Katholische Literatur- und Mediengeschichte

Eine erste Bestandsaufnahme

Im Rahmen der Veranstaltung "Rückkehr der Religion – passé?", 21.11.2022

©tilialucida, canva

Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man konstatiert, dass die Forschung zur christlichen Literatur eingeschlafen ist. Überblickt man die literaturwissenschaftliche Forschungsgeschichte der letzten Jahrzehnte, so fällt auf, dass es kaum großangelegte Versuche gibt, die Spezifik von katholischer Literatur zu benennen und dass selbst Tagungssammelbände und Studien zu einzelnen Gestalten der Literaturgeschichte rar gesät sind. Trotzdem scheint nach wie vor ein Diktum des Journalisten Alexander Kissler gültig zu sein, eine Vermutung, die er vor 16 Jahren anlässlich eines Vorgängerprojektes zu der hier skizzierten Idee äußerte: „Nicht mehr der Katholizismus ist mehr das Kontrastmedium der Literatur, wohl aber kann die Literatur jener Ort sein, an dem eine formbewusste, gegenwartsskeptische Religiosität überwintert.“

Einzelne Wissenschaftler waren aber in der Vergangenheit keineswegs untätig, wenn man an die Vorarbeiten zur Transzendenz in der Gegenwartsliteratur denkt – stellvertretend hierzu sei Michael Brauns Werk Probebohrungen im Himmel. Zum religiösen Trend in der Gegenwartsliteratur genannt – oder die Forschungslandschaft zur katholischen Literatur – hier sei auf Klaus Wolfs Beitrag Joseph Bernhart – ein Autor des Renouveau Catholique? in dem Werk Perspektiven bayerisch-schwäbischer Literaturgeschichtsschreibung von Thomas Groll und Klaus Wolf verwiesen.

Das Forschungsfeld neu öffnen

Damit das Thema aber wieder mehr das Interesse der Kultur- und Medienwissenschaft erhält, war es umso dringlicher mit dieser Tagung in der Forschung noch einmal ein deutliches Signal zu setzen. Darum sollte das Projekt einer internationalen literatur- und medienwissenschaftlichen Fachtagung entworfen werden, die die Frage stellte nach der katholischen Literatur und ihren Medien: Wo finden sich christliche/katholische Spuren in den Medien, im Roman der Gegenwartsliteratur von Sibylle Lewitscharoff bis zum Aufkommen des Trends des neuen Geheimnisvollen, von Serien wie The Young Pope bis zum Magiediskurs in Game of Thrones etc.? Was passiert, wenn man den Renouveau catholique zwar historisch fasst und untersucht, aber seine Überlegungen auch auf das 21. Jahrhundert projiziert?

Kernidee dieser Tagung war es also, ein Forschungsfeld erst einmal neu für die Zukunft zu öffnen und zwar auch jenseits einer katholischen oder allgemeiner christlichen Literatur- und Mediengeschichte. Zentrale These ist: Jedes Medium trägt in sich eine Transzendenzaffinität. Zentrale Fragenkette ist: Wie gestaltet sich diese Affinität aus in Bezug auf textuelle Strukturen? Sind das Geheimnisvolle, Numinose oder Magische Spielarten der medialen Transzendenzaffinität und wie wird diese Faszinationskraft von unheimlichen Stoffen oder verrätselten Textstrukturen in der Interpretation entfaltet?

Rückkehr der Religion?

Nach nun schon etwas länger zurückliegenden Diskussionen, die nicht unwesentlich in dieses hier nur skizzierte Forschungsfeld hineinspielen, erkannte man zu Beginn der 2000er Jahre im Kontext von heiligem Jahr, 11. September und im Kontext der Frage nach der christlichen Grundierung Europas angesichts von Geltung beanspruchenden Religionen wie dem Islam die vermeintliche Rückkehr der Religion. Aus diesen Diskussionen resultierte der im Untertitel dieser Tagung wiederverwendete Terminus der Rückkehr der Religion; sichtbar z. B. in Martin Riesebrodts im Nachklang von 9/11 entstandenem Buch Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“, das den Fundamentalismen in Christentum und Islam gleichermaßen nachspürte. Oder Wolf Schieders Überlegungen unter dem Titel Wieviel Religion verträgt Deutschland. Bernd Posselt fragte über fünf Jahre später Ist Religion gefährlich? Wahrheit und Terrorismus.

Und zur breiten Diskussion, wo wie auf einem endlosen Feld die Fragen diskutiert werden, welche Aufgaben der Kirche oder den Kirchen zukommen, inwiefern sie obsolet werden oder fürs Gemeinwesen konstitutiv sind, gehört ein Buch wie Friedrich Wilhelm Grafs Kirchendämmerung. Wie die Kirchen unser Vertrauen verspielen. Dort benennt er sieben Untugenden, die aber auch für die Literatur- und Mediengeschichte interessant sind, wenn man weiterführende Fragen anschließt: Erste Untugend: Sprachlosigkeit, Zweite Untugend: Bildungsferne, Dritte Untugend: Moralismus, Vierte Untugend: Demokratievergessenheit, Fünfte Untugend: Selbstherrlichkeit, Sechste Untugend: Zukunftsverweigerung, Siebente Untugend: Sozialpaternalismus. Auch solche Themen werden in christlichen Stoffen und transzendenzaffinen Medien behandelt. Michael Braun konstatiert in seinem 2018 erschienen Buch Probebohrungen im Himmel einen religiösen Trend in der Gegenwartsliteratur, den er sehr weit spannt (siehe auch die Spannweite unseres Tagungstableaus), u. a. von Martin Walser bis Ulrike Draesner, von Martin Mosebach bis Patrick Roth.

Claudia Stockinger (Humboldt-Universität zu Berlin) machte den Auftakt und fragte danach, ob es eine katholische Literatur post-desäkular gibt. Die katholische(n) Literaturgeschichte(n) trugen dann einzelne Fallbeispiele zusammen: Peter Czoik vom Literaturportal Bayern sprach über das Werk Carl Amerys, Jan-Heiner Tück, Theologieprofessor an der Universität Wien, machte sich Thomas Hürlimann und Botho Strauß zum Gegenstand. Erich Garhammer, Emeritus für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Würzburg, beschäftigte sich mit dem Werk Arnold Stadlers, und Jørgen Sneis, Kollege in der Germanistik an der LMU München, vertiefte seine Überlegungen über Sibylle Lewitscharoff. In einem Podiumsgespräch mit dem Schauspieler und Kabarettisten Ottfried Fischer konnten wir neue Einblicke ins Katholische gewinnen.

Fortgesetzt wurden die im weitesten Sinne christlichen Sondierungen mit Brigitte Pfau, Doktorandin bei Klaus Wolf; sie eröffnete eine Spurensuche zur Verbindung von Nachhaltigkeit und Religion in der Literatur. Mitarbeiterin an der Universität Augsburg und ebenfalls Doktorandin ist Verena Gawert, die Einblicke in die Editionswerkstatt zu Joseph Bernhart gab. Dann waren wir auch schon bei transzendenzaffinen Medien angelangt. Marcus Stiglegger, einschlägiger Experte in Filmtheorie und -geschichte und interessanter Podcaster stellte uns die Idee des Heiligen in Spielfilmen vor, während ich danach die Serie The Young Pope aus thematisch naheliegenden Gründen erläuterte. Schließlich demonstrierte Georg Langenhorst, Theologe an der Universität Augsburg, seine Erfahrungen mit dem Metier des Kriminalromans und seine eigenen Erfolge auf diesem Feld, bevor schließlich Thomas Pittrof, Emeritus an der Universität Eichstätt, die katholische Literaturgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes mit einem lang erwarteten Lexikonprojekt darlegte. Als krönender Abschluss sprach Ijoma Mangold in einem Podiumsgespräch über seine eigenen christlichen Lebensgeschichten.

Katholische Literatur passé

Schon vor einigen Jahren trug der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach ganz erheblich zu der Debatte um die Frage bei: Was ist katholische Literatur? Ursprünglich als Vortrag formuliert, später in einem noch viel zu wenig beachteten Essay u. a. veröffentlicht in Mosebachs Essayband Schöne Literatur, umkreist und beantwortet Mosebach die Frage insofern, als er sagt, dass die Zeit einer im umfassenden Sinne katholischen Literatur im Grunde vorbei sei, als die selbstverständlich und unhinterfragte christliche Grundierung der Gesellschaft vorüber sei, was bedeutet, dass das im allgemeinsten Sinne Katholische in der Literatur nicht mehr zum Ausdruck komme. Katholische Bekenntnis- und ‚Propagandaliteratur‘, wie er sie im Renouveau catholique z. B. bei Georges Bernanos oder Werner Bergengruen verwirklicht sieht, erteilt er als Bereich einer engagierten und für eine Überzeugung trommelnde Literatur eine entschiedene Absage.

Auch sein eigenes Schaffen rechnet Mosebach explizit nicht unter diesem Terminus. Nach einer umfassenden Lektüre verschiedener Exempel der Literaturgeschichte kommt er zu dem erstaunlichen Schluss, dass es die katholische Literatur nicht mehr gibt, weil die christliche Grundierung und der selbstverständliche katholische Glaubenskontext mittlerweile weggebrochen sei. Prousts Recherche könne man in diesem Sinne noch als genuin katholischen Roman bezeichnen, also durchdrungen von einem Geist bzw. auf diesen verweisend, ihm aber auch widersprechend oder ihn karikierend. Falls wir also diesmal nicht rein katholische Medien in den Blick nahmen, die es vielleicht also im Mosebach’schen Sinne gar nicht mehr gibt, interessierte uns genau meine Frage vom Beginn. Darum zeigten sich uns viele Facetten davon, wie transzendenzaffin die Texte bis zur Gegenwartskultur sind.

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