Große Kriege riefen stets auch große Dichter zur Feder und mitunter zu den Waffen. Dies galt namentlich für den Großen Krieg schlechthin, den Ersten Weltkrieg, der im angelsächsischen Sprachraum noch heute als The Great War bekannt ist. In Bayern zog Ludwig Thoma sogar selbst die Uniform an und ging an die Front, unter anderem nach Galizien, wenn auch im Sanitätsdienst angesichts seines fortgeschrittenen Alters. Und der eigentlich aus Schwaben stammende Lieblingsschriftsteller Kaiser Wilhelms II., Ludwig Ganghofer, wählte den Waffendienst mit Worten als Kriegsberichterstatter.
Sogar Lena Christ suchte durch ihre Schriftstellerei die allgemeine Kampfmoral zu heben. Dies gilt auch für den Wahlmünchner Thomas Mann, der essayistisch mit seinen Gedanken im Kriege und mit Friedrich und die Große Koalition den Präventivkrieg gegen Frankreich und Belgien rechtfertigte und damit zugleich den Bruderkrieg mit dem frankophilen Heinrich Mann weiter eskalieren ließ. Nur wenige Schriftsteller wollten sich dem anfänglichen Kriegstaumel, ja der Kriegsbegeisterung von anno 1914 versagen. Zu diesen wenigen Skeptikern gehört der Schwabe Joseph Bernhart, dessen im Ersten Weltkrieg entstandener Ritterroman eher wehrkraftzersetzend anmutet, von der ganz unkriegerischen Lyrik Bernharts in dieser Zeit ganz zu schweigen, was wohl auch mit den frankophonen und von daher auch frankophilen Wurzeln des Renouveau Catholique zu tun hat, dem Joseph Bernhart als Schriftsteller sehr nahestand.
Doch soll es im Folgenden nicht um die kriegskritischen schwäbischen Mundartgedichte Joseph Bernharts gehen, auch nicht um den Schwaben Abraham a Sancta Clara, der für Friedrich Schiller als Vorbild für den Rollentext des Kapuzinerpredigers in Wallensteins Lager rhetorische Feuerwerke abbrannte. Schon beim nebenberuflichen Historiker und zeitweiligen Geschichtsprofessor sowie herkunftsmäßigen und lebenslang mundartlich geprägten Schwaben Friedrich Schiller aber sehen wir überdeutlich die große Faszination, welche der Dreißigjährige Krieg ausübte, indem Friedrich Schiller den nur mit Napoleon vergleichbaren Feldherrn Wallenstein sowohl historisch als Geschichtsprofessor wie auch dichterisch als Dramatiker in der gewaltigen Wallenstein-Trilogie zum Lebensthema machte.
Und eben dieser Wallenstein fand auch tatsächlich höchstselbst den Weg nach Bayerisch-Schwaben, genauer in die Freie Reichsstadt Memmingen, wo der Generalissimus Wallenstein samt Heer und Hofstaat längere Zeit sein Lager aufschlug, was die Memminger Ortschronistik mitunter durchaus positiv vermerkte. Diese literarische Erinnerungsarbeit in Memmingen zeigte sich noch 2016 im beeindruckenden Wallenstein-Freilichtspiel der professionell agierenden Theatertruppe des Memminger Fischertagsvereins unter der Regie von Ralf Weikinger.
I.
Damit aber sind wir mitten in unserer Thematik, der literarischen Rezeption des Dreißigjährigen Kriegs in Bayern. Und am Ende dürften sich durchaus literaturgeschichtlich differenzierte Profile herausarbeiten lassen, was man etwa schon am Unterschied zwischen dem wittelsbachischen sowie katholischen Baiern Maximilians samt schwäbischem Streubesitz der Wittelsbacher einerseits und andererseits der protestantischen Reichsstadt Memmingen oder dem cum grano salis paritätischen Augsburg ausmachen kann. Davon wären natürlich die kleineren fränkischen und schwäbischen Adelsherrschaften, die Klöster, die habsburgischen Gebiete (Vorderösterreich in Schwaben) und andere Obrigkeiten mehr mit ihrem je gesondert zu wertenden literarischen Leben zu unterscheiden. Und schon der Begriff literarisches Leben als terminologische und methodische Basis des hier grundgelegten Literaturverständnisses inkludiert eben auch Gattungen wie Chroniken und Sagen, die aber für die vormoderne Beschreibung eines Phänomens wie des Dreißigjährigen Kriegs als literarische Quellen und in ihrer wiederum literarisch kunstvollen Stilisierung unverzichtbar sind.
Denn mit reiner Höhenkammliteratur als Gegenbegriff zum literarischen Leben fasst man den folgenschweren Dreißigjährigen Krieg dagegen meist in den wohlfeilen deutschen Literaturgeschichten durch die Namen Grimmelshausen, Gryphius oder Greiffenberg. Letztere, die aus Österreich stammende und durchaus als Folge des Dreißigjährigen Krieges in Nürnberg Exil suchende Catharina Regina von Greiffenberg avancierte unter den Fittichen der den Dreißigjährigen Krieg wiederholt explizit aufgreifenden Pegnitz-Schäfer zu einer der führenden Dichterinnen ihrer Zeit. Für diese herausragende evangelisch-lutherische Österreicherin in Franken haben wir in dieser Epoche freilich kein Pendant in Schwaben.
Dagegen konnten es die Schwaben mit den Franken und namentlich den Nürnbergern in einer anderen wichtigen zeitgenössischen Gattung locker aufnehmen. Im Meistersang nämlich. Und da brauchten sich die Meistersinger von Memmingen und auch die Meistersinger von Augsburg keineswegs vor den Meistersingern von Nürnberg zu verstecken. Letztere haben durch Richard Wagner ja Berühmtheit erreicht, der damit in der Auseinandersetzung etwa mit Giacomo Meyerbeer auch sein antisemitisches Süppchen kochte. Jedenfalls haben die berühmt-berüchtigten Wagnerschen Meistersinger von Nürnberg lange auch die Germanistik beeinflusst, die in den gängigen Literaturgeschichten das Bild von den treudeutschen Handwerkerpoeten hätschelte. Dagegen zeigen neuere Forschungen etwa, dass beispielsweise die Augsburger Meistersinger als Mitglieder nicht nur Handwerker hatten, und die produktivsten unter den Augsburger Meistersingern waren gerade die Juristen und Lehrer.
Und neben den Meisterliedern spielte man zwischen Lech und Wertach auch ausgiebig Theater und übersetzte Homer. Und wie sieht es mit Meistersingern in Altbayern aus?
Bis auf wenige Münchner Meistersinger war die Gattung im Wittelsbachischen Herrschaftsgebiet in der Frühen Neuzeit kaum vertreten. Meistersinger gibt es kaum in Residenzstädten, dafür aber in freien Reichsstädten. Von daher kann man sagen, dass Meistersang freies Singen für freie Bürger war. Und der Meistersang war auch ein Zeitgenosse des Dreißigjährigen Krieges.
Bemerkenswert an den Memminger Meistersingern, auch unter ihnen gab es Juristen, Lehrer und reichsstädtische Beamte, war ihre hohe Produktivität während des Dreißigjährigen Kriegs. Davon geben die Stammbücher der Memminger Meistersinger ein lebhaftes Zeugnis. Und wenn diese mehrheitlichen Erzlutheraner aus der Psalmenverdeutschung Martin Luthers fromme Meisterlieder formten, dichteten und komponierten, war das ihre Art, mit den Drangsalen der Besetzung durch den Katholiken Wallenstein und der allgemeinen Kriegsbedrohung im Land sowie der Drangsal der pestartigen Seuchen zu begegnen.
So formte der Memminger Meistersinger und Steuerschreiber Michael Schuester, der von 1581 bis 1661 lebte, Luthers 23. Psalm Der HERR ist mein Hirte in folgendes Meisterlied um:
Der Herr ist ia mein Hirte
und mir nicht manglen würte,
durch eine Auen führte,
Er mich zum Bach gezürte,
mein Seel tractierte.
Auff rechtem weg regierte,
seins Namens will mich rierte,
ob ich schon wandlent irrte,
im finstern Thal pausierte,
mich nicht vexierte.
Ein Unglückh und bloquirte,
der Herr mich auch umb schauerte,
daß ich mich nicht verlierte,
sein Stab auch disponierte.
Sein Tischmal mir praestirte,
viel gnadt dein oel mich schmigte,
sich guets demonstrirte,
bei mir, weil ich marchirte,
wie sichs gebührte.
Wer Luthers mitteldeutsch geprägte Psalmenversion im Ohr hat, wird hier unschwer die oberdeutsche Fassung heraushören, etwa in den schwäbisch-mundartlichen bis hyperkorrekten Formen würte und rierte, aber auch in der Schlussaffrikate bei Unglückh. Gelehrter Kanzleistil zeigt sich beim Steuerschreiber und Meistersinger Schuester im regen Lehnwortgebrauch metri causa im Endreim. Dabei fällt auf, dass im 17. Jahrhundert als Quelle des Lehnwortschatzes das Lateinische zunehmend vom Französischen abgelöst wird, wie etwa hier in den Verben bloquirte und marchirte, Verben die man inhaltlich assoziativ und aktualisierend auch auf das Kriegswesen der Zeit im Sinne von Marsch und Blockade beziehen kann.
In der Summe zeigt sich hier bei Schuester also ein moderner Wortschatzgebrauch, der Luther vom Sprachgebrauch her im 17. Jahrhundert beinahe alt aussehen lässt. Diese Anlehnungen an das damals moderne Französische, man spricht von der à la mode-Zeit, lassen sich durchaus politisch deuten. Denn der französische König wollte die Habsburger schwächen und unterstütze daher protestantische Reichsstädte wie Memmingen. Der Meistersinger erweist mit seinen französischen Lehnwörtern den Franzosen die Referenz. Jedenfalls widerlegen solche wortschatzmäßigen und andere inhaltliche Beobachtungen zum Memminger Meistersang die gängigen Vorurteile von der vermeintlich altfränkischen Meistersingerei. Die – überdies bislang kaum erforschten – Memminger Meistersinger bildeten bis ins ausgehende 18. Jahrhundert sogar die literarische Avantgarde der Reichsstadt, die etwa Schillers Revolutionsstück Die Räuber auf die Bühne brachte, obwohl andernorts die Zensur schon diesbezüglich zugeschlagen hatte.
Jedenfalls formierten im Dreißigjährigen Krieg die Psalmen im Korpus der Memminger Meistersinger den textlichen Trostfundus angesichts der für eine vergleichsweise kleine Reichsstadt bedrohlichen Zeitläufte. Und dass man auf den Psalmendichter David vertraute, zeigen schon die prachtvoll kolorierten Zeichnungen im Stammbuch. Dort finden wir neben Abbildungen von König David auch Szenen mit Meistersingerprüfungen etwa in der Memminger Dreikönigskapelle. Die externen Gutachter zu den meisterlichen Psalmengesängen kamen dorthin auch aus dem schwäbischen Augsburg.
II.
In Augsburg aber waren die Protestanten nicht nur durch die politisch mächtige katholische Minderheit innerhalb der Stadtmauern gefährdet, von denen etwa die Lieder des Jonas Losch im Zuge des Kalenderstreits am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs ebenso lebhaft Zeugnis ablegen wie die zahlreichen in Periochen fassbaren Propagandastücke der bei Losch als Iesuwidder, also gegen Jesus, verspotteten Jesuiten, sondern auch durch die siegreichen Habsburger. Die Jesuiten wurden nämlich von den Habsburgern in Wien und den Wittelsbachern in München massiv unterstützt. Nicht erst Kurfürst Maximilian I. bediente sich an seinem Münchner Hof der Jesuiten. Diese machten auch als Professoren an der Wittelsbachischen Landesuniversität in Ingolstadt durchaus Propaganda für die katholische Sache. Besonders in Altbayern vermochten die Jesuiten als intellektuelle Waffe im Sinne des Katholizismus vor und während des Dreißigjährigen Krieges durch lateinische und deutsche Schriften zu wirken.
Nicht zu unterschätzen ist dabei das Jesuitentheater, auch wenn es lateinisch aufgeführt wurde. Denn die Bühnentechnik, die Feuerwerke, heute würde man von special effects sprechen, des Jesuitentheaters beeindruckte sogar Analphabeten. Von daher braucht man sich nicht zu wundern, dass die Jesuitische Theaterpropaganda und dass der Orden insgesamt bei den Protestanten mehr als verhasst war. So karikierte etwa ein 1632 gedrucktes Flugblatt die Folgen des kaiserlichen Restitutionsedikts von 1629, wonach Papst und Jesuitengeneral als apokalyptische Ungeheuer ihre Anhänger über Augsburg ausspeien, während die wackeren Anhänger der Confessio Augustana aus der Stadt fliehen. Im Einzelnen lesen wir über
Die betrangte Stadt Augspurg.
Wann der günstige Leser wissen will / was dies zwey ungehewre Thier bedeute / so kan er das 13. Cap. der offenbarung Johannis fleissig besehen: darum durch das sibenköpffichte Thier die beschaffenheit deß Papsts zu Rom und seiner München und Pfaffen abgebildet; durch das ander Thier aber insonderheit / in diesem seculo erst ersprungene Sect und gesellschafft bezeichnet worden / welche sich von dem Namen des Lambs (Iesu) benennet / und alle Macht thut deß ersten Thiers / das ist / sich richtet nach der weise deß Antichrists / und demselben die Wunden heilet / verstehe durch allerley Griff das Papsthumb / so viel möglich / bestärckt / wie auch grosse streich von Zeichen unnd Wundern für gibt / also ob sie das Fewer vom Himmel bringen / und Berg versetzen köndten / gestallt man in den Lügenden von den Wunderzeichen Lojolae, Francisci Xaverij und anderer der lenge nachliset. […]
Umgekehrt werden auch schwäbische Katholiken zu Glaubens- und Kriegsflüchtigen, wovon etwa das Tagebuch des Augsburger Benediktiners Carl Stengel lebhaft Zeugnis ablegt, während sein leiblicher Bruder, der Jesuit Georg Stengel, ebenfalls mit der Feder für die katholische Sache focht. Und nicht zu vergessen der aus Babenhausen stammende fruchtbare katholische Schriftsteller Johannes Bissel, dessen lateinisches Gedicht über die Günz zur Schwabenhymne mutiert, wobei aber für unsere Fragestellung seine die Flucht vor den Schweden schildernde Icaria einschlägig wäre. Denn dass die Schweden, in deren Sold auch Süddeutsche standen, gleichsam zur Geißel Gottes mutierten, indem sie mit Feuer und Schwert die Umgegend von Augsburg verwüsteten und beispielsweise das nahe Aichach komplett zerstörten, zeigt sich etwa im Gebet Kindlein bet, morgen kommt der Schwed.
Gerade Altbayern wurde von den Schweden stark heimgesucht. Dabei ist aber zu beachten, dass im schwedischen Heer nicht nur Skandinavier dienten, sondern ein durchaus buntes Völkergemisch. Noch deutlicher ist das penetrant bedrohliche Schwedenbild in der schwäbischen Volkssage, für das etwa Günther Kapfhammer zeigen konnte, dass die Schweden vielerorts in einer Art kollektiven Unterbewusstseins haften blieben. Umgekehrt darf nicht verschwiegen werden, dass die Augsburger Sage vom Stoinernen Ma die katholischen Belagerer zum Feind macht. Darin wird geschildert, wie ein Augsburger Bäcker die Stadt Augsburg, die aufgrund der Belagerung von Hunger heimgesucht wird, vor den Feinden rettet, indem er sein letztes Brot vor die Stadtmauern wirft und so den Feinden vorgaukelt, die Augsburger hätten noch Brot im Überfluss. Die erbosten Gegner revanchieren sich mit einem gezielten Kanonenschuss, durch den der Bäcker seinen Arm verliert, was bis heute im steinernen Standbild sichtbar ist. Dahinter steckt letztlich eine Wandersage, die sich auch im Kontext anderer belagerter Städte in der Frühen Neuzeit findet.
III.
Während die Gattung der Sage bayernweit solchermaßen die Schrecken des Krieges mehr bildhaft in einer griffigen Geschichte verdichtet, gibt es auch Gattungen, die sich mit größerer Präzision den Kriegsereignissen widmen, so etwa die zwischen Prosa und selbstverfassten Reimgebeten schwankenden Aufzeichnungen eines Füssener Handwerkers. Es geht hier um die Chronik der Stadt Füssen und ihrer nächsten Umgebung. Von 1618 bis einschlüßlich 1640. Verfaßet von Hans Faigele, Färber zu Füssen. Bei dieser und vielen anderen bayerischen Chroniken der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wäre als Forschungsdesiderat der jeweilig Grad der literarischen Stilisierung methodisch im Sinne des neuen Handbuchs von Gerhard Wolf ebenso erst noch zu erforschen wie die sprachliche Einordnung in verschiedene Register im Sinne einer „Sprachgeschichte von unten“ nach Stephan Elspaß mit der Methode der Korpuslinguistik zu erfolgen hätte.
Während aber die Gattung der bayerischen Kriegschronik als solche literaturgeschichtlich auch in anderen Sprachlandschaften nicht ungewöhnlich ist, hat Schwaben in Augsburg seit dem Kriegsende etwas gattungsmäßig ganz Einzigartiges hervorgebracht. Denn das Ende des Dreißigjährigen Krieges haben nicht zuletzt die von katholischer Seite bedrängten Augsburger Lutheraner besonders ersehnt, während sie erst nach 1648 allmählich wieder und dann dauerhaft ihre religiösen und politischen Freiheiten erlangten, die letztendlich in das Hohe Friedensfest als Feier der wiedererlangten selbstbewussten Stellung gegenüber den Katholiken mündeten.
Von dieser lutherischen Feierfreude am Friedensfest gibt insbesondere die Gattung der über Jahrhunderte hinweg an die Schulkinder ausgegebenen Friedensbilder samt dazu abgedruckten gereimten Versen lebhaftes Zeugnis. Vor dem Hintergrund des zumindest in Augsburg blühenden protestantischen Schultheaters – hinzuweisen wäre auch auf die künstlerisch produktiven protestantischen Meistersinger und die konfessionspolitisch agitierenden protestantischen Bänkelsänger – vermag die künstlerische Ambition bei den konfessionspolitischen Friedensbildern samt ihren gereimten Begleittexten in Augsburg keineswegs zu verwundern. Seit dem Westfälischen Frieden, konkret seit 1650, gab es also den jährlichen Brauch, den evangelischen Schülern entsprechende Bild-Text-Werke im August, vornehmlich um den 8. August herum, dem Datum des Friedensfestes, zukommen zu lassen. Ein Friedensweck sollte den Schulkindern den neuen Feiertag zusätzlich zu Bild und Gedicht schmackhaft machen und versüßen. Hierher gehören thematisch die von verschiedenen schwäbischen Textdichtern verfassten Lindauer Friedens-Gesäng, welche der Lindauer Komponist Johannes Werlin 1643 dem Rat der Stadt widmete.
IV.
Springen wir abschließend von Schwaben nach Franken. Jenseits trockener papierener Selbstgenügsamkeit inszenierte man sich in Nürnberg als bewusster Kontrast zu den teilweise selbst erlebten Schrecken des Dreißigjährigen Krieges sogar selbst durchaus ironisch – in Anknüpfung an eine gesamteuropäische Mode – als Club der dichtenden Schäfer in performativen Akten unter freiem Himmel, zunächst in einem Poetenwäldchen, später im extra für diese Zwecke angelegten Nürnberger Irrgarten: Dieser 1678 fertiggestellte Irrwald befand sich in unmittelbarer Nähe der Kaiserburg. Der Pastor der nahegelegenen Krafftshof-Gemeinde, Martin Limburger, genannt Myrtillus der andere, entwarf 1676 das (als europäisch-romanisches Phänomen anzusprechende) botanische Labyrinth, in dem sich neben einer Küche Laubhütten der einzelnen Mitglieder sowie eine Gemeinschaftshütte befanden. Am Eingang des Irrgartens war in mythologischer Anspielung zu lesen:
Hier dichten offtermal die Pegnitz-Hirten-Brüder
Zur Ehr des Himmels Lieder.
So wird die Einsamkeit gesellig zugebracht,
Aus Unruh Ruh gemacht.
Kein Minotaurus woll bey diesen krummen Gängen
Sich mit Gewalt eindrängen.
Der Mauren Laub-Smaragd von unserm bunten Hain
Nimmt nie die Frommen ein.
Diesen Eskapismus, wobei man im Minotaurus die Verkörperung des Kriegs sehen kann, sollte man keineswegs belächeln, denn er ist vor dem Hintergrund der materiellen und geistigen Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges entstanden. So floh etwa Johannes Klaj aus dem zerstörten Sachsen nach Nürnberg, wo er sich zunächst als Lehrer durchschlagen musste. Die Schäferidylle an der Pegnitz ist nur vor dem Hintergrund der Kriegsgräuel wirklich verständlich. Und Harsdörffer klagt in antithetischem Stil über das rasende Schwert, das Sachsen zerstört und alle Kunst verjagt habe:
Schäfer und Schäferinnen sind um ihre liebe Wollenheerde gebracht / alle Dörfer / Mayerhöf / Forwerge und Schäfereyen sind verödet / Auen und Wiesen verwildert / das Gehöltze durch die Wachfeuere verösiget / Obst- und Blumengärten zu Schantzen gemachet worden. Statt der belaubten Fichten schimmern lange Spies und Lantzen / vor die Dorfschalmeyen und Hirtenlieder höret man das Wilde Feld- und Mordgeschrey der Soldaten / vor das fromme Blöken der Schafe / das Wiehern der Pferde / das Brausen der Paukken und Schrekken der Trompeten: darum sich dann auch Klajus / ein namhaffter Schäfer / aus selbigen Orten fortgemachet / welchem nach vielen wandelbaren Unghlüksfällen sein Verhängnis an den Pegnitzfluß geführet.
Andere Aufführungsorte jenseits der Barockgärten markieren in Nürnberg auch einen Gattungswechsel, wenn (aus der Feder von Johann Klaj) Der leidende Christus. In einem Trauerspiele vorgestellet in der Fastenzeit 1645 im akademischen Auditorium deklamiert wird und Irene das ist vollständige Außbildung deß zu Nürnberg geschlossenen Friedens 1650 das Rathaus als Schauplatz politischer Bekundungen ausweist. Dieselbe Thematik beschäftigte auch Sigmund von Birken (auch Sigmund Betulius). Er wurde von Harsdörffer in den Pegnesischen Blumenorden aufgenommen. Neben geistlicher Lyrik verfasste er mit Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug – unter anderem für den aus Schillers Wallenstein bekannten Octavio Piccolomini – oder mit Die friederfreute Teutonia auch Werke mit zeitgeschichtlicher Thematik.
Daneben schrieb er die Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey, behandelt durch Floridan und Klajus, Der Pegnitz Hirten Frühlings Freude und Des Süßspielenden Strephon Namensfeyer. Diese Gattungsvielfalt erweist Nürnberg auch im 17. Jahrhundert (wie im 16. Jahrhundert mit Hans Sachs) als wichtiges Zentrum deutschsprachiger Literatur. In der Summe weisen die Pegnitz-Schäfer auch Perspektiven für die Friedenszeit nach dem traumatischen Dreißigjährigen Krieg auf. Zugleich wird dabei im Verein mit den Augsburger Friedensbildern deutlich, dass in den dramatischen Zeitläuften auf dem Gebiet des heutigen Bayerns neben Kriegspropaganda auch die Friedensdichtung florierte.