Streit um Lieferkettengesetz“ ist eine Schlagzeile, die im November 2024 ebenso aktuell erscheint wie zu Beginn des gleichen Jahres oder gar im Sommer 2020. Dass ein Gesetz politisch so umstritten ist und bleibt, dass es bereits wenige Monate nach seinem Inkrafttreten wieder ausgesetzt oder mit der „Kettensäge“ bearbeitet werden soll, wie Robert Habeck bei einem Unternehmertag des Außenhandelsverbands BGA es formulierte, ist nicht alltäglich. Es ist vielmehr Ausdruck großer – auch ideologischer – Unterschiede bei der Betrachtung der Rolle und Aufgabe von Unternehmen mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen im Kontext von globalen Liefer- und Produktionsnetzwerken. Dabei scheint Einigkeit zu bestehen, dass Unternehmen diesbezüglich eine gewisse Grundverantwortung trifft. Umstritten ist dagegen, wie diese Verantwortung konkret geregelt, welche Detailtiefe vorgegeben und welche Rechtsinstrumente genutzt werden sollen.
Im Folgenden wird versucht, eine Versachlichung der Debatte zu leisten, indem Lieferkettengesetze in ihren internationalen und europäischen Kontext gestellt und die zentralen Streitpunkte herausgearbeitet werden. Dabei wird sich zeigen, dass Lieferkettengesetze auf international anerkannten Grundsätzen menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen beruhen und diese umsetzen. Zudem nimmt die Regulierung unternehmerischer Verantwortung durch diese Gesetze jedenfalls in Europa perspektivisch zu, sodass von einem wachsenden gesamteuropäischen Konsens gesprochen werden kann. Für die konkrete Diskussion ist es jedoch erforderlich, sich mit einzelnen umstrittenen Punkten dieser Gesetze genauer zu befassen. Vor diesem Hintergrund kann eine zusammenfassende Bewertung erfolgen.
Internationale Grundlagen unternehmerischer Verantwortung
VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Die aktuelle Debatte um unternehmerische Verantwortung findet ihren internationalrechtlichen Kristallisationspunkt in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahre 2011. Nach dem Scheitern des Versuchs, in den Vereinten Nationen verbindliche Normen für Unternehmen zu entwickeln, beauftragte der damalige VN-Generalsekretär Kofi Anan den Harvard-Professor John Ruggie als seinen Sonderbeauftragten, sich des Themas anzunehmen und bestehende Unternehmensstandards und Staatenpraxis im Bereich Menschenrechte und Unternehmen herauszuarbeiten. Zwischen 2005 und 2011 entwickelte Ruggie das Rahmenwerk Protect, Respect, Remedy in enger Konsultation mit Staaten, Unternehmen und Zivilgesellschaft. Ausdrückliches Ziel war nicht die Schaffung neuer Normen, sondern die Konkretisierung bestehender Regeln und Standards. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen nahm Ruggies Rahmenwerk 2011 als Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte an (Human Rights Council 2011). Die Leitprinzipien sind seitdem Rahmen und Hauptreferenz im wissenschaftlichen und politischen Diskurs im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte. Die Leitprinzipien umfassen drei Säulen: die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte, die unternehmerische Verantwortung zur Respektierung der Menschenrechte und Standards zur Gewährung von Abhilfe und Rechtsschutz.
Die unternehmerische Verantwortung, die Menschenrechte zu achten, erfordert laut Leitprinzip Nr. 13, dass Unternehmen „es vermeiden, durch ihre eigene Tätigkeit nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verursachen oder dazu beizutragen und diesen Auswirkungen begegnen, wenn sie auftreten“ und „bemüht sind, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verhüten oder zu mindern, die auf Grund einer Geschäftsbeziehung mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind, selbst wenn sie nicht zu diesen Auswirkungen beitragen“. Zentrales Instrument hierfür ist die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht. Unternehmen sollen nachteilige menschenrechtliche Auswirkungen ihrer Tätigkeiten ermitteln, diese verhüten und mildern sowie Rechenschaft darüber ablegen, wie sie den negativen Auswirkungen begegnen.
Als unverbindliches Rahmenwerk müssen die VN-Leitprinzipien in staatliches Recht und Politik sowie in unternehmerisches Handeln umgesetzt werden. Sie sind daher Grundlage für Nationale Aktionspläne (NAP) im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, gesetzliche Berichtspflichten, die z. B. in der CSR-Richtlinie der EU (Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung, englisch Corporate Sustainability Reporting Directive) niedergelegt sind, unternehmenseigene Richtlinien und Standards, internationales „soft law“, z. B. Standards anderer internationaler Organisationen (beispielhaft können die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln (2023) genannt werden) und nationale Sorgfaltspflichtengesetze, wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).
Verbindliches völkerrechtliches Rechtsinstrument
Bereits drei Jahre nach Verabschiedung der VN-Leitprinzipien starteten Ecuador und Südafrika sowie weitere Staaten des Globalen Südens eine neue Initiative im Menschenrechtsrat mit dem Ziel, ein rechtsverbindliches Instrument („Legally Binding Instrument“) zur Regelung der Aktivitäten von multinationalen Unternehmen zu schaffen, da sie dem Ansatz der Freiwilligkeit der Leitprinzipien kritisch gegenüberstanden. Die entsprechende Resolution des Menschenrechtsrats (Human Rights Council 2014) wurde zwar von den USA, der EU und allen anderen Industriestaaten abgelehnt, erreichte aber dennoch eine Mehrheit. Auf dieser Grundlage wurde eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Ecuador eingesetzt, die den Auftrag erhielt, einen entsprechenden Vertragstext auszuarbeiten. Dabei zeigte sich schnell, dass in der Staatengemeinschaft kein Konsens für die Schaffung direkt verbindlicher Regeln für Unternehmen bestand. Stattdessen fokussierten sich die Textentwürfe auf Verpflichtungen für Staaten zum Schutz von Opfern von Menschenrechtsverletzungen, zur Regulierung von Unternehmen, zur Gewährung von Abhilfe und insbesondere zum Zugang zu effektivem Rechtsschutz sowie zur Vereinbarkeit von Handels- und Investitionsabkommen mit Menschenrechten.
Aktuell verhandeln die Mitglieder der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe auf der Grundlage des im Juli 2023 veröffentlichten vierten Entwurfs für ein rechtsverbindliches Instrument. Gegenüber der Fassung aus dem Jahre 2021 hat sich der Text nicht mehr grundlegend geändert, wurde aber an vielen Stellen verbessert und geglättet. Gleichwohl dürfte jedoch auch dieser Entwurf noch nicht zu einem Durchbruch in den Verhandlungen führen. Es bestehen weiterhin fundamentale Gegensätze in der Staatengemeinschaft: So favorisieren einige Staaten des Globalen Nordens – wenn auch noch hinter vorgehaltener Hand – ein Abkommen, das keine konkreten Normen enthält, sondern nur einen allgemeinen Rahmen setzt und weitgehend den Stand der VN-Leitprinzipien wiedergeben würde. Das lehnen viele Staaten des Globalen Südens und die Zivilgesellschaft jedoch vehement ab.
Die weitere Entwicklung wird auch vom Verhalten der EU abhängen, die zwar seit einigen Jahren die Verhandlungen begleitet, sich bislang jedoch noch nicht auf ein Verhandlungsmandat einigen konnte. Es wird sich zeigen, ob die EU nach der Verabschiedung der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie ein größeres Interesse an dem Prozess haben wird, um „ihren“ Standard international durchzusetzen (Luthango und Schulze 2023). Auch die Haltung der USA war zuletzt ambivalent: Während der Regierung von Joe Biden zeigten die USA ein vorsichtiges Interesse an den Verhandlungen und beteiligten sich teilweise auch, ohne den Prozess jedoch insgesamt zu befürworten. Dies dürfte sich unter der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump fundamental ändern. Es ist anzunehmen, dass sich die USA – wie bereits während der ersten Trump-Präsidentschaft – aus dem VN-Menschenrechtsrat insgesamt zurückziehen.
Die Schaffung eines internationalen rechtsverbindlichen Instruments wäre aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Er würde – anders als nationale Sorgfaltspflichtengesetze – auf einem internationalen Konsens beruhen und keine einseitige Maßnahme darstellen. Er könnte zudem den Zugang zu Abhilfe und Rechtsschutz stärker in den Fokus nehmen und damit den Ansatz der Sorgfaltspflichtengesetze ergänzen. Schließlich könnte er auch dazu beitragen, die Beeinträchtigung des Menschenrechtsschutzes durch internationale Handels- und Investitionsabkommen zu verringern. Ein verbindliches Rechtsinstrument würde jedoch auch nicht von sich aus wirken, sondern müsste von den Staaten in nationales Recht und staatliche Politik umgesetzt werden. Ob ein verbindliches Rechtsinstrument zu einer tatsächlichen Verbesserung des Menschenrechtsschutzes beitragen wird, hängt maßgeblich von seiner effektiven Umsetzung ab und davon, ob es Akteure in lokalen Kämpfen und Auseinandersetzungen um den Schutz der Menschenrechte unterstützt und stärkt.
Menschenrechtliche Grundprinzipien der Regulierung von Unternehmensverantwortung
Sowohl die VN-Leitprinzipien als auch die Verhandlungen über ein verbindliches Rechtsinstrument finden im Rahmen des internationalen Menschenrechtsregimes statt. Daher lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die völker- und menschenrechtlichen Grundlagen der Regelung von Unternehmensverantwortung zu werfen. Internationale Menschenrechtsübereinkommen verpflichten die Staaten nicht nur, die Menschenrechte zu respektieren und eigene Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen, sondern auch Individuen gegen Beeinträchtigungen von Menschenrechten durch Dritte zu schützen (Human Rights Committee 2004; Committee on Economic, Social and Cultural Rights 2007). Die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte umfasst sowohl die Pflicht, wirtschaftliche Tätigkeiten, die zu einer Beeinträchtigung der Menschenrechte führen können, zu regulieren und entsprechende Regulierungen durchzusetzen als auch die Pflicht, Zugang zu Rechtsschutz bei entsprechenden Beeinträchtigungen zu gewähren (Weilert 2009).
Es ist daher allgemein anerkannt, dass Staaten berechtigt sind, gesetzliche Pflichten zum Schutz der Menschenrechte für Unternehmen, die nach ihrem Recht inkorporiert sind oder auf ihrem Territorium tätig sind, zu begründen. Es wird jedoch kontrovers diskutiert, ob sich aus den internationalen Menschenrechten eine staatliche Pflicht zur Regulierung von Wirtschaftsaktivitäten, die sich negativ auf Menschenrechte außerhalb des eigenen Territoriums auswirken, ableiten lässt (Krajewski 2018). Während die VN-Leitprinzipien dies offen lassen, haben einige Ausschüsse, die zur Überwachung von globalen Menschenrechtsabkommen eingesetzt wurden, eine derartige Pflicht bereits angenommen. So hat z. B. der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 24 aus dem Jahre 2017 festgehalten, dass die Vertragsstaaten Unternehmen verpflichten sollten, ihr Bestmögliches zu tun, um sicherzustellen, dass ihre ausländischen Niederlassungen oder Zulieferer die Menschenrechte achten. Konkret sollten Unternehmen verpflichtet werden, menschenrechtliche Sorgfalt walten zu lassen, um die Missachtung von Menschenrechten zu identifizieren, zu verhüten und ggf. darauf zu reagieren (Committee on Economic, Social and Cultural Rights 2017).
Diese Perspektive findet sich auch in den 2011 von einer Gruppe internationaler Experten aus Wissenschaft, Menschenrechtspraxis und internationalen Organisationen formulierten Maastrichter Grundsätze zu extraterritorialen Staatenpflichten (FIAN 2013). Dort heißt es in Grundsatz Nr. 9, dass eine staatliche Schutzpflicht u. a. in allen Situationen besteht, „bei denen Handlungen oder Unterlassungen des Staates vorhersehbare Auswirkungen auf den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach sich ziehen, sei dies innerhalb oder außerhalb seines Territoriums“ und, in denen der Staat „in der Lage ist, durch seine exekutive, legislative oder judikative Gewalt und in Übereinstimmung mit internationalem Recht entscheidenden Einfluss auszuüben oder Maßnahmen zu ergreifen für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte außerhalb seines Territoriums“.
Ähnlich lässt sich auch Art. 6 des aktuellen Entwurfs für ein rechtsverbindliches Instrument zur Regulierung von Unternehmen und Menschenrechten verstehen (Bernaz/Krajewski/Mohamadieh/Rouas 2022). Nach dieser Vorschrift sollen die Staaten verpflichtet sein, Wirtschaftsunternehmen zu regulieren und sicherzustellen, dass diese die internationalen Menschenrechte achten und Menschenrechtsverletzungen vermeiden (OEIGWG Chairmanship 2021). Hieraus lässt sich ableiten, dass menschenrechtliche Sorgfaltspflichtengesetze als Ausdruck einer extraterritorialen staatlichen Schutzpflicht zugunsten der Menschenrechte verstanden werden können.
Regulierung von unternehmerischer Verantwortung im europäischen Vergleich
Während bislang auf völkerrechtlicher Ebene keine verbindlichen menschenrechtlichen Pflichten und Normen für Unternehmen entwickelt wurden, haben einige Staaten nationale Gesetze verabschiedet, die versuchen, den Anspruch der VN-Leitprinzipien in verbindliches Recht zu gießen und so menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen begründen. Die entsprechenden Gesetze gelten dabei in der Regel für im jeweiligen Regelungsstaat ansässige oder dort wirtschaftlich tätige Unternehmen mit Blick auf ihren eigenen Geschäftsbereich und in Bezug auf ihre Wertschöpfungskette oder Geschäftsbeziehungen im In- und Ausland.
In der Praxis kann zwischen Gesetzen, die vor allem Transparenzanforderungen aufstellen und von den Unternehmen bestimmte Berichtspflichten einfordern und Gesetzen, die umfängliche Sorgfaltspflichten verlangen, unterschieden werden (Deva 2023). Zur ersten Gruppe gehören z. B. der US-amerikanische Dodd-Frank Act, der u. a. Unternehmen, die „Konfliktmineralien“ verwenden, Dokumentations- und Publizitätsverpflichtungen auferlegt, der britische Modern Slavery Act, der Transparenz bezüglich modernerer Sklaverei in der Lieferkette verlangt und die CSR-Berichterstattungsrichtline der EU, die bestimmte große Unternehmen verpflichtet, Konzepte zur Bewältigung von Risiken in Bezug auf Umwelt, Arbeitnehmerbelange, soziale Belange, Menschenrechte und Korruption darzulegen. Zur zweiten Gruppe gehören die französische Loi de Vigilance von 2017, das norwegische Transparenzgesetz von 2021, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) aus dem gleichen Jahr (Krajewski/Tonstand/Wohltmann 2021) sowie die am 13. Juni 2024 verabschiedete EU-Richtlinie über unternehmerische Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD).
Das LkSG gilt seit dem 1. Januar 2023 für in Deutschland registrierte Unternehmen und ihre Tochtergesellschaften mit mehr als 3.000 Beschäftigen und ab dem 1. Januar 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten (Kaltenborn/Krajewski/Rühl/Saage-Maaß 2023). Wie alle anderen Sorgfaltspflichtengesetze begründet auch das LkSG keine unmittelbare Bindung von Unternehmen an Menschenrechte, sondern verpflichtet sie zu menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfalt im Sinne der VN-Leitprinzipien. Die Sorgfaltspflichten nach dem LkSG beziehen sich auf die in den beiden Internationalen Pakten über bürgerliche und politische bzw. wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte von 1966 und in acht ILO-Konventionen verankerten Menschenrechte. Hinzu kommen Standards aus drei globalen Umweltübereinkommen. Das LkSG verlangt, dass die von ihm erfassten Unternehmen die Risiken, welche sich aus ihrer Tätigkeit oder in ihrer Lieferkette für die geschützten Menschenrechte und Umweltstandards ergeben, bewerten und darauf reagierend ggf. konkrete Präventions- und Abhilfemaßnahmen durchführen und die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus sowie Berichts- und Dokumentationspflichten sicherstellen.
Die Einhaltung des LkSG wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert, das über umfangreiche administrative Kompetenzen verfügt und bei Nichteinhaltung des Gesetzes auch hohe Bußgelder verlangen kann. Das BAFA unterstützt die Unternehmen auch durch Handreichungen und Informationen bei der Berichterstattung. Eine zivilrechtliche Haftung auf der Grundlage des LkSG selbst schließt das Gesetz jedoch aus. Dieser Ausschluss erfasst jedoch Klagen, die auf einer anderen rechtlichen Grundlage, insbesondere dem allgemeinen Deliktsrecht erhoben werden, nicht.
Die CSDDD orientiert sich ebenfalls an den VN-Leitprinzipien und begründet unternehmerische Sorgfaltspflichten in Bezug auf nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt. Sie wird sowohl die Tätigkeiten der Unternehmen und ihrer Tochterunternehmen als auch Tätigkeiten von Geschäftspartnern erfassen. Als Richtlinie gilt die CSDDD gem. Art. 288 AEUV nicht unmittelbar für Unternehmen, sondern muss von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Angesichts der notwendigen Überarbeitung des LkSG im Zuge der Umsetzung der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie wird aktuell kontrovers diskutiert, ob das LkSG bis zum Ende der Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie ausgesetzt werden soll oder ob eine Überarbeitung mit Blick auf die Richtlinie möglichst schnell erfolgen soll. Ebenso ist umstritten, ob die Umsetzung möglichst nah an den Mindestanforderungen der Richtlinie bleiben soll, die allerdings teilweise über das LkSG hinausgehen, oder ob die Richtlinienumsetzung zu einer weiterreichenden Reform des LkSG im Sinne eines umfassenden Menschenrechts- und Umweltschutzes genutzt werden soll.
Rechtspolitische Streitpunkte von Lieferkettengesetzen
Wie eingangs bereits gezeigt und aus dem Vorgehenden ersichtlich, sind Sorgfaltspflichten- und Lieferkettengesetze politisch umstritten, auch wenn sie auf einer gesicherten völker- und menschenrechtlichen Basis beruhen. Befreit man die Auseinandersetzungen um diese Gesetze von dem sie begleitenden ideologischen Getöse („Bürokratiemonster“), lassen sich drei zentrale Regelungsgegenstände als besonders umstritten herausarbeiten.
Anwendungsbereich
Ein erster Streitpunkt betrifft den Anwendungsbereich von Lieferkettengesetzen. Während die VN-Leitprinzipien für alle Unternehmen gelten, beschränken sich die meisten Gesetze auf große Unternehmen. Die Loi de Vigilance gilt nur für Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten. Dagegen findet das LkSG gem. § 1 bereits für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigen Anwendung. Artikel 2 der CSDDD setzt die Grenze ebenfalls bei 1.000 Beschäftigten, verlangt jedoch zusätzlich einen Jahresumsatz von 450 Mio Euro. Hintergrund dieser Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Gesetze ist die Überlegung, dass die Verpflichtungen der Lieferkettengesetze zusätzliche Belastungen mit sich bringen, die von kleineren Unternehmen kaum geleistet werden können.
Tatsächlich zeigen erste Beobachtungen aus der Praxis insbesondere bei der Umsetzung des LkSG jedoch, dass größere Unternehmen die ihnen auferlegten Pflichten nach den Lieferkettengesetzen regelmäßig an ihre Zulieferer und damit oft auch an kleinere Unternehmen weitergeben. Diese werden so faktisch in den Geltungsbereich von Lieferkettengesetzen einbezogen. Will man dem entgegenwirken, müsste man die Weitergabe von Verpflichtungen mittels Vertragsklauseln einschränken oder gar untersagen. Das würde jedoch den praktischen Bedürfnissen zahlreicher Unternehmen nicht entsprechen. Es erscheint daher sinnvoller, staatliche Beratungs- und Unterstützungsangebote bezüglich der Einhaltung von Sorgfaltspflichten nicht auf die dem Gesetz unterworfenen Unternehmen zu beschränken, sondern allen Unternehmen zugänglich zu machen. Besondere Angebote und praxisnahe Lösungen für kleine und mittelständige Unternehmen sind zusätzlich sinnvoll. Zudem könnte einer Weitergabe von Sorgfaltspflichten, die einseitig kleine Unternehmen belastet, durch die Entwicklung von ausgewogenen Modellvertragsklauseln entgegengewirkt werden.
Vor diesem Hintergrund sind die heftigen rechtspolitischen Auseinandersetzungen über die Frage, welche Unternehmen in den Anwendungsbereich eines Lieferkettengesetzes fallen, für die Praxis häufig weniger relevant. Wichtiger wäre es, regulatorische und wirtschaftspolitische Antworten auf die Weitergabe von Sorgfaltspflichten an kleine Unternehmen in der Lieferkette zu finden.
Berichtspflichten
Bereits die VN-Leitprinzipien sehen vor, dass Unternehmen über die Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und die von ihnen getroffenen Vorsorge- und Abhilfemaßnahmen öffentlich berichten. Aus diesem Grund haben sowohl das LkSG als auch die CSDDD verpflichtende Vorgaben für Berichte vorgesehen. In der unternehmerischen Praxis werden diese Berichtspflichten häufig als unnötige bürokratische Vorgaben und zusätzliche Belastungen wahrgenommen. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass Unternehmen aufgrund von ausführlichen Berichtspflichten zu viele Ressourcen auf die bloße Berichterstattung verwenden und weniger tatsächliche Veränderungen in ihren Produktionszusammenhängen oder Lieferketten anstreben.
Hinzu kommt, dass die Berichtspflichten nach den Lieferkettengesetzen nicht immer mit anderen Berichtspflichten etwa im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung (=Nachhaltigkeitsberichterstattung) synchronisiert wurden. Auf diese Weise kann es passieren, dass ein Unternehmen über den gleichen Sachverhalt oder ähnliche Zusammenhänge mehrfach und in unterschiedlicher Form zu berichten hat. In aller Regel besteht für derartige unterschiedliche Berichtspflichten jedoch kein sachlicher Grund. Daher muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass Berichtspflichten im Themenfeld Nachhaltigkeit kohärent reguliert werden und sich aus unternehmerischer Sicht keine unnötigen Doppelungen ergeben. Die Umsetzung der CSDDD in deutsches Recht bietet hier einen geeigneten Anlass und den richtigen Zeitpunkt.
Zivilrechtliche Haftung
In den Gesetzgebungsprozessen der Lieferkettengesetze hat die Frage, ob die Verletzung eines solchen Gesetzes auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach sich ziehen soll, zu besonders kontroversen Auseinandersetzungen geführt. Der Gesetzgeber des deutschen Lieferkettengesetzes hat insoweit den Interessen von Unternehmensverbänden nachgegeben und eine zivilrechtliche Haftung auf der Grundlage des Lieferkettengesetzes gem. § 3 Absatz 3 des Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen. Dagegen hat der europäische Gesetzgeber eine solche Haftung in der CSDDD verbindlich vorgesehen.
Nach internationalen menschenrechtlichen Grundsätzen ist eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht Teil des Rechts auf Abhilfe von betroffenen Personen und der Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen. Daher dürfte ein vollkommener Ausschluss einer Schadensersatzhaftung menschenrechtlich unzulässig sein. Aus unternehmerischer Sicht besteht jedoch ein Bedürfnis, von einer Haftung freigestellt zu werden, wenn die gesetzlich vorgegebenen Sorgfaltspflichten eingehalten wurden. Über die genaue Ausgestaltung einer derartigen Regelung wird in Wissenschaft und Praxis noch diskutiert. Auch hier besteht Einigkeit im Grundsatz. Umstritten sind jedoch die Details dieser sogenannten Safe Harbour-Regulierung.
Es wäre in jedem Fall wünschenswert, dass sich eine zivilrechtliche Haftungsnorm nach einem Lieferkettengesetz gegenüber konkurrierenden Haftungsregimen einer ausländischen Rechtsordnung durchsetzen kann. Insofern müsste die Haftungsregelung als sogenannte kollisionsrechtliche Eingriffsnorm gestaltet werden. Ist dies der Fall, kann eine zivilrechtliche Haftung nach einem Lieferkettengesetz für Unternehmen sogar mehr Rechtssicherheit begründen als eine allgemeine Haftungsregelung wie sie zum Beispiel derzeit nach dem deutschen Lieferkettengesetz durchaus vorgesehen ist: Nach der Konstruktion des deutschen Gesetzgebers kann ein Unternehmen nach dem Haftungsrecht eines ausländischen Staats belangt werden, ohne sich dagegen unter Berufung auf die Einhaltung von gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu wehren. Dieser im Gesetzgebungsprozess auch vorgetragene Einwand wurde vom Gesetzgeber jedoch ignoriert. Er sollte bei der Umsetzung der CSDDD in deutsches Recht jedoch unbedingt berücksichtigt werden. Bei entsprechender Gestaltung kann eine Haftungsnorm in einem Lieferkettengesetz somit aus unternehmerischer Sicht deutlich sinnvoller sein als ein Haftungsausschluss, der die Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen und damit auch nach ausländischem Recht nicht verhindern kann.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt lassen sich Gesetze zur Regelung unternehmerischer Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz als Versuch verstehen, Verantwortung zu begründen, wo bislang aufgrund der Zersplitterung der Rechtsordnungen eine Kultur der Verantwortungslosigkeit herrschte. Unternehmen im Globalen Norden profitierten bislang von der globalisierten marktwirtschaftlichen Produktionsweise, die dazu führte, dass soziale und ökologische Kosten bei der Vermarktung und dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen nicht berücksichtigt werden mussten. In der Logik dieser Produktionsweise sind Menschenrechtsverletzungen „Kosten“, die nicht internalisiert wurden, sondern weitgehend folgenlos blieben.
Sorgfaltspflichtengesetze begründen insofern eine „Verantwortung der Verantwortungslosen“ und schaffen Pflichten für diejenigen, die von der globalen kapitalistischen Produktionsweise profitieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich diese Gesetze daher auch nicht als Versuch des Globalen Nordens, dem Globalen Süden die eigenen Wertvorstellungen vorzuschreiben und insoweit als Neoimperiales Projekt verstehen (Lichuma 2021). Vielmehr regeln Sorgfaltspflichtengesetze der Staaten des Globalen Nordens die Verantwortung ihrer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Globalen Süden. Sie sind insofern Ausdruck des sprichwörtlichen „Kehrens vor der eigenen Haustür“ und können zu einer gerechteren globalen Wirtschaftsordnung beitragen. Sie sind jedoch weder das einzige noch das wichtigste Mittel zum Schutz der Menschenrechte in internationalen Produktions- und Lieferketten.