Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – erste Erfahrungen und Umgang in der Praxis

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Das LKSG und die damit fokussierte Sorgfalt der Unternehmen im Umgang mit Human Rights ist in sich nicht in Frage zu stellen. Alle Unternehmen haben grundsätzlich die Verantwortung mit Sorgfalt in Bezug auf gültige Human Rights zu agieren. Da ist es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber diese Sorgfalt spezifiziert und regeln möchte. Auch reagiert der Gesetzgeber auf den politischen Druck durch die Gesellschaft und die Notwendigkeit sich in allen Themen rund um Nachhaltigkeit zu positionieren. Der schmale Grat allerdings, Regelungen im Sinne der gesellschaftlichen Forderungen auf der einen Seite und gesetzliche Stellschrauben auf der anderen Seite in Einklang zu bringen, ist in einem ersten Gesetzentwurf und der gelebten Praxis kritisch zu betrachten. Eine Gesetzgebung kann nur dann wirkungsvoll sein, wenn die richtigen Stellschrauben und Hebel definiert wurden, im Einklang einer zukünftigen Kontrollierbarkeit und Akzeptanz durch die Betroffenen.

Es ist nicht so, dass Unternehmen in der Vergangenheit ihre Sorgfalt im Rahmen der Human Rights nicht erfüllt haben oder gar ernst genommen hätten. Im Gegenteil, es wurde auch schon in der Vergangenheit viel getan und investiert, um im Rahmen der Anti-Diskriminierung den bereits vorhandenen Gesetzgebungen gerecht zu werden. Auch wurde bereits in der Vergangenheit die Sorgfaltspflicht in der Beschaffung thematisiert. Allerdings fehlte ein klarer Rechtsrahmen zur Orientierung in dieser Thematik.

Zurzeit allerdings erleben wir aus Sicht der Unternehmen eine regelrechte Flut an Regularien, die aus verschiedenen Blickwinkeln und unter dem Oberbegriff „Nachhaltigkeit“ das Grundthema Human Rights aufgreift und reguliert. Hier sind das LKSG sowie die EU Deforestration Regulation, die Regularien des European Court of Human Rights, das Datenschutzgesetz, der EU Non Financial Reporting Standard sowie das Klimaschutzgesetz zu nennen.

Unternehmen entsteht durch diese massive Einführung neuer Regularien ein enormer Aufwand in der Umsetzung der Anforderungen gegenüber dem Gesetzgeber. Aber auch in Richtung der Endverbraucher und Interessensgruppen, durch mehr Kommunikation und Aufklärung und durch eine größere Angriffsfläche in allen Aspekten der Compliance.

Durch die Geschwindigkeit der Einführung dieser Regularien, der fehlenden Erfahrung in der Interpretation von gesetzlichen Regelungen und der fehlenden richterlichen Klarstellungen individueller Sachverhalte wächst die Unsicherheit bei Unternehmen in der Absicherung, wann ergriffene Maßnahmen als „ausreichend“ angesehen werden und wer dies final beurteilt.

Wie bereits erwähnt, sind viele Unternehmen schon in der Vergangenheit durch eigenes Interesse und Anerkennung ihrer Sorgfaltspflicht aktiv gewesen. Hier sind grundsätzlich Bestrebungen rund um das Thema Diversity, Equity & Inclusion, Arbeitssicherheit oder nachhaltige Verpackung zu nennen. Aber auch eigene Programme rund um No-Deforestration, Responsible Farming oder transparent Supply Chain Prozesse beschäftigen viele Unternehmen schon seit Jahren. Hierzu gibt es eine Vielzahl an Interessensgemeinschaften und Nachhaltigkeitsallianzen in diversen Branchen.

Seit der Einführung des LKSG müssen sich Lebensmittel herstellende Unternehmen um die Balance zwischen dem Anspruch einerseits ein qualitatives und vom Endkonsumenten akzeptiertes Produkt zu führen und andererseits den immer granularer geforderten Ansprüchen im Rahmen der allgemeinen Nachhaltigkeit gerecht zu werden, Gedanken machen. Hier widersprechen sich die Anforderung der Endkonsumenten, ein Premiumprodukt zu niedrigem Preis zu erhalten, das als Geschenkartikel auch einem Image gerecht wird und der Anspruch der Interessengruppen, Unternehmen in allen Fragen rund um Human Rights oder Umwelt sowie Inhaltstoffe zu hinterfragen. Dies fordert von Unternehmen ein hohes Maß an Kommunikationsressourcen und eine Forschung & Entwicklung, die nicht nur das Produkt als solches entwickelt, sondern sich auch intensiv mit der Verpackung und Rohstofflieferkette auseinandersetzt.

All dies führt leider auch dazu, dass Unternehmen in der momentanen Diskussion über die Einführung, Tragweite, Anforderungen und Konsequenzen neuer Regularien eher dazu tendieren, eine „Absicherungspolitik“ zu fahren und weniger den eigentlichen „Nachhaltigkeitszweck“ der Regularien fokussieren, also eine Vermeidungsstrategie gegenüber möglichen Strafzahlungen ins Zentrum ihrer Aktivität setzen.

Um sich gegenüber allen Anforderungen abzusichern, benötigt ein Unternehmen eine erhebliche Anzahl an Policies oder eigenen Regularien, die als Verhaltenskodex das Unternehmen positionieren. Hier sei neben dem Code of Conduct, die Compliance Policy, die Human Rights Policy, die Data Privacy Policy und eine Whistle Blower Policy genannt.

Die Umsetzung und Erfüllung all dieser Policies erfordert von jedem Mitarbeitenden eines Unternehmens eine hohe Aufmerksamkeit, erzeugt aber auch eine entsprechende Unsicherheit, ob man dieser Fülle an Regularien als Mitarbeitender gerecht werden kann.

Ohne eine intelligente systemische Unterstützung, die Prozesse digital umsetzt und damit managebar macht und ein gefordertes Reporting sicherstellt, ist dieser Aufwand nicht zu bewältigen.

An dieser Stelle sei auch kurz der Hinweis erlaubt, dass alle, durch einen Gesetzgeber etablierten Regulatorien, Gegenstand eines möglichen Audits sein können – sei es ein Qualitätsaudit auf ISO-Standard basierend oder aber auch ein Kundenaudit im Allgemeinen.

Unternehmen sehen sich immer mehr einem „bunten Blumenstrauß“ an Adressaten gegenüber, den sie kommunikativ managen müssen. Durch moderne Kommunikationswege, wie z. B. Social Media und einer damit verbundenen neuen schnelleren und direkteren Feedback-Kultur, stehen Unternehmen permanent vor dem Risiko adressatengerecht und transparent zu informieren. Jeder Adressat hat hier einen anderen Anspruch und ein anderes Bedürfnis. Eine derartige Kommunikation final auch rechtssicher zu gestalten, wird die große zukünftige Herausforderung sein, wenn man nicht nicht kommunizieren möchte.

Als Fazit dieser Überlegungen kann man festhalten, dass das LKSG in seiner heutigen Formulierung und den bereits veröffentlichten Kommentaren immer noch sehr viel branchenspezifischen Interpretationsspielraum bietet. Dies wird zurzeit durch die Diskussion rund um das zukünftige europäische CSDDD nicht weniger klarer – im Gegenteil. Die aktuellen Gesetzgebungen bieten Interessensgruppen einen interessanten Nährboden für kritische Nachfragen oder leider sogar konfrontativen Unterstellungen, auf die Unternehmen aus der Defensive heraus oftmals nur bedingt reagieren können. Daher tendieren viele Unternehmen eher dazu, sich noch stärker abzusichern und weniger zu kommunizieren. Auch werden sie in der geforderten Transparenz im Reporting immer vorsichtiger agieren, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Wenn dies alles wichtiger ist als die Wahrnehmung für ein qualitativ hochwertiges und nachhaltiges Produkt, dann versteht man die Sorge rund um die Balance zwischen gutgemeinten Regulatorien, schneller Einführung und einem immens großen Interpretationsspielraum, der eher zu einer Vermeidungspolitik führt. 

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