Die DG wird 125 Jahre

Was bedeutet christliche Kunst heute?

Im Rahmen der Veranstaltung "Kunst – Religion – Spiritualität", 20.10.2018

Wie kann man diesen Festvortrag anders beginnen als mit Thomas Manns Erzählung „Gladius Dei“ aus dem Jahre 190?! Der damals 27jährige beschreibt in den ersten Sätzen die prächtige Residenzstadt, erfüllt von Musik und Kunst: „Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft […] – München leuchtete“ – allerdings mit einem kritischen Nebenton: „ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet“. Mit seiner Ironie kritisiert Thomas Mann die Art dieser Kunst, das Epigonale und bloß auf Vermarktung Ausgerichtete des Kunstmarkts in der Stadt Ludwig I. Was war da los in jenem München, wo neun Jahre zuvor die Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst gegründet worden war?

 

Die Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit

 

Was war das so umwälzend Neue des neunzehnten Jahrhunderts im Blick auf die Bilder? Man kann sich den Unterschied im Bildbewusstsein der Menschen zwischen 1800 und 1900 kaum groß genug vorstellen. Begegnete ein Mensch noch des 18. Jahrhunderts Bildern lediglich im Raum der für ihn erreichbaren Kirchen, im Titelkupfer eines Buchs, auf Bilderbögen des Jahrmarkts, vielleicht noch im heimischen Kunsthandwerk so änderte sich das grundlegend im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst.

Ein 25jähriger Münchner, Alois Senefelder (1771-1834), hatte 1796 entdeckt, wie gut man mit geätzten Kalksteinplatten Noten und Bilder drucken kann. Die Erfindung der Lithographie war nicht nur eine technische Sensation, sondern reduzierte den Preis von Bilddrucken auf weniger als 20 Prozent des Preises von Kupferstichen. Seit 1826 konnte Senefelder auch farbig drucken. Und wiederum 10 Jahre später revolutionierte der französische Maler Louis Jaques Mandé Daguerre die Welt optischer Wahrnehmungen mit der Erfindung der Fotographie, dem Konservieren von Lichteinwirkungen auf versilberte Kupferplatten. Die schwarz-weißen Bilder wurden schon früh koloriert, was eine Verwendung im Bereich der Reproduktionen von Kunstwerken möglich werden ließ.

Um auf Thomas Mann zurückzukommen: er parodiert mit seinem Kunsthändler Blüthenzweig und dessen „Schönheitsmagazin“ am Odeonsplatz, wie Peter-Klaus Schuster im Ausstellungskatalog zum Katholikentag 1984 so genau gezeigt hat, die große Bilderfabrik Hanfstaengl für fotografische Kunstreproduktionen von Franz (1804-77), der sich schon ab 1833 auf Kunstreproduktionen spezialisierte, und vor allem Edgar (1842-1910) Hanfstaengl, der Filialen in New York und London eröffnete. Das Verlagsprogramm umfasste ca. 7.000 Reproduktionen „alter Meister“, 11.000 Reproduktionen „neuer Meister“. In diesem Geschäft konnte der junge Savonarola Thomas Manns das Gottesgericht anrufen über die anzüglich erotischen Madonnenbilder, die er in den dortigen Auslagen vor die Augen bekam.

Der Markt mit Reproduktionen boomte in der Zeit um 1900. Die Verlage für Bilder boten Kunstwerke als Wandschmuck für die bürgerliche Wohnung an: ein Umstand, den es in früheren Jahrhunderten nie gegeben hatte. Gelegentlich wurden sie sortiert in Wohn- und Schlafzimmerbilder. Und die Sujets sind wie die in der frühen Massenproduktion von Büchern auch die religiösen Stoffe. Der Bereich der Bilder war die Kirche und die dortigen Themen bestimmen einen Großteil der Angebote, wobei in Berlin im frühen 20. Jahrhundert mehr auf profane Bilder ausgerichtete Verlage beheimatet waren als in München, der Hauptstadt der religiösen Kunst und ihrer technischen Reproduktion.

Es waren neben der Alten Kunst eben auch die modernen, aktuellen Kunstwerke, die reproduziert wurden. Um den Motivhunger der Verleger nach rechtefreien Bildern und den Geschmack eines breiten Publikums zu bedienen, ist dies auch die Zeit des Niedergangs der Kunst und des Siegeszuges dessen, was später als „Kitsch“ bezeichnet wurde.

Man muss sich diese gewaltige Veränderung im Bildbewusstsein der Menschen jener Zeit klar machen, will man die künstlerischen Debatten und Ansätze des späten 19. Jahrhunderts verstehen. Man kannte plötzlich die Kunst der Alten aus der Anschauung, man erweiterte sein Bildgedächtnis in bisher unvorstellbarem Maße. In der Bildenden Kunst konnte man – abseits von Mimetik und sogar unter Zuhilfenahme des neuen Mediums Fotografie – das Eigene der Malerei erforschen.

 

Die Gründungsgeschichte der DG

 

In diese Jahre fällt die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst. Es sind die Jahre der mühsamen Durchsetzung katholischer Interessen in einem Reich, das sich 1871 „kleindeutsch“ konstituierte. Der Effekt war, dass konfessionell die Katholiken in eine Minderheit gerieten, die unter Einbeziehung Österreichs ein Gleichgewicht gewesen wäre. Der Katholizismus war in den Jahren nach 1803 durch die Säkularisation der Klöster – nicht zuletzt durch den Wegfall der Mehrzahl der katholischen höheren Schulen – und finanziell erheblich geschwächt worden. Gleichzeitig hatte sich aber durch die an vielen Orten erstmalig bürgerliche Besetzung der Bischofsstühle und der Entwicklung eines selbstbewussten Laienkatholizismus eine hohe Vitalität und Kampagnenfähigkeit entwickelt.

Die Katholikentage, wie sie seit 1848 abgehalten wurden, waren die Vorstufe für das Centralkomitée der Vorbereitungsgruppen, den Vorläufer unseres ZdK. Es wurde vor 150 Jahren, 1868, in Bamberg gegründet. Der Kulturkampf der preußischen Regierung gegen die „ultramontan“ auf Rom ausgerichteten Katholiken tat sein Übriges zum Selbstbewusstsein und auch zur Milieubildung der deutschen Katholiken im Widerstand gegen den neu entstandenen Staat und gegen die Moderne, wie sie ab 1910 im „Antimodernisteneid“ von jedem Kleriker geschworen werden musste und der erst über fünfzig Jahre später im Zweiten Vatikanischen Konzil wieder abgeschafft wurde.

In diesen Kontext gehört eine christliche Gesellschaft, die 1876 begründet worden war, die „Görres-Gesellschaft zur Pflege der katholischen Wissenschaften“. Mitbegründer und Hauptinitiator war der spätere bayerische Ministerpräsident und für ein knappes Jahr deutsche Reichskanzler, der Zentrumspolitiker Prof. Dr. Georg Freiherr von Hertling, der auch erster Präsident der Görres-Gesellschaft wurde. Der gleiche Georg von Hertling war von der Gründung 1893 bis 1911 achtzehn Jahre der erst Präsident der DG. „Nicht nur in der Organisationsstruktur zeigte sich die enge Verwandtschaft der beiden Gesellschaften.“ Das konstatiert Bernd Feiler.

Wie kam es zur Gründung? Ein wesentlicher Impuls kam vom vierten Deutschen Katholikentag 1850 in Linz, heute Österreich. Der Jurist und Zentrumspolitiker August Reichensperger (Köln 1808 – 1895), der sich den Weiterbau des Kölner Doms auf die Fahnen geschrieben hatte, regte dort die Gründung eines allgemeinen deutschen christlichen Kunstvereins an. Ein Jahr später, 1851, erschien die erste Ausgabe der von ihm auf den Weg gebrachten Zeitschrift „Organ für christliche Kunst“. In diesen Jahren folgten allenthalben die Gründungen diözesaner Kunstvereine. In den zwei Jahren 1853 und 1854 entstehen Vereine in Rottenburg und Köln, in Aachen, Trier und Köln, in Regenburg und Osnabrück. Es wurde zu einem Trend. Die Kunstvereine vereinigten Kunstschaffende mit Kunstfreunden und potentiellen Auftraggebern. Zum großen Teil eher konservativ ausgerichtet, regten sie in einer Phase intensiver Kirchbautätigkeit ein an den Vorbildern der Vergangenheit orientiertes, streng kirchliches Kunstschaffen an. Die Auseinandersetzung um die Frage, was kirchliche und christliche Kunst denn sei, begleitet sie seit ihrer Gründung.

1853 wurden auch die ersten Diözesanmuseen im deutschsprachigen Raum, in Paderborn und Köln eröffnet, die vor allem die Aufgabe hatten, sakrale Kunst, die in der Säkularisation von Vernichtung bedroht war, zu sichern und als Modell für aktuelles Kunstschaffen zu präsentieren.

Der Münchner Bildhauer Georg Busch (1862 – 1943) hatte Anfang 1885 mit Gleichgesinnten einen Albrecht-Dürer-Verein gegründet. Stilideale waren die „altdeutsche Kunst“ und die Nazarener. Busch bemühte sich um engen Kontakt mit führenden Persönlichkeiten aus Kirche, Politik und Gesellschaft. Am 18. März 1892 trafen sich in Buschs Atelier in München drei Bildhauer und vier Maler, darunter Gebhard Fugel, von dem noch die Rede sein wird, und darüber hinaus der Kirchenhistoriker Aloys Weiss und zwei Mitherausgeber des Jahrbuchs der Görres-Gesellschaft, um über die Gründung einer gesamtdeutschen Gesellschaft für christliche Kunst zu beraten. Diese Gruppierung beteiligte sich im selben Jahr 1892 am 21. Katholikentag in Mainz, um für ihr Anliegen zu werben. Dort kam es zu der erwähnten Resolution der Vollversammlung, die die Gründung empfahl. Diese erfolgte, mit Unterstützung großer Teile des deutschsprachigen Episkopats, am 4. Januar 1893.

Die DG vereinigte seit ihren Anfängen die drei Gruppen, die in Beziehung zur Bildenden Kunst stehen: Künstler, Theologen und andere Kunstfreunde. Georg von Hertling übernahm die Präsidentschaft, Georg Busch als Künstlerpräsident die faktische Leitung. Die DG habe sich, so Bernd Feiler, in mehrfacher Hinsicht von ähnlichen künstlerisch orientierten Körperschaften des 19. Jahrhunderts unterschieden: Die DG war von Anfang an sowohl eine Korporation von Kunstfreunden und Kunstförderern als auch eine Interessensgemeinschaft von ausübenden Künstlern.

Beim Katholikentag in Bonn im Jahr 1900 zog Busch Bilanz: „Die DG zählt jetzt 2.380 Mitglieder, darunter mehrere Mitglieder aus souveränen fürstlichen Häusern, an deren Spitze Prinzregent Luitpold von Bayern und 26 Mitglieder aus dem hochwürdigsten Episkopat. Die Gesellschaft hat bis jetzt acht Jahresmappen herausgegeben mit 219 Abbildungen von Werken ihrer Mitglieder […] ferner hat sie zwei Kunstausstellungen für christliche Kunst arrangiert, […]. Seit 1899 hat sie in der internationalen Kunstausstellung im königlichen Glaspalaste zu München die christliche Kunst in eigenen Räumen zu einer Gruppe vereinigt und am 20. Juli wurde auf ihre Anregung hin in München, Karlstraße 6, eine eigene Ausstellung für christliche Kunst eröffnet.“ (Katalog München leuchtete 1984, S. 58). Deutsch, das war für die DG immer ein Kulturraum und nicht auf das kleindeutsche Reich von 1871 beschränkt. Der Erzbischof von Salzburg gehörte ebenso zu den Mitgliedern wie seine Kollegen aus Triest und Graz, und die Schweizer Bischöfe von Chur, St. Gallen und Basel. 1912 hatte die DG bereits die Zahl von 6.000 Mitgliedern erreicht.

Das merkantile Interesse der DG wurde deutlich, als sieben Jahre nach der DG-Gründung eine Handelsgesellschaft mit dem Namen „Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst GmbH“ ins Leben gerufen wurde, die sich um die Vermarktung von teils sehr angepassten, schwachen Werken von Künstlermitgliedern aber auch von Devotionalien und „christlicher Hauskunst“ kümmerte, deren künstlerische Qualität zunehmend auch von Mitgliedern in Zweifel gezogen wurde. Diese „Vertriebsgesellschaft für religiöses Kunsthandwerk und Devotionalien“, wie sie Bernd Feiler zutreffend bezeichnet, legte den finanziellen Grundstein für eine neuerliche Gründung Buschs.

Denn dieser gründete am 21. Dezember 1918 im Büro der DG mit sieben Freunden einen weiteren Verein, dessen Ziel es war, in München ein Ausstellungshaus zu errichten und zu unterhalten. Es sollte ausschließlich der christlichen Kunst auf der Grundlage des katholischen Glaubens dienen. Dieser VAH existiert noch heute und pflegt nach nicht spannungsfreien Perioden inzwischen ein gutes und enges Verhältnis zur DG und ist mäzenatisch für künstlerische Projekte in ganz Deutschland tätig.

 

Die kirchliche Ablehnung der Moderne

 

Einer der wichtigsten Künstler unter den Gründern war der Maler Gebhard Fugel (1863 – 1939), nach dem der Kunstpreis der DG benannt ist, der seit 1979 inzwischen zwölf Mal vergeben wurde. Gebhard Streicher, lange Präsident der DG, ein Enkel Fugels, hat ihn gestiftet. Gebhard Fugel war auf christliche Motive spezialisiert; sein bekanntestes Werk ist das Passions-Panorama von Altötting. Mit Unterrichtswerken und christlicher Malerei wurde er bekannt. Fugel sei zu seiner Zeit der „kirchliche Maler schlechthin“ gewesen, urteilt Feiler. Gebhard Fugels Werk ist wie das Carl Caspars und anderer Zeitgenossen durchaus neu zu entdecken und abseits der Frage nach ihrer Christlichkeit zu lesen.

Was denn kirchliche Malerei sei, das war nicht erst um die Jahrhundertwende immer schärfer zum Problem geworden. Eine Bemerkung von Georg Heckner in seinem 1897 in Freising verlegten „Praktischen Handbuch der kirchlichen Baukunst“ ist so grotesk wie aufschlussreich: „Schließlich sei noch auf die durch Tausende von Beispielen erwiesene Thatsache hingewiesen, dass Künstler zweiten Ranges bei frommer Begeisterung viel leichter in der kirchlichen Bildhauerei und Malerei Genügendes leisten können als Künstler ersten Ranges, welch letztere gewöhnlich auch zwei- bis sechsmal teurer arbeiten. Ausgezeichnete technische Kenntnisse und frommer Sinn finden sich sehr selten bei einem Künstler vereinigt.“

Ein anderes Beispiel: Bischof Wilhelm Berning, Bischof von Osnabrück ging in der Predigt zur Eröffnung seines Diözesanmuseums 1918 auf die Kunst ein, die im neuen Museum zu sehen sein sollte. Er sagte: „Die „moderne“ Kunst ging vielfach Irrwege, Wege der Sinnlichkeit und Lüge. Sie hob den Menschen nicht zum Idealen, sondern zog ihn herunter in den Schmutz; sie stellte nicht das rechte Maß der Dinge, die Wahrheit dar, sondern krankhafte und verzerrte Formen der Natur, ich erinnere nur an den Kubismus und Futurismus. […] Es ist vielleicht nicht überflüssig, an diese Beziehungen von Kirche und Kunst zu erinnern in einer Zeit, in der die Kunst oft gegen Religion und Sittlichkeit Stellung nimmt, in der fast als Glaubenssatz verkündigt wird, dass es eine religiöse und kirchliche Kunst nicht gebe und geben könne.“  Die Ablehnung und das völlige Unverständnis gegenüber der modernen Kunst war keine Osnabrücker Eigenart.

Der Rottenburgische Bischof Paul Wilhelm von Keppler (1852 – 1926), der als besonderer Kunstsachverständiger galt, hatte die Richtung in heftigen Angriffen auf die moderne Kunst für die Bischöfe in Deutschland vorgegeben. Keppler hatte im Namen der Deutschen (Fuldaer) Bischofskonferenz seit 1911 die Rolle eines Kontrolleurs der DG übernommen, was in den Folgejahren zu heftigem Protest und dem Austritt von bis zu 1.000 Mitgliedern führte.

Dabei hatte es neue Bewegung in der Frage der Kunst gegeben: der Dichter Konrad Weiss (1880 – 1940), eine wichtige Gestalt des intellektuellen Katholizismus des vergangenen  Jahrhunderts, schrieb 1914 an Pater Desiderius Lenz OSB in Beuron einen offenen Brief, in dem er konstatiert: „Es ist schwer, unter Katholiken über die neue Kunst in einer Sprache zu reden, die die gegenwärtigen Kunstprobleme und die ganze katholische und geschichtliche Weite zugleich umfasst, denn wir Katholiken haben in künstlerischen Dingen keine eigene Sprache mehr.“

Dieser Maler gehört zu denen, die eine Erneuerung der christlichen Kunst anstrebten, aber letztlich Einzelgänger blieben. „Diese Kunst, die den Gläubigen und ihrem Glauben dienen und zugleich der Moderne zugehören will, hat sich zwischen alle Stühle gesetzt“, konstatiert Peter-Klaus Schuster. Wie in Frankreich Symbolisten wie Maurice Denis oder im evangelischen Bereich Fritz von Uhde hatten sie eine Erneuerung ohne Aufgabe der ikonografischen Bindung angestoßen. Grundsätzliche Bild-Probleme, wie sie von Vincent van Gogh mit seiner religiösen Aufladung des Profanen, von Paul Gaugin und James Ensor mit der Übertragung des Biblischen Motivs auf die Gegenwart oder der völligen Entfernung vom ikonografischen Motiv bei Kandinsky und so vielen anderen angegangen worden waren, wurden nicht zur Kenntnis genommen.

Und so hat man in Deutschland auch in den Jahren des großen Kirchenbaubooms in der Nachkriegszeit, als so viele Kirchen gebaut worden sind, wie in keinem Jahrhundert zuvor, die wirklich neuen Impulse kaum wahrgenommen, wie sie beispielweise die Dominikaner Regamey und Coutourier in Frankreich angeregt hatten und zu so bedeutenden Ergebnissen wie die von Courbusiers, Leger, Matisse, Chagall oder Cocteau führten. Zwar erhielten die besten Architekten Aufträge für spektakuläre Kirchenbauten, aber die Ausstattungen hielten sich viel zu oft eng an die ikonografische Ablesbarkeit der Motive und die kirchliche Verankerung der beauftragten Künstler, auch wenn es spektakuläre Abweichungen von diesem Prinzip gab.

Alle die Entwicklungen der Blüte kirchlicher Kunstaufträge in den fünfziger bis siebziger Jahren begleitete die DG mit Publikationen, Ausstellungen, Tagungen und Debatten – stets in ihrem unverkennbar klaren Stil aller Druckerzeugnisse, den sie bis heute kultiviert. Auch die Frage nach der Möglichkeit christlicher Kunst wurde dabei immer wieder zum Thema, nicht zuletzt in den Neunziger Jahren, als eine Vorstands-Initiative zur Namensänderung in „DG – Deutsche Gesellschaft für Kunst und Christentum“ in einer Mitgliederversammlung vereitelt wurde.

 

Christliche Kunst?

 

Kann es überhaupt eine Christliche Kunst geben, die von anderer Kunst unterschieden wäre? Kardinal Faulhaber nahm in einer heute zutiefst erschreckenden Silvesterpredigt 1924 zur Christlichkeit der Kunst Stellung: „So erhebe ich heute meine Stimme, um die Gesetze der christlichen Kunst zu verkünden und die Grenzen der künstlerischen Willkür abzustecken. […] Das erste und oberste Gesetz der kirchlichen Kunst lautet: Du sollst Dich an die kirchliche Tradition halten!“ Und richtig und auch heute anschlussfähig formuliert er, die Kirchenräume sollten verkünden: „Es gibt noch ein anderes Leben, es gibt noch ein anderes Licht, und noch ein anderes Brot.“ Doch dann fährt er fort: „Mögen die draußen die Bäume rot, die Pferde grün, die Menschen dreieckig oder viereckig malen. Mögen ihre menschlichen Missgestalten und Zerrbilder glauben machen, der Mensch stamme vom Affen ab; […] Es wurden Engel wie fliegende Fische dargestellt, und Heilige mit einem so blöden Gesichtsausdruck, als ob Verbrecher Modell gesessen hätten. Die kirchlichen Künste müssen aus dem Glauben leben und arbeiten“. Wie kann die Kunst da eine Nähe zur Kirche finden, wenn gar ein Kardinal nicht bereit ist, unbefangen hinzusehen! Die DG hat in diesen Auseinandersetzungen der Zwanziger Jahre nur vereinzelt die Position der Avantgarde eingenommen. Sie blieb befangen von der ikonografisch eindeutig gebundenen Kunst.

Man merkt vielen Arbeiten dieser Zeit die Negativfolie an, gegen die man sich absetzen wollte: die als süßlich empfundene kirchliche Kunst in der Nachfolge der Nazarener. Alles Effektvolle, Affekthafte, Momentane, Bewegte sollte vermieden werden, um zu einem neuem Ausdruck der Ernsthaftigkeit zu finden, der Medium der Offenbarung ernster Gedanken einer Theologie werden konnten, deren Zeichen, Gebärden und Bilder einer umfassenden Sinndeutung unterzogen wurden, deren Themen die Herrschaft Christi als König, die Apokalypse und darin das Modell einer Herrschaft des Lichtes der Liebe Gottes gegen das als Reich der Dunkelheit erfahrenen realen Staates unter dem Nationalsozialismus waren. Eine solche Aufladung hat in der Praxis der Kunst allerdings auch fatale Folgen: Monumentalität, Pathos und Schwere sind der Preis für die Angestrengtheiten der theologischen Absichten. Eine ganze Reihe von Arbeiten etwa zum Christkönigsmotiv, wie sie nach der Einführung des Christkönigsfestes 1925 vielfach entstanden, zeugen davon.

Dies war so, obwohl Autoren wie Karl Muth und seine Kunstredakteure Georg Popp und Konrad Weiss in der führenden intellektuellen katholischen Zeitschrift „Hochland“ immer wieder zu größerer Offenheit der Moderne gegenüber aufriefen. Im vierten Jahrgang der noch jungen Zeitschrift erschien 1907 ein programmatischer Aufsatz des Trierer Publizisten Johannes Mumbauer unter der Überschrift „Die Kunst im Dienste der Kirche und der ‚Stil‘“. Der Verfasser präzisierte darin seine Thesen zur Kunst, nachdem er wegen eines kleinen Beitrags unter dem Titel „Vom ‚kirchlichen‘ Stilelend“ im zweiten Jahrgang 1905 erheblicher Kritik „namentlich geistlicher Kreise“ ausgesetzt war. Seine These kulminiert in dem Satz: „dass auch die Kirchen, rein ästhetisch betrachtet, den allgemeinen Gesetzen der Kunst unterliegen, weil es gar keine spezifische, ‚kirchliche‘ Kunst, also auch keinen ‚kirchlichen‘ Stil gibt, dass demnach jede Stilart ‚kirchlich‘ sein kann, sofern sie nur zweckmäßig den sachlichen Bedingungen des katholischen Kirchengebäudes entspricht, kurz, dass auch die im Dienste der Kirche stehende Kunst – Architektur sowohl als Ausstattungskunst – eine lebendige (nicht einseitig historisch-traditionelle) sachliche und dadurch erst ‚schöne‘ sein soll.“

Die Chroniken der DG sprechen immer wieder von auch künstlerischen Richtungsstreitigkeiten, von einer vorsichtigen Öffnung zum Expressionismus, von der geduldigen Vermittlung durch die wenigen unter den Theologen, die sich für die Kunst interessieren, den Künstlern, die ihrer Kirche trotz solcher Invektiven noch nicht den Rücken gekehrt haben und den Kunstfreunden, denen die Gestaltung der Kirchenräume ein Anliegen ist und, viel allgemeiner noch, die Frage nach dem Geistigen in der Kunst nicht los lässt. Mitten in diesen Auseinandersetzungen steht die DG mit ihrer Arbeit.

Der Versuch, mit der Ausgrenzung eines katholischen Milieus mit eigenen gesellschaftlichen Strukturen auch eine eigene katholische Kunst als „Christliche Kunst“ zu fixieren, hat sich – das war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkennbar – als ein völliger Fehlschlag erwiesen.

Der grundlegende Irrtum bei diesem Versuch liegt darin, der Kunst, die es zuerst mit der Form zu tun hat, ein inhaltliches Konzept auch abseits eines ikonografisch ablesbaren Themas überzustülpen. Das stimmte schon in den Anfängen nicht: der antike Schafträger kann als Christushinweis gelesen werden, kann aber auch ganz anderes meinen; und die spätantiken Künstler stellten sich in den Dienst ganz verschiedener Themen und Auftraggeber: die byzantinischen, christlichen Mosaizisten hielten für die Dekoration der Großen Moschee in Damaskus ihren Stil bei, der eben nicht christlich oder islamisch ist. Das ikonografische Motiv knüpft nicht bereits und nicht allein an religiöse-christliche Fragen – die Illustration biblischer Geschehnisse macht aus sich nicht ein religiöses Kunstwerk aus. Die religiösen Potentiale sind anders zu erfahren.

Als Interpretationsmodell für alte Kunst kann ein solcher Begriff durchaus taugen: Man wählt interpretierend aus einem Kanon des Geschaffenen unter bestimmten inhaltlichen Kriterien aus und definiert diese Gruppe gemeinsam: das ist dann zum Beispiel „spätantike christliche Kunst“. Als Schema für die Kunstproduktion ist der Begriff – wie alle Adjektivkunst – völlig untauglich. Christliche Kunst, das ist ein Inhaltsbegriff, während die Kunst es mit Formal- und Stilproblemen zu tun hat.

Entscheidend ist der Wechsel der Perspektive: weg von der Fixierung auf Produzent und Werk auf die Rezipienten. Wenn ein gläubiger Mensch sich einem Werk aussetzt, wird er anderes sehen und erfahren als jemand, der mit dem Christentum keinen Kontakt hatte. Das Kunstwerk konstituiert sich im Betrachter, es wird zum „christlichen“ erst im Auge des Rezipienten. Allerdings stellt sich dann die Frage, inwieweit solche Glaubensüberzeugungen (noch) präsent sind, ob sie vermittelt wurden und die Betrachter in die Lage versetzen, die spirituellen Potentiale zu lesen und für sich individuell wirksam werden zu lassen. Ist einem Gläubigen die Auferstehung Jesu zu einem inneren Thema geworden, wird er aus vielen offenen Kunstwerken dieses Thema für sich herauslesen.

Vollends obsolet wird der Begriff der „Christlichen Kunst“  im Blick auf eine Kunst, die ihre thematische Offenheit zum Programm macht. Konkrete, abstrakte, experimentelle Kunst, die ihre eigenen Möglichkeiten auslotet und thematisiert, kommt hierbei gar nicht in den Blick. Die Trennung von profaner und religiöser Kunst scheint nicht mehr angemessen, wenn man die transzendierende Wirkung im Kunsterlebnis einmal ohne kirchliche Beschränkung wahrnimmt. Beschämend wird die Reduktion auf eine kirchliche Eigenkultur schließlich, wenn man überrascht zur Kenntnis nehmen muss, wie viel Christliches gerade in der außerkirchlichen Kunst im 19. und 20. Jahrhundert entstanden ist.

Die Einsicht in diesen Reichtum verdanken wir nicht zuletzt einer großartigen Ausstellung, die Wieland Schmied 1980 für den Katholikentag in Berlin unter dem Titel „Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde“ zusammengestellt hatte. Sie setzte einen deutlichen Schlusspunkt unter alle gelegentlich noch vorhandenen Zweifel an der Wahrnehmung der künstlerischen Autonomie im kirchlichen Bereich. Spätestens da wurde auch den letzten Zweiflern klar, welcher Schatz an religiösen Elementen in der Kunst der Moderne – auch in Kubismus und Futurismus – zu finden ist. Alle Versuche, nur bestimmte Künstler ins katholische Milieu aufzunehmen und nur ihnen Aufträge zu geben, stellte sich als völlig verfehlter Ansatz heraus. „Schmied war von dem Wissen bestimmt, dass auch die moderne Kunst in ihren wesentlichen Anfängen von spirituellen Impulsen geprägt war. […] Das Motto zielte weder auf eine simple Gleichsetzung, noch bezeichnete es einen unüberbrückbaren Gegensatz.“, wie es Friedhelm Mennekes formuliert.

 

Die Anerkennung der künstlerischen Autonomie

 

Die Entfremdung zwischen bedeutenden Künstlern und der Kirche wurde in den Jahren einer hohen Auftragslage, zwischen 1950 und 1970 bis zu völligen Sprachlosigkeit gesteigert. Für eine Gesellschaft wie die DG, für die eine enge Zusammenarbeit von Künstlern, Theologen und Kunstfreunden konstitutiv ist, waren das besonders schwere Jahrzehnte. Der Kontakt mit der Kirche drohte für Künstler geradezu rufschädigend zu sein. Papst Paul VI. formulierte in seinem Rundschreiben Evangelii Nuntiandi 1975 einen erschütternden Befund:  „Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche.“

Die genannte Ausstellung von 1980 war geradezu ein Fanal, auch weitere Positionen der Moderne auf ihre spirituellen Kerne hin zu befragen und frühere Untersuchungen genauer wahrzunehmen. Im Wesentlichen ging es um die Anerkennung der künstlerischen Autonomie, die kirchlich bis dato noch nicht eindeutig erklärt worden war.

Eine große Tagung von Künstlern, Theologen und Kunstwissenschaftlern, veranstaltet von DBK und ZdK, befasste sich 1994 in Berlin mit diesem Thema. Ein Grundsatzreferat von Karl Kardinal Lehmann erläuterte die veränderte Einstellung der Kirche zur Kunst in der Folge der – allerdings recht dürftigen – Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Allerdings: wem wollte man 1994 eine Autonomie zugestehen, die sich die Kunst längst selbstverständlich selbst erworben hatte. Der Blick ging vor allem nach innen: die Kirche musste den neuen Blick auf die Kunst nachvollziehen, sich deutlich von den Vereinnahmungen früherer Zeiten absetzen und endgültig die Kunst nicht mehr in einem Dienstverhältnis als „Magd der Theologie“ sehen. Die Kunst als ein eigenständiges, freies Gegenüber der Kirche, das war nach langer Zeit endlich angesagt.

Dies ist durchaus in den Jahren zwischen 1980 und 2000 gelungen. Wieland Schmied kuratierte zum Katholikentag 1990 erneut eine Ausstellung. „Gegenwart Ewigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit“ war sie betitelt. Hier wurde deutlich, dass mit einem offenen Spiritualitätsbegriff eine geradezu unabsehbare Fülle von künstlerischen Positionen präsentiert werden können: ein neuer Blick auf die Gegenwartskunst war überdeutlich geworden.

Eine ganze Reihe von Protagonisten ist für die neue Wahrnehmung der Kunst in der Kirche zu nennen. Neben der DG waren es Persönlichkeiten wie Otto Mauer in Wien, Franz-Josef van der Grinten in Goch, Alex Stock in Köln, Günther Rombold in Linz, Friedhelm Mennekes SJ in Frankfurt und Köln, Pfarrer Karl-Josef Maßen in Krefeld, Horst Schwebel in Marburg und andere mehr, die sich für das neue Verständnis der Kunst und das neue Verhältnis zu ihren Produzenten einsetzten. Die Workshops und Künstlertreffen, der Kunstpreis der Katholiken, ausgerichtet von DBK und ZdK gemeinsam haben zur Entkrampfung des Verhältnisses beigetragen. Inzwischen finden es Künstler weder als rufschädigend, wenn sie für kirchliche Orte oder Auftraggeber arbeiten, noch ist eine Abfrage unter Künstlern nach ihrer Rechtgläubigkeit die Regel bevor sie Aufträge der Kirche bekommen. Kirchenräume sind mit spektakulären Ausstellungen und Interventionen von Lübeck bis Graz zu wichtigen Kunstorten geworden. Die DG hat zu solchen Aktionen beigetragen und selbst wichtige Ausstellungen in Kirchenräumen durchgeführt.

Auch viele Streithemen der Vergangenheit haben sich erledigt, viele Kämpfe sind kaum mehr nachvollziehbar: Figuration versus Abstraktion; Illustration versus Offenheit; Autonomie und Bindung; Spiritualität oder Kirchenkunst; modern oder traditionell; schließlich die leidige Frage nach profan und sakral. Selbst die Gegensetzung von „angewandt“ und „frei“ scheint sich inzwischen erledigt zu haben – spätestens seit mit Gerhard Richters Fenster für den Kölner Dom und andere von Polke, Lüpertz, Rauch der hohe Stand der Glaskunst in Deutschland auch einmal in den Focus eines Kunstfeuilletons bringt, dem jede Art von „Angewandtheit“ immer höchst suspekt war.

Ist also alles gut, sind das tempi passati, die uns nicht mehr berühren? Georg Meistermann sagte 1979 auf einer Tagung des ZdK über „Kirche, Wirklichkeit und Kunst“: „Wir brauchen nicht nur fertige Meisterwerke in der Kirche. Es ist nicht die Frage, ob Léger, Rainer, Beuys im historischen Vergleich betrachtet, Meisterwerke geschaffen haben. Aber auch ihre Werke sind Ausdruck dessen, was alle angeht. Ich appelliere an Sie: Bemühen Sie sich um die, die auf dem Weg, auf auch dem Sie zu sein glauben, mit Mitteln der Kunst arbeiten.“

Wie kann die DG ein Ort sein für Künstlerinnen und Künstler, die auf dem Weg sind? Schon in der Phase ihrer Ausbildung lastet heute auf den Kunstschaffenden der Druck, das eigene Marketing mit allen medialen Möglichkeiten möglichst effizient zu betreiben. Aber auch Kirchenleute leiden darunter, wie „ihre“ Themen, das Bezeugen einer lebensrettenden Wahrheit, ihr Einsatz für soziale Fragen, ihr Arbeiten für eine menschliche Gesellschaft und für die humane Existenz jedes menschlichen Lebewesens auf das Desinteresse einer überdrehten Informationsgesellschaft trifft.

Wenn wir als Christen glaubhaft weiter denken als nur in den Grenzen von Ökonomie und Geld; wenn wir sagen und zeigen: für uns ist das Leben mehr als die Abfolge flüchtiger Reize, dann bereiten wir am ehesten den Boden für religiöse Erfahrungen. Die Welt neben der Ökonomie, neben der zielgerichteten Arbeit, die notwendige Ergänzung in Freizeit und Muße, das unverzweckte Spiel in Fest und Feier, dies ist die notwendige Bedingung für Kultur und Religion, für Kunst und Christentum gleichermaßen. In dieser Nähe, die vielleicht verschüttet, aber nicht verloren ist, liegt die Chance für eine Partnerschaft zwischen Kunst und Kirche.

Wir können heute feststellen, dass trotz und wegen ihrer Eigenständigkeit Künstler ein großes Interesse daran haben, Gesprächspartner zu finden, von denen sie den Eindruck gewinnen können, sie haben etwas zu vermitteln von unserer Zeit und ihren Themen, sie wissen etwas, das wichtig ist und sie sind authentisch in ihrem eigenen Zeugnis. Kunst und Künstler lassen sich gewinnen für die Begegnung mit authentischen Christen, die ihre Glaubenstraditionen kennen und in kritischer Beheimatung darin leben. Christian Boltanski sagte einmal im Interview mit Friedhelm Mennekes, er ziehe Kirchen  als Ort für Ausstellungen vor, weil „an sakralen Orten die entscheidenden Fragen der Menschheit gestellt werden“. Da kann die DG in ihrer Verbindung von Künstlern, Theologen und Kunstfreunden viel leisten.

Wir reden bei der Personengruppe der Frauen und Männer, die als Künstler arbeiten, über Menschen mit zumeist sehr bescheidenen Einkommen. Sich für die sozialen Belange dieser Menschen einzusetzen – auch das ist Aufgabe eines Kunstvereins wie es die DG ist. Das bedeutet auch die Verteidigung der Kunst überhaupt, auch über jeden religiösen Zusammenhang hinaus, nicht zuletzt, weil es sich um eine Lebensäußerung handelt, die es mit menschlichen Existenzialien zu tun hat.

Vielleicht gelingt die Überwindung einer so lange verlorenen Nähe dadurch, dass in einer Welt der Events und der marktschreierischen Aktualitäten, der Sonderwelten von Kunst nur für Galeriebesucher, des nicht wichtig Nehmens der Kunst wie der Kirche beide zu Exoten des medialen Geschwätzes werden. Jedenfalls ist an der Berührung zwischen Kunst und Kirche die DG nicht unbeteiligt, sondern Motor der gegenseitigen Vertrauensbildung geworden.

 

Die geistigen Grundlagen der Kunst

 

Die Ausstellung der DG zum Jubiläum trägt den programmatischen Titel „Über das Geistige in der Kunst. 100 Jahre nach Kandinsky und Malewitsch“. Sieben künstlerische Positionen von acht Personen sind zu sehen. Hier geht es um jenen weiten Begriff des Spirituellen, der nicht am ikonografischen Thema, sondern in innerkünstlerischen Elementen erfahrbar ist. Kandinsky und  Malewitsch ließen die Wiedergabe des Gegenstands hinter sich. Lange Zeit hielt man solche Kunst für mathematisch-kompositorische Übungen an der „richtigen“  Form und folgerichtig für einen Diskurs über christliche Kunst für irrelevant, obwohl die emphatische Schrift Kandinskys aus dem Jahr 1912 und die Selbstzeugnisse Malewitschs eine andere Sprache sprechen. Abseits von Stilbegrenzungen und der utopischen Emphase setzt sich eine neue Künstlergeneration assoziativ mit den synästhetischen Ansätzen auseinander – wie es die Ankündigung verspricht.

Das Thema Spiritualität hat in der Kunst zurzeit Konjunktur. Allerdings wird sie vor allem im profanen Kontext, in Museen, Konzerthäusern und Theatern thematisiert. Da führt die gGmbH Elbphilharmonie und Laeiszhalle Hamburg alle zwei Jahre das Musikfestival „Lux Aeterna“ durch. Die Website verheißt: „Wenn Hamburg im Februar im grautrüben Nieselregen versinkt, stellt sich die Frage nach dem Sinn des Seins noch etwas drängender als sonst. Eine wärmende, sinnliche Antwort bietet das Festival „Lux Aeterna“. Wer seine Schritte zu den hell erleuchteten Konzerthäusern und Kirchen lenkt, kann sich dort von Musik umhüllen lassen, die uns auf einer besonderen, unterbewussten Ebene anspricht“.  Und beim „Acht Brücken Festival“ der Neuen Musik in Köln wird das Programm ausgeweitet „in Richtung der anderen monotheistischen Religionen und einer von christlichen Inhalten Stils losgelösten Spiritualität, für die Hildegard von Bingen mittlerweile zum Synonym geworden ist“, so Michael Gassmann in einer Besprechung.

Gleiches gilt für Theaterprogramme mit Themenreihen zu Glauben und Religion. Die sehr vagen Botschaften solcher Theater- und Konzertprogramme zielen auf ein nicht (mehr) kirchlich gebundenes Publikum, das aber die Erfahrung meditativer Versenkung nicht missen möchte und am diffus-Mystischen Interesse hat. Und so tauchen mit „Rausch“, „Entrückung“, „Ewigkeit“ oder „Begeisterung“, häufig nicht direkt religiöse, aber religionskompensierende Begrifflichkeiten auf. Sicher sind das Zeichen für das Abwandern des Spirituellen in profane Bereiche, für Entkirchlichung und Multikulturalität, für einen Verlust an exklusiver Verwaltung solcher Themen durch die Kirchen und zeugt von der Zunahme spiritueller Angebote bei abnehmender Kirchenbindung wie es für die Bildende Kunst oft beschrieben worden ist.

Aber kann das nicht auch eine Chance für die Ansprache von Menschen auf der Suche sein, von dem Meistermann 1979 gesprochen hatte und die uns Kirchenleuten unser Papst Franziskus so sehr angelegen sein lässt? Vielleicht ergeben sich hier ganz neue Formen der Kooperation mit oft nur scheinbar gänzlich profanen Einrichtungen.

Ich halte es jedenfalls nicht nur für ein Detail, dass die Jubiläumsausstellung der DG in Kooperation mit dem Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt durchgeführt wird. Solche Kooperationen stehen in bester Tradition der DG – ich erinnere nur an die große Schau beispielhafter künstlerischer Aktionen und Ausstattungen in Kirchenräumen zum 100sten Jubiläum, die mit der „Neuen Sammlung“, dem Staatlichen Museum für angewandte Kunst in München realisiert wurde. Vielleicht ist eine Kunst, die das Motiv weit hinter sich lässt, besonders gut geeignet, in der Bilderwelt von Selfie und WhatsApp, die sich so radikal von der Zeit vor 200 Jahren verändert hat, mit Askese und Zurückhaltung von einem Heiligen zu sprechen, das sich letztlich der Darstellung entzieht.

Aus den „schöpferischen Konfessionen“ von Paul Klee (1879 – 1940) aus dem Jahre 1920 stammt das oft zitierte Dictum „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“.  Und  Josef Albers (1888 – 1969) formuliert in einer Vorlesung am Trinity College 1965: „St. Augustin sagt: ‚Kunst verwandelt das Leblose – in Leben‘ und Thomas von Aquin: ‚Kunst ist Imitation der Natur – in ihrem Vorgehen‘. Bitte beachten Sie er spricht nicht von der Erscheinung der Natur, sondern von ihrem Verhalten. […] Kunst macht das Unsichtbare – sichtbar […] Der Inhalt der Kunst: Visuelle Formulierung unserer Reaktion auf das Leben.“

Und der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) beendet sein Hauptwerk „Tractatus logico–philosophicus“ am Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren mit einem weit bekannten Satz, dessen Kontext aufschlussreich ist: „Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. […]  Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische. Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft […].Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Was kann man denn über das Schweigen hinaus „sagen“ oder geht es bei dem Schweigen der Begriffe genau um die Worte, Farben, Formen, Klänge und Bilder, die Zeichen der Annäherung sein können?  Ist genau das der Ort, an dem Religion und Kunst zusammenfallen?

Die DG möge auch in den kommenden 125 Jahren wach bleiben für die Grenz- und Überschneidungsbereiche der Kunst und der Religion und den Betrachtern helfen, in der Fülle der Abbildungen – täglich werden heute 4,5 Milliarden Bilder und eine Milliarde Videos allein über WhatsApp versandt – die wirklich lebenswichtigen Bilder sehen zu lernen.

Wenn es Kunst und Kirche zugleich mit dem Menschen, mit menschlichem Leben, mit Grenz- und Extremsituationen und mit dem Ganzen der Wirklichkeit zu tun haben, dann muss sich die Nähe von Kunst und Kirche anders ausdrücken, als nur in den kleinen Überschneidungsbereichen, in denen die Kunst im kirchlichen Vollzug oder im Kirchenraum in gewisser Weise dienstbar wird. In dem Reichtum der Kunst erfahren wir unseren Glauben und unsere Zeit – ganz im Sinne der Gründungsväter der DG. Geben wir nicht auf beim letztlich uneinlösbaren Versuch der Kunst, hinter die Dinge der Welt zu blicken.

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