Wie vermitteln aktuelle Filme ein Bild des Heiligen? Was kann das Heilige in diesen Kontexten bedeuten? Und was schließlich ist „transcendental style“, wie es der Filmkritiker und Filmemacher Paul Schrader 1972 benannte? Um diese Fragen wird es im folgenden Beitrag gehen.
1.
Der Film – offiziell 1895 erstmals öffentlich aufgeführt – gilt als paradigmatisches Medium der Moderne. Er emanzipierte sich bald vom Status der Jahrmarkattraktion im Rahmen der Kinokunstdebatte der 1910er Jahre zu einer künstlerischen Ausdruckform mit eigenen Mitteln, die im französischen Sprachraum auch als „siebtente Kunst“ betrachtet wurde. Dabei widmete sich der Film von Beginn an neben der Reproduktion des alltäglichen Lebens auch dem Wunderbaren, dem ganz Anderen, dem Erhabenen – letztlich dem Heiligen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Unterscheidung des Profanen und des Heiligen rekurrieren, die der Religionswissenschaftler Mircea Eliade in seinem gleichnamigen Buch Das Heilige und das Profane (1984) vorschlägt. Er unterscheidet in der menschlichen Weltwahrnehmung zwischen der alltäglichen, rationalen Welt und der Sphäre des Anderen, des Außeralltäglichen, das sich eher spirituell fassen lässt. „Sacer“ steht hier lateinisch für das Heilige (das „Sakrale“) und ist verbunden mit dem „sacrificium“, dem rituellen Opfer, in dem ein Wesen oder Gegenstand in einem rituellen Akt „heilig gemacht“ wird („sacri-ficium“). Dieser Opferakt kann symbolisch erfolgen oder real durchgeführt werden (durch die Tötung des Opfers), das in diesem rituellen Akt einen heiligen Status erlangt. Dieser direkte Zusammenhang zwischen dem Heiligen und dem Opferritual ist im Kontext des Films von besonderer Bedeutung, da filmische Narrative sehr häufig auf Opferhandlungen Bezug nehmen, sei es als Selbstopfer für die Gemeinschaft oder als Tötung eines „Sündenbocks“ zur Rekonstituierung der Gemeinschaft. Die filmische Form nimmt dabei rituelle Züge an: Vertraute, wiederholte Handlungsmuster bringen dem Publikum diese Akte nah. Diese Verbindung von Ritual und Film zeigt sich auch in der Wiederholbarkeit der filmischen Performanz: Man kann einen Film mit Gewinn in unterschiedlichen Dispositiven immer neu sehen. Der zyklische Charakter des Narrativ kommt dabei diesem wiederholten Sehen entgegen und reflektiert es zugleich.
2.
Der für die aufgeklärte Moderne am wenigsten fassbare Bereich ist die Transzendenz. Was der Sphäre des Göttlichen und Heiligen angehört, ist mit den Begriffen des Menschen nicht mehr fassbar. Was nicht von dieser Welt scheint, entzieht sich auch den Kontrollmechanismen der Welt, ist an sich bereits souverän. Und gerade deshalb ist die Transzendenz, die Annäherung an das Heilige, zum besonderen Faszinosum für den Film geworden, denn was sich den Worten entzieht, könnte sich noch immer in Bildern und Klängen ‚lichten‘, um mit Martin Heidegger zu sprechen.
Transzendental leitet sich vom lateinischen „transcendere“ ab, was „überschreiten“ bedeutet, und wird in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen mit Bezug auf die Erfahrung verwendet. So markiert es Strukturen, Begriffe oder Erkenntnisse, die nicht durch Empirie erworben werden können, deren Existenz aber vorausgesetzt werden muss, damit die Erfahrung einen Wahrheitsgehalt hat.
Der Filmkritiker, Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader entwarf in seinem 1972 erschienenen Buch Transcendental Style in Film eine Idee von der audiovisuellen Begegnung mit dem Transzendentalen, der ‚Sakrisphäre‘. Anhand des Œuvre dreier internationaler Regisseure – Yasujiro Ozu, Robert Bresson und Carl Theodor Dreyer, allesamt explizite Vertreter einer filmischen Moderne – untersucht er deren inszenatorische Versuche, das Heilige filmisch auszudrücken. Die auftauchenden stilistischen Gemeinsamkeiten bezeichnet er als transcendental style, wobei er all die verwendeten Begriffe einer eingehenden Definition unterzieht:
„The Transcendent is beyond normal sense experience, and that which it transcends is, by definition, the immanent. […] It can mean directly or indirectly: (1) the Transcendent, the Holy or Ideal itself […], (2) the transcendental, human acts or artifacts which express something of the Transcendent […], (3) transcendence, the human religious experience which may be motivated by either a deep psychological need or neurosis (Freud), or by an external, „Other“ force (Jung). […] Transcendence in art is often equated with transcendence in religion because they both draw from common ground of transcendental experience.“
Er betont also bereits früh im Buch, dass es ihm nicht um einen spezifischen Begriff des Heiligen im Sinne einer konkreten Religion geht, sondern um eine interkulturelle Universalie, das grundsätzlich „Andere“. Er bestreitet dabei nicht die assoziative oder mitunter konkrete Verbindung von Religion und Transzendenz, will aber auf eine spzifische filmische Form hinaus, einen Stil:
„Like transcendence,‘ the term ‚style‘ is susceptible to semantic confusion. It can have various meaning: it can mean, as Wylie Sypher states, ‚a contemporary view of the world‘ expressed by a particular geographical-historical culture, or it can mean the individual expression Raymond Durgnat describes as the ‚creation of a personal, a subjective, a ‚non-objective‘ world,‘ or it can mean what Heinrich Wölfflin called a ‚general representative form.‘ The style described in this essay is a style in the way that Wölfflin used that term, a style like the primitive or classic styles, the expression of similar ideas in similar forms by divergent cultures.“
In diesem Abschnitt betont Schrader bereits diesen transkulturellen Aspekt: Auch wenn das konkrete Weltbild differiert, sind die Ähnlichkeiten in der filmischen Form zu suchen, mit denen das „Heilige“ Ausdruck findet:
„[…] transcendental style […]: a general representative filmic form which expresses the Transcendent. […] The study of transcendental style reveals a ‚universal form of representation.‘ That form is remarkably unified: the common expression of the Transcendent in motion pictures.“
Schraders These nimmt also eine kulturübergreifende Gemeinsamkeit an, die in der (filmischen) Inszenierung des Heiligen zutage tritt. Methodisch geht Schrader bei seiner Analyse also von zwei Voraussetzungen aus: „[…] that there are such things as hierophanies, expressions of the transcendent in society“ und „that there are common representative artistic forms shared by divergent cultures.“
Die spezifischen Werke, die der Autor analysiert, bemühen sich eher um eine Distanz, die in Ruhe, Arrangement und minimalistischem Schauspielstil den Zuschauer auf die Begegnung mit dem Heiligen vorbereiten soll. Die Filme von Ozu, Bresson und Dreyer stehen in ihren stillen, konzentrierten Bildarrangements in deutlichem Gegensatz zu Hollywoods expressivem Ansatz, ein christlich-religiöses Propagandakino zu inszenieren, etwa in Cecil B. DeMilles The Ten Commandments (1956). Schrader polarisiert diese beiden Ansätze in „sparse“ und „abundant“, in „stasis films“ und „religious films“. Im Extrem gesehen: Der überbordende religiöse Film gerät somit leicht in die Nähe des Kitsches, der extrem minimalistische Film kann leicht ins Apathische abgleiten.
Den transcendental style, wie er auch bei Ozu, Bresson und Dreyer auftritt, verortet Schrader zwischen diesen Polen: „In a film of spiritual intent it is necessary […] to have an everyday and a disparity; there can be no instant stasis. The everyday both adheres to the superficial, ‚realistic‘ properties of cinema and simultaneaously undermines them.“ Da sich das Heilige – ebenso wie das ‚Böse‘ – offenbar einer konkreten Darstellung entzieht, kann es nur als eine Differenz auftreten zwischen nachvollziehbarer Alltagssituation und jener leichten Differenz, in der sich die Hierophanie offenbart. In diesem Kontext machen Bressons und Ozus aufs Äußerste reduzierte Inszenierungen Sinn. Und diese Idee der Reduktion findet sich in theatralen Inszenierungen der jüngeren Gegenwart wieder, ist mitunter in den Dramentexten bereits angelegt, wie man in Botho Strauß’ Neuinterpretation des letzten Gesanges der Odyssee sehen kann (in seinem Theaterstück Ithaka, 1996).
Das Transzendentale zeigt sich also nicht in der Übererfüllung der Erwartungen. Diese produziert nur unfreiwillige Komik. Man vergleiche unter diesem Aspekt etwa Martin Scorseses fast schon existenzialistische Interpretation der Jesus-Geschichte in The Last Temptation of Christ (1988) mit dem naiven The Ten Commandments oder Mel Gibsons The Passion of the Christ (2000), der mit Lichtaura und himmlischen Chören stellenweise ganz vorsätzlich religiöse Kitschbilder reproduziert und vor allem ein katholisches Publikum weltweit begeisterte (wenn er in diesem Zusammenhang auch zweifellos transgressive Momente ausspielt).
Der transcendental style der modernen Medienkunst liegt mit Schrader gesehen also in der Reduktion, Konzentration und Abstraktion, auch wenn unterschiedliche Medien und Kunstformen hier unterschiedliche kreative Zugänge fordern. Es lohnt sich, den transzendentalen Stil auch in anderen Künsten als dem Film zu entdecken, denn die Darstellung des Transzendentalen bleibt eine der großen Herausforderungen der aufgeklärten Moderne.
3.
Paul Schrader hat immer wieder versucht, filmische Zugänge zu einer Erlösungsgeschichte zu finden: Sei es in American Gigolo (1980), wo er die Räume auf ihre Flächigkeit reduziert, die Farben abdämpft und die Zeit vor allem in der letzten Sequenz konsequent dehnt, oder in Light Sleeper (1988), der von der selbst herbeigeführten Sühne eines Drogendealers (Willem Dafoe) erzählt und am Ende zunehmend das symmetrische Bildarrangement von russischen Heiligenikonen nachstellt. Im Moment der Hierophanie scheint die Welt zu erstarren, die Figuren, die bei Schrader wie bei Bresson oft erstaunlich künstlich und distanziert wirken, erscheinen völlig isoliert in ihrer Welt.
In Cat People (1981) hat die junge Protagonistin (Nastassia Kinski) im Flugzeug eine mythische Offenbarung – eine subtile Überblendung ihres Gesichtes versetzt sie zurück an den Flughafen von New Orleans. In einer Totalen geht sie vor einer riesigen Glaswand vorbei und lässt die Statistenmenge hinter sich. Ein Wind kommt auf. Im Gegenlicht bewegt sie sich mit abwesendem Blick langsam auf die untersichtig platzierte Kamera zu. Ein Umschnitt in die Subjektive zeigt einen geländergesäumten, bläulich beleuchteten Steg, eine Brücke oder Passage, die auf eine orange glühende Pforte zu führt. Die Grenzen zwischen profanem Alltag und mythischer Offenbarung verschwimmen, auch wenn sich diese Sequenz noch als Traumdarstellung zu erkennen gibt. In seinen späteren Werken wird Schrader solche Kunstgriffe nicht mehr bemühen. Doch die Geste des transzendentalen Minimalismus ist auch hier präsent.
Der transzendentale Stil erörtert, wie Schrader erklärt, „einen gemeinsamen Filmstil, der von verschiedenen Filmemachern in unterschiedlichen Kulturen verwendet wird, um das Transzendente auszudrücken“. Es ist ein ständiges „Streben nach dem Unaussprechlichen und Unsichtbaren“, obwohl die Kunst selbst nie einen solchen Status erreicht. Schraders Mysterium ist in seinen inszenatorischen Bemühungen entschlossen, dieses Unbekannte zu durchdringen, wobei er nie erwartet, das Unlösbare zu lösen. Trancendental style in Film ist also ein Buch, das die Erfolge und persönlichen Züge der beispielhaften Filme, die die Sehnsucht nach transzendentalen Gefühlen akut einfangen, sortiert. Ihre Unterschiede sind jedoch weniger wichtig als ihre Gemeinsamkeiten, und Schrader stößt bald auf eine universelle, überwältigende Fähigkeit dieser Filme, sich über ihre eigenen (absichtlichen) Fallen einer kalten, gefühllosen Welt zu erheben, indem sie einfach eine irrationale und undefinierte Leidenschaft in eine herzlose Existenz einführen. Die ultimative Katharsis des Werks ergibt sich nicht aus der Handlung, sondern, wie Schrader es nennt, aus der „Stasis“, die eine Neukonfiguration des harten, normalisierten Stils des Films ist, der nur von dem beeinflusst wird, was geschehen ist.
4.
Paul Schraders Buch war wegweisend in seiner methodischen Aufarbeitung von filmischer Erfahrung, die zu filmischem Ausdruck wird. Inspiriert von der klassischen Ära des Kinos, in der sich die Moderne bereits ankündigt, verbindet Schrader zugleich die klassische Filmtheorie (etwa André Bazin) mit neuen Ideen, die er anschließend als Basis seiner eigenen Inszenierungen verwendet. Sein Buch ist damit zugleich ein Programm des New Hollywood Cinema zwischen 1967 und 1980, das die klassische Phase überwand und Film mit modernen Ansätzen neu erschloss. Nachdem Schrader zunächst Drehbücher für heute kanonische Filme der Ära verfasste (darunter Taxi Driver, 1976, von Martin Scorsese), drehte er immer wieder Filme, die den transzendentalen Stil im eigenen Werk verankerten. Dabei ging er selten so weit wie in seinen letzten drei Filmen, die als „lonely men trilogy“ bekannt sind und First Reformed (2019), The Card Counter (2021) und The Master Gardener (2022) umfassen. In allen drei Filmen stehen höchst ambivalente, in unterschiedlicher Weise beschädigte oder traumatisierte Männer im Zentrum: ein todkranker Priester in der Glaubenskrise, ein Folterspezialist aus dem Irakkrieg, der zum virtuosen Systemkartenspieler wird, und ein ehemaliger Rechtsextremist, der ein neues Leben als Landschaftsgärtner beginnt. In allen drei Filmen finden sich Momente der Stasis, in denen der Alltag subtil in Momente des Verharrens und des Wunderbaren überführt wird.
Schrader arbeitet in dieser Trilogie mit schleichenden Kamerabewegungen, außergewöhnlichen Lichtstimmungen und unerwarteten Ereignissen, die Irritationen in die konventionelle Repräsentation einer in sich schlüssigen Welt nach ‚realistischen‘ Maßgaben platziert. Auch der Musik kommt hier eine große Bedeutung zu. In First Reformed etwa stammt der Soundtrack von dem Black-Ambient-Projekt Lustmord des Australiers Brian Williams. Black Ambient – auch Dark Ambient genannt – arbeitet mit grollenden Bassdrones, die sich schichtartig wie ein beunruhigender Geräuschteppich ausbreiten. Diese kaskadischen Dröhnsounds transformieren auch scheinbar unspektakuläre Alltagssituationen in beklemmende Albtraumlandschaften. Auf diese Weise wirkt zu Beginn des Films auch die etablierende langsame Zufahrt auf eine Kirche der Gründerzeit wie der Beginn eines Horrorfilms.
Doch nicht mit dem religiösen Kontext ist dieses ‚kosmische Grauen‘ verbunden, das die Musik signalisiert, sondern mit der exzessiven Umweltzerstörung, die erst später zu einem Leitthema des Films wird. Hier steigert Schrader seine Inszenierung in Richtung „beyond normal sense experience“, wie er es in seinem Buch ausdrückt.
5.
Nachdem wir uns angesehen haben, wie Paul Schrader seinen eigenen Ansatz filmisch umsetzte, lohnt sich ein Blick auf das Werk eines anderen Filmemachers, der zweifellos von ähnlichen Ambitionen getrieben scheint: Terence Malick. Von seiner ersten Regiearbeit aus dem Jahr 1971, Badlands, an nutzt Malick die generischen Formen des Gangsterfilms, des Melodrams (In der Glut des Südens, 1978), des Kriegsfilms (The Thin Red Line) oder des Abenteuerfilms (The New World, 2003), um auf der Basis formaler und narrativer Konventionen wesentlich weiter reichende Modell aufzubauen, die es ihm ermöglichen, mit den Mitteln des Films über den Menschen selbst zu philosophieren. Auch Malick entstammt der Tradition des New Hollywood der späten 1960er Jahre. Mit nur zwei Regiearbeiten blieb Malick lange eine Legende dieser Ära – eine Legende übrigens, die sich sorgsam aus der Öffentlichkeit zurückhielt und keine Interviews zum eigenen Werk gab. Zudem eine Legende, deren philosophische Neigung nicht herbeigeredet werden musste, immerhin hatte in den 1960er Jahren eine bis heute verbreitete Übersetzung von Martin Heideggers Text „Vom Wesen des Grundes“ angefertigt. Die Frage nach dem Sein des Menschen, speziell seiner Seinsbedeutung in der Welt, könnte ein möglicher Schlüssel sein, um Malicks Werk einzuordnen und zu verstehen.
Ein verbindendes Element aller Malick-Filme ist die überwältigende Macht und Schönheit der Natur, die er in elegischen Bildkompositionen feiert. Lange blicken wir auch in seinen Filmen auf wogende Gräser, auf Blattwerk oder schimmernde Unterwasserlandschaften, hören dazu sakrale Choräle, rituelle Gesänge oder schwere Streicher. Er feiert diese Schönheit im Tempel der Wälder, als gelte es, eine vergehende, heilige Welt zu bewahren, die der Moderne längst abhandengekommen ist. Seine Bilder atmen die Beseeltheit der Lebewesen und Pflanzenwelt, sie stellen diese gleichwertig neben die ebenso nah und intim betrachteten Gesichter der Menschen, die oft voll stummem Staunen nach oben blicken. In der beseelten Welt der Natur liegt bei Malick das Heilige und Göttliche, mit Heideggers Worten kommt es hier zu einer „Lichtung des Heiligen“. Dieses sakrale Licht beschwört Malick ganz bildlich, indem er uns durch die Augen seiner Protagonisten in die durch das Blattwerk blendende Sonne blicken lässt.
Die Natur ist also im Sinne dieser Beseeltheit (ähnlich dem Animismus) weit mehr als ein filmischer Handlungsraum, es ist vielmehr der Ort, an dem sich Mensch und Tier begegnen, an dem Schönheit und Tod von je her verbunden sind. Bereits im 18. Jahrhundert gab es eine u. a. von J. W. von Goethe vertreten philosophisch-religiöse Strömung, die sich Pantheismus nannte und Gott in der gesamten Schöpfung fand: ‚pan‘ ist das Umfassende, Ganzheitliche, und ‚theismus‘ das Göttliche. Im Pantheismus wird das Verhältnis zwischen Gott und der Welt ausgehandelt – und zwar auf eine assoziative, nicht immer klar definierbare Weise. Der Pantheismus steht so im Gegensatz zu einem dogmatischen Theismus, der Gott als heilige Entität begreift, die nicht zugleich Teil der Welt sein muss.
Folglich ist der Pantheismus keine religiöse Position, sondern eher eine philosophische Weltanschauung, die mit dem Animismus des Buddhismus ebenso Ähnlichkeiten aufweist wie mit dem christlichen Mystizismus und heidnischer Spiritualität. Eine mögliche Definition des Pantheismus begreift die Welt als eine Gesamtheit aus der Natur, den Menschen, dem Kosmos und Gott. Daraus ließe sich in einem nächsten Schritt die Ansicht ableiten, es gebe eine dem ganzen Kosmos eigene Kraft, die alles verbindet und Inspiration für ethische oder religiöse Werte darstellt. Man könnte daraus folgern, dass der Mensch ein gleichberechtigter Teil dieser Biosphäre ist, also weder die Erde „Untertan machen sollte“, noch selbst Gott untergeordnet ist. Ohnehin gibt es im Pantheismus nicht mehr einen personifizierten Gott, sondern vielmehr ein kosmisches, göttliches Prinzip, das Mensch und Natur durchdringt. Diese Ansicht wird von Anhängern eines fundamentalistischen Monotheismus nachvollziehbar als ‚atheistisch‘ abgelehnt.
Da Mensch, Natur und Kosmos alle dem göttlichen Prinzip unterworfen sind, ist eine Trennung zwischen Wissenschaft und Religion ebenso aufgehoben: alles ist beseelt, alles ist eins. Obwohl der Begriff ‚Pantheismus‘ 1705 von dem Philosophen John Toland eingeführt wurde, geht diese Sichtweise bis in die Antike zurück. Bereits die Stoiker betrachteten das Universum als eine Einheit und folgerten daraus, man müsse die Einheit mit Gleichmut akzeptieren. Statt nach rationaler Erkenntnis zu streben, wurden auch Gefühl und Vorstellungskraft als wichtige Erkenntnisquellen gewürdigt. Man könnte bereits an diesem Punkt so weit gehen, dass auch ein Kunstwerk in der Lage sein kann, Erkenntnis zu vermitteln wie ein philosophischer Aufsatz.
Im 18. Jahrhundert kam es um den Pantheismus zu einem Streit zwischen den verschiedenen Wissenschaften, die sich aufgrund dieser Perspektive in Frage gestellt fühlten. Dieser Umstand erinnert an die harschen Diskussionen um die Filme Terence Malicks, dessen ‚Familienmelodram‘ Tree of Life (2011) mitunter als ‚spiritualistischer Kitsch‘ angegriffen wurde, weil er hier radikaler als zuvor die Durchdrungenheit von Zeit, Raum, Mensch und Natur inszenierte. Malicks Weltsicht entfernt sich deutlich von einer rationalen oder pragmatischen Perspektive, und gerade das Genrepublikum fühlt sich in diesen philosophischen Exkursen ‚getäuscht‘.
Für Malick ist emotionale Intuition ein wichtigeres Prinzip als rationale Verstehbarkeit: Seine Filme ereignen sich in einem kontinuierlichen Fluss, der die konventionelle Aktstruktur der Hollywooddramaturgie bewusst verweigert. Wie andere radikale Erneuerer der Filmkunst mit oder nach ihm (etwa Andrej Takowskij, Lars von Trier, Gaspar Noé, Bruno Dumont oder Nicholas Winding Refn) erweisen sich Malicks Filme als assoziative Reisen, die weniger durch eine Spannungskurve als durch einen spirituellen Puls zusammengehalten werden. Man muss seine Filme mehr erleben, als dass man ihn unmittelbar ‚versteht‘.
Terence Malicks Kino mag ebenso für einen solchen transzendenten Stil stehen, wie zuvor die Filme von Robert Bresson oder Ingmar Bergman: In seinen scheinbar alltäglichen Geschichten von Abschied, Tod, Krieg und Liebe kommt es immer wieder zu einem Moment des ‚Durchscheinens‘. Das Heilige zeigt sich im Alltäglichen, das Sakrale im Profanen. Eliade vertraut auf die These, dass es sich bei diesem Modell um eine transkulturelle Konstante handelte, dass man die Lichtung des Heiligen im Profanen auch in nichtchristlichen, nichtmonotheistischen Kulturen finde. Was zurück zum Animismus führt, etwa zum Buddhismus und Shintoismus in Asien. Auch in gegenwärtigen Strömungen von New-Age-Denken und Esoterik findet sich diese Idee einer ganzheitlichen Weltsicht.
6.
Die vorangehenden Thesen lassen sich exemplarisch verdeutlichen an dem Kriegsfilm The Thin Red Line / The Thin Red Line (1996). Historisch orientiert sich The Thin Red Line an dem Sieg der Amerikaner in der Schlacht um Guadalcanal am 9. Februar 1943. Auf den Salomoninseln im Pazifik triumphierten US-Truppen über die dort stationierten Japaner. In Malicks Film wird Guadalcanal eher beiläufig erwähnt, oft heißt es schlicht: der Felsen. Nie geht es um den Hintergrund der militärischen Aktionen, wir erleben lediglich die Aktion selbst und die Resultate. Im Gegensatz zu anderen Kriegsfilmen interessiert sich Malick selten für konventionelle Spannungsdramaturgie und narrativ etablierte Konflikte. Allenfalls die Befehlsverweigerung von Captain Staros (Elias Koteas) gegenüber Colonel Tall (Nick Nolte) erinnert an solche Standardsituationen. Immer wieder beschwört er Szenen des Anschleichens, der Marschierens im Feindesland, des Kampfes, doch die Inszenierung kennzeichnet meist deutlich, worum es eigentlich geht: um den Blick zur Seite, um die wippenden Blätter und schnatternden Vögel in den Bäumen, die gleichberechtigt zu den Soldaten gezeigt werden. Alles ist eins, selbst im Krieg. Mitten im Kampf sehen wir ein Vogelküken, das aus dem Nest gefallen ist und seinerseits ums Überleben kämpft, mitten im Kampf wird ein Soldat im hohen Gras von einer Giftschlange attackiert. Die Natur scheint im Krieg mit sich selbst. Und zugleich ist all das nur ein Ausdruck der Existenz an sich.
Aus diesem Grund wäre es auch absurd, den Film als „Antikriegsfilm“ zu bezeichnen, denn eine solche ideologische Perspektive wäre Malick vermutlich sehr fremd. Geburt und Tod, Krieg und Frieden, Liebe und Hass sind nur Ausdruck desselben kosmischen Gefüges. Aus dieser Sicht wäre es sogar müßig und banal, einen Film ‚gegen den Krieg‘ zu machen. Private Witt (James Caviezel) fragt ganz deutlich: „Wie kommt das Böse in die Welt? Warum ist die Natur mit sich selbst im Konflikt?“ Hinterfragt wird das jedoch nie: das ‚Böse‘ existiert in dieser Welt – ebenso wie die Schönheit der Korallenriffs, die Witt zuvor erkundet hat. Witt stellt das Militär in Frage, wie in dem Verhör durch den zynischen Vorgesetzten Welsh (Sean Penn) deutlich wird, er hinterfragt aber nie den Krieg. Folglich wird auch an keiner Stelle klar, worum hier gekämpft wird – um „Besitz“, wie Welsh das ausdrückt, geht es nicht. Auch der ausgestellte Humanismus von Captain Staros kann hier nicht als befriedigende Lösung gesehen werden, denn seine punktuelle Weigerung inmitten des Infernos bleibt merkwürdig rhetorisch.
Den Filmraum erkundet Malicks Film nicht mit dem Interesse, dem Zuschauer eine bessere Orientierung zu ermöglichen. Vielmehr reiht er Impressionen der Dschungelumgebung aneinander, als wolle er mit der Kamera diese fremde Welt erkunden. Die Gesichter der Soldaten werden zu Projektionsflächen der eigenen Wahrnehmung, während sich eine nur vermeintlich subjektiv geführte Kamera selbstbestimmt durch die Natur bewegt. So geraten immer wieder scheinbar nebensächliche Objekte und Ereignisse in den Fokus. Das gilt auch für die Schlachtendarstellungen: Hier wird mitunter nicht die feindliche Stellung gezeigt – die Gewehrsalven scheinen direkt dem Wald zu gelten, als befinde sich der Mensch mit der Natur selbst im Krieg. Die Soldaten beschießen die Bäume und fangen ein Krokodil, das sie mit zugebundenem Maul exponieren. Dagegen steht die immer wieder vorgeführte Schönheit der Landschaft. Die Natur wird durch den Krieg ebenso zerstört, wie sie letztlich scheinbar unberührt bleibt. Diese Indifferenz spiegelt sich auch in der Begegnung der Soldaten mit einem Inselbewohner, der nahezu gleichgültig an den voll bewaffneten Männern vorbeiwandert. In späteren Szenen tarnen sich die Soldaten, werden selbst optisch Teil der Natur. In Malicks Augen sind sie das ohnehin. In seinem filmischen Blick gibt es keine Hierarchie, denn: alles ist eins.
7.
Das Heilige zeigt sich in Malicks Film zunächst in den Naturbildern, doch es findet sich ebenso in seinen Bildkompositionen. Als Private Bell (Ben Chaplin) im ersten Drittel alleine auf Erkundung geht, sieht er in der Ferne einen Hügel mit drei verkohlten Baumstämmen, der in dieser Perspektive an eine Darstellung der Jerusalemer Schädelstätte erinnert, auf der die drei Kreuze errichtet wurden. Dieses Golgatha-Motiv etabliert neben der Pantheismusebene eine explizit religiöse Ebene, die den Film durchzieht. Rituell kehren Figuren, Motive und Gedanken wieder, untermalt von den predigtartigen Off-Kommentaren. Und immer wieder sehen wir den Blick gen Himmel, ins reine Licht, das heilige Licht.
Scheinbar alltäglichen Gesten eignet in The Thin Red Line etwas Rituelles, Sakrales, etwa wenn ein Verwundeter mit Wasser ‚getauft‘ wird. Überhaupt ist das ewig fließende Wasser ein Motiv der Transzendenz, der ständigen Durchdringung und zyklischer Lebensprozesse. In einer der poetischsten Einstellungen des Films sehen wir den desertierten Witt mit kindlichen Insulanern im strahlenden Blau tauchen. Es wird das letzte (Erinnerungs)Bild sein, bevor er von den Japanern erschossen wird. Einer eigentümlichen Logik folgend, wird dieser Schauspieler Jim Caviezel später Jesus in Mel Gibsons The Passion of the Christ spielen. „Vielleicht haben alle Menschen eine große Seele“, grübelt Witt im Lazarett. An anderer Stelle spricht Witt von einem „Funken“, der synonym für die Weltseele begriffen werden kann. In seinem finalen Opfertod wird er buchstäblich zu einer Märtyrerfigur: Witt, der den ganzen Film über an der Grenze wandelte – zwischen Wasser und Land, zwischen Erde und Himmel. Als er von Japanern umzingelt wird, blickt er gen Himmel und reagiert nicht auf die Zurufe, sein Gewehr fallen zu lassen. Stattdessen hebt er das Gewehr und wird erschossen. Der in diesem Moment entrückt erscheinende Gesichtsausdruck scheint aufzugehen in der Ganzheit der Welt im Angesicht des nahen Todes. In seinem Selbstopfer wird er Teil des Sakralen und transzendiert die reine Gegenwart des Krieges.
Die innere Stimme des Films wird verteilt auf mehrere Personen, und erweist sich doch als die Stimme des Filmemachers. Auch Bell formuliert diese Idee der transzendentalen Verschmelzung, des Erreichens der Einheit in der Liebe zweier Menschen, wenn er über den Bildern eines Rückblicks über seine Frau sagt. „Wir! Wir beide! Ein Wesen…“
Anhand des philosophischen Kriegsfilms The Thin Red Line zeigt sich, wie ein Film den eigenen Genrediskurs überwinden kann, um einen Schritt weiter zu gehen. Während auf der Tonspur über die Natur des Bösen reflektiert wird, sehen wir Bilder einer unabhängig von menschlichem Geist existierenden Natur. Diese Natur löst Hierarchien und Begehren auf und existiert einfach ‚für sich‘ – als existenzielles ‚Nichts‘.
Rüdiger Safranski wies einmal darauf hin, dass Kurtz in Joseph Conrads Novelle Herz der Finsternis (und in Francis Ford Coppolas Verfilmung Apocalypse Now, 1979) genau diese Entdeckung im Dschungel gemacht haben könnte, die ihm am Ende die Worte „das Grauen!“ abnötigt: Die Erkenntnis der absoluten Sinnfreiheit der Existenz. In The Thin Red Line erscheint das versöhnlicher: In den zahlreichen Nahaufnahmen menschlicher Gesichter, die der Film mit dem Blick auf die Natur kombiniert, zeigt sich eine Auflösung der Bezüge zwischen dem Menschen und der Welt. Malicks Film erstrebt einen ‚neutralen Blick‘, der das Phänomen des Krieges in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Malick beschwört eine „Allheit“ der Welt und befähigt den Zuschauer, dies im Rahmen (ausgerechnet) eines Kriegsfilms zu erfahren.
8.
Epilog: Die vorangehenden Beispiele mögen belegen wie Paul Schrader selbst und Terence Malick die Tendenz eines transcendental style in ihren Spielfilmen umsetzen und so nicht nur philosophische Fragestellungen, sondern Epiphanien des Heiligen auf der Leinwand und in der Imagination des Publikums evozieren. In der Neuauflage des Buches aus dem Jahr 2016 betont Schrader nachdrücklich, dass weder spirituelle noch religiöse Themen notwendig sind für einen transcendental style im Film, denn es geht letztlich um eine filmische Form. Doch er räumt an dieser Stelle auch ein, dass meist beides zugleich auftritt. In seiner Aushandlung elementarer und scheinbar beiläufiger Momente, denen in der Inszenierung jeweils großer Stellenwert eingeräumt wird, kommt das Publikum dem Transzendenten näher. Dabei gelinge es nur wenigen Filmen, die delikate Balance zwischen Pragmatik bzw. Narration und reiner filmischer Form in der Zeit zu meistern. Das Spürbarmachen der Zeit, auf der das Medium Film basiert, wird hier essenziell. Gilles Deleuze nannte diese Filme „Zeit-Bild“ (Deleuze 1990). Schrader selbst rekurriert auf den in den letzten Jahren populären Begriff des „slow cinema“, das stark von Andrej Tarkowskis Kino hergeleitet wird. Gegenwärtig wird dieses Kino von Bruno Dumont, Carlos Reygadas und Apichatpong Weraseetakhul repräsentiert: Filme, die kaum noch ein dominantes Narrativ verfolgen, sondern zwischen den Stationen der Handlung fast hypnotisch langsam mäandern. Die langen, assoziativen Abwege bei Terence Malick sind hier ebenso anzusiedeln, zumal sein Kino in den letzten Jahren immer wieder Elemente des slow cinema adaptiert und die Laufzeit seiner Filme immer länger wird.
In der Neuauflage seines Buches zeigt uns Schrader auf einem dreiteiligen Schaubild, wie er den transcendental style heute innerhalb des Autoren- und Avantgardefilms verortet. Dabei verweist er auch auf den „faux use“ (Schrader 2016, 22) von transcendental style etwa in Filmen von Lars von Trier. Doch prägnanter erscheint mir dieser „faux transcendental style“ als pure Pathosformel der Überhöhung ins Heilige im kommerziellen Hollywoodkino. Zack Snyder evoziert solche transzendentalen Arrangements in seiner Justice League-Trilogie im Rahmen des DC-Universe, in dem er Batman, Superman und Wonder Woman gegen das außerirdische Böse antreten lässt.