Kants Theologie der Hoffnung

Im Rahmen der Veranstaltung Was ist religiöse Bildung?, 20.10.2022

© Wendy van Zyl, canva

Nicht nur außerhalb der Philosophie ist von Kants Gottesverständnis oft selten mehr im Gedächtnis geblieben, als Heinrich Heines Wort, Kant habe seinen Gott „über die Klinge“ springen lassen, der seitdem „unbewiesen in seinem Blute“ schwimme. Dieses Bonmot aus Heines Deutscher Geschichte ist auf Kants kritische Einsicht bezogen, dass sich die Existenz Gottes nicht beweisen lasse, zumindest nicht so, wie die Tatsache, dass die Erde rund ist, dass sie sich um sich selber dreht und in ihrem kosmischen Lauf einmal im Jahr die Sonne umrundet.

Mit Blick auf die von Kant festgestellte Unmöglichkeit, Gottes leibhaftige Existenz zu beweisen, hatte Moses Mendelssohn von Kant als dem „Alleszermalmer“ gesprochen. Das sollte heißen: Nichts, das vorher nach einer festgefügten Ordnung zusammenzuhängen schien, könne vor dem Urteil eines kritischen Philosophen bestehen. Zwar hätte Kant diesem Urteil Mendelssohns nicht zugestimmt, doch es macht deutlich, wie Kant auf viele seiner gläubigen Zeitgenossen gewirkt hat.

Und wer heute ein wenig in den Biographien blättert, die über Kant in Umlauf sind, der weiß, dass Kant kein Kirchgänger war. Als der auf Friedrich den Großen folgende König Friedrich Wilhelm II. zu den Krönungsfeierlichkeiten mit seinem ganzen Hofstaat nach Königsberg angereist war und die Universität besuchte, hatte ihn der amtierende Rektor Immanuel Kant auf das Liebenswürdigste begrüßt, und ihn nach den akademischen Feierlichkeiten zum Dom geleitet.

Vor dem Kirchenportal aber verabschiedete Kant die Majestät mit dem Hinweis darauf, dass er selbst den „Afterdienst“ eines Gottesdienstes nicht schätze und ließ ihn mit seinem Gefolge allein in die Kirche ziehen.

Der Philosoph hat es also nicht nur nicht vermocht, Gott als einen real existierenden physischen Teil der Welt zu erweisen, sondern er hat auch den weltlichen Zeremonien und Ritualen der Gottesverehrung misstraut. Und dennoch ist Gott in Kants Denken eine kaum zu überbietende geistige Größe.

Das will ich zunächst an einigen Beispielen vor Augen führen, um anschließend bewusst zu machen, wie Kants Auszeichnung des Göttlichen zu verstehen ist, um abschließend im letzten Teil anzudeuten, warum Kants philosophischer Umgang mit dem Göttlichen von so außerordentlichem Einfluss auf die nachfolgenden Denker sein konnte. Auch dabei beschränke ich mich auf einen Punkt, der mit der eminenten Rolle des Glaubens und der Hoffnung zu tun hat.

Gott und die Welt

Als junger Magister und in der Erwartung, sich damit habilitieren zu können, hat Kant 1755 ein Buch veröffentlicht, das in der Geschichte der Astronomie Epoche gemacht hat. Es gelingt dem Autor, die Beschaffenheit ferner Sterne als Galaxien – und damit als weit entfernte „Milchstraßen“ – zu deuten. Darüber hinaus präsentiert er eine Hypothese zur Entstehung der Sonnensysteme aus den sich in den Weiten des Kosmos in Millionen und Abermillionen Fällen verdichtenden rotierenden Gasnebeln.

Kant kommt damit einer Auffassung nahe, die wir heute mit dem Zustand verbinden, der in der ersten Epoche nach dem sogenannten „Urknall“ geherrscht haben dürfe, ohne dass es eine Vorstellung davon gab, wie die Welt entstanden sein könnte. Für Kant stand lediglich außer Zweifel, dass es rein physikalische Ursachen gewesen sein dürften, die alles in Bewegungen gesetzt haben dürften. Dass Gott einfach nur gesprochen haben könne, so dass alles auf sein Wort hin entstanden sein könnte, hielt er für eine frommen Glauben, der zwar seine tiefere Bedeutung haben könne; aber die Entstehung des Kosmos, so war Kant überzeugt, könne nur aus physikalischen Ursachen erklärt werden. Er schlug den Antagonismus von Gravitation und Repulsion vor, die in ihrem notwendigen Gegensatz in der Lage seien, alle Naturprozesse in Gang zu bringen. Mit Newton ging Kant davon aus, dass diese sich wechselseitig aufhebenden mechanischen Kräfte in der Lage seien, die unbelebte wie auch die belebte Natur hervorzubringen.

Das einzige, was Kant nicht aus dem Wirken der Elementarkräfte von Anziehung und Abstoßung ableiten konnte, war die Tatsache der Existenz des zunächst gasförmigen Stoffs, der das Universum füllt und sich unter dem Druck von teils anziehenden und teils abstoßenden Kräfte immer mehr zu der Vielfalt der Materien verdichtet, aus denen die Sterne, die Planeten und alles, was sich in ihnen, auf ihnen und zwischen ihnen befindet. Er sah sich also nicht in der Lage, die Entstehung selbst zu erklären. Somit blieb die Frage offen, woher die Materie stammt, aus der die Elemente der Welt bestehen.

Kants Vermutung ist, die Materie müsse von Gott gegeben worden sein, und eben diese Schöpfungstat sei auch schon alles, was Gott zur Welt beigetragen habe. Denn alles Weitere werde gleichsam von selbst durch das Zusammenwirken der elementaren physikalischen Kräfte besorgt, die natürlich auch Gott so eingerichtet haben muss.

Das ist, in denkbar knapper Fassung, die These, die Kant 1755 vertritt. Fünfunddreißig Jahre später, also 1790, entwickelt Kant in seiner Kritik der Urteilskraft eine weiterführende Überlegung, wie es gedacht werden könne, dass die physikalischen Kräfte in der Lage sind, auch die Entstehung des Lebens und den mit ihm auftretenden Geist zu begreifen. Kant ließe sich somit als ein Materialist reinsten Wassers verstehen, wenn da nicht seine fortbestehende Überzeugung gewesen wäre, dass die Materie, die aus der ihr innewohnenden Energie und der von ihr freigesetzten Kräfte alles Folgende entstehen lässt – diese Potenzen aber von niemand Geringerem als von Gott in die Welt eingebracht worden sind.

Damit ist mit Blick auf den Ursprung nichts anderes gesagt, als dass Gott als Urheber von allem, was es für den erlebnisfähigen Menschen gibt, namhaft gemacht werden kann. Nicht von ungefähr stellen sich in der Kritik der Urteilskraft dann auch die Begriffe der Physiko- und der Ethikotheologie ein.

Vorrangig ist jedoch, dass Gott von Kant selbst noch in seiner kritischen Zeit, in der Gott, nach Heine, schon längst „unbewiesen“ in seinem Blute hätte liegen sollen, weiterhin als Urheber der Welt begriffen werden muss, einer Welt, die diesem Urheber nicht nur in ihrem Anfangsimpuls, sondern auch in den nachfolgenden Etappen ihrer weiteren Entwicklung verbunden bleibt, weil ja auch die Kräfte, die sie steuern, von Gott ins Werk gesetzt werden.

Gott wird zwar nicht als Wesen gedacht, das jederzeit ins Weltgeschehen eingreifen kann. Aber als machtvoller Initiator des physischen wie auch des organischen Geschehens der Welt hat der Gott, von dem Kant spricht, als die Ursprungs- und Fortsetzungsinstanz der Welt zu gelten. Nur zu beweisen – und noch nicht einmal zweifelsfrei zu demonstrieren ist er in diesen Funktionen nicht. Doch eben das soll sich später als der unschätzbarer Vorzug Gottes erweisen.

Die Selbstgenügsamkeit Gottes

Der in seiner Existenz nicht zwingend zu beweisende Gott bekommt acht Jahre später von Kant einen prägnanten Begriff, und zwar in einer kleineren Schrift unter dem Namen Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Sie erscheint 1763 und ist ausschließlich einer Frage gewidmet, die in der nahezu zwanzig Jahre später veröffentlichen Kritik der reinen Vernunft zum zentralen Thema werden wird: Es geht um die Erkennbarkeit Gottes und um die Möglichkeit, überhaupt von einem „Dasein Gottes“ zu sprechen.

In detaillierten und höchst anschaulichen Beispielen führt Kant vor Augen, was sich aus der Sicht der Philosophie anführen lässt, um das Wirken eines göttlichen Wesens anschaulich zu machen. Das reicht vollauf, um zu erklären, warum sich das Interesse der Menschen auf Gott richtet. Nur im strikten logischen und physikalischen Sinn beweisen lässt sich das „Dasein Gottes“ nicht. Auch in verbindlicher Weise demonstrieren lässt sich die Existenz eines höchsten Wesens nicht.

Hätte Kant daraus die Konsequenz gezogen, dass es den in seinem Dasein nicht zweifelsfrei zu beweisenden Gott im strengen Sinn des Wortes gar nicht „gebe“, hätte er vielleicht schon damals den Argwohn der königlichen Religionswächter auf sich gezogen. Doch das geschah erst 1792 und unter der Ägide des Königs, den Kant bei dessen Antrittsbesuch in Königsberg gar nicht mit in den Dom begleitet hatte. Elf Jahre nach der Publikation der ersten Vernunftkritik in der Regierungszeit Friedrichs des Großen hatte die Zensurbehörde Friedrich Wilhelms II einige religions- und kirchenkritische Aussagen in Kants 1792 erstem Beitrag zu seiner Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft zum Anlass einer ernsthaften königlichen Verwarnung genommen, die Kant den Verlust seiner Bezüge und seiner Ämter angedrohte.

Doch trotz des vom König selbst unterschriebenen Reskripts hat sich Kant, nach einer gehorsamst vorgetragenen Bitte um Verständnis, nicht davon abhalten lassen, den Text unverändert als erstes Kapitel in seine Religionsschrift von 1793 zu übernehmen.

Doch ganz gleich, wie die politischen Umstände 1763 beschaffen waren: Die Idee einer Zensur kam 1763 schon deshalb nicht auf, weil Kant im Schlussabschnitt des Buches über die Demonstration eines Beweisgrunds für das Dasein Gottes eine Redewendung gewählt hatte, die nicht nur ganz und gar unverdächtig war, sondern die als ­denkbar größte Auszeichnung für ein göttliches Wesen angesehen werden kann: Kant spricht von einem Gott, der sich in jeder Hinsicht selbst genügt! Die Rede ist von der „Allgenugsamkeit Gottes“:

„Gott ist allgenugsam. Was da ist, sei es möglich oder wirklich, das ist nur etwas, in so fern es durch ihn [durch Gott] gegeben ist. Eine menschliche Sprache kann den Unendlichen so zu sich selbst reden (!) lassen: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne in so fern es durch mich (!) etwas (!) ist. Dieser Gedanke, der erhabenste unter allen, ist noch sehr vernachlässigt, oder mehrenteils gar nicht berührt worden.“

Wohl gemerkt: Der sich selbst genügende Gott hat es noch nicht einmal nötig, zu anderen seiner selbst zu sprechen. Er spricht hier zu sich selbst über sich selbst – und Kant ist der Ansicht, diese Selbstauszeichnung Gottes sei bislang noch nie angemessen verstanden worden.

Das ist eine großartige Stelle, die in ihrer rhetorischen Anlage wie auch nach ihrem philosophisch-theologischen Gehalt unüberbietbar ist. Hinzu kommt, dass Kant das derart gekennzeichnete Wesen Gottes aus der Sicht des Menschen „überzeugend“ nennt und das überdies vom Beweis durch stringente Argumente oder durch anschauliche Demonstration unterscheidet: „Es ist durchaus nöthig“, so beendet Kant seine frühe Schrift über den Beweisgrund, „dass man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nöthig, dass man es demonstrire [oder beweise].“

Gott im Widerstreit

Nach diesem Blick auf einen frühen Text Kants dürfte es gerechtfertigt sein, nicht näher auf die Antinomien der Kritik der reinen Vernunft einzugehen, in denen es Kant gelingt, die Destruktion der ontologischen Gotteslehre mit Hilfe eines einzigartigen literarischen Kunstgriffs zu inszenieren. Dass Leser wie Moses Mendelssohn so erschüttert und Künstler wie Heinrich Heine so nachhaltig beeindruckt waren, hat auch mit dem buchtechnischen Kabinettstück zu tun, mit dem Kant die Aporien einer mit absolutem Wahrheitsanspruch auftretenden philosophischen Metaphysik zu Fall bringt:

Auf der linken Buchseite wird mit bezwingender Logik dargetan, dass die Welt einen Anfang hat und auf der direkt gegenüberliegenden rechten Seite wird mit der gleichen Stringenz bewiesen, dass nur das Gegenteil der Fall sein kann.

Entsprechend verfährt Kant auch mit dem Gegensatz von Freiheit und Kausalität, mit dem von der Existenz und Nicht-Existenz Gottes und schließlich mit der Frage, ob er innerhalb der Welt oder auch außerhalb derselben etwas schlechthin Notwendiges gibt oder nicht. Die von Kant aufgestellten Gegensätze schließen sich wechselseitig aus und werden doch beide in den auch buchtechnisch sichtbar gemachten parallelen Beweisschritten als die jeweils einzig zulässige Wahrheit dargetan.

Das könnte tatsächlich als die „Zermalmung“ der Gottesfrage verstanden werden, wenn Kant nicht im selben Zusammenhang, scheinbar beiläufig, den Ausdruck wiederholte, mit dem er sein vor Jahren publiziertes Buch über die Demonstration des Daseins Gottes geendet hatte. Ich zitiere aus der angeblich die Gotteslehre endgültig destruierenden Kritik der reinen Vernunft:

„Die transzendentale Idee von einem nothwendigen allgenugsamen [!] Urwesen [wie Gott hier in kritischer Distanz genannt wird, V.G.] ist so überschwenglich groß, so hoch über alles Empirische, das jederzeit bedingt ist, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Erfahrung auftreiben kann, um einen solchen Begriff zu füllen, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und stets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel oder dazu die mindeste Leitung giebt, suchen wird.“

Hinzu kommt einige Kapitel später, in der Transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft – und zwar im drittletzten Abschnitt – eine folgenschwerere Erörterung Vom Meinen, Wissen und Glauben. Sie muss als Überleitung zu den beiden noch folgenden Vernunftkritiken über die praktische Vernunft (1788) und die Kritik der Urteilskraft (1790) verstanden werden. Und in beiden spielt der Glauben, wenn auch unter verschiedenen Titeln und mit unterschiedlichen Leistungen, eine entscheidende, für Kants kritisches Denken maßgebliche Rolle.

Das Schöne und das Erhabene

Mit dieser Einsicht kann man es sich ersparen, mit textnaher Akribie den Abschnitt über Meinen, Wissen und Glauben durchzunehmen, um zu zeigen, wie stark Kant, der, soweit es möglich ist, vom menschlichen Wissen ausgeht. Aber mit Blick auf das moralische Handeln und das ästhetische Urteilen kommt man damit nicht weit. Hier kommt es wesentlich an auf die mitmenschliche Selbstschätzung, auf das Bewusstsein der personalen Würde sowie das Gefühl der Achtung für alles das, was der Mensch als ihm maßgeblich überlegen empfindet. Moral und menschliche Lebensführung sind niemals allein durch Wissen, Geschicklichkeit und technisches Können fundiert. Sie bedürfen vielmehr der Leitung und der Stütze durch das Meinen und das Für-wahr-halten sowie – und dies keineswegs zuletzt – des Glaubens.

Auf dem Feld der Ästhetik stehen einerseits das Gefühl für das Schöne und andererseits die Empfänglichkeit für das Erhabene, das im Erleben einer Überwältigung durch einen grundsätzlich überlegenen sinnlichen Eindruck und dem sich gleichwohl einstellenden Glück, ihm mit eigener Kraft standzuhalten, möglich ist.

Die sinnliche Komplexität im affektiven Überschwang des ästhetischen Urteils sowohl mit Blick auf das Schöne wie auch unter dem optischen oder akustischen Eindruck einer uns erschauern lassenden Übermacht des Erhabenen kann völlig frei von religiösen Assoziationen sein! Und dennoch rühren sie an das Göttliche, so dass es uns nicht wundert, wenn Kant in dem Versuch, den Eindruck der absoluten Selbstbezüglichkeit des „allgenugsamen“ göttlichen Wesens zu beschreiben, das Attribut des Erhabenen verwendet. Das ist so viel und so wenig fromm, wie das Duett in Mozarts Zauberflöte, in dem sich Tamina und Papageno wechselseitig versichern, dass die Liebe zwischen Weib und Mann „an die Gottheit“ reichen.

Achtung, Glaube, Hoffnung

Dass die Moralphilosophie Kants auf einem Fundament aufruht, das niemals bloß aus Wissen und rationaler Einsicht bestehen kann, wurde schon betont. In der Lehre von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft wird das zum Thema. Viele uns allen wohl vertraute Gefühle, auch solche, die wir uns nur zu gern moralisch zugutehalten, werden im Text genannt, ohne jedoch vor Kants strengem Urteil Gnade zu finden. So geht es mit dem „Wohlwollen gegen sich selbst“ oder dem „Wohlgefallen an sich selbst“, so viel Humanität und Menschenliebe in sie auch gemischt sein mögen.

Aber dann wird von Kant ein „positives Gefühl“ genannt, das „nicht empirischen Ursprungs ist und a priori erkannt wird“. Es ist die „Achtung fürs moralische Gesetz“, von der es heißt: Es sei ein „Gefühl“, „welches durch einen intellectuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Nothwendigkeit wir einsehen können“.

Auch dieses Gefühl hat, wie die des Erhabenen, eine ihr innewohnende paradoxe Verfassung. Denn in ihr wird das moralische Gesetz als etwas erkannt, was uns als „Bestimmungsgrund unseres Willens in unserem Selbstbewusstsein demüthigt“, uns aber dennoch veranlasst, ihm zu folgen.

Dieses Gefühl ist, so Kant, durchaus „auch positiv“ und kann so als „Bestimmungsgrund“ unseres Willens angesehen werden, ein Grund, der für sich „Achtung“ verdient. Und damit, so schließt Kant, könne das moralische Gesetz nicht nur objektiv, sondern auch „subjectiv ein Grund der Achtung“ sein. Und mit dieser Ergänzung werden „Überzeugung“ und letztlich auch „Achtung“ und „Gefühl“ als unverzichtbare philosophische Basiskräfte rehabilitiert.

Wie soll man zur Achtung fähig sein, wenn man nicht Motive hat, die über den Augenblick hinausgehen und die Lebensführung eines Menschen insgesamt betreffen? Auf diese Frage ist die Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft bezogen, in der Kant davon spricht, dass die menschliche Vernunft in dem, was sie einem Menschen anrät, Postulate benötigt, die es ihm erlauben, etwas als für ihn als Person als so verbindlich anzusehen, dass er sich nicht nur dann und wann, sondern überhaupt in seinem Leben, nach den Prinzipien der Vernunft, richten können sollte.

Und hier besteht das entscheidende Postulat für Kant darin, dass es diesen sich selbst genügenden, gar nicht auf die Welt angewiesenen und dennoch alle ihre Kräfte in sich vereinigenden Gott, derart für den Menschen gibt, dass er als Urheber der gesamten Natur und als Grund von allem gelten kann.

Natürlich wissen wir nicht, ob es so ist, und wir können auch künftig nicht auf Beweise rechnen. Aber wenn wir dies nicht in unserem moralischen Glauben als für uns verbindlich annehmen, verlieren wir nicht nur die Überzeugung von der Einheit unserer Person, sondern wir können es auch nicht länger für möglich halten, ob das, was wir in jeder für uns als bedeutsam angesehenen Handlung tun, auch nur von der geringsten Bedeutung für das ist, was wir in der Welt tun!

Das Postulat vom Dasein Gottes erlaubt uns somit, von der Überzeugung einer inneren Einheit unserer Person und von dem Glauben an die Übereinstimmung zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir als die Welt begreifen, auszugehen. Ohne dieses Postulat verlieren wir nicht nur unsere Identität als Person im strengen Sinn des Wortes. Vielmehr geht so auch der Zusammenhang mit der Welt, den das von uns geglaubte Dasein Gottes garantiert, ein für allemal verloren!

Zwar, um das noch einmal zu betonen, wissen wir nicht, dass es so ist. Schon der Versuch, es wissen zu wollen, würde unsere Kräfte übersteigen. Aber unter der Prämisse des Postulats können wir immerhin die Hoffnung haben, dass es so ist. Und es ist diese Hoffnung, von der Kant sagt, dass mit ihr die Religion anhebt.

Moralische Glaubwürdigkeit

Das, was ich hier in aller Kürze vorgetragen habe, wird so schnell vermutlich niemand nachvollziehen können. Also insistiere ich noch einen Moment auf diesem Punkt der moralischen Glaubwürdigkeit, die das Postulat vom Dasein Gottes ermöglicht.

Es lässt uns nämlich erkennen, wie das unscheinbar erscheinende kleine Lehrstück über Wissen, Meinen und Glauben am Ende der Kritik der reinen Vernunft auch die praktisch bedeutsamen philosophischen Disziplinen der Moral, der Ästhetik und der Theologie auf eine neue Grundlage stellen! Hier wird der Glauben als Fundament grundlegender Aussagen der kritischen Philosophie Kants überhaupt anerkannt!

Damit ist auch die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Philosophie tatsächlich auf alle von ihm wiederholt betonten Grundfragen der Philosophie: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? philosophisch gerechtfertigte Antworten in Aussicht zu stellen vermag. Und da Kant die drei Leitfragen der Philosophie wiederholt in eine einzige Frage einmünden lässt, ist zugleich beantwortet, dass nicht nur dem Wissen und Meinen, sondern auch dem Glauben eine grundlegende Rolle in der Selbstschätzung des Menschen zukommt. Der Mensch ist, so darf man ohne Übertreibung – und ohne theologischen Hintergedanken – sagen, notwendig auf den Glauben angewiesen.

Das dürfte in der Beziehung zwischen „Meinen“ und „Glauben“ niemanden überraschen. Doch es lohnt sich – angesichts des verbreiteten Szientismus und Säkularismus – sehr wohl, die wechselseitige Angewiesenheit von Glauben und Wissen zu exponieren.

Denn angesichts der landläufigen Meinung, Kant habe Gott über die Klinge springen lassen, so dass er, insbesondere auch nach Nietzsches Wort „Gott ist tot“ und mit Marxens Gassenhauer von Gott als dem „Opium fürs Volk“, auch philosophisch in Ruhe gelassen werden sollte, ist es durchaus erheblich, sich klar zu machen, dass Kant, der Gott nicht erst mit der Kritik der reinen Vernunft, sondern schon lange vorher für gar nicht beweisbar gehalten hat, dennoch auch aus der Sicht des aufgeklärten Menschen von Gott mit guten Gründen sagen kann, dass der Mensch auf Gott angewiesen bleibt.

Mensch und Menschheit

Abschließend brauche ich nur noch kenntlich zu machen, wie die Frage „Was ist der Mensch?“ mit der Hoffnung verbunden ist. Man ahnt es bereits, wenn man in der Triebfedernlehre der Kritik der praktischen Vernunft liest, dass Kant das Ineinander von Demütigung in der Pflichterfüllung und der sich damit zugleich einstellenden Selbstaufwertung des Menschen am Beispiel einer neutestamentarischen Botschaft illustriert. Das Bemerkenswerte dieses Beispiels ist, dass es auch die innere Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen offenlegt. Das Zitat lautet:

„Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst.“

In der Auslegung des Satzes hebt Kant hervor, dass man Gott nicht lieben kann wie einen anderen Menschen, denn Gott sei „kein Gegenstand der Sinne“:

„Gott lieben, heißt in dieser Bedeutung, seine Gebote gerne thun; den Nächsten lieben, heißt, alle Pflicht gegen ihn gerne ausüben.“

Und zu dieser inneren, aus eigenem Antrieb erfüllten Pflicht gegenüber dem Nächsten gehört bei aller Freiwilligkeit: Überwindung – oder, wie Kant sagt, „Aufopferung“, die er als eine „innere Nöthigung“ versteht.

Möglich ist sie nur unter einer weiteren Voraussetzung, die Kant schon in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) in Anspruch nimmt, dass der Mensch zu seiner Einheit als Person letztlich nur darin findet, dass er sich als einen integralen Teil der Menschheit begreift:

„Handle so, daß du die Menschheit in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

Das könnte man als eine unerhörte Anmaßung ansehen, die jeden Menschen überfordert. Tatsächlich aber ist sie Bestandteil einer jeden Berufung auf die Würde der eigenen Person und den Anspruch auf Achtung dieser Person durch jeden anderen Menschen.

Das gehört inzwischen zu den Prämissen des Menschenrechts und ist Bestandteil nicht nur der Charta der Vereinten Nationen und einer stattlichen Anzahl nationaler Verfassungen. Bestimmungen dieser Art werden zwar von vielen Menschen missachtet und auch von vielen als pure Ideologie angesehen. Aber jene, die es für möglich erachten, dergleichen Bestimmung für sinnvoll und begründbar zu halten, dürften es nicht als abwegig ansehen, die Rationalität in Kants Postulat vom Dasein Gottes als durchaus praxistauglich anzunehmen. Denn die Kohärenz zwischen Person und Weltbegriff, die Kants Postulat zu fassen sucht, wird auch in der möglichen Deckung zwischen Mensch und Menschheit unterstellt.

Allein mit diesem Vertrauen auf die Verbindung von Mensch und Menschheit, ja, bereits im Anspruch auf die Würde des einzelnen Menschen, liegt ein Glauben, der ohne den Glauben an eine diesen Zusammenhang allererst ermöglichende, umfassende Macht, nicht möglich wäre. Gott, so kann man, ohne damit im konfessionellen Sinn „religiös“ zum werden, sagen, ist es, der uns im vollen Sinn des Wortes zu Menschen macht.

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