I.
Als ich im vergangenen Jahr im Dezember in Kattowitz an der Internationalen Klimakonferenz teilgenommen habe, wurde ich von Vertretern der Medien, aber auch von den Politikern ein bisschen bedauernd betrachtet. Man sagte mir immer wieder, in Frankreich gäbe es die Gelbwesten-Bewegung, und die Gelbwesten-Bewegung sei ja nun wohl der Sargnagel für die internationale Klimapolitik und gleichermaßen für die nationale Klimapolitik. Denn schließlich könnten wir es uns doch nicht erlauben, dass in den westlichen Demokratien der Rechtspopulismus weiter zunähme. Deswegen müsse man mit den klimapolitischen Forderungen maßvoll sein oder sie vielleicht sogar weit hintanstellen.
Als ich dann im Januar, am Beginn diesen Jahres, mit Politikern gesprochen habe, wie es denn in Deutschland mit der Klimapolitik weitergehen soll, da war die Aussicht, dass der Klimawandel und die Klimapolitik je wieder auf die politische Agenda zurückkehren könnten, eigentlich gleich Null. Dann kam #FridaysForFuture, und plötzlich wurden in den Zentralen der Parteien die Strategen hellwach. Und siehe da, durch #FridaysForFuture waren der Klimawandel und die Klimapolitik plötzlich auf Platz 1 der politischen Agenda. Das ist Ihr Verdienst. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde, ohne Sie wäre das nicht geschehen, und Sie haben sich ein großes Verdienst erworben.
Erstens, im Gegensatz zu vielen Protestbewegungen ist es Ihnen gelungen, den Klimawandel in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, und ich glaube, das ist unglaublich wichtig. Wir brauchen keine Radikalisierung, denn diejenigen, die davon überzeugt sind, sind ja schon davon überzeugt; man muss die Katholiken nicht nochmal taufen. Es geht darum, dass man die Mitte der Gesellschaft erreicht, dass man zu denen spricht, die den Klimawandel bisher für eine Spinnerei gehalten haben. Sie dürfen sicher sein, dass viele Menschen auch in der Mitte der Parteien, in der Mitte der SPD, in der Mitte der CDU, den Klimawandel immer noch für grüne Spinnerei halten. Also, Sie haben den Klimawandel in die Mitte der Gesellschaft getragen, und ich möchte Sie ermuntern, das unbedingt auch weiterhin zu tun. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft mitnehmen, wenn wir einen effektiven Klimaschutz erreichen wollen.
Das zweite, was ich in Ihrer Bewegung so herausragend finde: Sie haben von allem Anfang an den Ehrgeiz gehabt, Ihre Forderungen auf die Wissenschaft zu gründen. Das unterscheidet Sie von vielen Politikern. Als im März diesen Jahres Greta Thunberg das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung besucht hat, war es uns sehr wichtig, daraus kein Medienereignis zu machen. Stattdessen hatten wir Greta Thunberg angeboten, drei Stunden über die wissenschaftlichen Fakten, über die wissenschaftlichen Einsichten zu den Ursachen, Folgen und zu den Lösungsstrategien zu sprechen. Ich war sehr beeindruckt, dass Greta Thunberg zum Beispiel die drei Hauptsätze der Thermodynamik und den Treibhauseffekt ohne Schwierigkeiten darlegen konnte. Ich erspare es mir, im Deutschen Bundestag eine Umfrage zu machen, wie viele Abgeordnete die drei Hauptsätze der Thermodynamik beherrschen, und wie viele in der Lage sind, den Treibhauseffekt fehlerfrei darzustellen.
Das sage ich nicht, weil ich in die Politikerschelte einstimmen will. Ich rede viel mit Politikern und ich habe großen Respekt vor ihnen. Aber was ich nicht mag, ist, wenn unbezweifelbare Fakten der politischen Verhandlung anheimgestellt werden. Das geht nicht! #FridaysForFuture hat von Anfang an gesagt: „Wir wollen sowohl in der Analyse, als auch mit dem, was wir fordern, auf die Wissenschaft hören, und mit der Wissenschaft einen Dialog auf Augenhöhe führen“. Bislang ist es uns in der Wissenschaft nicht gelungen, mit den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft auf derselben Ebene zu kommunizieren. Dass die Wissenschaft jetzt gehört wird und, auch von den Wissenschaftlern, die Frage gestellt wird, wie wir besser kommunizieren können, damit die Politik die Forderungen, die wir haben, besser aufnehmen kann, das ist eine der ganz großen Errungenschaften. Daran müssen wir in den nächsten Monaten arbeiten.
II.
Wir stehen in Deutschland vor großen politischen Entscheidungen. Am 20. September 2019 wird das Klimakabinett ein Paket beschließen. In meinem Vortrag möchte ich darstellen, dass in diesem Klimapaket eine Forderung von überragender Bedeutung ist, nämlich die Reform der CO2-Bepreisung. Das klingt sehr technisch, aber es geht um eine Reform unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Ich glaube, wir müssen verstehen und begreifen, dass der Klimawandel kein Umweltproblem ist. Der saure Regen war ein Umweltproblem, die lokale Luftverschmutzung ist ein Umweltproblem, aber der Klimawandel hat das Potential, die Grundlagen unserer Zivilisation zu zerstören. Es geht um die Zukunft der Erde, und um die Frage, ob wir als Menschheit in der Lage sind, treuhänderisch mit dem umzugehen, was uns anvertraut ist. Oder ob wir von der Substanz leben und die Grundlagen unserer Zivilisation zerstören. Das ist kein Umweltproblem. Es ist vielmehr eine Herausforderung für die gesamte Menschheit, es ist eine Frage der Moderne, nämlich danach, wie wir als Menschen auf dem Planeten in Zukunft leben wollen.
Es gehört aus meiner Sicht zu den fundamentalen Grundeinsichten, dass wir uns nach wie vor in einer Phase befinden, trotz #FridaysForFuture, trotz der Klimakonferenzen, trotz der Einsichten der Klimawissenschaft, in der die Emissionen unaufhörlich steigen. Es ist uns noch nicht gelungen, die Emissionen zu stabilisieren, geschweige denn sie abzusenken. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir uns im globalen Maßstab immer noch in der größten Kohle-Renaissance der Industriegeschichte befinden. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass in den nächsten fünf Jahren die Kohlefrage von großer internationaler Bedeutung ist. Wenn wir diese Frage nicht im globalen Maßstab lösen, werden wir die Klimaziele des Paris-Abkommens nicht erreichen. Stattdessen müssen wir uns dann mit der Frage auseinandersetzen, wie die Menschheit mit dem gefährlichen Klimawandel leben kann und leben muss.
Die Emissionen aus der Nutzung der Kohle haben in den 2000er Jahren erst richtig zugelegt, zu einem Zeitpunkt, als die großen internationalen Energie-Agenturen schon der Auffassung waren, die Kohle hätte die besten Tage hinter sich. In Tat und Wahrheit steuert die Kohle geradewegs auf eine nie dagewesene Renaissance zu. Im globalen Maßstab stellen wir fest, dass besonders in vielen Ländern Asiens, nicht nur in China und Indien, die Kohlenutzung wieder deutlich zunimmt.
Die Emissionen steigen, und diese steigenden Emissionen treiben uns auf einen Pfad, der uns am Ende des Jahrhunderts 4 bis 5 Grad Anstieg der globalen Mitteltemperatur bescheren wird. 4 bis 5 Grad! Wir haben bestenfalls eine Ahnung, was es bedeutet, in einer 4- oder 5-Grad-Welt zu leben. Wir steuern den Planeten in einen Zustand, in dem wir nicht mehr wissen, wie das Erdsystem als Ganzes und seine Komponenten funktionieren werden.
Der jüngste 1,5 Grad-Bericht des Weltklimarates veranschaulicht, was wir eigentlich alles aufs Spiel setzen, wenn wir weitermachen wie bisher. Wir betrachten zuerst die einzigartigen Ökosysteme. Bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur von 1 Grad werden die Korallenriffe auf dem Planeten völlig verschwinden; die Ozeane werden saurer, und das heißt auch, dass die marinen Ökosysteme in ihrer Funktionsfähigkeit fundamental zerstört werden. Wenn Sie sich etwa vorstellen, dass wir im Verlaufe dieses Jahrhunderts 9 Milliarden Menschen, 10 Milliarden Menschen oder gar 11 Milliarden Menschen ernähren wollen, sind viele der Auffassung, dass die Ernährungsgrundlage nicht mehr allein auf dem Land gefunden werden kann, sondern wir auch den Ozean und die marinen Ökosysteme benötigen. Aber diese marinen Ökosysteme würden in ihrer Funktionsfähigkeit grundlegend zerstört.
Hinzu kommt die Zunahme der Extremwetter-Ereignisse wie Dürren und Überschwemmungen: Die beiden letzten Hitzesommer haben uns in Deutschland eine gewisse Ahnung davon vermittelt, was Dürren und Überschwemmungen bedeuten könnten. Das ist aber alles nur kühler Tau gegen das, was bereits heute schon in der südlichen Hemisphäre gang und gäbe ist. Der Klimawandel verschärft die Ungleichheit zwischen Ländern, die Einkommensungleichheit und die Vermögensungleichheit. Er ist nicht allein verantwortlich für die bestehende Ungleichheit, aber er verschärft sie. Wir stellen fest, dass in großen Teilen der Welt die Agrarproduktivität und die Arbeitsproduktivität einbrechen. Darüber hinaus werden wir vor die Herausforderung gestellt, dass sich bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 4 oder 5 Grad die großskaligen Tipping Points im Erdsystem verändern werden.
Einer dieser Tipping Points ist der Amazonas: Wenn die globale Mitteltemperatur um 4 oder 5 Grad steigt, wird der Amazonas von einer Netto-Senke für CO2 zu einer Netto-Quelle. Der Amazonas ist nicht nur das größte Reservoir für Biodiversität, er ist auch die Apotheke der Welt und zugleich einer der größten Kohlenstoffspeicher. Wenn dieses Ökosystem kollabiert, dann wird auch der Treibhauseffekt gravierend zunehmen. Durch die Feedback-Schleifen wird diese Zunahme dramatisch ausfallen. Der Amazonas wird nicht durch einen Anstieg der globalen Mitteltemperatur von 1 Grad zu einer Netto-Quelle, aber bei 4 bis 5 Grad ist das Risiko sehr hoch und sollte nicht vernachlässigt werden.
III.
Deswegen haben die Klimawissenschaftler im Paris-Abkommen darauf gedrungen, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf unter 2 Grad zu begrenzen. Idealerweise wären es 1,5 Grad. Das ist jedoch wahrscheinlich zu ehrgeizig, weil wir 1,5 Grad fast schon erreicht haben. Unter 2 Grad ist also bereits ein relativ ambitioniertes Ziel
Was genau ist nun mit einer Stabilisierung bei 1,5 oder unter 2 Grad gemeint? Eine Stabilisierung unter 2 Grad bedeutet, dass wir nur noch eine begrenzte Menge an CO2 in der Atmosphäre ablagern dürfen. Man kann die Atmosphäre mit einer Badewanne vergleichen, die einen Zulauf, aber keinen Ablauf hat. Warum? Weil das wichtigste Treibhausgas CO2 eine sehr lange Lebensdauer hat. Und unser Zulauf sind die Emissionen, die jährlich in diese Badewanne einfließen. Weil sie aber keinen Ablauf hat, steigt der Wasserpegel ständig. Auf die Atmosphäre übersetzt heißt das, die kumulative Menge an CO2 nimmt kontinuierlich zu. Diesen „Wasserpegel“ nennen wir in der Klimawissenschaft die CO2-Konzentration. Wollen wir also den Füllstand unserer Badewanne ohne Ablauf stabilisieren, müssen wir die jährlichen Emissionen, die über den Zulauf kommen, irgendwann auf Null stellen. Man kann noch darüber streiten, wo der Pegel stabilisiert werden muss: Etwa bei einer halbvollen Badewanne, oder wenn die Badewanne kurz vorm Überlaufen ist.
Wir reden hier und heute davon, dass wir die Badewanne nicht überlaufen lassen wollen. Darum geht es in der Klimapolitik, und deswegen muss irgendwann der Zufluss an Emissionen Null werden. Wenn wir ein 1,5 Grad-Ziel erreichen wollen, müssen die Emissionen im Jahr 2050 Null betragen. Wenn wir uns ein bisschen mehr Zeit geben, vielleicht 10 Jahre, 15 Jahre, dann wird steuern wir auf das 2-Grad-Ziel zu. Aber am Ende geht es nur um Eines: dass die Emissionen, der Zulauf in die Badewanne, Null werden. Viele Politiker beobachten immer nur den Zulauf. Wenn dieser ein bisschen geringer wird, dann werten sie dies bereits als großen Erfolg. Natürlich ist es schön, wenn er abnimmt. Aber wenn die Badewanne schon ziemlich voll ist und wir nicht den Null-Zulauf erreichen, wenn wir den Zulauf nicht abstellen, dann wird irgendwann die Badewanne überlaufen. Das ist die Herausforderung der Klimapolitik!
Man kann mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass in der Atmosphäre noch ungefähr zwischen 800 und 1.000 Gigatonnen CO2 abgelagert werden können. Wo genau dieser Wasserspiegel derzeit liegt, wird noch diskutiert. Das können wir aber getrost der Klimawissenschaft und der Klimaökonomie im Detail überlassen. Für uns ist vor allem die ungefähre Größenordnung wichtig. Was genau bedeutet das, wenn wir sagen, dass wir nur noch 800 bis 1.000 Gigatonnen, am besten natürlich nur 800 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre ablagern dürfen? Gemessen an der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre haben wir im 21. Jahrhundert keine Knappheit, sondern ein Überangebot an den fossilen Energieträgern, nämlich 15.000 Gigatonnen CO2 in Form von Kohle, Öl und Gas, die noch im Boden lagern.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen lässt sich ein interessantes Gedanken-Experiment machen. Wir stellen uns dazu einmal vor, die Welt wäre genau umgekehrt. Wir dürften weitere 15.000 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre ablagern, hätten aber nur noch 800 Gigatonnen im Boden. Wie würde die Welt dann aussehen? Müsste ein deutscher Wirtschaftsminister im Bundestag zu dieser Problematik eine Rede halten, dann würde er etwa wie folgt argumentieren: „In den nächsten 10 Jahren werden die Ressourcen-Preise auf dem gesamten Planeten für Kohle, Öl und Gas dramatisch steigen. Es ist ein Imperativ der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen, die Energieeffizienz erhöhen, und dass wir unseren energieintensiven Lebensstil überdenken. Eine Nation, eine Volkswirtschaft, die dies nicht zustande bringt, wird in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit dramatisch zurückfallen“. Mit anderen Worten, die internationalen Ressourcen-Märkte würden uns auf den Pfad der energiepolitischen Tugend zwingen. Wir würden mit Energie effizienter umgehen, weil uns schlicht und ergreifend nichts anderes übrig bliebe.
Tatsächlich leben wir aber in einer Welt, die ein Überangebot fossiler Energieträger vorhält, in der gleichzeitig jedoch die Atmosphäre nur noch sehr begrenzt aufnahmefähig ist. Das Problem ist, dass die Atmosphäre als eine wilde Deponie missbraucht wird. In dieser Atmosphäre darf jeder nach Gutdünken seine Emissionen ablagern. Je reicher jemand ist, je mehr fossile Energieträger er verbraucht, umso mehr kann er ablagern. Wir nutzen die Atmosphäre ganz einfach nach dem Grundsatz des Rechts des Stärkeren. Stattdessen müssten jedoch Nutzungsrechte definiert werden, damit die Atmosphäre eben nicht als wilde Deponie begriffen wird, sondern als ein globales Gemeinschaftseigentum der Menschheit. Das ist der Kernsatz in der Enzyklika Laudato Si‘ von Papst Franziskus. Dort heißt es: Das Klimasystem ist ein globales Gemeinschaftseigentum der Menschheit. Dieser Satz benennt die ethische und globale Herausforderung, vor der wir stehen. Nicht die Ressourcen-Märkte, nicht die Mechanik der Wirtschaft, nicht die Knappheit der Natur, sondern die ethische Einsicht ist es, die uns zu einem treuhänderischen Umgang mit dem globalen Gemeinschaftseigentum der Menschheit verpflichtet.
Weder der ökonomische Zwang noch der politische Zwang noch der Zwang der Natur muss uns zu einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit dem globalen Gemeinschaftseigentum bewegen, sondern die vernünftige Einsicht in die Notwendigkeit. Das ist die entscheidende Aufgabe: aus freier Einsicht, ein internationales Abkommen zustande zu bringen, das fair, gerecht und effizient ist. Das ist eine große und schwierige Herausforderung. Aus diesem Grund halten die Wirtschaftsminister auf dem Planeten eben nicht solche Reden über einen notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien, über eine Erhöhung der Energieeffizienz und über die nachhaltige Änderung unseres Lebensstils. Stattdessen propagieren sie, dass Klimaschutz zwar wichtig sei, aber die Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden dürfte. Sonst wären deutsche Arbeitsplätze bedroht, was in niemandes Interesse sein könne; deswegen Klimaschutz mit Maß und Ziel. Was im Klartext heißt: kein Klimaschutz.
IV.
Richtig daran ist, dass die Menschheit als Ganzes ein internationales Abkommen zustande bringen muss, indem sich Staaten nicht mehr als Trittbrettfahrer verhalten. In Zeiten von Donald Trump und der neuen brasilianischen Regierung ist das zugegebenermaßen ungeheuer schwer. Der Multilateralismus ist bedroht, globale Solidarität hat im Augenblick keine Hochkonjunktur in den internationalen Verhandlungen, und trotzdem ist dieses Abkommen eine der zentralen Aufgaben unseres Landes. Es ist eine der zentralen Aufgaben der Kirchen, den Multilateralismus, die Einsicht in die globale Solidarität stark zu machen.
Was getan werden muss, um ein solches Abkommen zu entwerfen, und wie es letztendlich zustande kommt, ist eine interessante und schwierige Aufgabe. Meiner Ansicht nach erfordert es eine fundamentale, grundlegende Reform unseres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Die internationalen Klimaverhandlungen und die Klimadiplomatie werden häufig als ein furchtbar langatmiges Geschäft empfunden und damit verbunden hört man oft die Frage nach einem besseren, einfacheren Weg. Könnte man sich denn nicht einfach darauf verlassen, dass vielleicht der technische Fortschritt für uns das Problem doch irgendwie löst? Die Kosten für die Erneuerbaren sind bereits so dramatisch gesunken. Wären wir am Ende nicht doch besser dran, wenn wir die Klimapolitik oder den Klimaschutz in die Hände deutscher Ingenieure legten, als in die Hände von internationalen Klimadiplomaten?
Lassen wir uns einmal für einen Augenblick auf dieses Gedankenexperiment ein. Stellen wir uns vor, wir wachen morgen Früh auf, und stellen fest, Photovoltaik und Windenergie wäre so billig, dass niemand mehr einen Anreiz hätte, Kohle aus dem Boden zu holen. Dann wäre das Problem in der Tat gelöst. Wenn aber dieser Prozess der Kostenreduzierung für die Erneuerbaren Zeit braucht, kommt eine entscheidende Schwierigkeit hinzu. Was passiert in der Zwischenzeit? China und Deutschland bauen nun beispielsweise die Erneuerbaren aus und fragen dadurch gleichzeitig weniger fossile Energieträger nach. In der Konsequenz sinken deren Preise. Folglich werden wieder vermehrt fossile Energieträger nachgefragt. Das ist genau das, was im Augenblick in der Weltwirtschaft passiert. Wir fördern und bauen die Erneuerbaren aus. China ist der größte Markt für diese alternativen Energien und zugleich auch der größte Investor in die Kohle. Wir sollten auch nicht mit dem Finger auf Polen zeigen. Deutschland hat seit 2011 zehn neue Kohlekraftwerke gebaut, Deutschland ist abhängig von der Kohle. Wir sind gleichzeitig ein Land der Erneuerbaren und ein Kohleland. Unsere Emissionen aus der Kohle sind doppelt so hoch wie die von Polen. Wer also auf unsere Nachbarn zeigt, sollte sich näher mit dem deutschen Kohleausstieg beschäftigen.
Wenn wir auf unser Bild von der Badewanne ohne Ablauf zurückkommen, in der nur noch eine begrenzte Menge an CO2 Platz hat, ist es entscheidend, wie lange der Zulauf noch offen ist. Und weil das so ist, können wir nicht warten, bis die Kosten für Photovoltaik und für Windenergie so billig sind, dass niemand mehr auf dem Planeten einen Anreiz hat, Kohle, Öl und Gas aus dem Boden zu holen. Deswegen ist aus meiner Sicht eine fundamentale Kernforderung, dass wir CO2 einen Preis geben müssen. Was macht ein Preis für CO2? Er sorgt dafür, dass die CO2-freien Alternativen rentabel werden. Aber ein CO2-Preis bestraft gleichzeitig auch die Nutzung der fossilen Energieträger entsprechend ihres Kohlenstoffgehalts, also Kohle mehr als Gas, und Gas mehr als Öl. Das heißt mit anderen Worten, der Weg, mehr Erneuerbare zu nutzen und zugleich mehr fossile Energieträger, ist uns versperrt. Genau das ist die Idee, die diesem Konzept zugrunde liegt. Weil der CO2-Preis zudem eine Knappheit zum Ausdruck bringen muss, nämlich die Knappheit des begrenzten Deponieraums der Atmosphäre, muss er ansteigen.
Das dritte, was ein CO2-Preis leistet, ist das Generieren von Einnahmen. Diese können dazu dienen, diejenigen zu entlasten, die überproportional von einer CO2-Bepreisung betroffen wären. Tatsächlich geben einkommensschwache Haushalte überproportional viel Geld für Wärme und Strom aus, also für alle heute CO2-intensiven Dienstleistungen. Damit diese nicht die Verlierer der Einführung eines CO2-Preises sind, könnte ihnen ein Teil der Einnahmen zugutekommen. In jedem Fall ist es unsere Kernaufgabe, CO2 einen Preis zu geben, damit die grundlegende und fundamentale Knappheit der Atmosphäre bei den Investitions- und Konsumentscheidungen eine zentrale Rolle spielt.
Auf den ersten Blick mag dieser CO2-Preis wie eine typische Ökonomen-Forderung erscheinen. Eine Forderung aus dem akademischen Elfenbeinturm. Wären da Verbote nicht viel effektiver? Eine gesamte Volkswirtschaft durch Verbote so zu transformieren, dass am Ende, das heißt 2050, die Emissionen Null werden, ist vermutlich nicht möglich. Die entscheidende Aufgabe ist es vielmehr, Marktwirtschaften, Wirtschaftsordnungen und Wirtschaftssysteme zu entwickeln, die grundlegende Knappheiten respektieren. Wir hatten auf diesem Planeten schon einmal ein Experiment, damals wirtschaftspolitischer Art, in dem eine ganze Volkswirtschaft versuchte, fundamentale und grundlegende Knappheiten zu ignorieren. Gemeint sind die Zentralverwaltungswirtschaften Osteuropas und der Sowjetunion, die am Ende alle gescheitert sind. Gescheitert, weil sie die grundlegende Knappheit auf den Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten ignoriert haben. Wenn der moderne Kapitalismus nicht begreift und versteht, dass die grundlegende Knappheit des 21. Jahrhunderts die globalen Gemeinschaftsgüter sind, wird er an dieser Ignoranz zugrunde gehen.
Deswegen glaube ich, dass die Einführung einer CO2-Bepreisung ein wichtiger Startpunkt ist für die grundlegende Reform unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Ein solcher CO2-Preis würde es uns eben gerade nicht mehr erlauben, die Atmosphäre wie eine wilde Deponie zu nutzen. Vor allem auch den ärmeren Ländern würde damit ein fairer Zugang verschafft. Wie wäre dieses Konzept umsetzbar? Wenn Länder wie Nigeria bereit wären, ihre CO2-Preise anzuheben und damit zum Beispiel von Kohle auf Gas überzugehen, könnte ein Großteil der damit entstehenden Kosten aus dem Green Climate Fund finanziert werden. Denkbar wäre auch ein internationaler Länderfinanzausgleich, damit Länder, die sich heute noch keinen Klimaschutz leisten können, trotzdem gemeinsam mit den wohlhabenderen Nationen die notwendigen Maßnahmen ergreifen können, um das Zuschlagen des gefährlichen Klimawandels in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu verhindern. Denn eines muss uns klar sein: Ein globales Nichtstun, also ein ungebremster Klimawandel, hätte für die wirtschaftliche Entwicklung eines Großteils dieses Planeten verheerende Konsequenzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass das Thema CO2-Preisreform von wirklich grundlegender Bedeutung ist. Gott sei Dank, und das ist das Großartige, erleben wir momentan eine Debatte und eine Phase der deutschen Geschichte, in der dieses Thema der CO2-Preisreform jetzt endlich auf der politischen Tagesordnung ganz oben steht, dank FridaysForFuture. Am 20. September wird das Klimakabinett darüber entscheiden, ob Deutschland in eine ehrgeizige CO2-Preisreform einsteigt. Davor haben viele Politiker einen gewaltigen Respekt. Sie glauben nämlich, wenn sie CO2-Preise einführen und damit CO2-freie Technologien rentabel machen, werden sie nicht mehr gewählt. Sie glauben, dass der Rechtspopulismus erst richtig an Fahrt gewinnt, wenn an der Tankstelle Benzin und Diesel ein paar Cent mehr kosten. Politiker haben eine panische Angst davor, dass sie von den Wählern abgestraft werden, weil diese schließlich die Grundlagen unserer Zukunft sichern. Es ist an uns, den Politikern zweierlei klar zu sagen: Wir wählen euch ab, wenn ihr unsere Zukunft verspielt. Und wir werden euch wählen, wenn ihr die Grundlagen unserer Zukunft sichert, denn das ist eure Pflicht und Schuldigkeit.