Das Schreiben der Synode von Antiochia 324/325 (Urk. 18)

Überlieferungsgeschichtliche Einordnung, Edition, Übersetzung und Kommentar

Im Rahmen der Veranstaltung Preis für Junge Theologie, 07.11.2023

Es ist mir eine besondere Ehre, mit dem Preis für Junge Theologie 2023 ausgezeichnet worden zu sein. Dafür möchte ich mich bei allen, die dafür verantwortlich sind, ganz herzlich bedanken. Mich freut es zugleich sehr, dass Sie und Ihr alle Euch dazu eingefunden habt, diesen festlichen Anlass gemeinsam mit mir zu begehen. Eine solche Feierstunde charakterisieren naturgemäß Verbundenheit, Eintracht und Harmonie, sie soll allen Beteiligten in bester Erinnerung bleiben.

Das passt nicht ohne Weiteres zu dem Text, über den ich meine Dissertationsschrift verfasst habe: Mehrmals hat er Streit befeuert oder sogar hervorgerufen, er wurde zur Geschichtsverzerrung eingesetzt und ist zugleich über Jahrhunderte hinweg in völlige Vergessenheit geraten. Gestatten Sie mir deshalb, den Charakter des heutigen Abends thematisch vorübergehend abzuwandeln, bevor wir dann eingeladen sind, mit der Eröffnung des Buffets erneut Verbundenheit und Geselligkeit aufs Trefflichste zu kombinieren.

Einleitung und Hinführung

Wie der Laudator, dem ich für seine ehrenvollen Worte ganz herzlich danken möchte, bereits deutlich gemacht hat, handelt meine Arbeit vom Schreiben einer Synode, die zwischen Herbst 324 und dem ausgehenden Winter 325 in Antiochia am Orontes zusammengetreten ist. Antiochia, auf der Tabula Peutingeriana entsprechend hervorgehoben, war eine der wichtigsten Städte des Reichs – politisch wie kirchlich. Die Geschichte des Christentums in Antiochia reicht bis in die Zeit seiner frühesten Ausbreitung zurück, Apg 11,26 zufolge wurden hier die Jünger Jesu zum ersten Mal mit dem Namen „Christen“ belegt. Im vierten Jahrhundert, in dem das Synodalschreiben entstanden ist, hatte die Stadt ihre kirchliche Schlüsselposition ausgebaut. Der Bischof von Antiochia stand der Stadt vor, von welcher aus ein Vicarius die Diözese Oriens, das heißt, ein Gebiet von der heutigen Südtürkei bis nach Ägypten verwaltete. Dementsprechend konnte der antiochenische Bischof – Ägypten ausgenommen – auf diese Gebiete kirchenpolitisch Einfluss nehmen. Wer hier Bischof war und was hier entschieden wurde, betraf also etliche Ortskirchen, mitunter den griechischsprachigen Osten des Römischen Reichs insgesamt.

In der historiographischen Aufarbeitung der ersten Phase des sogenannten arianischen Streites – bis zur Synode von Nizäa 325 – hatte Antiochia allerdings lange keine besondere Bedeutung – weder in den einschlägigen Darstellungen der Spätantike noch in der kritischen modernen Forschung ab dem 18. Jahrhundert. Tatsächlich ist der Streit zunächst mit dem ägyptischen Alexandria im Nildelta – gewissermaßen als seinem Epizentrum – verbunden. Dort brach 318 bekanntermaßen ein theologischer Konflikt aus. Der Presbyter Arius und der Ortsbischof Alexander waren sich uneins über die Stellung des Sohnes Gottes im Verhältnis von Gott und Welt: Beide betrachteten ihn als Mittler – in Schöpfung und Erlösung –, zogen daraus aber höchst unterschiedliche Konsequenzen: Während Alexander dem Sohn die gleiche Ewigkeit zusprach wie sie der göttliche Vater als Urgrund aller Wirklichkeit hat, stand er für Arius auf der Seite des Geschaffenen – zwar nicht als ein Geschöpf wie die anderen Geschöpfe, aber in letzter Konsequenz eben doch ein Geschöpf.

Bei einer gelehrten Auseinandersetzung sollte es nicht bleiben: Alexander sah seine Autorität infrage gestellt, Arius konnte wiederum etliche bischöfliche Unterstützer – weit über den Einflussbereich des alexandrinischen Bischofs hinaus – mobilisieren. Und schließlich war allen Beteiligten die Auseinandersetzung in der Sache selbst zu wichtig, als dass man die Frage hätte vertagen oder gleich zu den Akten legen können. Die Exkommunikation und Absetzung des Arius führte deshalb dazu, dass sich der Streit auf den gesamten Osten des Reichs ausdehnte und erhebliche Fraktionierungen unter Bischöfen zur Folge hatte.

Bleibender lokaler Bezugspunkt war dabei Alexandria, verbunden mit der geforderten Wiedereinsetzung des Arius in sein dortiges Amt. Der nächste entscheidende Akt ist in der herkömmlichen Darstellung dann das Eingreifen Konstantins, der nach seinem Sieg über Licinius im September 324 mit der Kontroverse politisch konfrontiert wurde und nach einem vergeblichen Versuch, die Streitenden von der Irrelevanz ihrer Auseinandersetzung zu überzeugen, mit der von ihm einberufenen Synode von Nizäa die Exkommunikation des Arius durchsetzen und zu einer – zumindest kurzfristigen – Befriedung unter einem gemeinsamen Bekenntnis beitragen konnte, das bis heute für nahezu alle christlichen Konfessionen grundlegend ist.

Der Text, den der Göttinger Altphilologe Eduard Schwartz 1905 ans Licht der wissenschaftlichen Öffentlichkeit hob, war geeignet, dieses Bild erheblich zu verändern. Schwartz hatte das Dokument in einer syrischen kirchenrechtlichen Handschrift der Bibliothèque nationale in Paris ausfindig gemacht und in seinen Studien Zur Geschichte des Athanasius publiziert.

Er wies das in der Überlieferung aus seinem historischen Kontext gerissene Stück der Vorgeschichte der Synode von Nizäa zu und ordnete es als Schreiben einer antiochenischen Synode ein, die sich an einen Bischof namens Alexander – entweder von Thessaloniki oder Byzanz – gewandt hatte. Die 56 Bischöfe, welche die Grußadresse aufführt, beklagen darin die Situation der antiochenischen Kirche, die mit den arianischen Wirren begründet wird, stellen ein dezidiert anti-arianisches Glaubensbekenntnis auf und exkommunizieren drei Bischöfe aus dem syro-palästinensischen Raum, darunter einen echten Prominenten, den als Kirchenhistoriker und Theologen bekannten Eusebius von Caesarea.

Brisant war der Text zunächst, weil er mit Antiochia ein zweites Epizentrum der theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen dieser Zeit etablierte. Die Exkommunikation des Eusebius war zudem bis dahin gänzlich unbekannt, sie hatte sonst nirgendwo im umfangreichen Schrifttum des vierten und fünften Jahrhunderts Erwähnung gefunden. Die theologiegeschichtliche Brisanz des Textes wurde dagegen erst später erkannt: Die Synode übernimmt im Glaubensbekenntnis nicht einfach die theologische Position Alexanders von Alexandria, sondern spitzt diese unter anti-origenistischen Vorzeichen zu: Der Sohn wird nicht mehr – wie noch bei Arius und Alexander – von seiner Mittlerstellung zwischen Gott und Welt her verstanden, sondern es wird eine grundlegende Diastase zwischen „gezeugt“ – der Sohn – und „geschaffen und geworden“ – der Kosmos – aufgerichtet.

Für Schwartz war die Entdeckung des Textes aber vor allem ein methodischer Triumph. Der Altphilologe hatte sich zum Ziel gesetzt, hinter die Darstellung des arianischen Streites in spätantiken Kirchengeschichten, etwa des Sokrates von Konstantinopel, des Sozomenos und des Theodoret von Kyrrhos, zurückzugehen. Er wollte dazu dort überlieferte Dokumente aus der Darstellung herauslösen und zudem bis dahin selten beachtete spätantike Dokumentensammlungen heranziehen. Dabei gelte es insbesondere, so Schwartz, die kirchenrechtliche Überlieferung, und zwar auch orientalische Traditionen zu berücksichtigen. Dass die Methode nun gleich eine neue – und dann auch noch so spektakuläre – Quelle zutage förderte, hätte man sich wohl kaum besser ausmalen können.

Schwartz war es dabei nicht nur um eine möglichst breite Quellenbasis zu tun: In den Dokumenten werde noch ungefiltert ersichtlich, was spätere historiographische Darstellungen theologisch verbrämt hätten: In den kirchlichen Auseinandersetzungen ab dem vierten Jahrhundert, also in der sich konstituierenden Reichskirche, sei es selten um die Inhalte an sich, sondern vor allem um Autorität und Machtausübung gegangen. Schwartzens dokumentenfokussierte Methode – diese Bemerkung sei hier gestattet – ist längst zum Forschungskonsens geworden und hat darüber ihre theologiekritische Spitze verloren – zumindest, wenn man bereit ist, Kirchengeschichte nicht einfach als Geschichte der Einheit der Kirche, sondern als Geschichte des – mitunter recht unerbittlich geführten – Ringens um ihre Einheit zu verstehen.

Meine Arbeit erschließt diesen von Eduard Schwartz erstmals vorgelegten Text nochmals grundlegend: So biete ich eine Neuedition des Textes und rekonstruiere seine Überlieferung von den Ereignissen in Antiochia 324/25 bis zu den ab dem 8. Jh. in der heutigen Südosttürkei angefertigten Abschriften, denen wir überhaupt seine Kenntnis verdanken. In einem Doppelkommentar schließe ich aus der syrischen Übersetzung auf die nicht mehr erhaltene griechische Textgestalt zurück und ordne den Text in seinen historischen und theologiegeschichtlichen Kontext ein. In Verbindung mit den überlieferungsgeschichtlichen Überlegungen bekräftigte ich so die Authentizität des Textes gegen alte und neue Anfragen, von denen ja schon die Rede gewesen ist.

Ergebnisse in vier Schlaglichtern

Wesentliche Ergebnisse meiner Arbeit möchte ich Ihnen nun in den weiteren Teilen meines Vortrags nahebringen – und zwar in vier Schlaglichtern, die hoffentlich dazu geeignet sind, die Gespräche beim Empfang anzuregen und Lust darauf zu machen, die Arbeit selbst zur Hand zu nehmen, die im kommenden Jahr in den „Texte(n) und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur“ erscheinen wird. Diese vier, bewusst thesenhaft gehaltenen Schlaglichter habe ich mit

  • Deutschland und Europa 1905–2023: Gelehrte Streitereien
  • Edessa 687: Mehr als 60 Namen!
  • Antiochia um 450: Verzerrte Geschichte
  • und gleichfalls Antiochia – 324/25: Mit grobem Keil und präzisem Skalpell

überschrieben. Was ich mit Ihnen und euch also unternehmen möchte, ist eine Reise zurück bis zu den Ursprüngen des Textes über verschiedene Etappen hinweg. Dabei soll zugleich deutlich werden, dass sich der Text in seiner ursprünglichen Gestalt und seinem ursprünglichen Kontext nur im Durchgang durch diese Etappen philologisch erschließen und angemessen historisch verstehen lässt.

1. Deutschland und Europa 1905–2023: Gelehrte Streitereien

Schwartzens Entdeckung fand zunächst keinen großen Widerhall. Dies änderte sich schlagartig, als 1907 der Berliner Kirchenhistoriker Adolf Harnack, längst eine der intellektuellen Orientierungsgestalten des wilhelminischen Kaiserreichs, gegen Schwartz zur Feder griff. Er habe zunächst geschwiegen, so Harnack, in der Hoffnung, ein Kollege werde Schwartzens vermeintliche Entdeckung als das ausweisen, was sie sei: „eine plumpe Fälschung ohne jeden geschichtlichen Wert“. Harnack will das Schreiben einem Fälscher frühestens des fünften Jahrhunderts, wenn nicht sogar späterer Zeit zuweisen, und legt mit der Rede von einer fraus syriaca sogar nahe, dass er eine griechische Vorlage des Textes nicht für zwingend hält. Nur der Freude an Neuentdeckungen sei es zu verdanken, dass Schwartz diesem Machwerk auf den Leim gegangen sei, da es – so Harnack – so gar nicht zu dem passe, was man aus verlässlicher Quelle über die Frühphase des arianischen Streits wisse.

In einer im Folgejahr erschienenen Replik interpretierte Schwartz Harnacks Einwurf als Fundamentalangriff – auf seine wissenschaftliche Reputation genauso wie auf die von ihm stark gemachte Methode, mit der eine seriöse Geschichtsschreibung zum vierten Jahrhundert stehe und falle. Süffisant griff er einen philologischen Fehler Harnacks auf und machte sich den in gelehrten Kreisen der Zeit verbreiteten Vorwurf zu eigen, Harnack sei zwar ein respektabler Theologe, aber könne kein Griechisch.

Die Auseinandersetzung wurde also scharf geführt und machte das ohnehin schon schwierige Verhältnis zwischen dem Philologen und dem Theologen nicht einfacher. Auch wenn beide mit energischem Stil die Grenzen wissenschaftlicher Sachlichkeit überschritten, waren sie allerdings auch bereit, voneinander zu lernen: Schwartz integrierte in spätere Veröffentlichungen die von Harnack angemahnte historische Synthese, Harnack revidierte wiederum sein Misstrauen gegenüber der ausschließlich syrischen Überlieferung und ließ eine Berliner Lizenziatsarbeit, die sich auf Schwartzens Seite schlug, sogar mit einem Preis auszeichnen.

Parallel zu dieser innerdeutschen Auseinandersetzung, an der mit knappen Stellungnahmen weitere Kirchenhistoriker beider Konfessionen sowie Althistoriker partizipierten, erfasste die Debatte am Vorabend des Ersten Weltkriegs das wissenschaftliche Europa von Paris bis nach St. Petersburg. Wichtige russische Veröffentlichungen aus den Kriegsjahren sind im Westen allerdings nie rezipiert worden, sodass die Debatte auch deshalb zum Erliegen kam. Bis auf Weiteres hatte sich Schwartzens Sicht durchgesetzt, auch wenn vereinzelte Zweifel blieben. Diese schlugen immer wieder durch, etwa in den 1960er und 70er Jahren, ohne aber nochmals eine mit ähnlicher Verve geführte Debatte zur Folge zu haben.

Dies änderte sich mit der 1999 erschienenen Habilitationsschrift des protestantischen Kirchenhistorikers Holger Strutwolf. Strutwolf untersucht dort die Trinitätstheologie und Christologie des Eusebius von Caesarea. Die Authentizität des Synodalschreibens hat nun zwar kaum Bedeutung für seine akribische Rekonstruktion des eusebianischen Systems, wohl aber für die dogmengeschichtliche Einordnung und Würdigung: Handelt es sich bei dem vorgestellten Theologen um eine von der Mehrheit der Zeitgenossen anerkannte Geistesgröße – oder um einen zumindest zeitweilig – nämlich bis zur Synode von Nizäa – exkommunizierten Häretiker?

Auch wenn Holger Strutwolf seine Wertschätzung für Eusebius nicht verhehlen kann, ist seine Argumentation nicht apologetisierend: Scharfsinnig schlägt er vielmehr vor, vornizänische Teile des Textes – etwa die Absenderliste zu Beginn des Schreibens – von späteren Interpolationen, darunter das Bekenntnis und die Exkommunikation des Eusebius, abzuheben. Ein interessierter Fälscher in der Mitte des vierten Jahrhunderts habe aus einem rein mit kirchenrechtlichen Fragen befassten Synodalschreiben vor Nizäa eine gegen den vermeintlichen „Arianer“ Eusebius und seine Mitstreiter gerichtete Waffe für Kontroversen nach Nizäa gemacht.

Knapp zurückgewiesen wurde Strutwolfs Argumentation von Hanns Christof Brennecke und Uta Heil acht Jahre später, als sie bei der Herausgabe von Dokumenten zum arianischen Streit dazu Stellung beziehen mussten. Die Erlanger Patristiker beschieden, Strutwolf habe sich im Wesentlichen Harnacks Überlegungen zu eigen gemacht. Strutwolf wiederum sah seine Position nur verzerrt wiedergegeben, sich des geistigen Plagiats bezichtigt und so seine wissenschaftliche Reputation beschädigt. Er verfasste eine entsprechend energische Entgegnung, welche Brennecke und Heil – in deutlich differenzierterer Weise – nochmals erwiderten. Seitdem ist zur Authentizität des Schreibens nur noch wenig veröffentlicht worden, wobei sich Befürworter und Gegner in etwa die Waage halten.

Mit den Beiträgen von Strutwolf und Brennecke/Heil ist nicht nur argumentativ ein neuer Stand in der Authentizitätsdebatte erreicht worden, sondern drei wesentliche Problemfelder für die Authentizität des Schreibens wurden erstmals systematisierend herausgearbeitet:

  • die literarische Einheit des Textes,
  • die kirchenhistorische Plausibilität der geschilderten Ereignisse, insbesondere der gegen Eusebius und zwei weitere Bischöfe verhängten Exkommunikationen,
  • die theologiegeschichtliche Verortung des Bekenntnisses, das theologische Zuspitzungen späterer Jahrzehnte vorwegzunehmen scheint.

Diese Systematisierung hat ihr Gutes und ihr weniger Gutes: Sie lenkt den Blick auf wesentliche, wenn auch nicht alle für die Authentizität relevante Fragen, hat aber argumentativ zu einer Pattsituation geführt. Die wiederholten Authentizitätsdebatten haben außerdem bestimmte Facetten des Dokuments fokussiert, andere sind aus dem Blick geraten. Es war für mich deshalb ein wesentlicher Erkenntnisschritt, jenseits solcher Fokussierungen das Gesamt des Textes – etwa auch seine Form – in den Blick zu nehmen und zu versuchen, eine Entstehungszeit vor Nizäa nicht nur durch den Erweis der literarischen Einheit des Textes, sondern auch durch eine möglichst umfassende Kontextualisierung plausibel zu machen.

2. Edessa 687: Mehr als 60 Namen

Der Text liegt uns in vier selbstständigen syrischen Handschriften, großenteils aus dem Frühmittelalter, vor, die sich nochmals in zwei Gruppen unterteilen lassen. Die textgeschichtlich ältere Gruppe repräsentieren zwei Handschriften aus dem südtürkischen Mardin. In den Westen gelangt sind allerdings nur Handschriften der textgeschichtlich jüngeren Gruppe, die sich teils erheblichen redaktionellen Eingriffen verdankt. Auf diesem überarbeiteten Text beruht also bis dato die Diskussion, auch wenn einzelne Lesarten der älteren Gruppe bereits von Hubert Kaufhold, über dessen Anwesenheit heute Abend ich mich sehr freue, mitgeteilt worden sind. Hier soll die von mir vorgelegte Edition Abhilfe schaffen.

Bei allen Handschriften handelt es sich um Abschriften einer westsyrischen, d. h. mono-, oder besser: miaphysitischen kirchenrechtlichen Sammlung aus dem späten siebten Jahrhundert, als deren Urheber Kaufhold mit guten Gründen den gelehrten Jakob von Edessa wahrscheinlich gemacht hat. Jakob ist eine zentrale Gestalt der westsyrischen Kirche, dem es um die Vermittlung zwischen syrischem und griechischem Christentum zu tun war. Dazu unterrichtete er nicht nur Griechisch, sondern fertigte auch eine Reihe von Übersetzungen an.

Im vorliegenden Fall verbesserte er anhand einer griechischen Vorlage ältere Übersetzungen griechischer kirchenrechtlicher Texte ins Syrische. Glücklicherweise war ihm dafür eine griechische Kirchenrechtssammlung in die Hände gefallen, die nicht nur die dafür gängigen, bereits ins Syrische übertragenen Texte – Rechtsbestimmungen von Synoden des vierten Jahrhunderts –, sondern auch eine Reihe weiterer Dokumente enthielt, darunter das hier vorgestellte Synodalschreiben. Diese Dokumente übersetzte er selbst und integrierte sie gleichfalls in seine Sammlung.

Dass er dabei auch das Synodalschreiben aufnahm, dürfte nicht nur seiner Akribie geschuldet gewesen sein. Jakob hatte ein besonderes Interesse an griechischen Namen, die er neben die syrische Übersetzung notierte – und Namen bot das antiochenische Synodalschreiben genug, nämlich mehr als 60! Dieses philologische Interesse hat sich in der Handschrift Mardin, Kirche der 40 Märtyrer, Orth. 309 erhalten, dort sind am Rand die griechischen Namensformen notiert.

Ein Exemplar der Sammlung Jakobs gelangte in den folgenden Jahrzehnten gut 200 Kilometer nach Osten in eine Gebirgsregion der heutigen Südosttürkei und wurde dort mehrfach abgeschrieben. Davon hängt die gesamte handschriftliche Überlieferung des Textes ab. Dem gelehrten Interesse Jakobs wie den Schreibern im Tur Abdin ist also zu verdanken, dass wir das ursprünglich griechische Synodalschreiben heute noch in syrischer Übersetzung kennen. Umgekehrt bedeutet dies allerdings auch: Der Rückgriff auf die ursprüngliche Textgestalt ist nur noch annäherungsweise möglich.

3. Antiochia um 450: Verzerrte Geschichte

Jakob fand das Synodalschreiben also in einer griechischen Kirchenrechtssammlung vor. Wie ich in meiner Arbeit zeigen kann, hatte diese Sammlung eine gewisse Verbreitung: Sie wurde im sechsten Jahrhundert in Antiochia durch Johannes Scholastikos für eine systematische Rechtssammlung ausgewertet und ist zudem bis nach Ägypten gelangt und dort ins Koptische übertragen worden. Wegen selektiven Interesses und wahrscheinlichen Überlieferungsverlustes ist das antiochenische Synodalschreiben allerdings nur über die Sammlung Jakobs auf uns gekommen.

In dieser Rechtssammlung stand das Schreiben an einer Stelle, wo wir es nicht erwarten würden. Dazu muss man wissen, dass dieser Typ von Rechtssammlungen in seinem Kern Kanones, also kirchenrechtliche Bestimmungen, von Synoden des vierten Jahrhunderts – und zwar nach Synoden geordnet – bietet. Am Anfang stehen wegen ihrer Bedeutung die Kanones von Nizäa, es folgen die älteren von Ankyra – dem heutigen Ankara – und Neocaesarea, dann eine antiochenische Synode von 341, Synoden von Gangra und Laodizea und schließlich die Kanones der Synode von Konstantinopel 381. In manchen Sammlungen finden sich außerdem noch Kanones der Synoden von Ephesus 431 und Chalcedon 451. Zu einzelnen Synoden gibt es außerdem nicht-kanonistisches Material, so etwa die Bekenntnisse von Nizäa und Konstantinopel oder das Einladungsschreiben des Kaisers Konstantin nach Nizäa.

Von seinem historischen Ort her wäre unser Schreiben im Block zu Nizäa zu erwarten, tatsächlich ist es jedoch der Synode von Antiochia 341 zugeordnet. Man könnte nun meinen, hier seien irrtümlich zwei antiochenische Synoden, die von 324/25 und die von 341 zusammengefasst worden. So dachte auch Eduard Schwartz. Das ist jedoch, wie ich in meiner Arbeit am Überlieferungskontext zeige, nicht haltbar; die Interpolation des Synodalschreibens in die Stücke zur Synode von 341 hat gute Gründe. Meines Erachtens sehen wir hier einen – wohl etwas idiosynkratischen – Fälscher aus Antiochia am Werk, der ein fundamentales Problem hatte: Seit dem beginnenden fünften Jahrhundert galten nämlich die Kanones der Synode von Antiochia 341 als von Häretikern, im Sprachgebrauch der Zeit: Arianern, verfasst. Das war insbesondere in Antiochia peinlich.

Diesen Makel versuchte der Fälscher zu verschleiern, indem er die inkriminierten Kanones von 341 mit dem offenkundig anti-arianischen Synodalschreiben von 324/25 kombinierte, und in einer dem Synodalschreiben angehängten, vermeintlich historischen Notiz eine Erzählung entwickelte, die sich bis in Details als Gegenerzählung zur zeitgenössischen Kirchengeschichte des Sokrates von Konstantinopel interpretieren lässt. Mit diesem Versuch offenkundiger Geschichtsverzerrung hat er sich nicht durchgesetzt. Gegen die bisherige Forschung bedeutet das aber auch: Die auf das Synodalschreiben folgende Notiz trägt nichts zum historischen Verständnis der Synode von 324/25 bei.

Moment mal, werden sich einige gedacht haben: Wenn die Notiz unter dem Schreiben und die vermeintlichen westlichen Kanones gefälscht sind, wieso dann nicht auch das ­Synodalschreiben selbst? Dass wir hier keine Erfindung des fünften Jahrhunderts haben, zeige ich nicht nur an der Sprache und der Theologie des Schreibens: Für die weiteren, in der Vorlage des Jakob überlieferten Dokumente kann ich in meiner Arbeit eine Provenienz aus dem Archiv einer antiochenischen Sondergemeinde herausarbeiten. Dort hat der Fälscher wahrscheinlich auch das Schreiben von 324/25 vorgefunden, um es für seine Zwecke zu verwenden.

4. Antiochia 324/25: Mit grobem Keil und präzisem Skalpell

Die antiochenische Sondergemeinde, die wir ab den 360er Jahren in den Quellen fassen können, hat sich selbst in die Tradition des Eustathius gestellt. Dieser wurde jedenfalls zwischen Januar 324 und Juni 325 Bischof von Antiochia, nachdem er dieses Amt zuvor in Beröa, dem heutigen Aleppo, innegehabt hatte. Bisher ging die Forschung überwiegend davon aus, die Synode, auf die auch das hier vorgestellte Synodalschreiben zurückgeht, habe Eustathius überhaupt erst von Beröa nach Antiochia transferiert. Dies sei unter dem Vorsitz des Ossius von Cordoba, der vielen als Vertrauter oder gar „Hofbischof“ Kaiser Konstantins gilt, geschehen.

Gestützt auf chronologische Überlegungen und eine Neuinterpretation des Synodalschreibens argumentiere ich in meiner Arbeit hingegen dafür, dass Eustathius, bereits nach Antiochia umgezogen, der Initiator der Synode, der Hauptautor des Synodalschreibens und mindestens der spiritus rector des Synodalbekenntnisses und der unter anderem gegen Eusebius von Caesarea verhängten Exkommunikationen war.

Neubewertungen

Diese Thesen haben eine Reihe von Neubewertungen zur Folge, die ich abschließend thesenhaft vorstellen möchte.

1. Eustathius beruft die Synode bald nach seinem Wechsel nach Antiochia ein; er profitiert dabei vom Sieg Konstantins über Licinius, durch den solche Synoden überhaupt erst wieder möglich gewesen waren. Ziel des Eustathius ist es, seine umstrittenen Ansprüche auf den antiochenischen Bischofsstuhl durch die Unterstützung von Nachbarbischöfen zu festigen. Durch die Exkommunikationen macht er zugleich prominente Opponenten mundtot.

2. Bisherige Rekonstruktionen der letzten Monate vor dem Konzil von Nizäa setzen die bereits erwähnte Vermittlungsinitiative Konstantins an den Anfang, die Synode von Antiochia später. Gestützt auf den papyrologischen und numismatischen Befund sowie das Itinerar Konstantins datiere ich die Synode dagegen vor dem Eingreifen des Kaisers, der so auf die Initiative des Eustathius reagiert. Konstantins Verlegung einer geplanten Synode von Ankyra nach Nizäa und seine Übernahme dieser Synode überhaupt wird so besser verständlich.

3. Mit Konstantin hat meines Erachtens auch zu tun, dass die Synode von 324/25 bald in Vergessenheit gerät. Der Kaiser macht in Nizäa nämlich die antiochenischen Exkommunikationen, insbesondere diejenige des Eusebius, ungeschehen. Außerdem setzt er durch, dass ein neues Bekenntnis erarbeitet wird. Damit hatte das antiochenische Synodalschreiben in jeglicher Hinsicht seine Relevanz verloren. Was heute als „Sternstunde“ der Kirchengeschichte und erstes ökumenisches Konzil gilt, ist Eustathius dementsprechend sauer aufgestoßen: In einem nachnizänischen Predigtfragment, das sich bei Theodoret erhalten hat, beklagt er das Scheitern der nizänischen Synode, der Kaiser dürfte ihm – nicht unzutreffend – als Helfershelfer seiner theologischen Gegner gegolten haben.

4. Was bleibt? Eustathius hat, ich habe es bereits anklingen lassen, in Antiochia eine Diastase zwischen Gott und der Welt eingeschärft, wie sie die origenistische Tradition nicht kennt. Außerdem bereitet er die Unterscheidung zwischen „zeugen“ und „werden“ vor und verwirft die willentliche Zeugung des Sohnes. Was bisher oft als Indiz für eine nachnizänische Entstehung des Bekenntnisses galt, erklärt sich meines Erachtens durch den theologischen Gegner des Eustathius: Dieser ist nicht Arius, sondern Asterius, der als Laie und wegen eines Opfers in der diokletianischen Verfolgung in den Quellen selten auftaucht, aber von der jüngeren Forschung zurecht als „Mastermind“ der frühen arianischen Bewegung herausgearbeitet worden ist. Von Eustathius‘ Auseinandersetzung mit Asterius ist insbesondere die Diastase in das neu erarbeitete nizänische Bekenntnis eingeflossen. Nicht mit dem groben Keil der Exkommunikationen, sondern mit dem präzisen Skalpell seines Denkens hat sich Eustathius also – bis heute – durchgesetzt, wenn wir im Credo den ewigen Sohn als „gezeugt, nicht geschaffen“ bekennen.

Geschätzte Anwesende! Was in den kommenden beiden Jahren der ökumenischen Christenheit bevorsteht, ist also ein Doppeljubiläum: Wir feiern nicht nur 1700 Jahre Konzil von Nizäa und Alexander gegen Arius, sondern auch 1700 Jahre Synode von Antiochia und Eustathius gegen Asterius. Dass ich dazu einen kleinen wissenschaftlichen Beitrag leisten konnte, ist freilich weniger meinem Sinn für etwaige Marketingerfolge – mit Blick auf das zu publizierende Buch –, sondern meinem Doktorvater Gregor Wurst geschuldet. Er hat nicht nur den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben, sondern mich über die Jahre mit viel Aufmerksamkeit begleitet, mir die nötigen Freiräume gelassen und geschaffen und – trotz schwieriger Umstände – hohen persönlichen Einsatz gerade in der Endphase der Arbeit gezeigt. Ich bedauere es nicht nur deshalb sehr, dass er heute nicht unter uns sein kann.

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