Eingangsstatement zu den Faulhaber-Tagebüchern 1945

Im Rahmen der Veranstaltung "Michael Kardinal von Faulhaber – Das Tagebuch 1945 geht online", 14.02.2019

„Es ward Morgen und Abend. Der dritte Tag. In der Nacht habe ich keine halbe Stunde geschlafen. … Herzklopfen läßt mich nicht schlafen und Magenverstimmung, weil das Essen gar nicht gehen will, – Seit drei Tagen nichts mehr recht gegessen“, so Kardinal Michael von Faulhaber in einem seiner Tagebucheinträge.

„Es ward Morgen und Abend. Der dritte Tag.“ Sehr verehrte Damen und Herren, vielleicht erinnert Sie diese Passage, die Michael von Faulhaber am Ende des Weltkriegs in sein Tagebuch schrieb, auch an die biblische Schöpfungsgeschichte. Dort heißt es: „Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag.“

Wohlgemerkt: Hier wird es erst Abend, und dann bricht ein neuer Morgen an. In Faulhabers Tagebuch folgt dagegen auf den Morgen der Abend. Das lässt weitreichende theologische Interpretationen zu: Faulhaber sieht in München womöglich nicht die göttliche Schöpfung, sondern eine diabolische Anti-Schöpfung am Werk. Die Welt wird nicht erschaffen, sondern zerstört.

Diejenigen unter Ihnen, die vor dreieinhalb Jahren anwesend waren, als wir an gleicher Stelle die Einträge aus den Tagebüchern Faulhabers der Jahrgänge 1918/19 und 1933 präsentierten, mögen nun vielleicht irritiert sein. Haben Sie diese Worte Faulhabers nicht schon einmal gehört? Ja, Sie erinnern sich richtig, denn ich habe Sie ein wenig hinters Licht geführt. Im Tagebuchzitat, das wir einleitend gehört haben, geht es nicht um 1945, sondern um das Ende des Ersten Weltkrieges, genaugenommen um den 10. November 2018, verbunden mit der Revolution, deren Tage Faulhaber zählte. Diese Ereignisse stürzten Faulhaber, den Anhänger der alten Monarchien, in eine tiefe Krise; und sie regten ihn zu anspruchsvollen theologischen Reflexionen an, wie sich anhand der Tagebücher sehr schön erkennen lässt.

Und das Kriegsende 1945? Was schreibt Faulhaber dazu? Damit kommen wir zum Titel der heutigen Veranstaltung. „Am letzten April … ist der Krieg zu Ende.“ Das ist alles. So lapidar vermerkt Faulhaber den vermeintlichen Epochenumbruch, die Stunde null in München, am 30. April in seinem Tagebuch. Keine schlaflosen Nächte, keine Magenverstimmung, kein Herzklopfen, keine theologischen Reflexionen. Nichts.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs scheint Faulhaber vergleichsweise wenig bewegt zu haben. Wie kann das sein? Im November 1918 herrschte in München die Revolution, aber der Krieg war weit weg.

Aber nun, im Frühjahr 1945, lag die Münchener Innenstadt in Trümmern. Deutsche hatten einen Vernichtungskrieg begonnen und verloren, sechs Millionen Juden ermordet und zahlreiche weitere Verbrechen begangen. Nur rund 20 Kilometer von München entfernt lag das Konzentrationslager Dachau, in dem auch viele Priester starben, für die Faulhaber als Bischof verantwortlich war.

Wenn Faulhaber den Übergang vom Königreich Bayern zur Republik im November 1918 als Anti-Schöpfung verstand, wie interpretierte er 1945 den Untergang des nationalsozialistischen Regimes? Am 23. August unterschrieb der Münchener Erzbischof ein gemeinsames Hirtenwort der in Fulda versammelten Bischöfe, in dem es heißt: „Furchtbares ist schon vor dem Krieg in Deutschland und während des Krieges durch Deutsche in den besetzten Gebieten geschehen. Wir beklagen es zutiefst: … Schwere Verantwortung trifft jene, die auf Grund ihrer Stellung wissen konnten, was bei uns vorging, die durch ihren Einfluß solche Verbrechen hätten hindern können und es nicht getan haben, ja diese Verbrechen ermöglicht und sich dadurch mit den Verbrechern solidarisch erklärt haben.“

Das war es aber auch. „Jene“ waren die anderen. Aber wie wollte Faulhaber seine eigene Rolle und die der katholischen Kirche in den vergangenen zwölf Jahren verstanden wissen? Und wie versuchte er, die Zukunft mit den amerikanischen Besatzungsbehörden zu gestalten?

Auf diese und andere Fragen möchten wir heute Abend – immer mit Blick auf Faulhabers Tagebücher – einige Antwortversuche wagen. Dazu werden wir vier kürzere Vorträge hören. Beginnen wird Philipp Gahn, der über Faulhabers Schilderung des Kriegs spricht. Anschließend wendet sich Raphael Hülsbömer dem KZ Dachau zu. Es folgt Moritz Fischer, der der Frage nach Faulhabers Umgang mit der Entnazifizierung nachgeht. Franziska Nicolay-Fischbach präsentiert im letzten Vortrag das Thema Umerziehung und Umschulung, das sowohl Faulhaber als auch der US-Besatzungsbehörde besonders wichtig war. Abschließend wird Kollege Andreas Wirsching die gesammelten Eindrücke bündeln, bevor wir in eine hoffentlich intensive Diskussion übergehen.

Ich wünsche Ihnen – trotz der anspruchsvollen und teilweise traurigen Themen – einen schönen Abend, auf den ein neuer Morgen folgen möge.

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