Will der päbstliche Hof […] nicht nachgeben“ – schreibt der bayerische Außenminister Aloys von Rechberg im Juli 1817, als ihm sein römischer Gesandter das von ihm soeben ausgehandelte und paraphierte Konkordat zur Ratifizierung zugesandt hatte –, „so ziehe ich keine Übereinkunft einem die Rechte der Krone und der deutschen Kirche angreifenden, veraltete und überwundene Mißbräuche wieder gebährenden Konkordate weit vor.“ Der Staatskirchenvertrag, München drohte ihn platzen zu lassen, bevor er überhaupt ins Leben getreten war.
Wenn man das Ergebnis an der Isar so nachteilig beurteilte, dann musste die Zufriedenheit am Tiber ja umso größer gewesen sein, sollte man meinen; doch weit gefehlt. Ein Zitat, das fast exakt ein Jahrhundert nach demjenigen Rechbergs datiert, lässt gleichfalls Unbehagen erkennen. Es stammt aus der 109-seitigen Instruktion für Giuseppe Aversa, der 1916 als neuer Nuntius nach Bayern entsandt wurde. In dieser, die Leitplanken päpstlicher Politik festlegenden Handlungsanweisung, wird auf das unverändert in Kraft befindliche Konkordat von 1817 Bezug genommen und festgestellt, dass Staat und Kirche grundsätzlich gut miteinander auskämen („Lo Stato e la Chiesa in Baviera andrebbero perfettamente d’accordo e gli interessi dei cattolici sarebbero intieramente garantiti…“). Gleichwohl wird kaum verhohlene Kritik geübt, weil die Regierung die Vereinbarungen nicht gewissenhaft einhalte („…se, come fa il potere ecclesiastico, anche il civile osservasse coscienziosamente i patti, sanzionati nel Concordato del 1817“). Daher wird Aversa ermahnt, nach Kriegsende auf eine Verbesserung der Zustände zu drängen.
Es sind diese beiden Zitate, die manches verbindet, manches trennt: Trennend ist zunächst einmal der Umstand, dass Rom mit dem Konkordat an sich zufrieden schien, nicht indes mit der Art, wie es vollzogen wurde, das heißt, wie es in der Praxis gehandhabt wurde. Die bayerische Äußerung legt hingegen nahe, dass man mit dem Vertrag an sich unzufrieden war. So oder so: Glücklich war keiner der beiden mit dem, was da 1817 entstanden war. Es drängt sich mithin die Frage auf, wieso es die Vertragspartner überhaupt abgeschlossen hatten und wieso sie über ein Jahrhundert daran festhielten. Zum Verständnis dieses Umstands gilt es, zunächst einen kursorischen Blick auf die jeweiligen Ausgangssituationen zu werfen.
Die Frage nach der Notwendigkeit: die Ausgangsbasis der Konkordatsverhandlungen
Der kirchlichen Herrschaft an sich und dem päpstlichen Primatsanspruch im Besonderen hatten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Aufklärung, Febronianismus und Josephinismus arg zugesetzt; Kaiser Joseph II. von Österreich hing aufklärerischen Idealen bekanntlich besonders stark an. Etwas vereinfacht gesprochen handelt es sich beim Josephinismus um die Unterordnung aller politisch-gesellschaftlichen Angelegenheiten unter staatliche Interessen, was kirchenpolitische Fragen einschloss. Der Papst reagierte auf die veränderte Lage in Österreich unter anderem, indem er 1785 in München eine Nuntiatur einrichtete. Sie sollte ein Gegengewicht zu den Habsburgischen Landen darstellen und zugleich die immer selbstständiger agierenden deutschen Bischöfe kontrollieren.
Deren Unmut war umso größer, als sie sich gegenüber Rom gerade Freiräume zu schaffen versuchten. Die mächtigen Fürst(Erz-)Bischöfe von Köln, Trier, Mainz und Salzburg protestierten vehement gegen die Einrichtung der Nuntiatur. Der Streit zwischen Rom und den führenden Klerikern des Reichs eskalierte, als die Bischöfe 1786 die Emser Punktation verabschiedeten, in der sie forderten, alle päpstlichen Bullen ihrer Genehmigung zu unterstellen, bevor sie Gültigkeit erlangten. Bei Pius VI. stieß der Vorstoß auf wenig Gegenliebe, er ließ eine offizielle Ablehnung veröffentlichen.
Schon diese wenigen Striche zeigen, dass es im 18. Jahrhundert eine massive Auseinandersetzung zwischen Rom, der Reichskirche sowie aufklärerischen Strömungen gab, die seit der zweiten Jahrhunderthälfte auch die Politik der Fürsten erfasst und geprägt hatte. Doch das alles war nichts gegen die Erschütterungen des Staat-Kirche-Verhältnisses im Zuge der Französischen Revolution. Insbesondere den Gedanken von Freiheit und Gleichheit greift Pius VI. in seinem Breve Quod Aliquantum vom 10. März 1791 an, spricht von einer nicht zu übertreffenden Narretei, derartiges zu dekretieren („Ma quale stoltezza maggiore può immaginarsi quanto ritenere tutti gli uomini uguali e liberi“).
Freilich war die Abneigung zwischen Pontifex und den Revolutionären keineswegs einseitig; letztere hatten gerade die konkordatäre Regelung von 1516 gestürzt, wonach jeder französische Monarch katholisch sein musste. Der Katholizismus als Staatsreligion war abgeschafft, an die Stelle Gottes trat die Vernunft, ihr neugeschaffenes Glaubensbekenntnis begann mit den Worten: „Ich glaube an die französische Republik.“ Später wurden hunderte Priester von den Revolutionären gelyncht, woraufhin der Papst die europäischen Mächte zum Kampf gegen das Land der so bezeichneten prima figlia aufrief.
Der Waffengang setzte 1792 ein und hielt Europa mehr als zwei Jahrzehnte in Atem. Pius schloss sich den antirevolutionären Mächten an und zahlte den Preis, als diese Niederlage um Niederlage gegen französische Truppen erlitten. Im Italienfeldzug von 1796 verlor der Kirchenstaat seine oberitalienischen Besitzungen, aus denen sich 1797 die Cisalpinische Republik bildete, die letztlich ein Satellit Paris’ war. Überdies hatte die Grande Nation dem Papst 31 Millionen Livre Kriegskontributionen auferlegt, die der wegen chronisch leerer Kassen nicht zahlen konnte und die sich Frankreich stattdessen kurzerhand in Form wertvoller Kunstgüter holte.
1798 wurde Rom eingenommen und die Römische Republik ausgerufen. Den Papst setzten die Besatzer ab und verbannten ihn, zunächst nach Siena, später nach Florenz, 1799 brachten sie ihn nach Frankreich. Den Wunsch des Schwerkranken, in der Ewigen Stadt sterben zu dürfen, verwehrte man ihm. „Sterben können Sie überall“, soll Napoleon gesagt haben. Im Sommer 1799 tat er es. Es war dasselbe Jahr, in dem die Französische Republik ihre Handlungshoheit verlor, nachdem eben erwähnter Napoleon mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire die Macht an sich gerissen hatte.
In Venedig war derweil Luigi Barnaba Chiaramonti zu Pius VII. gewählt worden, der – anders als sein Vorgänger – auf Verhandlungen mit Paris setzte. So kam es zum französischen Konkordat von 1801, das der Kirche freilich zahlreiche Zugeständnisse abnötigte, Rom aber auch die Absetzung der gallikanischen (d. h. der revolutionstreuen konstitutionellen) Bischöfe und die Wiederherstellung des Kirchenstaates bescherte. Gleichwohl hatte das Papsttum weitere Demütigungen zu verkraften: Zu seiner Krönung 1804 zwang Napoleon den Papst nach Paris, speiste ihn aber mit einer Statistenrolle ab, indem er sich selbst zum Kaiser krönte statt es dem Pontifex zu überlassen; die Cisalpinische Republik wurde 1805 zum Königreich Italien erhoben, die päpstlichen Besitzungen blieben einstweilen weiter verloren; 1809 wurde der Papst erneut verhaftet und 1812 nach Frankreich verschleppt.
Der Kirchenstaat war zu diesem Zeitpunkt schon Teil Frankreichs geworden, um, wie es in dem Dekret heißt, der „missbräuchlichen Verbindung von geistlicher und weltlicher Macht“ ein Ende zu setzen. Erst 1814, nach der Abdankung des Diktators, zog Pius wieder in Rom ein, 1815 erhielt er den Kirchenstaat zurück. Dass dies auf der Grundlage des Wiener Kongresses erfolgte, zeigte freilich nur abermals, dass äußere Mächte über sein Schicksal bestimmten. Die Kurie befand sich mithin in einer schwierigen Situation, als sie 1806 Gespräche mit dem soeben zum Königreich avancierten Bayern über den Abschluss eines Staatskirchenvertrages aufnahm.
Doch auch dessen Position war alles andere als gefestigt. Das Alte Reich war unter dem Ansturm napoleonischer Truppen zerfallen, der Reichsdeputationshauptschluss hatte Tabula rasa auf der politischen Landkarte gemacht und die Anzahl der Reichsterritorien von über 300 auf 34 reduziert. Auch und vor allem geistliche Herrschaften waren diesem Prozess zum Opfer gefallen, so dass die Fürstbischöfe ihre bisherige weltliche Herrschaft eingebüßt hatten. Reichtum, Macht, weltliches Territorium waren damit verloren. Ohne Geld und Gebiet aber war das episkopale Amt nicht mehr sonderlich attraktiv für den Hochadel, der es bis dato häufig innehatte. Die alte Reichskirche mit ihren gleichermaßen potenten wie machtbewussten Fürstbischöfen war damit Geschichte, an ihre Stelle traten Oberhirten aus dem Bürgertum, gar von bäuerlicher Herkunft.
Aus Sicht des Staates bestand bei diesen Aufsteigern die Gefahr, dass sie den Bezugspunkt weniger in Staat oder König sahen als vielmehr im Papst. Was aber, wenn dessen Ansichten und Ziele nicht mit denen der Regierung übereinstimmten? Was, wenn der Papst dem König widersprach, die Oberhirten aber dem Pontifex anhingen? War dann nicht die gesellschaftliche Ruhe, gar die Ordnung bedroht? Immerhin gilt es in Rechnung zu stellen, dass die Bischöfe im 19. Jahrhundert so etwas wie opinion-leader waren, deren Loyalität und Kooperation für den Staat wichtig war.
Bevor die bayerische Kirchengesetzgebung, die als Reaktion hierauf zu verstehen ist, dargestellt wird, seien zunächst noch knapp zwei andere relevante Faktoren erwähnt. Der Reichsdeputationshauptschluss, die napoleonischen Kriege und der Wiener Kongress hatten 1815 ein völlig anderes Land hervorgebracht als jenes, das die Zeitgenossen von 1799 kannten. Durch kluge Bündnispolitik war es Bayern gelungen, das eigene Territorium nicht nur zu arrondieren, sondern um rund ein Viertel zu vergrößern. Die Bevölkerungszahl hatte sich zwischen 1799 und den 1820er Jahren nahezu verdoppelt. Unter diesen Neubayern waren erstmals seit knapp 300 Jahren wieder Protestanten, ziemlich genau ein Viertel aller Einwohner. Dem standen zwar immer noch Dreiviertel Katholiken gegenüber, gleichwohl war der evangelische Bevölkerungsanteil so groß, dass seine Interessen berücksichtigt werden mussten.
Eine rein katholische Politik, wie Bayern sie jahrhundertelang betrieben hatte, war unmöglich, wollte man nicht Proteste, Aufruhr und soziale Unruhen riskieren. Und selbst eine Benachteiligung der Protestanten hätte eine solche Unzufriedenheit nach sich gezogen, die die staatspolitische Integration gefährdet hätte, waren jene doch ausschließlich in den jüngst hinzugekommenen und erst in den Staat zu integrierenden Territorien Schwaben, der Pfalz und Franken beheimatet. Und deren Bewohner hatten sich zu nennenswerten Teilen ohnehin nur nolens volens unter wittelsbachische Herrschaft nehmen lassen. Politische Rücksichtnahme auf die evangelische Bevölkerung war mithin umso gebotener, wollte der Monarch nicht gesellschaftliche, soziale und damit politische Verwerfungen riskieren, die die Existenz des jungen Königreichs bedrohen hätten können.
Der allmächtige bayerische Minister Maximilian von Montgelas hatte hieraus frühzeitig den Schluss gezogen, eine neue Religionspolitik betreiben zu müssen, eine, die auf die Gleichbehandlung von römisch-katholischem, lutherischem und reformiertem Bekenntnis zielte. So hatte er 1801 ein Toleranz-
edikt zur Gleichstellung der christlichen Konfessionen erlassen und damit das Ende der ausschließlichen Katholizität Bayerns besiegelt. Zwei Jahre später, 1803, folgte ein erstes entsprechendes Religionsedikt.
Einen vorläufigen Höhepunkt der Verrechtlichung von Toleranz und Gleichheit bildete dann das Edikt vom 14. Juni 1809. Es legte unter anderem fest, dass die Gerichtshoheit über die Kleriker, die Verwaltung kirchlichen Vermögens sowie die Aufsicht über den persönlichen und postalischen Verkehr der Bischöfe mit Rom beim Staat lag, dass dieser ein Aufsichtsrecht über die Priesterseminare innehatte, vor allem aber, dass der König die Bischöfe ernennen und keine kirchliche Bestimmung ergehen durfte, die nicht die Zustimmung des Monarchen hatte (königliches Plazet). Unschwer ist hierin jener umfassende staatliche Regelungsanspruch zu erkennen, wie ihn zuvor Joseph II. in Österreich verfolgt hatte. Das bezog sich nicht nur auf die Kirche, aber eben auch auf sie. Dieser weitreichende staatliche Zugriff auf kirchliche Belange ist mit dem Terminus ‚bayerisches Staatskirchentum‘ gemeint.
Dass es pontifikales Ziel sein musste, diesen Zugriff zu lockern und die kirchliche Autonomie zu stärken, liegt auf der Hand. Und wenn die Kurie nicht die Peitsche herausholen wollte – was zwischenzeitlich immer wieder einmal ventiliert wurde, etwa wenn der Papst 1804 eine Verdammungsbulle gegen Bayern schleudern wollte –, musste sie verhandeln.
Ein langwieriges Unterfangen: der Verhandlungsverlauf
Einen ersten Vertragsentwurf hatte Bayern schon 1802 ausgearbeitet. Allerdings beinhaltete dieser Text weitreichende staatliche Hoheitsrechte, etwa das Recht auf Bischofsernennungen. Außerdem triefte er vor aufklärerischem Denken, forderte die Reduktion von Feiertagen und die Beibehaltung der Toleranzgesetzgebung. Bedenkt man die zur selben Zeit erfolgenden Klosteraufhebungen sowie den Umstand, dass Bayern dem päpstlichen Nuntius seit 1800 das Agrément verweigerte, kann es kaum verwundern, dass der Entwurf versandete. Konkrete Verhandlungen wurden dann erst 1806 aufgenommen, nachdem das Reich zerfallen und Bayern zum selbständigen Staat geworden war. Verhandlungsort war Regensburg, doch die Erfolgsaussichten waren gering. Während nämlich Bayern weiterhin seine staatskirchlichen Ziele verfolgte, verlangte der Heilige Stuhl nicht weniger als die Wiedereinführung des Katholizismus als alleiniger Staatsreligion, also die Rücknahme aller auf Toleranz und Parität zielenden Gesetze. Es vermag unter diesen Vorzeichen nicht zu überraschen, dass die Gespräche ein Jahr nach ihrer Aufnahme, 1807, abgebrochen und einstweilen auch nicht wieder aufgenommen wurden, nicht zuletzt, weil Napoleon den Kirchenstaat okkupiert und Pius VII. gefangengesetzt hatte.
Eine neue Situation ergab sich erst 1815: Die Jahrzehnte des Kriegs und die immer deplorableren kirchlichen Zustände – in Bayern waren die Bischofsstühle von Augsburg, Speyer, Bamberg, Würzburg und (München-)Freising verwaist, um von ungezählten unbesetzten Pfarrstellen zu schweigen – hatten bei den Beteiligten das Bewusstsein für Rolle und Notwendigkeit der Religion geschärft. Der Pontifex war wieder in Rom und der Wiener Kongress hatte keine reichseinheitliche Kirchenorganisation gebracht; die Mitglieder des ins Leben tretenden Deutschen Bundes konnten ihre Angelegenheiten also einzelnen regeln. In Bayern galten damit die Regelungen von 1809 weiter, Regelungen, die Rom unverändert revidieren wollte. Aber auch München lag an der Klärung kirchenpolitischer Fragen. Nur Wochen nach dem Wiener Kongress akkreditierte es seinen (zwischenzeitlich aus Rom abgereisten) Gesandten Casimir von Häffelin neuerlich am Heiligen Stuhl, 1816 vereinbarten beide Seiten, die Konkordatsverhandlungen wieder aufzunehmen.
Eine erste Instruktion erhielt der Gesandte unter dem 16. August 1816. Darin forderte Montgelas vor allem die Errichtung einer Landeskirche, d. h. die Deckungsgleichheit der staatlichen Grenzen mit denen der Bistümer. Ein Erzbischof sollte in Freising residieren und sieben Suffragane unter sich haben: Augsburg, Bamberg, Eichstätt, Speyer, Regensburg, Passau und Würzburg. Ihre materielle Absicherung (Dotation) sollten die Bistümer aus unveräußerlichen Gütern bzw. Rentenerträgen erhalten. Die Bischöfe, die Domkapitel (samt ihren Dignitären) sowie die Direktoren der Priesterseminare sollten vom König ernannt werden und hätten einen staatsbürgerlichen Treueeid abzulegen. Das Disziplinarrecht gestand man hingegen den Bischöfen zu, verbat sich aber die Anrufung einer auswärtigen Jurisdiktionsgewalt. Das Recht, neue Pfarrer vorzuschlagen (Präsentationsrecht) behielt man ebenso dem König vor wie dasjenige des Plazets, also das Recht, kirchliche Erlasse abzusegnen, bevor sie Rechtskraft erlangten.
Dass Rom sich hierauf nicht einließ, liegt nahe. Eine wichtige Gegenforderung betraf die Diözesaneinteilung; so wurde Bamberg als zweiter Metropolitansitz ins Spiel gebracht, außerdem sollte Kempten Bischofssitz werden. Schien hier eine Einigung möglich, waren aus staatlicher Sicht schon kritischer die Forderungen nach bischöflichen Zensur- und Schulaufsichtsrechten sowie nach Restituierung der Klöster. Noch schwieriger war die Ablehnung eines dauerhaften Nominationsrechts für Bischöfe, während die Zurückweisung des Plazets sowie die Forderung nach Rücknahme aller Toleranz- und Paritätsgesetze – faktisch also die Wiedereinführung des ausschließlichen Katholizismus – gänzlich unannehmbar waren. Dies aber war auf römischer Seite das ceterum censeo, wie es auf bayerischer das Festhalten an Paritätsgesetzgebung, landeskirchlichem Zuschnitt und Nominationsrecht war.
Wer weiß, ob die Verhandlungen nicht völlig festgefahren gewesen wären, hätte sie nicht ein wichtiges innenpolitisches Ereignis wieder in Schwung gebracht. Am 2. Februar 1817 nämlich wurde der lange allmächtige Montgelas gestürzt. An seine Stelle als Minister für Kirchenangelegenheiten trat Karl Friedrich von Thürheim, der Häffelin schon am 9. Februar eine neue Instruktion ausstellte, die weit weniger energisch war als ihre Vorläufer. Zwar bestand auch er auf dem vollumfänglichen königlichen Nominationsrecht und wies die kurialen Ansprüche auf Wiedererrichtung von Klöstern sowie auf ein bischöfliches Zensur- und Schulaufsichtsrecht, die Rücknahme der Toleranzgesetzgebung und den Verzicht auf das königliche Plazet zurück. Allerdings zeigte er sich in Fragen der Diözesaneinteilung und der Dotationen kulanter, in Teilen auch hinsichtlich der Besetzungsrechte von Pfarrstellen. Thürheims Wille, möglichst rasch zu einem Abschluss zu kommen, war unübersehbar und musste an der Kurie den Eindruck einer deutlichen, wenn nicht radikalen Kurskorrektur hervorrufen.
Dennoch blieben die erwähnten Fragen strittig, so dass die Verhandlungen auch unter dem neuen Minister mehrmals zu scheitern drohten. Als den Gesandten aber am 13. Mai 1817 neben einer weiteren Anweisung des Innenministers auch eine Notiz des neuen Außenministers Aloys von Rechberg erreichte, in der dieser die Bedeutung des Nominationsrechts unterstrich, hielt Häffelin diese Frage für die ausschlaggebende. Weil er das so auch an die Kurie weitergab und Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi daraufhin in diesem Punkt nachgab, unterzeichnete Häffelin am 5. Juni 1817 das Konkordat und übersandte es zur (innerhalb von 40 Tagen zu erfolgenden) Ratifizierung nach München. Während Innenminister Thürheim kaum Anstoß an dem Verhandlungsergebnis nahm, waren vor allem Justiz- und Finanzminister schockiert, erklärten das Ergebnis für unannehmbar und ihren Gesandten kurzerhand für verrückt. Der Grund ihrer heftigen Reaktion liegt auf der Hand: Während nämlich das landesherrliche Plazet zu kirchlichen Erlassen sowie das Nominationsrecht für die Kanoniker fehlten, fand sich das Prinzip der ausschließlichen Katholizität im Text, bezeichnenderweise als Artikel 1, ebenso die Freiheit der Bischöfe.
Die daraufhin im Münchner Kabinett ausbrechenden, zum Teil heftigen Diskussionen über das Ergebnis sind hier nicht en detail nachzuzeichnen; zwischenzeitlich ventilierte man sogar, den Vertrag gar nicht zu ratifizieren und lieber in einem konkordatslosen Zustand zu verharren. Schließlich aber beschloss der Ministerrat, die Ratifizierung zu verschieben, eine neue Instruktion nach Rom zu schicken und mit dem Bruder des Außenministers, dem Regensburger Domherrn Franz Xaver von Rechberg, gleich einen Sondergesandten hinterher. Die Bestürzung am Vatikan ist leicht vorstellbar. Die Verhandlungen, die ja bis 1802/06 zurückreichten, waren kaum abgeschlossen, da wollte München das Paket schon wieder aufschnüren. So beschränkten sich die nachträglichen Veränderungen auf einige kosmetische Aspekte. Letztlich begriff man in München, dass mehr nicht herauszuholen war und entschloss sich zur Ratifizierung. Sie erfolgte am 24. Oktober 1817.
Konflikt und Kalkül: Motive für den Konkordatsabschluss
Fragt man danach, warum die beiden Akteure den völkerrechtlichen Vertrag absegneten und in Kraft setzten, liegt die Antwort für Rom auf der Hand: Viele seiner Ziele waren erreicht, die Bischöfe genossen volle Freiheit, sie hatten überdies die Klerusausbildung in ihren Händen; Klöster, die für Seelsorge, Unterricht und Krankenpflege vorgesehen waren, wurden restituiert; der Staat hatte sich zur Übernahme erheblicher Finanzlasten verpflichtet und der Katholizismus war wieder zur ausschließlichen Konfession avanciert.
Komplexer ist die bayerische Motivlage, wenngleich auch der Staat von dem Vertrag profitierte, allem voran in Form der endlich realisierten Landeskirche. Zwar gab es mit München und Bamberg zwei Metropolitansitze, aber fortan deckten sich doch die Staatsgrenzen mit denen der Diözesen. Das war deshalb so wichtig, weil es die Einflussnahme auswärtiger Bischöfe auf bayerische Untertanen abwehrte.
Überdies gewährte das Konkordat dem König das Nominationsrecht für bayerische Erzbischöfe, Bischöfe und weitere Kleriker sowie weitgehende Besetzungsrechte in den Pfarreien: „Kein anderer deutscher Staat besaß im neunzehnten Jahrhundert einen solch ausschlaggebenden Einfluß auf die Besetzung fast aller höheren und vieler niederen kirchlichen Ämter“ (Eberhard Weis). Der Staat sicherte sich damit Einfluss auf den Episkopat, dessen soziale Zusammensetzung und geistige Orientierung. Unverkennbar ist die dahinterstehende Hoffnung, mit entsprechenden Vorauswahlen für eine staatsloyale Schicht an Oberhirten sorgen zu können.
Andererseits waren die zu schluckenden Pillen schon bitter: Dem Vertrag nach war Bayern wieder vollumfänglich katholisch. Das entsprach weder der Realität, noch konnte der Monarch eine Zwangskonversion seiner evangelischen Untertanen auch nur in Erwägung ziehen. Den wesentlichen Grund, warum Maximilian I. Joseph das Konkordat dennoch unterzeichnete, wird man darin zu sehen haben, dass München nie plante, es buchstabengetreu umzusetzen. „Ach, die Regierung soll nur Zugeständnisse machen“, meinte der Münchner Sondergesandte Rechberg und fuhr fort: „Rom ist es bloß um das Prinzip zu thun; in der Praxis gibt es gerne nach.“
Mit anderen Worten: Die bayerische Regierung gab sich überzeugt, die Kurie werde sich mit der Existenz des Vertrages an sich zufriedengeben, bei dessen praktischer Umsetzung aber kulant zeigen. Dies wollte München nutzen, um strittige Fragen einseitig auf dem Weg der Gesetzgebung zu korrigieren. Eine solche Gesetzgebung werde umso leichter fallen, so der Generaldirektor im Innenministerium, Georg Friedrich von Zentner, da „sämmtliche Geistliche nur aus Eingebornen bestehen und von der Regierung dadurch so wie durch ihre Bestellung und durch den Bezug ihrer Einkünfte aus dem Lande abhängig bleiben.“ Es war dies jene Strategie, die der amtierende Außenminister Aloys von Rechberg schon 1806 vorgeschlagen hatte, als er noch bayerischer Unterhändler für die Konkordatsverhandlungen in Regensburg gewesen war. Das Vorbild dieser Politik muss man übrigens nicht lange suchen: Napoleon hatte 1801 nicht anders gehandelt, als er dem Konkordat den Erlass Organischer Edikte folgen ließ, die Teilen von ersterem diametral entgegenstanden.
So geschah es nun auch in Bayern: Im Jahr nach dem Konkordat erließ Maximilian I. Joseph ein neues Religionsedikt. Dessen erster Paragraph sicherte jedem Einwohner Bayerns vollkommene Gewissensfreiheit zu. Weil das zwar die evangelische Bevölkerung beruhigte und gesellschaftlichen Unruhen vorbaute, aber den katholischen Klerus auf den Plan rufen musste, wurde auch gleich noch das königliche Plazet wiedereingeführt. Ohne Zustimmung des Monarchen durfte sich mithin kein kirchlicher Würdenträger öffentlich äußern. Natürlich entsprang der Passus der Sorge, die Kirche könnte sich gegen den Staat wenden und die Gläubigen eher dem Bischof als dem Landesherrn folgen. Für den Fall unliebsamer Positionen aber würde der Staat das Plazet verweigern, so dass eine Verlautbarung gar nicht erst erfolgen konnte. Dass sich Konkordat und Religionsedikt in beiden Punkten – Parität und Plazet – diametral widersprachen, ist offensichtlich. Bleiben also zwei Fragen, erstens: Was galt denn nun? Und zweitens: Wie gingen die Vertragspartner mit dem Widerspruch um?
Ersteres ist rasch beantwortet. Der König publizierte das Religionsedikt als II. Beilage der Verfassung, das Konkordat hingegen nur als Anhang dieser Beilage. Ein Teil der Forschung leitet daraus den Vorrang des Religionsedikt ab, weil ihm Verfassungsrang zukomme, dem Konkordat hingegen nur einfache Gesetzeskraft. Karl Hausberger, der profundeste Kenner der Materie, zieht das zwar in Zweifel, kommt aber ebenfalls zu dem Schluss, dass die Regierung keinen Zweifel daran ließ, dem Religionsedikt den Vorrang einzuräumen. Ob also de jure oder ‚nur‘ de facto: Das Konkordat war dem Religionsedikt nachgeordnet, Parität schlug ausschließliche Katholizität und königliches Plazet die bischöfliche Freiheit. Da dieser 1818 geborene Widerspruch bis 1918 keine juristische Lösung fand, führt dies zur zweiten Frage: Warum kündigte Rom den Vertrag nach dem Affront nicht einfach?
Dies kann hier nur noch angedeutet werden, die Gründe liegen in der Vergangenheit ebenso wie in der Zukunft. Mit Vergangenheit ist die eingangs geschilderte politische Lage des Heiligen Stuhls am Beginn des 19. Jahrhunderts gemeint. Dem Papst zerrann seine Macht, überdies waren die kirchlichen Zustände in Deutschland nach dem Ende der alten Reichskirche chaotisch. Das monastische Leben lag brach, Pfarrstellen, ja sogar Bischofsstühle waren verwaist, weil die Frage nach Besetzungsrechten ungeklärt war. Die bis 1803 zuständigen Instanzen gab es oft nicht mehr oder Machtrivalitäten verhinderten einvernehmliche Lösungen.
Überdies hätte es kein sonderlich gutes Licht auf den Heiligen Stuhl geworfen, das erste von ihm abgeschlossene Konkordat der nachnapoleonischen Zeit umgehend wieder zu kündigen – umso weniger, als Bayern zuvor jahrhundertelang ein verlässlicher Partner gewesen und die 1817 erreichten Zugeständnisse (vor allem die umfangreichen Finanzleistungen) keineswegs geringzuschätzen waren.
Außerdem, und das weist in die Zukunft, wurde auch seinerzeit nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Dass Bayern die Protestanten nicht zwangskonvertieren konnte, war der Kurie bewusst. Und das hartnäckig bekämpfte königliche Plazet wurde staatlicherseits nie so restriktiv gehandhabt, wie Rom es befürchtet hatte. Das war zwar 1818 unklar, aber bereits drei Jahre später ging Maximilian Joseph erkennbar einen Schritt auf seine Kirche zu. In der Tegernseer Erklärung vom September 1821 nämlich erklärte er, der Verfassungseid von Beamten – und das waren ja auch Pfarrer, Bischöfe und Theologieprofessoren – beziehe sich lediglich auf die bürgerlichen Verhältnisse und verpflichte diese zu nichts, was den Grundsätzen der katholischen Kirche zuwiderlaufe. Und das war die große Angst der Kirche gewesen. Die Bedeutung dieser Erklärung liegt freilich nicht darin, dass sie irgendetwas an der verfassungsrechtlichen Situation, an Parität oder Plazet geändert hätte. Sie liegt darin, dass es der König war, der sie abgegeben und dergestalt signalisiert hatte, Ordnung und Wünsche der Kirche zu respektieren.
So ganz freiwillig aber war auch sie nicht, denn zum einen drohte der Papst, katholischen Beamten die Ableistung des Verfassungseids zu untersagen, was unweigerlich gesellschaftspolitische Verwerfungen nach sich gezogen hätte. Zum anderen hatte Rom die Neuzirkumskriptionsbulle noch nicht erlassen, war das lange ersehnte Ziel einer Landeskirche also noch nicht in trockenen Tüchern. Wie eng alles mit allem zusammenhing, ist an dem Umstand zu erkennen, dass die Bulle, die Inthronisation der neuen (Erz-)Bischöfe und die Tegernseer Erklärung an ein und demselben Tag veröffentlicht wurden.
Staat und Kirche waren schon damit auf dem Weg der Normalisierung ihrer Verhältnisse ein gutes Stück vorangekommen. Spätestens mit dem Regierungsantritt Ludwigs I. 1825, dessen pro-katholischer Politik, dem monastischen Frühling der 1830/40er und der Einschränkung der staatlichen Plazetierungspraxis in den 1850er Jahren war jedenfalls klar, dass der einstige Konflikt eingedämmt war – zwar nicht in der Theorie, wohl aber auf pragmatischer Ebene. Dies sollte erst der bayerische Kulturkampf wieder ändern.