.
Inhaltlich könnte Leo XIV. auf der Enzyklika Rerum novarum (veröffentlicht 1891) von Leo XIII. (1810–1903) aufbauen: damals wurde im Zeitalter der Industrialisierung gesagt, dass angesichts der großen Veränderungen in der Welt die Würde des Menschen nicht vergessen werden solle. Die schon damals beschworenen Prinzipien Personalität, Subsidiarität und Solidarität seien zeitlos und der neue Papst werde wahrscheinlich sogar über diese hinausgehen. In Bezug auf das Prinzip der Subsidiarität werde in den nächsten Jahren die Fragen wichtig werden: Was kann Rom für alle entscheiden? Und was muss auf die Ebene von Teilkirchen? Hier gehe es nicht um den Kern von Glaubensfragen, sondern um Organisation, Disziplinarfragen oder die Reformagenda. Bei letzterer sei der neue Papst zurückhaltend, dennoch könne man Leo XIV. nun nicht seine Antworten aus vergangenen Tagen vorhalten.