Persönlich ist Mgr. Pacelli sehr angenehm. Er ist ein offener und gerader Charakter, ein Ehrenmann durch und durch, ein frommer Priester, der volles Vertrauen verdient und keine Winkelzüge liebt. Ich bin daher immer am besten mit ihm gefahren, wenn ich ihm klaren Wein einschenkte. Für persönliche Gefälligkeiten ist er empfänglich, aber dabei bescheiden. Seine Umgangsformen sind tadellos, wenn auch etwas monastisch angehaucht.“ So charakterisierte der Königlich Bayerische Gesandte am Päpstlichen Stuhl, Otto Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, Eugenio Pacelli, dem König Ludwig III. am 19. April 1917 das Agrément als Nuntius in München erteilte. Eine Person, von der anzunehmen sei, wie der bayerische Diplomat prophetisch schrieb, „daß sie sogar einmal würdig befunden würde, wenn die Verhältnisse danach sind, zum Papste gewählt zu werden.“ Eine Person aber auch, die Ritter als einen „strenge[n] Verfechter des kanonischen Rechtes“ bezeichnete. Diese Eigenschaft sollte man in München alsbald zu spüren bekommen.
I.
Denn nahezu zeitgleich mit Pacellis Vorgänger Giuseppe Aversa war auch der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Franziskus von Bettinger, Mitte April 1917 verstorben. Pacelli ließ keinen Zweifel daran, dass die Ernennung des neuen Erzbischofs aufgrund des eben erst promulgierten Codex Iuris Canonici zu erfolgen habe, stieß in dieser Frage jedoch erstmals auf deutlichen Widerstand der bayerischen Regierung. Diese sah ihrerseits keine Veranlassung, das dem König im Konkordat von 1817 gewährte Recht, den Erzbischof zu ernennen, mit dem Nuntius zu diskutieren.
Dort heißt es wörtlich in Artikel 9: „Seine Heiligkeit werden in Erwägung der aus gegenwärtiger Übereinkunft für die Angelegenheiten der Kirche und der Religion hervorgehenden Vortheile Seiner Majestät dem Könige Maximilian Joseph und Seinen Katholischen Nachfolgern durch Apostolische Briefe, welche sogleich nach der Ratification dieser Uebereinkunft ausgefertigt werden sollen, auf ewige Zeiten das Indult verleihen, zu den erledigten erzbischöflichen und bischöflichen Stühlen im Königreiche Baiern würdige und taugliche Geistliche zu ernennen, welche die nach den canonischen Satzungen dazu erforderlichen Eigenschaften besitzen. Denselben wird Seine Heiligkeit nach den gewöhnlichen Formen die canonische Einsetzung ertheilen.“
Nuntius Pacelli wurde vom Vorsitzenden des bayerischen Ministerrates und Außenminister Graf Hertling dargelegt, dass man in München nicht daran denke, von der bisherigen Praxis abzuweichen. So war in dem Schreiben Ludwigs III. an Papst Benedikt XV. wie bisher von „Nominatio“ und nicht, wie Pacelli vorgeschlagen hatte, von „Postulatio“ die Rede. Durch die Nomination des Königs von Bayern wurde Michael Faulhaber Erzbischof von München und Freising sowie Ludwig Sebastian Bischof von Speyer. Das „Eos libere nominat Romanus Pontifex.“ (CIC/1917, can. 329 §2) des neuen Codex blieb ein letztes Mal unbeachtet.
Dass der Zeitpunkt, in der Pacelli seine Stelle in Bayern antrat „in der Geschichte vielleicht nicht seinesgleichen hat, hatte der Nuntius schon bei seiner Rede anlässlich der Überreichung des Akkreditierungsschreibens gegenüber dem König angemerkt. Als in der Nacht zum 8. November 1918 Kurt Eisner den Freistaat Bayern proklamierte und der König samt Familie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus München floh, war – wie sich zeigen sollte – auch das Konkordat von 1817, nicht mehr zu halten. Die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche war unumgänglich geworden. Schon die Revolutionsregierung Kurt Eisners hatte die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht gefordert, zugleich aber volle Freiheit der Religionsgesellschaften und deren Kultusausübung garantiert. Die Ermordung Eisners am 21. Februar 1919 und die anschließenden Revolutionen ließen an Verhandlungen über die Regelung der kirchlichen Verhältnisse nicht denken.
Die Regierung Hoffmann, die am 17. März ihre Arbeit aufnahm, war von Anfang an kein idealer Partner für Verhandlungen über ein Konkordat. Johannes Hoffmann, der unter Eisner das Kultusministerium geleitet hatte und dabei sein Ministerium vom Ministerium „für Kirchen- und Schulangelegenheiten“ in eines „für Unterricht und Kultus“ umbenannt hatte – ein Schritt, den er gerne noch bis zur Umbenennung in „Ministerium für Volksbildung“ fortgesetzt hätte – war kirchlichen Wünschen gegenüber eher zurückhaltend. Der spätere bayerische Ministerpräsident Hugo Graf Lerchenfeld schrieb im Dezember 1919 an das Auswärtige Amt in Berlin: „Ministerpräsident Hoffmann ist auf diesem Gebiet [dem der Staat-Kirche-Beziehungen] Fanatiker – er ist ausserdem Volksschullehrer von Beruf: diese beiden Tatsachen genügen vollauf, um die Gefahr unkluger Handlungen zu beweisen.“ In der Tat hatte es Hoffmann unterlassen, den Amtsantritt seiner Regierung dem Nuntius mitzuteilen oder sonst irgendwie mit der Nuntiatur in Kontakt zu treten. Ein Versäumnis, dessen sich nicht einmal die Regierung des „Juden Kurt Eisner“ – wie Faulhaber ihn nannte – schuldig gemacht hatte, die ihren Amtsantritt dem Nuntius „in sehr höflicher Weise“ mitgeteilt hatte, wie Otto von Ritter aus Rom berichtete.
Mit Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung am 11. August 1919 kam ein weiteres Hindernis für Bayern hinzu. Der Artikel 78 besagte: „Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließliche Sache des Reiches.“ (RVerf. Art. 78) Diese Regelung in Verbindung mit Artikel 6 „Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Beziehungen zum Ausland“ (RVerf Art. 6, Abs.1), musste erst umgangen werden. Otto von Ritter hatte, nach seiner Aussage, in Rom nie Widerspruch erfahren, wenn er damit argumentierte, dass überall dort, „wo Katholiken wohnten, […] auch der Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche zu Hause“ sei und „der Papst aber kein ‚auswärtiger Staat‘ sei.“
Doch war dies gleichsam nur die eine Seite der Medaille, die andere war, dass es galt, die staatliche Souveränität Bayerns zu beweisen, die für den Hl. Stuhl wesentlich war, da es ihm im gegenteiligen Fall kaum möglich gewesen wäre, die diplomatischen Beziehungen auf Dauer aufrechtzuerhalten. Dem geschickten Diplomaten Ritter gelang es mit Hinweis auf die föderale Gestalt der Reichsverfassung gegenüber der Kurie mit der Behauptung zu bestehen, „daß daher auch dem Bayerischen Staate der Charakter einer völkerrechtlichen Persönlichkeit erhalten geblieben sei.“
Es ist kaum denkbar, dass die Kurie a) die Reichsverfassung, die den Teilstaaten ein Gesandtschaftsrecht ausdrücklich nicht mehr zugestand, nicht kannte und b) die Behauptungen des bayerischen Gesandten einfach akzeptierte. Vielmehr wird diese „pia fraus“ – wie Franz-Willing schrieb – von der staatlichen Eigenständigkeit Bayerns eine Feigenblattfunktion auch für die Kurie gehabt haben, der Bayern den Fortbestand der diplomatischen Beziehungen großenteils zu verdanken hatte. Dass man sich der Tatsache einer pia fraus in München durchaus bewusst war, belegt eine Äußerung von Kultusminister Franz Matt, der deutlich den Unterschied der Beziehungen zwischen Papst und Katholiken in Bayern einerseits und dem Papst und dem Freistaat Bayern andererseits hervorhob.
Hier werden schon zentrale Punkte deutlich, die das Konkordat für Bayern so wertvoll machten. Nachdem Preußen eingewilligt hatte, dass seine Gesandtschaft am Heiligen Stuhl in der neu zu gründenden Reichsbotschaft aufgeht, übergab am 30. April 1920 Diego von Bergen, der bisherige preußische Gesandte, als erster deutscher Botschafter dem Papst sein Akkreditierungsschreiben. Zugleich machte der Vatikan deutlich, dass er den größten Wert auf die Erhaltung der bayerischen Gesandtschaft und zugleich der Nuntiatur in München legte. Dies war für Bayern wertvoll zu wissen. Zugleich aber schwebte die wachsende Bedeutung des Reiches wie ein Damoklesschwert über den bayerischen Verantwortlichen. Dies verdeutlicht die Tatsache, dass am 29. Juni 1920 Pacelli Reichspräsident Ebert sein Beglaubigungsschreiben überreichte und somit zwei Nuntiaturen in Personalunion leitete, wobei er in Berlin Nuntius I. in München aber nur II. Klasse war, auch wenn man ihn in München „erstklassig“ behandelte. Das angestrebte Konkordat hatte somit zentrale Bedeutung für Bayerns staatliche Eigenständigkeit.
II.
Die Verhandlungen zum Konkordat begannen offiziell mit der Note Pacellis vom 27. Dezember 1919 an die Bayerische Staatsregierung, in der der Nuntius die Verletzung des Konkordates von 1817 konstatierte und zugleich die Bereitschaft des Heiligen Stuhles mitteilte, mit der bayerischen Regierung in Verhandlungen über ein neues Abkommen zu treten. Dazu fand sich sogar die Regierung Hoffmann bereit und teilte dies dem Nuntius im Januar 1920 mit. Als im selben Monat Ritter die bayerische Gesandtschaft nach Rom zurückverlegen konnte, sprach Benedikt XV. ihn in der ersten Audienz gleich auf die Neuregelung des Staat-Kirche-Verhältnisses an. Der Papst betonte, dass er auf dem Boden der Beziehungen mit dem Königreich Bayern aufbauen wolle, um ein Vakuum zu vermeiden. Besonders die Schulfrage betrachtete Benedikt als von zentraler Bedeutung für die Neuregelung des gegenseitigen Verhältnisses.
Als die Verhandlungen endlich begannen, war der bayerischen Seite durchaus bewusst, dass die Lage für die Kurie auf Grund der Reichsverfassung eine ungleich bessere war, als zum Zeitpunkt des alten Konkordats von 1817. Dies führte dazu, dass man es in Bayern mit dem Beginn und der Durchführung der Verhandlungen eher zögerlich anging. Und das, obwohl der Augenblick dafür günstig war, da man in Rom sehr an guten Beziehungen zu Bayern wie Deutschland interessiert war. Dies, so Ritter, gelte es, in einer Situation, „wo wir sonst in der Welt mit wenig Sympathien zu rechnen haben und andererseits das politische Ansehen des Päpstlichen Stuhles sich seit dem Kriege allgemein gehoben hat, zu pflegen und auszunützen und alles zu vermeiden, was die wohlwollenden Gefühle des Papstes für uns beeinträchtigen könnte.“ Auf der anderen Seite drängte Pacelli, der unter der neuen Regierung Ritter von Kahr auf ein besseres Verständnis für kirchliche Belange hoffte. Pacelli erwartete mit dem katholischen Bayern und seiner langen Konkordatstradition jetzt schnelle Verhandlungen, so dass er schon im Juni 1920 an Otto von Ritter schrieb, er müsse nun schon bald „dieses schöne Land […] verlassen, um den neuen, so ausserordentlich schwierigen Posten in Berlin anzutreten.“
Schon im Februar 1920 hatte Pacelli der bayerischen Regierung seine Punktationen für ein neues Konkordat überreicht, die fortan als Basis der Verhandlungen dienten. Doch bis zum Juni ruhten die Verhandlungen, weil Kahr bei einem – dann nicht eingetretenen – eventuellen Regierungswechsel durch die Wahlen, eine Nachfolgeregierung nicht binden wollte. In Rom war man bereit Pacelli solange in München zu belassen und nicht nach Berlin zu entsenden, womit man auch in Berlin einverstanden war, da die Errichtung einer Nuntiatur in der deutschen Hauptstadt soweit geregelt war „und weil Pacelli mit seinem weitgehenden Verständnis für deutsche Eigenheiten und Wünsche und seiner Selbstständigkeit gegenüber der Kurie uns in München nützlicher sein kann wie ein weniger informierter und schwächerer Nachfolger“, wie es der deutsche Botschafter Diego von Bergen formulierte.
Versuchen von Seiten des Reiches, nun doch vor Bayern ein Konkordat zu erhalten trat Pacelli entgegen. Dies, so der Nuntius, sei nicht im Interesse des Papstes, zudem könne das bayerische Konkordat späteren Verhandlungen mit dem Reich „zur Unterlage“ dienen. Eine Haltung, die der Heilige Stuhl stets einnehmen sollte. Berlin wollte seinerseits lediglich vor der Einbringung des Konkordates in den Landtag prüfen, ob der Vertrag mit der Verfassung vereinbar war.
Ende des Jahres konnte der bayerische Gesandte aus Rom vermelden, dass man dort daran dachte, das bayerische Konkordat nicht nur als Muster für das Reichskonkordat sondern auch für Konkordate mit anderen Ländern zu verwenden, weswegen man in Rom auf ein beschleunigtes Vorgehen drängte. „Im Interesse der Anerkennung der Staatspersönlichkeit und der kirchenpolitischen Bedeutung Bayerns vermag ich dies nur zu begrüßen“, schrieb Ritter nach München.
Probleme kamen nun von Preußen, das zugunsten der Reichsbotschaft auf seine Gesandtschaft verzichtet hatte und sich gegenüber Bayern benachteiligt sah. Preußen sah sich nicht in der Lage, einem Reichskonkordat, an dem Bayern nicht beteiligt sein würde, zuzustimmen. Bei der Reichsregierung war man sich zwar bewusst, dass man den Ländern das Recht zum Konkordatsabschluss nicht verweigern konnte, bemühte sich nun aber darum, nicht eine Flut von Länderkonkordaten zu erhalten. Man bat die Länder, sie möchten sich einem Reichskonkordat anschließen, nach dessen Abschluss es ihnen unbenommen bliebe, „Sonderkonkordate über die sie besonders berührenden Fragen [zu] vereinbaren.“
Darüber hinaus wurde man in Rom allmählich ungeduldig, da Benedikt auch mit dem Reich in Verhandlungen treten wollte, diese aber erst nach Abschluss der Münchner Verhandlungen beginnen sollten. Zudem empfand man die aktuelle Situation in Rom als ein „unangenehmes Provisorium“ und befürchtete, „daß es trotz allen Vorbehaltes doch zu unbequemen Präzedenzfällen für die Kirche führen könnte, wenn sie sich jetzt immer noch geneigt zeigte, dem bisherigen Vertragsverhältnis [dem von 1817] entsprechend die Fragen zu lösen, die zwischen Staat und Kirche anfallen.“
Doch auch die Bestrebungen Preußens, ein eigenes Konkordat zu erhalten, lösten in München Unruhe aus. Daher sei es für Bayern „mehr oder weniger eine Lebensfrage, ob es ihm gelingt oder nicht, sich in allernächster Zeit ein eigenes, vom Reich unabhängiges Konkordat zu sichern und sich dadurch eine Gewähr dafür zu schaffen, daß ihm wenigstens auf kulturellem Gebiet noch ein Rest von Staatspersönlichkeit erhalten bleibe.“ Der Regierungswechsel in München von Kahr zu Lerchenfeld verzögerte das Vorgehen zusätzlich.
Die Kurie ihrerseits drängte Bayern vermehrt zu einem höheren Tempo. Man darf getrost annehmen, dass das nicht aus purem Altruismus Bayern gegenüber geschah. Im Gegenteil äußerte man relativ offen die Ansicht, dass es für die Kirche von Vorteil sein würde, wenn sich Bayern in ein Reichskonkordat eingliedern lassen würde, da man so die für Rom zentralen Fragen, wie etwa der Schule, in einem Sinne regeln könne, die der Kurie mehr entsprächen, als wie wenn man gezwungen sei mit dem protestantisch geprägten Reich, gleichsam ohne bayerische Schützenhilfe, über diese Punkte verhandeln zu müssen.
Ritter sah deutlich, dass „durch ein bayerisches Konkordat, dem es nur noch überlassen bliebe, die Brosamen eines Reichskonkordates aufzulesen, […] Bayern in eine klägliche Stellung dem Hl. Stuhle gegenüber“ käme. Doch zugleich muss betont werden, dass das Reich weit davon entfernt war, der Kurie eine Grundlage für ein Konkordat zu liefern, die attraktiv genug gewesen wäre, dass Rom das bayerische Konkordat ad acta gelegt hätte. Im Januar 1922 wurden von München die letzten Antworten auf die Punktationen Pacellis nach Rom geschickt.
III.
Im Februar 1922 beherrschte der Pontifikatswechsel von Benedikt XV. zu Pius XI. die Ewige Stadt. Pius XI. zeigte sich bei der ersten Audienz für den bayerischen Gesandten durchaus wohlwollend für die bayerischen Interessen. Er wünschte sowohl den Abschluss des Konkordates als auch die Erhaltung der gegenseitigen diplomatischen Missionen. Dass sich jetzt der Ministerpräsident selbst um die Angelegenheiten des Konkordates kümmern wollte, begrüßte der neue Papst ausdrücklich. Allerdings sah sich Ritter auch genötigt, zur Eile zu drängen, denn die Gefahr eines Reichskonkordates stieg. Er hatte erfahren, „daß der deutsche Botschafter sich bemühe, den Kardinalstaatssekretär für den Gedanken zu gewinnen, das bayerische Konkordat dem Reichskonkordat anzugliedern.“
Wie schwierig die Lage im Reich bezüglich eines Konkordates jedoch war, belegt eine Aufzeichnung des Vatikanreferenten im Auswärtigen Amt Delbrück vom Februar 1922. Die deutschen Länder, vor allem Preußen, wollten kein Reichskonkordat ohne Bayern abschließen; darüber hinaus war Preußen nur schwer dafür zu gewinnen, die zentrale Schulfrage in ein Konkordat einzubeziehen. Unter derartigen Voraussetzungen wäre die Kurie zu Verhandlungen wohl nicht zu bewegen gewesen, zumal schon ein Entwurf Pacellis vorlag, der, wie man in Berlin bemerkte, sehr weitgehende Forderungen enthielt. Dieses Problem kannte man auch in Bayern, wo Pacelli die Ablösungsfrage unbedingt in das Konkordat mit Bayern aufnehmen wollte. Das Handeln Pacellis entsprang der Überlegung, so der bayerische Diplomat, dass eine mit Bayern konkordatär geregelte Ablösungsfrage eine bessere Verhandlungsbasis für die Behandlung dieses Punktes mit dem Reiche geben würde.
Man beeilte sich nun auf beiden Seiten, so dass schon im Mai Gasparri gegenüber Ritter von der Möglichkeit sprach, noch im selben Monat zu einem Abschluss zu kommen. Doch zähe Diskussionen in Detailfragen, wie etwa der Vorbildung der Geistlichen, machten den hochfliegenden Plänen der Kurie ein rasches Ende. Darüber hinaus wurde dem Konkordat nun zum Problem, dass es als Muster geplant war. Denn andere europäische Staaten, wie etwa Polen, beobachteten die Verhandlungen zwischen München und Rom genau, um eventuell Bayern gemachte Konzessionen auch für sich einzufordern. Zudem hatte Delbrück inzwischen seinen Entwurf für ein Reichskonkordat beim Hl. Stuhl eingereicht, ein Umstand, der in Bayern mit Besorgnis gesehen wurde, da der Unitarismus, den Delbrück, nach Ritters Ansicht, vertrat, Bayern in ein solches Reichskonkordat eingegliedert sehen wollte.
Doch die unnachgiebige Haltung Bayerns, die in der Folge das Beharren Preußens auf ein eigenes Konkordat zumindest stärkte, ließen Ende 1922 die Bemühungen um ein Reichskonkordat vorerst einschlafen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dies zu einem Zeitpunkt geschah, da man mit dem Entwurf Delbrücks eine Verhandlungsbasis hatte, die auch Pacelli „für eine geeignete Grundlage“ hielt.
Auch Rom verlagerte seine Anstrengungen nun wieder auf die bayerische Seite. Als Ritter im September 1922 bei Pius XI. in Privataudienz empfangen wurde, berichtete er, dass ihm der Papst mitgeteilt hatte, dass „das bayerische Konkordat […] geeignet [wäre], einem mit dem Reich abzuschließenden Konkordat als Muster zu dienen. Es könnte auch über die deutschen Grenzen hinaus von Nutzen sein.“ Darüber hinaus hatte Pius Pacelli angewiesen, alles für die Beschleunigung der Verhandlungen zu unternehmen. Am 27. September hatte Pacelli Kultusminister Matt die kurialen Antworten auf Matts Eingaben nach Rom übergeben.
Doch der römische Entwurf löste auf bayerischer Seite keine Euphorie aus. Der ansonsten so zurückhaltende Diplomat Ritter schrieb nach München: „Er ist nicht, wenigstens dem Anscheine nach nicht, auf „do ut des“ gestimmt. Das ist der erste Eindruck, den man von ihm gewinnt, wenn man auf den ersten 7 ½ Seiten nur von Verpflichtungen des Staates ließt und erst ganz zum Schluße in kaum 19 Zeilen erfährt, zu welchen Gegenleistungen sich die Kirche verpflichtet.“
Bayern versuchte nun günstigere Bedingungen zu erreichen. Ritter wollte der bayerischen Regierung nicht nur bei der Ernennung der Bischöfe, sondern auch bei der der Domherren und Pfarrer ein Einspruchsrecht verschaffen. Ein Vorschlag, der in klarem Widerspruch zur Reichsverfassung stand. Haderte man in München mit Bestimmungen über die Einflusssphäre der Reichsverfassung, so setzte man in Rom die Prioritäten anders. Gasparri ging es um die Umsetzung der Bestimmungen des CIC und einer für die Kirche befriedigenden Lösung der Schulfrage.
Als die Verhandlungen endlich ein gewisses Tempo erreicht hatten, trat in München Graf Lerchenfeld zurück und Ritter von Knilling übernahm die Regierungsgeschäfte. Zu Beginn des Jahres 1923 hatte sich der spätere Ministerpräsident Heinrich Held eingeschaltet, um beim Vatikan darauf hinzuarbeiten, dass das Konkordat eine Chance hatte durch den bayerischen Landtag zu kommen. Ritter, der Helds Ansichten teilte, sah große Probleme im Hinblick auf die steigenden staatlichen Leistungen und die dezimierten Rechte Bayerns. Im Januar 1923 war in München „auf der Basis des vatikanischen Entwurfs ein […] Gegenentwurf verfaßt [worden], der das Minimum dessen enthalte, was die Regierung verlangen zu müsse[n] glaub[t]e, damit das Konkordat Aussicht habe, eine Majorität im Landtag zu erhalten.“
Auch Pacelli empfahl Rom äußerstes Entgegenkommen. Die Bemühungen hatten Erfolg. In Rom arbeitete man mit Hochdruck an dem Referat zum bayerischen Gegenentwurf und schon am sechsten Mai tagte die Kardinalskongregation mit Ergebnissen in Detailfragen, die zur Beschleunigung beitrugen. Nicht geklärt blieben dabei die Fragen zur Besetzung der Bischofsstühle, die Zulassung der Theologiestudenten zu den Universitäten durch ein nicht an einer staatlichen Schule erworbenes Abitur und die Vorbildung der Geistlichen. Im Vatikan war man nun deutlich daran interessiert, das Konkordat ungestört seiner Vollendung entgegenzuführen.
Zudem hatte sich die ohnehin schwelende Lage in der Saarpfalz zugespitzt, weswegen der Kardinalstaatssekretär auf einen Abschluss drängte, „um […] Versuche Frankreichs a limine abzuweisen“, die auf einen Einflussgewinn in der Diözese Speyer gerichtet waren. Im August 1923, als die Verhandlungen schon weitestgehend vollendet zu sein schienen, spitzte sich die Frage des Nominationsrechtes für die (Erz-)bischöfe derart zu, dass der bayerische Gesandte befürchtete, Rom lasse das Konkordat scheitern und nehme alle daraus für die Kirche entstehenden Nachteile in Kauf. Dies dürfte nicht unwesentlich zu dem letztlich bayerischen Einlenken geführt haben.
In dieser Phase der Verhandlungen ereignete sich der „Hitler-Ludendorff-Putsch“. Der Putsch, führte den Verhandlungspartner vor Augen, mit wem sie es noch zu tun bekommen sollten. „Dass die nationalistischen und besonders die katholikenfeindlichen Bestrebungen für unser Sorgenkind im Allgemeinen eine nicht zu unterschätzende Gefahr bilden, verhehle ich mir nicht.“, schrieb gute zwei Wochen nach dem Putsch Pacelli an Otto von Ritter. In Rom hatte es vor allem „einen sehr üblen Eindruck gemacht“, wie von Ritter berichtete, dass es gegen die katholische Geistlichkeit und gegen Erzbischof Faulhaber zu Demonstrationen gekommen war. Es ist auch hier dem verdienten Diplomaten Otto von Ritter anzurechnen, dass die Putschereignisse, die Bayerns Ansehen bei der Kurie nicht gefördert hatten, ohne größere Folgen geblieben waren.
Gegen Ende 1923 war man schließlich so weit, dass über die Modalitäten der Ratifikation verhandelt werden konnte. Der Vatikan verbat sich eine Verhandlung über Inhalte des Konkordates nach dessen Unterzeichnung. Im Januar 1924 übergab Kultusminister Matt den endgültigen Text des Konkordates an den Nuntius. Mitte März teilte Reichskanzler Marx der Bayerischen Regierung mit, dass die Reichsregierung keine Einwände gegen das Konkordat erhebe. Am 29. März 1924 unterzeichneten schließlich im Montgelas-Saal des bayerischen Außenministeriums Ministerpräsident Knilling sowie die Minister Matt und Krausneck für Bayern und Pacelli für den Heiligen Stuhl das Konkordat.
Dass mit der Unterzeichnung noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden waren, war wohl allen Verantwortlichen klar. Eine Unsicherheit ergab sich, als nach der Landtagswahl Heinrich Held mit nur einer dünnen Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, was für das Konkordat insofern von Bedeutung war, als dass es vom Landtag erst noch angenommen werden musste. Die protestantische Mittelpartei spielte nun die zentrale Rolle, dem Vertragswerk zum Durchbruch zu verhelfen, was dazu führte, dass man den evangelischen Kirchen ein Äquivalent anbieten musste. Ein Recht der evangelischen Kirchen, welches der Vatikan durchaus nicht bestritt, doch achtete er – nicht zu Unrecht – peinlich darauf, dass es einen Unterschied geben musste zwischen dem Konkordat als völkerrechtlichem Vertrag und den Verträgen mit den beiden evangelischen Landeskirchen.
Keine Alternative jedoch sah Held dazu, das Konkordat mit den Staatsverträgen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz im so genannten Mantelgesetz zusammenzufassen. Diese Zusammenlegung als auch der in weiten Teilen identische Wortlaut waren den politischen Verhältnissen im Landtag geschuldet. Der Kurie musste dies erst vermittelt werden. Held schrieb an Ritter: „Ich zweifle nicht im geringsten, daß es der so oft bewährten, hervorragenden diplomatischen Gewandtheit Euerer Exzellenz gelingen wird, den Hlg. Stuhl für eine gerechte Würdigung der vorstehend dargelegten Rücksichten zu gewinnen und die […] erwähnten Empfindlichkeiten zu zerstreuen.“ Ritter wurde den Erwartungen gerecht. Schon zwei Tage später konnte der Gesandte nach München melden, dass man in Rom Verständnis habe für das taktische Vorgehen der bayerischen Regierung.
Anfang 1924 legte Ministerpräsident Held seine Regierungserklärung, die er – mit dem Ziel einer reibungslosen Abstimmung im Landtag – vor dem Parlament halten wollte, dem Nuntius vor. Dieser reagierte mit Erstaunen auf die Interpretationen Helds, vor allem in Bezug auf die Besetzung der Kirchenämter und der finanziellen Fragen, welche Pacelli zu großzügig ausgefallen waren. Die Kurie sah die Substanz des Vertragswerkes in Gefahr und wollte spätere Konflikte von vorne herein vermieden wissen, auch wenn man sich der Beweggründe in München bewusst war.
Endlich lag eine Übereinkunft vor, die es Rom ermöglichte den – überarbeiteten – Ausführungen Helds zuzustimmen. Pacelli, der der Beschleunigung der Sache willen nach Rom gereist war und sich mehrere Stunden mit Pius XI. über die Materie unterhalten hatte, hatte das seinige dazu beigetragen. Nach dreitägiger Verhandlung wurde das Mantelgesetz, am Abend des 15. Januar 1925 mit 73 gegen 52 Stimmen angenommen. Neun Tage später wurde das Konkordat ratifiziert.
IV.
Bleibt die Frage nach der Bedeutung des Vertragswerkes. Welche Bedeutung es für Bayern in der Zeit seiner Entstehung und sicher in den Jahren danach hatte, ist unstrittig und geht aus dem schon Genannten deutlich hervor. Es war Unterpfand staatlicher Eigenständigkeit, was auch die preußischen Interventionen belegen. Zudem spielte es eine nicht unerhebliche Rolle, die dauernden französischen Bestrebungen um Einflussgewinn in der dem Völkerbund unterstellten bayerischen Pfalz eindämmen zu helfen. All die Jahre hatte der Heilige Stuhl auch deswegen auf einen raschen Abschluss gedrängt. Nur mit einem völkerrechtlichen Vertrag im Rücken konnte die Kurie gegenüber Frankreich hier solide argumentieren.
Über den bayerischen Tellerrand hinausgeblickt ist festzustellen, dass das Konkordat der ihm zugedachten Musterrolle gerecht wurde, auch wenn die Abbildungen des Musters milder ausfielen als das Original.
Darüber hinaus erhielt das Vertragswerk eine Bedeutung, die – wie die Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus belegen – nie intendiert war. Es diente, ebenso wie das Reichskonkordat, dem Heiligen Stuhl als diplomatisches Druckmittel gegen ein diktatorisches Unrechtsregime.
In bundesrepublikanischer Zeit ist indes die Lage neu zu bewerten. Das Recht auf ein Konkordat stand nie in Frage. Im Gegenteil: In den 1950er und nochmals in den 1960er Jahren war es Konsens, dass man Bayern das Recht auf eine eigene Gesandtschaft am Heiligen Stuhl nicht würde verwehren können.
Heute, in einer Zeit, in der der Heilige Stuhl mit deutschen Ländern, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, deren katholischer Bevölkerungsanteil die 4%-Marke unterschreitet, Konkordate schließt, wird deutlich, dass die Bedeutung von Konkordaten allgemein darin liegt, das Staat-Kirche-Verhältnis zu regeln. Die darüber hinaus gehende Bedeutung, die das Bayerische Konkordat zur Zeit seines Abschlusses hatte, ist heute als historisch bedingte anzusehen. Dennoch bewies die erste Änderung des bayerischen Konkordates 1966 – 42 Jahre nach seinem Abschluss wurde es wegen der Schließung der theologisch-philosophischen Hochschule in Freising erstmalig geändert – seine Qualität; das gleiche gilt für seinen ungebrochenen Fortbestand bis heute. Ob ein Konkordat, das der Kirche in vielfacher Hinsicht, man denke an die Finanzleistungen, derart große Konzessionen macht, in einer zunehmend säkularen Gesellschaft auf Dauer zu halten sein wird, muss abgewartet werden. Dennoch ist festzuhalten, dass mit dem Konkordat ein modus vivendi gefunden wurde, der alle Umbrüche des 20. Jahrhunderts überdauerte und sich in der Praxis weitestgehend bewährt hat. Von welch großer Bedeutung es ist, wird auch daran sichtbar, dass es regelmäßig im öffentlichen Diskurs auftaucht. Man denke nur an die Besetzung der Bischofsstühle oder auch der so genannten Konkordatslehrstühle, der Rolle der Kirche an der Universität und – seltener – im schulischen Bereich. Bei allem Diskurs und auch Dissens war das Konkordat während der letzten 85 Jahre offenbar ein guter Rahmen für ein fruchtbares Verhältnis von Staat und Kirche in Bayern. Wie dieses Vertragswerk heutigen veränderten Bedingungen künftig angepasst wird, wird spannend sein zu beobachten.