Mit der Französischen Revolution 1789 und dem anschließenden militärischen Siegeszug Napoleon Bonapartes ging nicht nur das Alte Reich zugrunde, es veränderte sich nicht nur die politische Landkarte Europas dramatisch, sondern nun zogen vor allem politische Modernisierungswellen gerade über die deutschen Staaten hinweg. Es sollte damals gelingen, diverse Ideen der Aufklärung in praktische Politik umzusetzen. Besonders betroffen von derartigen Modernisierungen musste fast zwangsläufig die katholische Kirche sein, war sie doch seit langem im Zentrum aufklärerischer Kritik gestanden. Und als mit Maximilian von Montgelas, dem führenden Minister des neuen bayerischen Kurfürsten Max IV. Joseph, 1799 ein besonders dezidierter Aufklärer in München einzog, konnte man davon ausgehen, dass die Kirche in Bayern erheblichen Stürmen ausgesetzt sein würde.
I.
Seit dem im Jahre 1583 zwischen dem Herzogtum Bayern und der römischen Kurie geschlossenen Konkordat war das Verhältnis zwischen dem bayerischen Staat und der katholischen Kirche zwar immer wieder gewissen Schwankungen ausgesetzt. Gleichwohl muss man konstatieren, dass mehr als zwei Jahrhunderte lang dieses Verhältnis auf einer stabilen Basis ruhte: dem gemeinsamen Interesse am Erhalt eines katholischen Bayern, dem gemeinsamen Interesse am Erhalt des bayerischen Staatskirchentums.
Das sollte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts drastisch ändern. Das System des bayeri-
schen Staatskirchentums beinhaltete, dass es im Grunde keine Trennung von Staat und Kirche gab. Staat und Kirche waren stattdessen in vielen Belangen eng miteinander verwoben, vor allem aber besaß der Staat seit langem Aufsichtsrechte über die Kirche. Dazu gehörten u. a. die staatliche Mitsprache bei Pfründenbesetzungen, landesherrliche Visitationen, die landesherrliche Bestätigung der staatlich überwachten Prälatenwahlen, die Möglichkeit von Dezimationen des Kirchenvermögens, die staatliche Aufsicht über die Klöster, außerdem Möglichkeiten der Ausdehnung der staatlichen Gerichtsbarkeit über die Geistlichen
und natürlich das landesherrliche Plazet.
Montgelas wiederum, der – wie bereits erwähnt – 1799 in München an die Schaltstellen der Macht kam, war entschlossen, Bayern von Grund auf zu reformieren. Zu seinem Programm, das er bereits 1796 im Ansbacher Exil niedergeschrieben hatte, gehörten u. a. ein neuer, ein noch stärker kontrollierender Umgang mit der Kirche in Bayern, die staatliche Kontrolle über die Verwaltung der kirchlichen Stiftungen aller Konfessionen, die Verbesserung des Pfarrsystems sowie die Verbesserung der Ausbildung der Geistlichen. Letzteres bedeutete, dass der Staat die Aufsicht über diese Ausbildung erhalten sollte. Dazu kamen noch die Einführung der konfessionellen Toleranz in Bayern und die Aufhebung einiger Klöster, zumindest der der Bettelorden.
Wie systematisch Montgelas hinsichtlich der Verschärfung des Staatskirchentums vorging, zeigte sich 1804, als er die staatlichen Aufsichtsrechte über die Kirche erstmals in der Verordnung über Verhältnisse zur geistlichen Gewalt zusammenfassen ließ. Diese Verordnung listete das Plazet, den Recursus ab abusu, die Aufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung und die staatliche Mitwirkung bei der Besetzung kirchlicher Ämter auf. Nachdem vier Jahre später erste Konkordats-Verhandlungen mit der römischen Kurie gescheitert waren, wurde 1808 das Edikt Über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaft veröffentlicht, das die staatlichen Aufsichtsrechte folgendermaßen unterschied: a) rein weltliche, b) rein geistliche und c) Gegenstände gemischter Natur. Und Montgelas – diesem glänzenden Juristen – gelang es mühelos zu begründen, dass der Staat hinsichtlich aller drei Bereiche ein Aufsichtsrecht besitze!
Eine weitere Veränderung hinsichtlich der Stellung der katholischen Kirche, die gravierende Folgen für die Gläubigen nach sich zog, verdankte sich der Machtpolitik Napoleons: Die Rede ist von der Mediatisierung der geistlichen Herrschaften. Nachdem es den französischen Truppen bis 1802 gelungen war, die Ostgrenze Frankreichs erst bis zum Rhein, dann auch darüber hinaus zu verschieben, stand das Problem im Raum, wie diejenigen weltlichen Herrscher, die aufgrund des militärischen Siegeszuges der Franzosen territoriale Verluste links des Rheins zu beklagen hatten, entschädigt werden könnten. Rasch war klar, dass vor allem die Territorien der geistlichen Fürsten dafür herhalten mussten, dass also – auf Bayern bezogen – u. a. die Hochstifte Freising und Würzburg mediatisiert würden, dass deren Territorien somit von nun an zum bayerischen Staatsgebiet gehören sollten. 1803 gelang es Bayern tatsächlich, abgesegnet von den beiden Garantiemächten des Westfälischen Friedens, Frankreich und Russland, abgesegnet vom Kaiser des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation und zuletzt abgesegnet vom Reichstag in Regensburg, sich die bereits genannten Hochstifte Freising und Würzburg, darüber hinaus die Hochstifte Bamberg und Augsburg sowie – zuerst noch – den jeweils kleineren Teil der Hochstifte Eichstätt und Passau anzueignen. Die meist hochadeligen Fürstbischöfe waren nach dem Verlust ihrer Territorien nicht gewillt, sich auf die rein geistliche Funktion eines Diözesanbischofs beschränken zu lassen, und resignierten. Das hatte zur Folge, dass diese Bischofssitze nach dem Verlust der fürstlichen Würde und der weltlichen Amtsgewalt längere Zeit unbesetzt blieben. Die Bistümer wurden jahrelang mehr schlecht als recht verwaltet und es fanden weder Firmungen noch
Priesterweihen noch sonstige Pontifikalhandlungen statt.
II.
Wenn von tiefgreifenden Einschnitten in das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Rede ist, dann muss natürlich auch die Säkularisation, also die Auflösung der bayerischen Klöster, in den Blick genommen werden. Montgelas, der Spiritus rector der Klosteraufhebungen in Bayern, hatte als Jesuitenschüler in Nancy 1790 beobachtet, wie das revolutionäre Frankreich sämtliche französischen Klöster enteignete und aufhob – er war tief beeindruckt. In seinem 1796 vorgelegten Reformplan für das Kurfürstentum Bayern, dem Ansbacher Mémoire, spielten neben vielen anderen Modernisierungsmaßnahmen auch längst Pläne zur Aufhebung bayerischer Klöster eine wichtige Rolle. 1796 dachte Montgelas daran, die Niederlassungen der Bettelorden komplett aufzulösen, die Zahl der Mönche und Nonnen in den übrigen Klöstern zu reduzieren, während die erwirtschafteten Überschüsse der Orden an den Staat abgeführt werden sollten. Die Motive für derartige Maßnahmen reichten von eher „ideologisch“ zu nennenden bis hin zu fiskalischen. So lehnten die Aufklärer einerseits die angeblich rein kontemplative Lebensweise der Mönche ab und forderten stattdessen den aktiven, für den Staat und das Gemeinwohl unablässig tätigen Untertanen.
Andererseits hoffte Montgelas, den seit Jahren drohenden Bankrott des bayerischen Staates abwenden zu können, wenn er sich denn der – meist allerdings nur vermuteten – Vermögenswerte der Klöster bemächtigen könnte, wenn zudem der Immobilien- und Grundbesitz der Abteien zugunsten des Staates verkauft würde. Darüber hinaus ging es, um ein drittes, kaum zu überschätzendes Motiv zu nennen, um die Durchsetzung des staatlichen Herrschaftsmonopols. Dem standen u. a. die zu den Landständen, zur Landschaft, gehörenden Prälatenorden im Wege. Montgelas wollte neben der monarchischen Staatsspitze aber keine weiteren Nebengewalten mehr dulden, er strebte einen streng hierarchisch geordneten Staatsaufbau an. Und er rechnete fest damit, dass das gesamte System der Landschaft rasch zusammenbrechen würde, wenn es ihm nur gelänge, einen der dort vertretenen Stände zu eliminieren.
Ihren Anfang nahm Montgelas’ Kampagne gegen die bayerischen Klöster im Jahre 1802: Zuerst wurden die Bettelorden aufgehoben, ihr meist unbedeutendes Eigentum zog der Staat ein. Die Ordensangehörigen mussten die Klostergebäude verlassen, zu ihrem Lebensunterhalt wurde ihnen eine schmale Pension zugestanden. Ausländische Mönche wurden des Landes verwiesen. Anschließend löste man – noch im selben Jahr und damit vor der reichsrechtlichen Sanktionierung dieser Maßnahmen, also vor dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 – die grundbesitzenden, die sogenannten fundierten Klöster auf.
Als eigentliches Problem stellten sich für Montgelas jedoch jene Klöster und Stifte dar, die zu den Landständen gehörten und die wirtschaftliche sowie kulturelle Zentren ihrer Umgebung waren. Ausgestattet mit Bibliotheken und Schulen, fungierten sie außerdem – man denke an ihre Apotheken oder ihre Funktion als Darlehenskassen – als Zentren der ländlichen Infrastruktur sowie als Mittelpunkte des Kunsthandwerks. Darüber hinaus besaßen sie die Grundherrschaft über circa 28 Prozent aller Bauernhöfe in (Alt-)Bayern. Insgesamt gab es in Bayern etwa 60 derartiger ständischer Klöster sowie 10 Kollegiatstifte. Gerade diese geistlichen Institutionen aufzuheben, war einer der Kernpunkte von Montgelas’ Reformvorhaben: einerseits, um mit Hilfe der eingezogenen Vermögen die bayerischen Finanzen zu sanieren, andererseits, um mit der Aushebelung dieses Teils der Landstände, die Axt an die gesamte alte ständische Verfassung des Kurfürstentums legen zu können.
Bei Max Josephs Thronbesteigung waren die ständischen Klöster allerdings noch durch Landes- und Reichsrecht geschützt, es bedurfte eines Reichsgesetzes, um sie auflösen zu können. Eigentlich wollte man 1803 in Regensburg, am Sitz des Reichstages, die Auflösung von Klöstern gar nicht behandeln, denn es ging hier ja um die territoriale Entschädigung jener Fürsten, die linksrheinische territoriale Verluste erlitten hatten, also um Mediatisierungen. Doch Montgelas und der bayerischen Diplomatie gelang es, noch kurz vor dem Ende der Verhandlungen und mit französischer Genehmigung Formulierungen in den Paragraph 35 des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 1803 aufnehmen zu lassen, wonach alle Klöster in Bayern aufgelöst werden durften, in den alten wie in den neuen bayerischen Territorien. Der daraus erzielte Erlös sollte anschließend den Fürsten zur völlig freien
Disposition überlassen sein.
Direkt nach seinem Regierungsantritt hatte Max IV. Joseph den ständischen Klöstern am 11. März 1799 eine Bestandsgarantie gegeben. Aber noch im selben Jahr, im November 1799, beriet die Geheime Staatskonferenz über die dringend notwendige Sanierung der bayerischen Finanzen und somit rasch auch über die Möglichkeit, auf das Eigentum der Klöster zurückzugreifen. Während jedoch die Aufhebung der Bettelorden von fast allen Mitgliedern der Geheimen Staatskonferenz als eine Wohltat für den bayerischen Staat befürwortet wurde, rieten selbst entschiedene Aufklärer davon ab, eine Totalsäkularisation in Bayern durchzuführen. Es wurde erstens davor gewarnt, dass der bayerische Staat keine Chance haben werde, gerade die besonders wertvollen ausländischen Güter der Klöster (vor allem Weingüter in Südtirol) in Besitz zu nehmen.
Zweitens befürchtete man schon damals ein plötzliches Überangebot an Grundbesitz und Immobilien, dem keine adäquate Käuferschicht gegenüberstehe. Und drittens würde sich der Staat immense Pensionskosten für die ehemaligen Mönche und Nonnen aufladen. Da sich Bayerns Finanzlage im November 1799 aber mehr als prekär darstellte (lediglich 5,7 Mill. Gulden konnte man an staatlichen Einnahmen erwarten, dagegen standen 9,8 Mill. Gulden an Ausgaben, bei etwa 30 Mill. Gulden Schulden), blieb das Thema einer umfassenden Säkularisation im Gespräch.
Montgelas nahm die in der Geheimen Staatskonferenz geäußerten Gegenargumente zwar zur Kenntnis, er hat sie aber offensichtlich nicht an den Kurfürsten weitergeleitet. Eine eigens eingesetzte Kommission legte im Januar 1800 stattdessen einen Bericht vor, wie man es doch noch möglich machen könnte, nicht nur die Bettelorden aufzuheben. Für die Säkularisation ständischer Klöster sah die Kommission im Jahre 1800, also drei Jahre vor der Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses, noch keinen gangbaren Weg. Selbst die Aufhebung nicht-ständischer Klöster stufte man weiterhin als problematisch ein.
Angesichts der neuerlichen kriegerischen Verwicklungen in Europa und der Präsenz französischer Truppen in Bayern 1800/1801 liefen die Vorbereitungen für die bisher in Erwägung gezogenen Klosteraufhebungen jedoch weiter, denn Krieg zu führen kostet Geld. Die Kommission für Klosterangelegenheiten erhielt daher am 10. August 1801 den Befehl, rasch eine Aufstellung des gesamten Kirchen- und Klostervermögens auf den Weg zu bringen. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Erhebung verfasste Montgelas anschließend eine Denkschrift für den Kurfürsten, datiert auf den 10. September 1801. Hier verschärfte der bayerische Minister noch einmal die ins Auge gefasste Vorgehensweise gegen die bayerischen Orden. Er empfahl jetzt nicht mehr nur die Aufhebung sämtlicher nicht-ständischer Klöster, sondern bereits die Auflösung von 14 ständischen Abteien. In Montgelas’ Argumentation trat gegenüber dem Kurfürsten das finanzielle Motiv, das Ziel, den Staat vor dem drohenden Ruin bewahren zu müssen, immer stärker in den Vordergrund. Max IV. Joseph wiederum erklärte sich mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise – mit Ausnahme der für die ständischen Klöster ins Auge gefassten Maßnahmen – einverstanden.
1802 kam es zur Aufhebung der Bettelorden. Und als dann im Januar 1803 der bayerische Gesandte Anton von Cetto beim französischen Außenminister Talleyrand die Genehmigung für die besondere Ausformulierung des zuvor angesprochenen Paragraphen 35 des Reichsdeputationshauptschlusses erreicht hatte, womit die Aufhebung der ständischen Klöster und die Verwendung der freigewordenen Summen im Sinne der Schuldendeckung möglich wurden, gab es für die bayerische Regierung kein Halten mehr. Die verbliebenen 67 Abteien und Kollegiatstifte wurden in kürzester Zeit von staatlichen Kommissären in Beschlag genommen, das klösterliche Leben erlosch.
Es kam zur Zerstörung von Kirchen und sonstigen Klostergebäuden; Kunstschätze und die Bestände der klösterlichen Bibliotheken und Archive wurden gesichtet, sortiert und wertvolle Stücke nach München gebracht, einiges allerdings auch als wertlos eingeschätzt und verschleudert oder vernichtet. Daneben gab es bittere kurzfristige soziale Folgen. Den klösterlichen Grundbesitz übernahm der Staat, der die fälligen Abgaben von den Bauern jedoch viel rigoroser eintrieb als zuvor die Klöster. Außerdem entfielen soziale Leistungen für das weltliche Personal der Klöster. Noch schlimmer traf es stark spezialisierte Handwerker und Kunsthandwerker, für deren Dienste niemand mehr Verwendung hatte. Außerdem bescherte die mit der Säkularisation einhergehende Zerstörung der Klosterschulen den bayerischen Katholiken im 19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen geradezu dramatisch zu nennenden Bildungsrückstand gegenüber den protestantischen Gebieten in Deutschland.
Aber ist der Staat zumindest finanziell auf seine Kosten gekommen? Der Verkauf der enteigneten Güter spülte aufgrund des Überangebots kurzfristig viel weniger Geld in die bayerische Staatskasse, als Montgelas erwartet hatte. Nach einer Untersuchung von Walter Demel brachte die Säkularisation bis 1813 immerhin 20 Mill. Gulden zusätzlich ein. Das dürfte Bayern bis zum Ende der napoleonischen Epoche gerade so vor dem Staatsbankrott bewahrt haben. Für Montgelas war aber sicherlich entscheidender, dass es mit der Säkularisation gelang, den Prälatenstand zu eliminieren. Und es sollte anschließend tatsächlich nicht mehr lange dauern, bis das Ende der Ständeverfassung insgesamt gekommen war.
III.
Aber es gab noch eine weitere tiefgreifende Veränderung hinsichtlich der Kirche und der Gläubigen in Bayern. Zur Zeit der Thronbesteigung des Kurfürsten Karl Theodor 1777 in München, als das Kurfürstentum Pfalz-Baiern entstand, waren in dessen gemischtkonfessionellen Gebieten, also in den Herzogtümern Jülich und Berg sowie in der Kurpfalz, die im Westfälischen Frieden anerkannten drei christlichen Konfessionen der Katholiken, der Lutheraner und der Reformierten längst gleichberechtigt. Anders sah es im Kurfürstentum Bayern aus, also in Oberbayern, Niederbayern und in der Oberpfalz, denn hier herrschte seit der Gegenreformation das Prinzip der (fast) ausschließlichen Katholizität.
1799, als Max IV. Joseph nachfolgte, gehörten trotz des militärischen Siegeszuges der Franzosen bis weit über den Rhein noch immer einige gemischtkonfessionelle Gebiete zum Herrschaftsgebiet des neuen Herrschers. Daher ließ Montgelas bereits mit dem Religionsedikt von 1803 nicht nur die Toleranz, sondern die Parität der drei anerkannten christlichen Konfessionen im gesamten Kurfürstentum verkünden. Nachdem der bayerische Herrscher 1805 die Seiten gewechselt und sich Napoleon angeschlossen hatte, kamen vermehrt rein evangelische bzw. gemischtkonfessionelle Territorien zu Bayern, so dass die Münchner Regierung hinter das Gebot von Toleranz, Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung nicht mehr zurückgehen konnte, wollte man die Integration der protestantischen Neubayern nicht gefährden.
Die Kurie in Rom empfand diese Entwicklung als durchaus bedrohlich. Bereits am 12. Februar 1803 protestierte Papst Pius VII. scharf – wenngleich ohne Erfolg – gegen die bayerischen Maßnahmen. Und doch strebten beide Seiten, der Staat und die Kurie, danach, ihr nach Mediatisierungen und Säkularisation zutiefst zerrüttetes Verhältnis auf eine neue tragfähige Grundlage zu stellen. Das sollte nach langen Verhandlungen und trotz bis zuletzt ungeklärter Probleme schließlich 1817, mit der Unterzeichnung des Konkordats, weitgehend gelingen.
Doch kommen wir zurück zur 1803 in Bayern eingeführten Parität der drei christlichen Konfessionen: Noch vor der bayerischen Inbesitznahme der größtenteils reformierten linksrheinischen Pfalz rund um Speyer im Jahr 1816 zählte man 1815 im Königreich Bayern bei circa 3,16 Millionen Einwohnern 750.000 Lutheraner und Reformierte. Sie machten somit ungefähr ein Viertel aller bayerischen Untertanen aus. Diese 750.000 evangelischen Untertanen waren in 774 Pfarreien organisiert und wurden von 911 Geistlichen betreut. Sie alle durfte München aus eigenem Interesse nicht als Untertanen zweiter Klasse behandeln.
Doch schon Jahre früher war ein veränderter Umgang mit Nicht-Katholiken in Bayern notwendig geworden, weil die Kurfürstin – Karoline Friederike Wilhelmine von Baden –, die 1799 mit Max IV. Joseph in München einzog, Protestantin war. Mit ihr kam ihr eigener Geistlicher, Kabinettsprediger Dr. Ludwig Friedrich Schmidt, in die bayerische Haupt- und Residenzstadt. Seine Gottesdienste hielt er anfänglich im Nymphenburger Schloss, einerseits in Ermangelung einer evangelischen Kirche, andererseits aus Rücksichtnahme auf die immer noch fast ausschließlich katholischen Bewohner Münchens. Am kurfürstlichen Hof bildete sich daraufhin rasch eine eigene, noch inoffizielle kleine protestantische Gemeinde. Denn Max Joseph, der aus dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken stammte, brachte auch protestantische Beamte mit; dazu kamen noch Hofdamen und Bedienstete der Kurfürstin sowie diverse Flüchtlinge, die vor den französischen Revolutionstruppen geflohen waren.
Sowohl der Kurfürst als auch Minister Montgelas waren entschlossen, den neuen evangelischen Untertanen dieselben Rechte einzuräumen wie den alteingesessenen katholischen. Daher wurde nur ein Jahr nach Max Josephs Übernahme der bayerischen Kurfürstenwürde im Jahr 1800 verfügt, dass Protestanten von nun an beim Kauf von Landgütern in Bayern genauso zu behandeln seien wie Katholiken. Nicht immer gelang die Ansiedlung neuer evangelischer Untertanen reibungslos: 1801 musste Max IV. Joseph persönlich und gegen den Widerstand des Münchner Magistrats und der Landschaft dezidiert anordnen, dass dem evangelischen aus der Pfalz, genauer aus Mannheim stammenden Weinwirt Johann Balthasar Michel die Münchner Bürgerrechte verliehen wurden. In derartigen Fällen spielten aber häufig weniger konfessionelle als vielmehr wirtschaftliche Bedenken, hier auf Seiten des Münchner Magistrats, eine Rolle. Ähnliche Fälle ereigneten sich, unter umgekehrten Vorzeichen, auch in neubayerischen protestantischen Städten, etwa in Nürnberg, wenn sich vermehrt Katholiken ansiedeln wollten.
Deutlich an Brisanz gewann einerseits die Frage des Umgangs mit den protestantischen Untertanen und andererseits das Problem einer einheitlich organisierten bayerischen evangelischen Landeskirche, nachdem im Zuge der Napoleonischen Kriege und der daraus resultierenden Gebietsveränderungen – wie bereits erwähnt – weitere gemischtkonfessionelle bzw. rein evangelische Territorien an Bayern gelangt waren. Damit ergibt sich endgültig die Frage, welche Maßnahmen der bayerische Staat ergriff, um die neuen evangelischen Untertanen in Bayern zu integrieren.
Den Anfang machte das schon angesprochene Religionsedikt vom 10. Januar 1803. Mit diesem Edikt wurde die Religionsfreiheit für die Mitglieder der drei christlichen Konfessionen, der Katholiken, der Lutheraner und der Reformierten, in Bayern festgeschrieben. Darüber hinaus herrschte von nun an Parität, es durfte also niemand mehr wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser drei christlichen Konfessionen bevorzugt oder benachteiligt werden. Auf diese Weise erreichte man die volle bürgerliche Gleichberechtigung aller Untertanen, so dass – um nur ein Beispiel zu nennen – nun auch die höchsten Beamtenposten im Staat unabhängig von der Konfession der einzelnen Bewerber zu besetzen waren. Außerdem gewährte das Religionsedikt von 1803 den evangelischen Gläubigen in Altbayern wie den katholischen Gläubigen in vormals rein protestantischen Territorien das Recht, eigene Kirchengemeinden zu bilden.
Maximilian von Montgelas sah sich angesichts des Anfalls der vielen protestantischen Territorien seit 1802/1803 freilich noch mit einem anderen Problem konfrontiert. Denn zwischenzeitlich sollte es in Bayern aufgrund der Mediatisierung von Lindau und Nürnberg, von Ansbach und Bayreuth, von Nördlingen und Rothenburg usw. über 90 verschiedene evangelische Kirchen geben. Jedes einzelne dieser evangelischen Territorien hatte zuvor seine eigene evangelische Landeskirche ausgestaltet. Besagte Landeskirchen unterschieden sich voneinander hinsichtlich des Bekenntnisses, des Ritus und der Kirchenorganisation; es gab unterschiedliche Gesangs- und Gebetbücher, unterschiedliche Katechismen usw. Doch das Ziel stand fest: eine einheitliche, der staatlichen Münchner Oberaufsicht unterworfene evangelische gesamt-bayerische Landeskirche.
1808 war es soweit: An der Spitze der neuen evangelischen Landeskirche des Königreichs Bayern stand der katholische bayerische König als Summepiskopus, als oberster Bischof. Außerdem wurde eine oberste Kirchenleitungsbehörde ins Leben gerufen. Im Ministerium des Innern wurde eine „Sektion in kirchlichen Angelegenheiten“ gebildet, die die staatlichen Kirchenhoheitsrechte sowohl über die katholische als auch über die evangelische Kirche ausübte. Ein Jahr später, 1809, wurde den evangelischen Kirchengemeinden der Status eigener öffentlich-rechtlicher Korporationen verliehen – bisher waren sie den politischen Gemeinden untergeordnet gewesen.
Nach dem Ende der napoleonischen Ära und den Befreiungskriegen und nachdem 1816 die Pfalz an Bayern angegliedert worden war, schlossen sich im Jahre 1818 in der Pfalz, im sogenannten linksrheinischen Bayern, die lutherische und die reformierte Kirche zu einer Kirchen-Union zusammen. Im rechtsrheinischen Bayern wurde eine derartige Union als unnötig angesehen, denn hier gab es lediglich 9 reformierte Gemeinden, die (bis 1853) von der lutherischen Kirchenorganisation mitverwaltet wurden. 1817 wurde die bisherige gemeinsame Kirchensektion für die katholische und die protestantische Kirche innerhalb des Innenministeriums aufgelöst, das Ministerium selbst übte jetzt direkt die Aufsicht über die Kirchen aus. Das seit 1817 sogenannte Oberkonsistorium der evangelischen Kirche unterstellte man 1818 der Leitung eines Präsidenten evangelischer Konfession, dem fünf Oberkonsistorialräte zugordnet waren. Diese neue Behörde empfing jedoch weiterhin ihre „Aufträge und Befehle“ vom zuständigen Ministerium.
Damit man sich abschließend besser vorstellen kann, wie sich die Integration protestantischer Neubayern allmählich vollzog, sei zuletzt noch eine Episode aus den ersten Monaten nach der Thronbesteigung Max IV. Josephs geschildert. Es war schon die Rede davon gewesen, dass mit Kurfürstin Karoline eine Protestantin nach München gekommen war. Max Joseph, der im pfälzischen Zweibrücken in einem gemischtkonfessionellen Territorium aufgewachsen war, verschwendete keinen Gedanken daran, seiner Gemahlin die Konversion zum katholischen Glauben nahezulegen. Vielmehr hatte er seiner Gattin im Ehevertrag das „Privatexercitium ihrer Religion“, eine größere Anzahl evangelischer Hofdamen und einen evangelischen Prediger und Beichtvater ausdrücklich zugesichert. Dieser besagter Dr. Schmidt hatte sich vor seiner Übersiedlung nach München im pfälzischen Birkenfeld das dortige Gotteshaus mit dem katholischen Priester teilen müssen. Schmidts offensichtlich friedfertiger Charakter hatte dies krisenfrei möglich gemacht, was ihn wiederum in Montgelas’ Augen ganz besonders für den Posten des Beichtvaters der Kurfürstin empfahl.
Am 12. Mai 1799 hielt Schmidt den ersten evangelischen Gottesdienst in München und zwar in einem Saal des Nymphenburger Schlosses. Teilnehmer waren damals lediglich die Kurfürstin sowie – ausdrücklich nur als Gäste – etwa 150 Hofbedienstete. Auf diese Weise sollte der Eindruck vermieden werden, als gäbe es bereits eine institutionalisierte evangelische Gemeinde in München. Auch diese heikle Aufgabe scheint der neue Hofprediger glänzend bewältigt zu haben, was schließlich dazu führte, dass nach kurzer Zeit neugierige katholische Münchner in Scharen zu Schmidts Predigten strömten. Der zu dieser Zeit noch in Freising residierende Fürstbischof – erst die Mediatisierung der Hochstifte von 1802/1803 sollte ja dafür sorgen, dass die bisherigen Fürstbischöfe resignierten –, hat diese Neugier Münchner Bürger mit unübersehbarer Skepsis zur Kenntnis genommen, ohne jedoch in irgendeiner Weise einschreiten zu können. Und seit dem Religionsedikt von 1803 gehörte der Protestantismus schließlich unwiderruflich zu Bayern – das Konkordat von 1817 konnte daran nichts mehr ändern. Auch dies gilt es zu berücksichtigen, wenn man von der Wende vom Alten zum Neuen Bayern spricht.