Offenes Ende

Eine Rückschau zum Weitergehen - mit der Apostelgeschichte

Im Rahmen der Veranstaltung Biblische Tage – Die Apostelgeschichte, 11.04.2022

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Endet die Apostelgeschichte offen? Paulus ist in Rom angekommen – anders als geplant, unter widrigen Umständen, aber mit der Reich-Gottes-Botschaft und dem Christusevangelium auf den Lippen und im Herzen. Nach dem abenteuerlichen Schiffbruch vor Malta, der dramatischen Rettung aus der tosenden Brandung (Apg 27,14–44) und der freundlichen Aufnahme bei Publius, dem „Ersten“ der Insel (Apg 28,1–10), geht das militärische Kommando, das bei Lukas zu einer Reisegruppe um den Gefangenen geworden zu sein scheint, an Bord eines alexandrinischen Schiffes, das im Zeichen der Dioskuren Kastor und Pollux, der Schutzpatrone von Seeleuten, nach Syrakus segelt, der Hauptstadt Siziliens, und drei Tage später weiterfährt, um via Rhegion (Reggio di Calabria) in Puteoli (Pozzuoli) bei Neapel anzulanden. Paulus kann dort eine Woche die Gastfreundschaft von Glaubensgeschwistern genießen, bevor er sich auf den Landweg nach Rom macht. Bis Forum Appii und Tres Tabernae kommen ihm Abgesandte der römischen Gemeinde entgegen (Apg 28,11–15). In der Hauptstadt steht er unter Hausarrest, kann aber Kontakte knüpfen (Apg 28,16). Er lädt führende Vertreter der Synagoge ein, um mit ihnen über das Reich Gottes und Jesus zu sprechen (Apg 28,17–25). Die Reaktion ist gespalten. Um sie zu deuten, zitiert Paulus laut Lukas den Verstockungsauftrag des Propheten Jesaja (Apg 28,25–27) und positioniert sich als Gesandter der Völker (Apg 28,28). Der Schluss der Apostelgeschichte lautet: „Zwei Jahre lebte er in einer Mietwohnung und nahm alle auf, die zu ihm wollten, indem er ihnen das Reich Gottes verkündete und über Jesus Christus lehrte, frei und ungezwungen“ (Apg 28,31–32).
Ist dies ein runder Abschluss? Ist es ein offenes Ende?

Ungelöste Probleme – uneingelöste Hoffnung

Es gibt zwei Erklärungen, dass die Apostelgeschichte einen runden Schluss habe. Die eine ist historisch falsch, aber theologisch harmlos, die andere historisch wirkmächtig, aber theologisch fatal. Theologisch harmlos, aber historisch falsch ist die Auskunft, Lukas habe weitere Ereignisse deshalb nicht berichten können, weil er zu diesem Zeitpunkt, also Anfang der 60er Jahre, sein Werk bereits abgeschlossen habe. Diese Auskunft überzeugt schon deshalb nicht, weil die Apostelgeschichte das Lukasevangelium voraussetzt (Apg 1,1–2), dieses aber u.a. auf dem Markusevangelium beruht, das ersichtlich um 70 n. Chr. verfasst worden ist (Mk 13,14).

Rein spekulativ ist die Überlegung, Lukas habe noch einen dritten Band folgen lassen wollen, der dann vom Martyrium des Paulus und Petrus berichtet hätte. Zwar würde ein solches Buch auf gespanntes Interesse stoßen, besonders in Spanien, wohin Paulus laut Römerbrief wollte (Röm 15,24.28) und laut dem Ersten Clemensbrief womöglich auch gekommen ist (1 Clem 5,7). Aber es gibt keine einzige Andeutung in der Apostelgeschichte, dass es noch weitergehen sollte – anders als im Evangelium, das mit der Verheißung des Geistes, dem Missionsauftrag und dem Segen des Auferstandenen, der in den Himmel emporsteigt, auf eine mögliche Fortsetzungsgeschichte verweist (Lk 24,49–51).

Weit verbreitet ist hingegen eine Erklärung, die theologisch hoch problematisch ist. Ihr zufolge hat Paulus mit dem Verstockungslogion den Juden, die nicht an Jesus glauben, theologisch den Abschied gegeben: Sie hätten ihre Chance definitiv verpasst, so dass nun die Heidenmission an die Stelle trete. Das habe Lukas gezeigt haben wollen. Da diese Deutung typischerweise keineswegs auf eine eigene Sendung der Juden hinausläuft, sondern auf eine Substituierung Israels durch die Kirche, wäre die Tür zu ­einem christlichen Antijudaismus aufgestoßen, der sich verheerend ausgewirkt hätte. Tatsächlich wird Lukas für eine solche Pointe nicht selten verantwortlich gemacht. Der Antijudaismus wäre dann die dunkle Seite und damit die theologische Desavouierung der Christusmission.

Aber auch diese Deutung überzeugt nicht. Zum einen ist die Völkermission bei Lukas nicht die zweite Wahl, nachdem die Judenmission gescheitert sei, sondern die ursprüngliche Beauftragung Jesu, in „Jerusalem und ganz Judäa, in Samaria und bis ans Ende der Welt“ das Evangelium zu verkünden (Apg 1,8). Zum anderen ist von einer Ablösung Israels durch die Kirche im lukanischen Doppelwerk keine Rede. Vielmehr lautet die Auskunft an die Adresse der römischen Synagogenführung: „So soll euch bekannt sein: Dieses Heil Gottes ist den Völkern gesandt, und sie werden hören“ (Apg 28,28). Paulus kündigt an, sich vom Widerspruch nicht beeindrucken zu lassen, auch wenn er ihn nicht aufzulösen vermag. Die Völkermission muss mit dem Nein der allermeisten Juden zu Jesus leben.

Ähnlich liegt es bei der Nachbesprechung der Predigt in der Synagoge von Antiochia Pisidia: „Euch musste das Wort zuerst verkündet werden; da ihr es abweist und euch selbst als des ewigen Lebens nicht würdig erachtet: Siehe, wir wenden uns an die Völker. Denn so hat uns der Herr geboten: ‚Ich habe dich bestimmt, Licht der Völker zu sein zum Heil bis ans Ende der Welt‘ (Jes 42,6)“ (Apg 13,46–47). Zwar wird auch diese Ansage häufig als Abkehr von den Juden und Ablösung von Israel gedeutet; aber der Fortgang der Erzählung zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Vielmehr wird zum einen das „Zuerst“ deutlich, das die Erwählung Israels zum Ausdruck bringt; zum anderen wird den Juden, obgleich sie nicht an Jesus glauben, eine Ausweitung des Gottesheiles auf die Heiden angekündigt. Diese Universalität aber ist der genuine Horizont Israels, eine Konsequenz des Monotheismus, wie Lukas in seinen vorzugsweise an den Psalmen festmacht.

In seinen Verteidigungsreden, die der Überstellung nach Rom vorangehen, ist von einem angeblichen Ende Israels keine Rede; vielmehr verweist Paulus vor den Statthaltern Felix und Festus auf seine Gesetzestreue (Apg 24,10–21; 25,8); vor König Agrippa und dessen Schwesterfrau Berenike verweist er auf die Verheißungen der Väter, den Segen für alle Völker (Apg 26,6), der durch Jesus bejaht wird (Apg 26,7–23). Der lukanische Fokus liegt auf der Öffnung für die Völker. Die Juden hingegen, die in ihrer großen Mehrheit nicht an Jesus als Christus glauben, werden deshalb nicht schon theologisch abgeschrieben. Ihr Nein ist vielmehr ein Problem, das in der Apostelgeschichte nicht gelöst wird. Es beruht – nicht auf Eifersucht, wie die Einheitsübersetzung meinte, sondern – auf Eifer: für Gott (Apg 13,45). Sie bringen ihren Gottesglauben nicht mit dem Christusbekenntnis zusammen.

Es ist nach Lukas aber nicht so, dass sich die Juden, die nicht an Jesus glauben, deshalb des Heiles als „unwürdig“ erwiesen hätten, wie früher in der Einheitsübersetzung stand, sondern dass sie selbst denken, seiner unwürdig zu sein, wie die revidierte Einheitsübersetzung jetzt klarstellt. Der Vers bietet keine historisch belastbare Information; er markiert eine lukanische Zuschreibung, die durch das Verstockungsmotiv gedeutet wird. Deshalb bringt die Auseinandersetzung zwischen Paulus und der römischen Synagogenführung die Grundfrage jeder Gnadentheologie auf den Punkt, die nur Gott selbst wird beantworten können: Wie entsteht Glaube? Wie wirkt Gott Heil? Wie kann die Hoffnung, die im eigenen Glauben begründet ist, die Gewähr bieten, andere nicht zu verdammen, aber auch nicht zu vereinnahmen, sondern zu verstehen.

Ein zweites Problem, das nicht gelöst ist, kommt hinzu. Es wird durch den Hinweis auf die Inhaftierung angezeigt: Um einer Auslieferung an den Hohen Rat zu entgehen, appelliert Paulus in Caesarea Marittima – sein römisches Bürgerrecht erlaubt es ihm – an den Kaiser in Rom (Apg 25,8–10). So kommt er dorthin, wohin er ohnedies wollte (Apg 19,21: „Rom muss ich sehen“). Aber seine Lage ist prekär. Er wird sich verantworten müssen; wie der Prozess ausgehen wird, ist nicht klar. In der Forschung heißt es zwar oft, Lukas verfolge eine politische Apologetik, um gegenüber den Römern die Harmlosigkeit des Evangeliums zu betonen und dadurch den römischen Verfolgungsdruck abzubauen. Aber Jesus, der passiven Widerstand gegen Pontius Pilatus leistet, und Paulus, der vor römischen Richtern immer wieder sein Recht einklagt, beweisen das Gegenteil. Auch in Rom gibt es kein Zurückweichen vor der staatlichen Gewalt, aber auch keine Unterstützung durch sie. Zwei Jahre werden genannt; wie es aus- und weitergeht, bleibt offen.

Mithin stehen zwei ungelöste Probleme am Schluss der Apostelgeschichte. Beide sind gravierend: das Verhältnis zu den Juden, die nicht an Jesus glauben, und das Verhältnis zum Imperium, in dem alle mit Verfolgung rechnen müssen, die das Evangelium verkünden. Lukas hat die Bedeutung beider Probleme durch das Evangelium wie durch die Apostelgeschichte klar hervorgehoben. Er macht aber zugleich deutlich, dass die Missionsgeschichte weitergehen wird, auch wenn sie nicht gelöst werden.

Die entscheidende Herausforderung, die am Ende der Apostelgeschichte markiert wird, besteht darin, die ungelösten Probleme nicht zu verdrängen, sondern zu verarbeiten. Die Herausforderung kann gemeistert werden, weil beide Probleme von einer Hoffnung unterfangen sind, die real, aber noch nicht eingelöst ist. Das Reich Gottes ist nahe, aber es ist noch nicht vollendet; Lukas ist sicher, dass es so schnell auch nicht zum Abbruch der Geschichte kommen wird, sondern dass noch eine geraume Zeit in der Spannung von „Schon“ und „Noch nicht“ stehen wird. Die Verheißung des Geistes zielt auf die Verkündigung bis an die Enden der Erde (Apg 1,8). So strategisch und effektiv vor allem Petrus und Paulus das Evangelien verbreitet haben – diese Aufgabe ist auch aus lukanischer Warte bei weitem nicht erledigt. Zwar ist Paulus im Zentrum des Imperiums angelangt. Aber die missionarische Perspektive sind die Peripherien. Paulus wird auch angesucht der ungelösten Probleme einerseits mit Juden, andererseits mit Römern, die sich schon weit vor dem römischen Aufenthalt abgezeichnet haben, nicht von der Verkündigung des Evangeliums lassen. In der Abschiedsrede an die ephesinischen Presbyter in Milet hat er die Augen dafür geöffnet, dass der Tod seiner wartet, ohne dass deshalb das Missionswerk zusammenbrechen werde (Apg 20,17–38).

Diese Dynamik kommt in den Schlussversen der Apostelgeschichte zum Ausdruck: Dass der gefangene Paulus trotz aller Beschwernis wirken kann, verweist auf die Möglichkeiten Gottes, menschliche Grenzen zu überschreiten – auf eine menschliche Weise, die sich aus dem Glauben erklärt. Dass die Hoffnung auf Erlösung sich noch nicht vollkommen bestätigt hat, heißt also nicht, dass es keine gäbe und dass nicht die Verheißung des Evangeliums bereits mit dem Glück des Glaubens verbunden sein könne. Aber sie ist so groß, dass sie einerseits den Widerspruch provoziert, der zu den ungelösten Problemen führt, und andererseits in jeder Krise einen Ausweg schafft, der in die Zukunft führt.

Die Offenheit des Schlusses signalisiert, dass die Geschichte weitergeht: über das Erzählte hinaus, in der Realität des Lebens, bis zur Zeit des Autors und weiter. Der Schluss in Rom setzt ein Ausrufezeichen: dass es keinen Ort geben wird, an dem das Evangelium nicht gehört werden wird, dass es aber keine Verkündigung ohne die gravierenden Probleme geben wird, die sich aus dem Dissens mit der jüdischen Majorität und aus den Konflikten mit politischen Machthabern geben wird. Das Doppelwerk blickt zurück und nach vorn. Denen, die skeptisch oder neugierig sind, macht es deutlich, woher die neue religiöse, ethische, philosophische Bewegung kommt, die sich „Weg“ nennt (Apg 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22), und wofür sie steht, damit sie einschätzen können, wie sie sich in Zukunft entwickeln wird. Denjenigen, die zum Glauben kommen, vergegenwärtigt es ihre eigene Geschichte, so dass sie sowohl die Herausforderungen der Gegenwart besser verstehen als auch Orientierung für die Zukunft besser gewissen können, in der sie nicht kopieren können, was gewesen ist, aber die Impulse aufnehmen können, die in der Anfangszeit gesetzt sind.

Das Verhältnis zu den Juden

Lukas hat schon im Kindheitsevangelium höchst anschaulich dargestellt, dass Jesus jüdische Wurzeln hat und nur aus einem lebendigen Judentum heraus verstanden werden kann: nicht dem der Sadduzäer und Hohepriester, die eher als Politiker gezeichnet werden, auch nicht dem der Pharisäer, denen ein zu enges Gesetzesverständnis zur Last gelegt wird, wohl aber aus dem Judentum der frommen Priester wie Zacharias, der prophetischen Frauen wie Maria, Elisabeth und Hanna, der weisen Alten wie Simeon und der Armen wie der Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Durch seine Synagogenbesuche, seine Pilgerreise nach Jerusalem, seine Tempelaktion, seine Schriftauslegung zeigt Jesus immer wieder, dass er aus den Quellen biblischer Theologie schöpft, wenn er das Reich Gottes verkündet, den Weg des Leidens nicht flieht und in der Hoffnung auf die Auferstehung sein Leben hingibt. In der Urgemeinde bleibt es bei der Teilnahme am Gebetsleben des Tempels (Apg 2,46); auch diejenigen, die erstmals „Christen“ genannt werden, weil sie von Antiochia Syria aus programmatisch Heidenmission ohne Beschneidung getrieben haben (Apg 11,19–26), sind mitnichten deshalb keine Juden mehr: weder in ihren noch in fremden Augen.

Nicht ganz so deutlich, aber doch auch klar ist bei Lukas die Zukunftsoption. So wie es gemeinsame Wurzeln gibt, die nicht ausgerissen werden, so auch eine gemeinsame Hoffnung, die nicht zerstört wird. Jesus öffnet sie in einer äußerst kritischen Prophetie. Er ruft sein vielfaches Bemühen um „Jerusalem“ ins Gedächtnis, deren „Kinder“ er zu sammeln versucht hat, wie eine „Glucke ihre Küken unter ihre Flügel nimmt“ – ein Bild, das an die Weisheit erinnert (Lk 13,34). Da sie jedoch nicht wollen, kommt es zum Auszug Gottes aus seinem „Haus“, dem Tempel, der denen „überlassen“ wird (Lk 13,35), die eine „Räuberhöhle“ aus ihm gemacht haben (Lk 19,46: Jer 7,11). Es ist schwer, nicht an die Zerstörung Jerusalems zu denken. In der Endzeitrede, die Lukas aus dem Markusevangelium aufgenommen hat, macht Jesus jedoch klar, dass aus dem Ende des Tempels weder auf das Ende der Welt noch auf das Ende Israels geschlossen werden darf (Lk 21,7–36). So ist es auch in der kritischen Phase der Galiläamission. Es gibt ein Jenseits des Gerichts: „Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis die Zeit gekommen sein wird, da ihr sagen werdet: ‚Gesegnet, der kommt im Namen des Herrn‘“ (Lk 13,35 – Ps 118,26). Im Lukasevangelium reicht der Blick nicht nur bis zum Einzug Jesu in Jerusalem (Lk 19,28–40), sondern bis zur Parusie (Lk 21,25–28). Weil Jesus davon spricht, dass die Menschen ihn definitiv nicht mehr sehen werden, bis jener Zeitpunkt eingetreten sein wird (vgl. Mt 23,37–39), spricht das Wort von einer endgültigen Begegnung mit dem Messias, der freudig begrüßt sein wird, auch wenn es sich um einen keinen anderen als Jesus handeln wird. Die jesuanische Christologie, die Lukas bezeugt, strahlt in diesem Zukunftsbild in auf – und zwar in der Zuversicht des Glaubens so, dass Feindschaft überwunden wird, die in Geschichte und Gegenwart das Verhältnis zu zerstören droht.

In der römischen Abschlussnotiz ist es ausgerechnet das Verstockungslogion, das diesen Hoffnungsbogen spannt. Paulus stellt fest, wie uneins die römischen Synagogenoberen sind; deshalb führt er laut Lukas an, was Jesaja als Grundauftrag seiner prophetischen Sendung erfahren hat: „Geh zu diesem Volk und sage: Mit den Ohren habt ihr gehört und nicht verstanden; mit den Augen gesehen und nicht geschaut; denn verhärtet ist das Herz dieses Volkes; ihre Ohren hören schwer; ihre Augen sind geschlossen, dass sie mit Augen nicht sehen und mit Ohren nicht hören und mit dem Herzen nicht verstehen und umkehren und ich sie heile“ ((Lk 28,26–27: Jes 6,9–10LXX). Nach Lukas hat auch Jesus dieses Wort auf seine eigene Sendung bezogen: Durch seine Gleichnisse löst er eine Krise des Verstehens aus, die durch die Gleichnisse nicht gelöst werden kann, aber die Notwendigkeit des Glaubens zum Verstehen offenbart (Lk 8,9–10). Paulus beleuchtet die Kehrseite. Der Prophet sagt an, was geschieht und geschehen sein wird: Es wird alles gesagt worden sein, was zu sagen ist. Aber durch die Verkündigung wird kein Glaube entstanden sein. Der Grund liegt nicht in der mangelnden Qualität des Wortes oder der Vermittlung, sondern in der Hartherzigkeit des Volkes, d.h. einer Verschlossenheit für Gott, die dann besonders groß sein kann, wenn sie sich auf Gott beruft. Sie wird durch die Verkündigung nicht herbeigeführt, aber aufgedeckt. Sie ist aber nicht das Ende vom Lied. Denn die Verstockung ist in der Bibel nicht mit der Verdammung gleichzusetzen; sie ist immer zeitlich befristet. Sie ist die Dialektik der Verkündigung, weil sie die Widerstände gegen Gottes Wort aufdeckt, in diesem Fall die Christologie, von der Lukas mit Jesus gemäß seiner Tradition überzeugt ist. Zum Schluss des Zitates in der Apostelgeschichte steht das Heilen. Mag es auch in der Geschichte nicht gelingen, ist doch Gottes Möglichkeit nicht beendet, wie die Parallele der Gerichts- und Heilsprophetie in Lk 13 beweist.

Der Verstockungslogion ist in der lukanischen Version, die der Septuaginta entspricht, stärker auf den Rückblick aus; es soll das Nein zu Jesus erklären. Es zeigt aber nicht an, dass Israel sein Heil verwirkt habe, sondern dass es ihm nicht durch den Christusglauben geschenkt wird, der auf die Mission reagiert. Gott bleiben alle Optionen offen, seinen universalen Heilswillen zu verwirklichen. Dafür steht Paulus mit Jesaja und Jesus ein – so Lukas. Er erzählt, im Rückblick auf seine Haft und eine zwischenzeitlich erwogene Freilassung: „Als die Juden Einspruch erhoben, war ich genötigt, beim Kaiser Berufung einzulegen, aber nicht etwa, um mein Volk anzuklagen“ (Apg 28,19). Was gegenüber der politischen Instanz gilt, hat desto mehr Bedeutung im Blick auf Gott. In den zwei Jahren des Hausarrests kann Paulus „alle“, die wollen, empfangen, nicht nur Heiden, sondern auch Juden.

Im Vergleich mit dem Paulus der Briefe zeigen sich starke Gemeinsamkeiten, aber auch klare Unterschiede. Das „Zuerst den Juden“, gehört zur theologischen Matrix des Römerbriefes, weil es der Kontinuität in Gottes Heilshandeln entspricht (Röm1,16; 2,10), auch durch sein Gericht hindurch (Röm 2,9); es widerspricht der Öffnung für die Heidenvölker nicht, sondern entspricht ihr, weil sich, so der Anspruch, in der Mission der Abrahamssegen für alle Völker ausbreitet (Röm 4).

Die eschatologische Zukunft Israels in Gottes Heil macht Paulus klarer, wenn er ausdrücklich von der Rettung ganz Israels spricht, weil Gott seine Gnade nicht reut (Röm 11,26); aber auch Lukas kennt diesen Ausblick, der allein konsequent ist, wenn Gottes Reich nicht auf das ultimative Inferno, sondern auf das Finale furioso der Vollendung hinausläuft. Für jede Gegenwart in der Geschichte erwartet Paulus eine Ablehnung Jesu Christi durch die meisten Juden, weil der Glaube an ihn ihrem Ja zu Gott zu widersprechen scheint (Röm 10,2; Apg 13,45). Der Apostel sieht im Römerbrief einen dialektischen Zusammenhang zwischen dem Erfolg bei den Heiden und dem Misserfolg unter den Juden, beides im Verzicht auf die Beschneidung und im neuen Verständnis der Gesetzestreue vermittelt. Lukas hat gleichfalls die spannungsreiche Verschränkung gesehen, aber nicht theologisch reflektiert, sondern narrativ gestaltet. Was Lukas im Unterschied zu Paulus nicht erkennen lässt, ist, dass dem Nein zu Jesus ein Sinn innewohnen könnte, der von Jesus selbst bejaht wird, weil Gott seine Gnade nicht reut.

Diese Einschränkung irritiert nicht den Eindruck, dass die lukanische Missionskonzeption von strukturellen Antijudaismen frei ist, zeigt aber eine Grenze auf. Durch den Rückgang auf die jesajanische Verstickung, die eine dialektische Verheißung ist, klärt sich: Der Widerspruch der meisten Juden wird durch die Missionsarbeit nicht aufgelöst werden; aber weder die Völkermission noch die Heilshoffnung für Israel werden desavouiert werden. Vielmehr wird beides koexistieren. Judenmision im Gefolge der Heidenmission ist ohnedies ein Unding. Gottes Reich ist unendlich größer als die Kirche. Hoffnung bleibt.

Das Verhältnis zum Imperium

Paulus ist nach der Apostelgeschichte als Gefangener in Rom, weil er zu Unrecht inhaftiert worden ist und weil der Prozess sich quälend in die Länge gezogen hat, bis Paulus sich entschlossen hat, an den Kaiser zu appellieren – was das Verfahren nicht beschleunigt, sondern weiter verzögert hat. Die Verhaftung ist Unrecht, weil Paulus fälschlich eines Sakrilegs bezichtigt wird, als er den Tempel betreten hat, so dass er vom römischen Oberst in Schutzhaft genommen werden muss (Apg 21,27–22,29); die Inhaftierung ist Unrecht, weil ihm kein fairer Prozess gemacht wird, sondern seine Person zum Spielball politischer Interessen zwischen den Statthaltern und dem Hohen Rat wird (Apg 22,30–25,12). Durch sein beherztes Eingreifen rettet Paulus zwar im Seesturm sowohl der Mannschaft als auch den Gefangenen, die getötet werden sollen, das Leben (Apg 27,14–44). Er ist auch in der Lage, das Vertrauen des Inselfürsten auf Malta zu gewinnen (Apg 28,1–10) und die Gastfreundschaft der Glaubensgeschwister in Pozzuoli zu genießen (Apg 28,14). Aber er bleibt unter dem Kommando der römischen Wachmannschaft (Apg 28,16). Die Berufung an den Kaiser, die er eingelegt hat, verschafft ihm Zeit – und legt ihm Fesseln an (Apg 28,17). Wie der Prozess ausgeht, wird nicht erzählt. Die spätere Überlieferung zeichnet kein klares Bild, ob sich die Haft hingezogen hat oder ob er freigekommen ist, bis er – traditionell: unter Nero – das Martyrium erlitten hat (Acta Pauli 11).

Was aber deutlich wird, ist der kritischer Blick des Lukas auf das römische Imperium, das nicht nur im Militär- und Wirtschafts-, sondern auch im Justizwesen Fakten schafft. Kritisch heißt: differenziert und engagiert – engagiert in der Freiheit, das Evangelium zu verkünden, die nicht eingeschränkt werden darf, weil Gott der Herr aller irdischen Herren ist; differenziert im Urteil über die römische Justiz, weil das irdische Recht nicht gebeugt werden darf und die Verkündigung darauf bauen muss, dass es eingehalten wird.

Im Hintergrund der Apostelgeschichte steht der Prozess, der Jesus gemacht wird. Er führt zu einem Justizmord. Jesus wird von Mitgliedern des Hohen Rates vor Pilatus schwerer Verbrechen angeklagt: Er habe das „Volk verführt“ und „aufgewiegelt“; er wolle es davon abhalten, „dem Kaiser Steuer zu zahlen“ und er beanspruche, „König“ zu sein, ein messianischer Konkurrent zum römischen Kaiser (Lk 23,1–3.5). Aus der Erzählung des Evangeliums ergibt sich, dass jede der Anklagen falsch ist und dass der aus Sicht des Evangelisten entscheidende Punkt, die Christologie Jesu, bewusst verzerrt wird. Lukas erzählt, dass Pilatus dieses Spiel durchschaut habe. Dreimal erklärt er, keine Schuld an Jesus zu finden (Lk 23,4.13–16.22). Aber am Ende verurteilt er ihn dennoch zur Kreuzesstrafe, weil er sich dem massiven Druck der Ankläger beugt, die er zufriedenstellen will, auf Kosten Jesu – ein klarer Rechtsbruch (Lk 23,20–25), ähnlich wie ihn nach Lukas Statthalter Felix (Apg 24,27) und Festus (Apg 25,1–12) gegenüber Paulus begangen haben.

Für Paulus ist die römische Auseinandersetzung nur das vorläufig letzte Glied in einer Kette von Auseinandersetzungen mit römischen Machthabern. Eine erste Konfrontation spielt in Philippi. Der Ort ist eine römische Kolonie (Apg 16,12). Deshalb herrscht dort eine militärische Kommandostruktur. Paulus und sein Mitstreiter Silas werden von den Besitzern einer Sklavin, die für sie als Wahrsagerin arbeiten musste, vor den Stadtoberen angeklagt, nachdem Paulus den „Geist“ vertrieben hat, der aus der Frau gesprochen hat. Die Motive sind rein wirtschaftlich: Der Exorizsmus führt zu Einnahmeverlusten. Aber die Anklage ist politisch brisant: Paulus und Silas wird als „Juden“ vorgeworfen, „Sitten“ zu verbreiten, die Römern anzunehmen nicht erlaubt sei (Apg 16,16–21). Die mos maoirum sind heilig, darunter die pietas, die Frömmgikeit, die durch die christliche Aufklärungspredigt fraglich wird. Da es den Herren gelingt, das Volk aufzuwiegeln, werden die Angeklagten von den Stadtkommandanten gefoltert und ins Gefängnis geworfen (Apg 16,22–24). Am nächsten Morgen wollen sie die beiden heimlich loswerden (Apg 16,35–36) – offensichtlich, weil sie Unruhestifter loswerden wollen, aber auch die Haltlosigkeit der Anklage nicht verkennen können. Allerdings bekommen sie es mit Paulus zu tun, der den Boten der Kommandanten erklärt: „Ohne Urteil haben sie uns öffentlich auspeitschen lassen, obgleich wir römische Bürger sind; sie haben uns ins Gefängnis gesteckt, und nun wollen sie uns heimlich fortschicken? Nein, sie sollen persönlich kommen und uns hinausführen“ (Apg 16,37). Dieser Protest hat Erfolg: Die Stadtoberen entschuldigen sich persönlich; es gibt eine öffentliche Rehabilitation (Apg 16,38–40).

Nicht so glimpflich geht der Konflikt anschließend in Thessalonich aus. Gegen Paulus und Silas wird von einem Mob, den Juden aufgestachelt haben, der Vorwurf erhoben, Paulus sei ein politischer Aufrührer (Apg 17,7), der einen anderen König als den Kaiser verkünde, nämlich Jesus. Diese Anklage entspricht der gegen Jesus vor Pilatus nach dem Lukasevangelium (Lk 23,2): Der Vorwurf ist gefährlich, weil er ins Herz der Pax Romana trifft, die angeblich herrscht. Weil die beiden Beschuldigten nicht zu finden sind, halten sich die Ankläger und die Stadtpräfekten an Jason, der sie beherbergt hat, und an weitere Gemeindemitglieder. Obwohl ihnen nichts nachgewiesen werden kann, müssen sie eine Kaution stellen, die verfällt, wenn sich der Vorgang wiederholt (Apg 17,9). Es ist deshalb auch im Interesse der Gemeinde, dass Paulus und Silas sofort die Stadt verlassen.

Eine Gegengeschichte spielt in Korinth (Apg 18,12–17). Dort ist Gallio der Statthalter und oberste Richter. Juden, die mit Paulus konkurrieren, klagen ihn an: „Wider das Gesetz überredet dieser die Menschen, Gott zu verehren“ (Apg 18,13). Der Statthalter beurteilt diesen Punkt als rein religiöse Angelegenheit: „Läge hier ein Unrecht oder ein schweres Verbrechen vor, ihr Juden, geböte es die Ordnung, euch anzuhören. Wenn es aber Streitigkeiten über Lehre und Namen und das Gesetz bei euch gibt, seht ihr zu! Darüber will ich nicht Richter sein“ (Apg 16,14–15).

Die Trias der Gerichtsszenen ist stilisiert. In ihr zeichnen sich die lukanischen Interessen ab: Wenn es nach Recht und Gesetz geht, dürfen der Verkündigung des Evangeliums keine Steine in den Weg gelegt werden, weil Gottes Reich und Jesu Messianität außer Konkurrenz zum römischen Imperium und Imperator stehen. Jesus hat gelehrt, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott zu geben, was Gottes ist (Lk 20,20–28). Die Pointe ist keine schiedlich-friedliche Trennung. Gott ist vielmehr alles zu geben; innerhalb dessen gibt einen kleinen, aber wichtigen Bereich, der dem Kaiser zu geben ist. Kein Kaiser ist Gott; Gott ist Herr auch über den Kaiser. Im Namen Gottes muss politische Herrschaft Recht und Gerechtigkeit walten lassen. Das Recht wird aber noch und noch gebeugt. Dagegen muss protestiert werden, im Namen Gottes. Der Gewalt darf man sich nicht beugen; aber zum Martyrium darf niemand gezwungen werden.

Der Prozess, der Paulus in Jerusalem, Caesarea und Rom gemacht wird, spitzt das Problem zu. Eine gute Rolle spielt der Oberst der römischen Tempelwache; er gibt Paulus die Gelegenheit, sich zu erklären, da er angeschuldigt wird, den Tempel entweiht zu haben; er schützt ihn dadurch vor der wütenden Menge, dass er ihn in Gewahrsam nimmt (Apg 21,27 – 22,29); er gibt dem Hohen Rat die Gelegenheit, seine Klage vorzutragen (Apg 22,30 – 23,11), er überführt Paulus nach Caesarea, um ihn vor einem Anschlag in Jerusalem zu schützen (Apg 23,12–35).

Schwierig wird es, sobald die Statthalter das Heft in die Hand nehmen. Vor Felix werfen Gesandte des Hohen Rates Paulus vor, Unruhe zu stiften, weil er den Tempel zu entweihen versucht habe, als dessen Schutzmacht die Römer auftreten (Apg 24,4–9). Felix gibt Paulus zwar die Gelegenheit zur Verteidigung (Apg 24,10–21) und sucht, nachdem er den Prozess vertagt hat, um den Oberst aus Jerusalem, Lysias, zu hören (Apg 24,22–23), weitere Gespräche mit ihm, weil ihm seine Unschuld klar ist (Apg 24,24–25). Aber weil er kein Bestechungsgeld erhält und sich mit den jüdischen Autoritäten gut stellen will, lässt er ihn bis zu seiner Abberufung (60 n. Chr.) nicht frei (Apg 24,26–27). Lukas macht klar: Felix hat versagt.

Nur ein wenig besser ist es mit seinem Nachfolger, Festus. Er gibt zwar Paulus die Gelegenheit, sich zu erklären (Apg 25,1–11) und lässt seine Berufung an den Kaiser zu (Apg 25,12); aber er hätte die Anklage entschieden abweisen müssen, so dass Paulus gar nicht in die Not gekommen wäre, zu appellieren, was unter den damaligen Rechtsbedingunen deshalb erlaubt war, weil der Statthalter in Kapitalsachen nur als Vertreter des Kaisers agieren kann und meist, wie hier, ein außerordentliches Verfahren führt (extra ordinem), was ein römischer Bürger nicht hinzunehmen braucht.

Laut Lukas schildert Festus allerdings gegenüber Agrippa und Berenike, wie korrekt er in der causa vorgegangen sei, weil er eine Anhörung anberaumt habe, bei der es zu keiner belastbaren Anklage gekommen sei, weil ausschließlich innerjüdische Religionsfragen vorgebracht worden seien (Apg 25,13–21). Er unterschlägt allerdings, dass er – ein Opportunist – Jesus vor die Alternative einer Auslieferung nach Jerusalem gestellt hat (Apg 25,9), so dass die Berufung an den Kaiser der letzte Ausweg geblieben war, den Paulus hatte wählen können (Apg 25,10). Deshalb ist es ein vergifteter Konsens, wenn er zusammen mit Agrippa und Berenike erklärt: „Dieser Mann tut nichts, worauf Tod oder Gefängnis stehen“ (Apg 26,31), und es ist eine fatale Unschuldsfeststellung, wenn Agrippa zu Festus sagt: „Dieser Mensch könnte freigelassen werden, wenn er nicht an den Kaiser appelliert hätte“ (Apg 26,32). Lukas führt alle, die sein Buch lesen, so durch die Geschichte, dass sie bei genauer Lektüre das taktische Verhältnis zum Recht erkennen können, das die römischen Statthalter in Judäa an den Tag legen. Die Kritik ist ebenso subtil wie klar. Sie liegt auf der Linie der ambivalenten Erfahrungen, die Paulus auf seiner Missionsreise gesammelt hat.

In Rom ist es nicht viel anders. Der Schatten des Unrechts liegt auch über der Untersuchungshaft. Sie ist leicht, wie Felix es bereits für Caesarea angeordnet hatte (Apg 24,23). Ein Wachsoldat wird abkommandiert, dass er ein Auge auf den Delinquenten werfe (custodia militaris), im Gegensatz zu einer Einkerkerung (custodia publica). Die Haft ist leicht (custodia libera), was Paulus seinem Bürgerrecht verdankt haben dürfte. Er kann nicht ungehindert missionieren. Aber er kann in seiner Wohnung Menschen empfangen, die Interesse am Reich Gottes und an Jesus haben.

Lukas charakterisiert Paulus so, dass er sich nicht im mindesten einschüchtern lässt, wenn er mit hochgestellten Politikern zu tun hat. Er klagt sein Reicht ein; er nutzt die Verteidigung als Gelegenheit zur Verkündigung. Aber er verteufelt die Politik nicht, sondern klärt auf, wo und wie sie missbraucht wird, auch mit Hilfe des Rechts, das gebeugt wird. Dass dies geschehen wird, hat nach dem Lukasevangelium Jesus selbst prophezeit und den Standhaften das ewige Leben verheißen (Lk 21,12–19). Paulus, früher ein Verfolger, ist ein Paradebeispiel.

Abgeschlossene und aufgeschlossene Buchschlüsse

Die Apostelgeschichte ist kein Fragment. Sie hat einen schönen Schluss, der dialektisch aufgeschlossen ist. Antike Historien, der Apostelgeschichte verwandt, pflegen nicht offen zu enden, sondern die Erzählung abzurunden. Einige wichtige Werke sind nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Schlussfolgerungen erlaubt sind, darunter die Historien des Thukydides, die Geschichte des Judentums von Eupolemos, die Wissenschaftsgeschichte des Eudemos von Rhodos, die historischen Werke von Diodorus Siculus, Alexander Polyhistor, Quintus Fabius Pictor, Aufidius Bassus, Fabius Rusticus und Clufius Rufus, die Annales des Tacitus, die römischen Geschichten des Polybios, des Livius, des Dionysios von Halikarnassos, des Cassius Dio und des Appianus. Andere Werke vermitteln ein klares Bild. Herodot endet seine Beschreibung der Perserkriege mit der Entscheidung des Volkes unter Kyros, „lieber ein mageres Land zu bewohnen als auf fruchtbarer Ebene säend eines anderen Knecht zu sein“ (Historien IX 122,4) – ein würdiges Denkmal des persischen Freigeistes. Xenophon, der Thukydides fortsetzt, beschließt seine Darstellung mit der zweiten Schlacht von Mantineia, die nach den vielen peloponnesischen Kämpfen zu einem Patt führt, und notiert: „Was mich betrifft, sollen meine Aufzeichnungen bis hierher gehen. Was danach kommt, wird vielleicht einen anderen beschäftigen“ (Hellenika VIII 5,27). Seine Anabasis beendet er mit einer Rekapitulation der Namen und Fakten vom Zug der Zehntausend (Anabasis VII 8,25–26). Strabon, Zeitgenosse des Lukas, beschließt seine Geographie mit einer Beschreibung der Gebietsverteilungen Caesars auf dem ganzen Erdenrund (IX 3,25). Herodian, deutlich jünger, schließt mit einer formvollendeten Schlussbemerkung, die eine summarischen Reflexion des Erzählten, einer Art Moral von der Geschicht‘ umfasst (Historia Romana VIII 8,7).

Nicht anders als die griechischen halten es die römischen Schriftsteller. Caesar beschließt De bello Gallico mit einem genauen Bericht über den erfolgreichen Abschluss des Feldzuges – verbunden mit der Erwartung, einer dankbaren Bestätigung aus Rom (De bello Gallico 7,90); sein Sekretär Aulus Hirtius beendet den Nachtrag mit einer Eloge auf den friedliebenden und rechtstreuen Caesar (De bello Gallico 8,55). Sein Buch De bello civili beendet Caesar mit einer Übersicht seiner Erfolge und der Ankündigung des Folgebuches über den alexandrinischen Krieg (De bello civili 3,112). Gaius Sallustius Crispus beschreibt zum Schluss der catilinischen Verschwörung, wie heldenhaft der Untergang war, auf Seiten des Verlierers wie der Sieger (De coniuratione Catilinae 61), und beschließt seine Darstellung der Jugurthinischen Krieges mit dem Triumphzug des Marius, der aber einen faden Beigeschmack hinterlässt, weil der innerrömische Streit zwischen den Patriziern desaströs sei (De bello Iugurthino 114). Ans Ende seiner Römischen Geschichte stellt Velleius Paterculus ein Dankgebet an Jupiter (Historia Romana II 131). Florus schließt mit einer Hommage an den gottgleichen Augustus (Epitoma de Tito Livio 2,33).

Biographien enden gattungstypisch mit dem Tod des Protagonisten, so durchweg bei Sueton (De vita Caesarum) und auch im umfangreichen Werl des Curtius Rufus über Alexander den Großen (Historiae Alexandri Magni 10,10) oder in Philos Streitschrift gegen den Antisemiten Flaccus (Adversus Flaccum 191). Die Parallelbiographien Plutarchs führen auf einen Vergleich zu, der politische Bedeutung mit moralischem Charakter korreliert.

Ähnlich geordnet liebt es Flavius Josephus. Sein Jüdischer Krieg endet mit der Erklärung: „Hier sind wir am Ende der Geschichte, die wir versprachen, mit aller Sorgfalt für jene aufzuschreiben, die erfahren wollten, in welcher Weise der Krieg zwischen den Römern und den Juden geführt wurde. Das Urteil darüber, wie der Stoff dargelegt worden ist, bleibe den Lesern überlassen; was hingegen die Wahrheit anlangt, so möchte ich nicht zögern, mit Entschiedenheit zu behaupten, dass ich auf sie allein die ganze Schrift hindurch mein Augenmerk gerichtet habe“ (De bello Judaico 7, 454 [11,5]). Mit bibliographischen Notizen beendet er die Antiquitates: „Hiermit beschließe ich meine Altertümer, die aus zwanzig Büchern und sechzigtausend Zeilen bestehen“ – bevor er weitere Projekte ankündigt (Antiquitates 20, 11,2). Joseph und Aseneth endet mit einer summarischen Notiz, dass Joseph nach dem Tode des Pharao wie ein König über Ägypten herrschte und sich später wie ein Vater um den Sohn gekümmert habe, als der, volljährig, den ägyptischen Thron bestiegen habe. (JosAs 29,11). Die Apokalypse des Mose läuft auf ein himmlisches Halleluja zu ((ApkMos 43,4), das Leben Adams und Eves endet in tiefer Trauer der Söhne über den Tod ihrer Mutter (VitAd 51,3). Das 3. Makkbäerbuch lässt die Freude über einen Schutzbrief des Ptolemäus Philopator auf eine Doxologie zulaufen (3Makk ,23), das 4. Makkabäerbuch stellt gegen die grausamen Martyrien die himmlische Belohnung der makkabäischen Helden und ihrer Mutter, bevor eine Doxologie das Buch beschließt (4Makk 18,20–24). Die frühjüdischen Prophetenbiographien enden regelmäßig mit der Notiz vom Ableben und haben eine subscpritio, die auf weitere Quellen verweist (VitProph).

Die biblischen Geschichtsbücher halten es nicht anders: Das Erste Buch der Makkabäer endet mit der Ankündigung einer Fortsetzung, nachdem erzählt worden war, wie Johanan (Hyrkanos) einen Anschlag vereitelt hat (1 Makk 16,23–24). Das zweite Buch der Makkabäer, das nicht diese Fortsetzung ist, hat einen Epilog: „Nikanor ist umgekommen; von jener Zeit an wurde die Stadt von den Hebräern beherrscht. So beende ich mein Wort“ – worauf ein kurzer Werbespruch folgt (2 Makk 15,37–39). Das Buch Ester schließt mit einer redaktionellen Notiz, wer es zu Purimfest überbracht habe (Esr 10,31), das Buch Judith mit der Nachricht vom Tod der Heldin (Jdt 16,21–25), das Buch Tobit mit der Nachricht vom Tod des Helden, der noch vom Ende Nebukadnezars gehört hat (Tob 14,12–15), das Buch Nehemia mit einer Rechenschaft des Statthalters in Form eines Gebetes (Neh 14,23–31). Das Zweite Buch der Chronik sieht zum guten Schluss in der Befreiung aus dem babylonischen Exil die Erfüllung dessen, was Jeremia prophezeit hat (2 Chr 36,22–23). Die Liste lässt sich verlängern.

Die paganen wie die jüdischen und alttestamentlichen Schlusspointen passen genau zum Geschichts- und Menschenbild der Kulturen. Die pagane Geschichte kennt Episoden, Phasen und Epochen, die am besten im Rückblick dargestellt und durch ethische Bewertungen für das Lesepublikum, die Elite der Gesellschaft, aufgeschlossen werden. Die Leser sollen Lehren aus der Geschichte ziehen. Histora magistra vitae, heißt es bei Cicero (De oratore II 36); denn es gibt charakteristische Muster und typische Erfahrungen, die sich in einem mythischen Weltbild aus der Wiederkehr des Gleichen erklären. Im Mittelpunkt stehen Helden: Männer, die ihr Leben riskieren, Kämpfer, die auf Siege erpicht sind, Schurken, die von der gerechten Strafe ereilt werden. Bei Plutarch ist die Anthropologie hellenistisch zivilisiert; sie bleibt eine Galerie starker Männer, die große Schwächen haben können.

Die biblische und frühjüdische Historiographie bewegt sich hingegen im Raum des geschichtsmächtigen Handelns Gottes, der durch Segen und Fluch Wirkungen erzielt. Sie versucht, seinen Fingerzeigen auf die Spur zu kommen, wenn sie beschreibt, was war, um zu verstehen, was ist., und zu gestalten, was kommen soll. Die Matrix bildet die Verheißungstreue Gottes. Sie bleibt gültig, auch wenn Israel untreu wird. Sie schafft Zukunft, wo sie versperrt scheint. Sie vergegenwärtigt durch Geschichtsschreibung die Vergangenheit, weil Gott ein Gedächtnis seiner Taten stiftet (Ps 111,4–5). In diesem Horizont werden nicht nur Siege gefeiert und Niederlagen betrauert, sondern auch Gewinne aus Verlusten bilanziert: Aufbrüche in Abbrüchen, Wenden in Enden, Lichtblicke in tiefer Dunkelheit. Menschen brauchen ihre Schwächen nicht zu verbergen, sondern können sie offenbaren – im Vertrauen, von Gott nicht gedemütigt zu werden. Nicht nur Männer, auch Frauen spielen Schlüsselrollen, jenseits des grassierenden Patriarchalismus: Ruth, Judith und Esther setzen Ausrufezeichen.

In dieser Linie einer Theologie der Hoffnung steht die Apostelgeschichte – und setzt neu an. Sie beschreibt kein Ende, sondern einen Anfang: die weltweite Mission, die wahrmacht, dass es einen Gott gibt für alle. Diese Entwicklung steht im Zeichen der Auferstehung Jesu. Er ist kein anderer als der Mann aus Nazareth, der auf Golgotha hingerichtet wurde; er ist es nun in der Kraft Gottes, zur Rechten des Vaters erhöht (Lk 20,41–44; Apg 2,34; 7,55–56); er ist es, der wiederkommen wird, um Gottes Reich zu vollenden.

Der offene Schluss der Apostelgeschichte ist ein stummes Bekenntnis zur Auferstehung Jesu. Solange die Zeit währt, wird es dabei bleiben, dass den Völkern das Evangelium verkündet wird. Es wird dabei bleiben, dass sich die Mehrheit der Juden dem Christusglauben verweigert. Es wird auch dabei bleiben, dass im Namen Jesu kein Gottesstaat, sondern eine Kirche errichtet wird, die sich vom Imperium kategorial unterscheidet und deshalb die Fähigkeit der Kritik entwickelt. Die Völkermission, die Spannung zu den allermeisten Juden, die Konflikte mit politischer Autorität gehören wechselseitig zusammen, weil die Verkündigung öffentlich ist und aus jüdischen Wurzeln universal. Sie ist in der Kirche beheimatet, aber unendlich größer als sie.

Diejenigen, die an Jesus Christus glauben, werden durch das Evangelium und die Apostelgeschichte in ihrer Aufgabe unterstützt, Zeugnis abzulegen, weil sie im Lesen der „Zuverlässigkeit der Katechese“ gewiss werden können, in der sie – wie Theophilus – unterwiesen worden sind (Lk 1,1–4). Sie sollen kein Ressentiment gegenüber den Juden entwickeln, die nicht an Jesus glauben, sondern wie er selbst mitleiden mit den verfolgen Juden, wie die Kapelle Dominus flevit es aufgrund einer lukanischen Episode festhält (Lk 19,41–44); ihr Vorbild ist Stephanus, der für seine Henker betet, darunter auch Saulus (Apg 7,60); ihr Vorbild kann auch Paulus sein, der keine Anklage gegen sein Volk erhebt (Apg 28,19). Die Gläubigen sollen nicht zuletzt mit Jesus auf die Versöhnung in der messianischen Vollendung setzen (Lk 13,34); Petrus hat von der vollen Wiederherstellung Israels gesprochen (Apg 3,21), Paulus predigt über die Rechtfertigung aus dem Glauben (Apg 13,38–39) und stellt seine Verteidigung ins Zeichen der Auferstehungshoffnung ­
(Apg 23,6; 24,21).

Für Lukas ist es entscheidend, dass der Weg weitergeht, dessen entscheidende erste Etappen in der Mission Jesu und seiner nachösterlichen Jüngerschaft er beschrieben hat. Der Weg geht weiter, weil er von Gott selbst gebahnt wird. Deshalb ist der Schluss seines Buches nicht abgeschlossen, sondern aufgeschlossen. Die Zukunft ist offen.

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