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In der Entwicklung der Weltwirtschaft zeigen sich seit einiger Zeit tiefgreifende Veränderungen und Herausforderungen. Diese sind durch globale, geopolitische und geostrategische Dynamiken, ökonomische Disruptionen und Kriege sowie eine über längere Zeit zunehmend tiefere Staffelung internationaler Lieferketten einerseits und neue Regulierungsansätze andererseits geprägt. In diesem Spannungsfeld gewinnen Themen wie Globalisierung und De-Globalisierung, Resilienz von internationalen Lieferketten und nicht zuletzt die Frage der unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte und ökologische Folgen wirtschaftlichen Handelns zunehmend an Bedeutung.

Ziel der interdisziplinären wissenschaftlichen Fachtagung war es, einen Fachdiskurs über die Grenzen spezialisierter Fachdisziplinen hinweg zu fördern und diesen Diskurs durch Beiträge aus der Wirtschaftspraxis zusätzlich zu bereichern. Neben Beiträgen aus wissenschaftlichen Fachdisziplinen, nicht zuletzt der Ökonomik, den Politik- und Rechtswissenschaften und der Philosophie und Theologie, bot die Tagung Praktikerinnen und Praktikern aus der Wirtschaft die Möglichkeit, Einblicke in die Herausforderungen der Unternehmensrealität und in die praktische Umsetzung neuer rechtlicher und gesellschaftlicher Anforderungen zu geben. Die damit verbundenen Perspektivwechsel ermöglichen, ganz im Sinne wechselseitigen Lernens, eine im Ergebnis ganzheitliche Betrachtung eines komplexen Themenfeldes, dessen Relevanz nicht nur für Wissenschaft und Politik, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt
kaum überschätzt werden kann.

Angesichts der weltweit zunehmenden Tendenzen zur De-Globalisierung und zu verstärkten regulatorischen Eingriffen in Deutschland und der Europäischen Union wird die Notwendigkeit deutlich, resiliente und zugleich nachhaltige Handels- und Lieferkettenstrukturen zu fördern und dabei veränderten gesellschaftlichen Erwartungen und ethischen Anforderungen gerecht zu werden. Strategien wie Nearshoring, Reshoring und Friendshoring werden als Möglichkeiten diskutiert, globale Risiken zu vermindern und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese Ansätze werfen jedoch sowohl ökonomische und rechtliche als auch ethische Fragen auf: In welchem Umfang können solche Strategien dazu beitragen, die angestrebten Ziele zu erreichen? Wie wirken sie sich auf soziale und ökologische Standards in der Lieferkette aus, welche nicht-intendierten Nebenwirkungen sind zu beachten? Und, nicht zuletzt, welche ethische Verantwortung trägt das einzelne Unternehmen?

Ein zentraler Aspekt der Tagung und damit auch der vorliegenden Beiträge ist die gleichermaßen ethisch und ökonomisch sowie juristisch reflektierte Auseinandersetzung mit den Lieferkettengesetzen bzw. -richtlinien, die in Deutschland und der Europäischen Union in Kraft getreten sind und weiter vorangetrieben werden. Sie schreiben unter anderem eine Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards vor, verpflichten die Unternehmen ab einer bestimmten Mindestgröße auf die Einhaltung von Menschenrechten in der internationalen Lieferkette und ergänzen die Vorgaben um deutlich erweiterte Dokumentationspflichten. Diese Regulierungen zielen somit darauf ab, Standards für Menschenrechte und Ökologie nicht nur national oder innerhalb der Europäischen Union, sondern weltweit zu stärken und etwaige Umgehungsstrategien zu bekämpfen. Ihre Umsetzung stellt jedoch sowohl Unternehmen als auch staatliche Akteure vor erhebliche Herausforderungen. Insbesondere die Balance zwischen der Durchsetzung solcher Standards und der Vermeidung einer übermäßigen regulatorischen Belastung der Unternehmen verlangt nach einem differenzierten, vernunftbasierten Ansatz, nicht zuletzt im Hinblick auf die nicht von vornherein auszuschließende Möglichkeit, dass sich einige der angestrebten Ziele mit den verfügbaren unternehmerischen Mitteln als unerreichbar erweisen könnten.

Die Veranstaltung, auf der die vorliegenden Beiträge basieren, steht in der Tradition vorheriger Fachtagungen zu Wirtschaftsethik und Moralökonomik, die bisher in Kooperation zwischen der Katholisch-Sozialen Akademie Franz Hitze Haus in Münster und der Professur für Wirtschaftsethik und strategisches Management der Hochschule Bremen durchgeführt wurden. Diese Fachtagungen unter dem Oberthema Normen, soziale Ordnung und der Beitrag der Ökonomik werden beginnend mit dieser Veranstaltung in Kooperation mit und in der Katholischen Akademie in Bayern durchgeführt.

Das Tagungsdesign der Konferenzen sieht vor, dass die jeweiligen Hauptreferenten zu jedem Themenblock schon im Vorfeld der Tagung ihre Referate schriftlich verfassen. Diese werden dann an jeweils zwei ausgewählte Korreferenten aus anderen wissenschaftlichen Fachdisziplinen und auch an alle übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Vorbereitung der Tagung verschickt. Diese spezielle Tagungskonzeption sichert ein hohes inhaltliches Niveau der Konferenzen und den Einbezug der Erkenntnisse unterschiedlicher Wissenschaften in die Diskussion. Da die Vorträge im Vorfeld der Tagung von allen Referierenden und Teilnehmenden gelesen wurden, konnte auf einen langen Vortrag verzichtet werden. Die Referierenden und Korreferierenden hatten jeweils zehn Minuten, um ihre Kernthesen vorzustellen. Hierdurch blieb in jedem Themenblock viel Zeit für die interdisziplinäre Diskussion der jeweiligen Thematik.

Christian Hecker stellt sich einleitend dem grundlegenden Thema De-Globalisierung? Ökonomische und ethische Herausforderungen veränderter Rahmenbedingungen für internationale Wirtschaftsbeziehungen. Er warnt vor einer unzureichenden Berücksichtigung geopolitischer Risiken durch staatliche Akteure und Unternehmen gleichermaßen und plädiert vor diesem Hintergrund für eine wechselseitige Ergänzung von staatlicher Ordnungspolitik und unternehmerischer Eigenverantwortung. Die Korreferate steuern Gerhard Kruip aus sozialethischer Perspektive und Laura Mahrenbach aus politikwissenschaftlicher Sicht bei.

Stefan Kooths und Rolf Langhammer setzen sich unter dem Titel Nearshoring, Reshoring, Friendshoring, De-Risking als Resilienz-Strategien? kritisch mit den durch diese Schlagworte beschriebenen Ansätzen auseinander und untersuchen deren Potenzial sowie deren Grenzen in dem Ansinnen, globale Lieferketten angesichts wachsender Unsicherheiten abzusichern. Hinzu treten die Korreferate des Wirtschaftswissenschaftlers Eric Meyer und der Juristin und
Politikwissenschaftlerin Patricia Wiater.

Im Fokus des Beitrags von Galina Kolev-Schaefer stehen Lieferkettenregulierungen: Empirische Evidenz und wirtschaftspolitische Implikationen. Anhand aktueller Daten und Studien werden Regulierungswirkungen kritisch analysiert, wobei neben positiven Effekten auch nicht-intendierte Schäden sowohl für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen als auch für die Menschen in den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Ländern aufgezeigt werden. Die Korreferate stammen von Verena Rauen aus philosophischer und Michael Stürner aus juristischer Sicht.

Markus Krajewski betrachtet das Thema aus juristischer Perspektive unter dem Titel Lieferkettengesetze und unternehmerische Verantwortung. Er konstatiert einen wachsenden gesamteuropäischen Konsens zur Inpflichtnahme von Unternehmen und spricht sich vor diesem Hintergrund für eine nähere Befassung mit den umstrittenen Punkten der vorliegenden Regulierungsinitiativen aus. Von Martin Allerchen, Direktor Personal der Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli und Eva Katharina Donner, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und in Zusammenarbeit mit Annekatrin Meißner, Institut für Angewandte Ethik der Universität Passau, stammen die Korreferate.

Die nunmehr einem größeren Publikum zugänglichen Arbeiten spiegeln die Vielfalt und Tiefe der Debatte wider. Wir hoffen, dass sie nicht nur die Diskussion unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen bereichert, sondern auch für Politik und Wirtschaftspraxis wertvolle Anregungen bietet. 

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