Für die Entscheidungen von Unternehmen, mit wem sie Handel treiben und wo sie investieren wollen, haben sich in letzter Zeit neue Begriffe gebildet: Onshoring, Nearshoring oder Friendshoring, um nur einige zu nennen. Während Onshoring und Nearshoring überwiegend mit einer geografischen Nähe identifiziert werden können, geht es beim Friendshoring um eine „Werte-Nähe“. Diese Debatte wird häufig normativ begleitet, wonach Handel und Direktinvestitionen bestimmten Werten zu folgen haben. Direktinvestitionen im Ausland werden kritisiert, da sie inländische Arbeitsplätze gefährden könnten. Lieferbeziehungen sollen in ihrer Produktion bestimmten Kriterien hinsichtlich Umwelt- und Arbeitsschutz genügen. Diesen Forderungen folgen dann entsprechende rechtliche Vorgaben. So werden Zölle oder zolläquivalente Abgaben (wie z. B. die euphemistisch als Grenzausgleichsabgabe bezeichnete CO2-Tarifierung) erhoben, die vorgeben, die heimische Wirtschaft zu schützen, oder es werden – wie im Falle des Lieferkettengesetzes – Berichtspflichten auferlegt, die durch ihren Transaktionsaufwand eine ähnliche Wirkung entfalten. Schließlich kommen auch Forderungen hinzu, dass für bestimmte Produkte eine Produktion „nahe“, im besten Falle im Inland zu erfolgen habe, um damit eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
In ihrem Beitrag weisen Kooths und Langhammer folglich richtigerweise auf die Schwierigkeiten des Begriffes Friendshoring hin. Sie machen deutlich, dass Handel „unter Freunden“ schwer bestimmbar ist und – wie sich gerade zeigt – auch ein sehr volatiler Ansatz sein kann, da Freunde von heute die Feinde von morgen sein können, wie es sich auch schon häufig nach Umstürzen und Revolutionen erwiesen hat. Es wäre also näher zu bestimmen, wie der Begriff „Friend“ ökonomisch zu fassen wäre. Handel und Investitionen finden nicht voraussetzungslos statt, auch wenn diese institutionellen Voraussetzungen nicht Kern der die Handelsvorteile begründenden Handelstheorie sind. Für den Handel förderlich ist ein einheitlicher oder zumindest ähnlicher Regelrahmen, in dem der Handel stattfinden kann. Gemeinsame Regeln schaffen Verlässlichkeit, was wiederum Risikokosten für Unternehmen reduziert. Ähnlich verhält es sich bei Werten und Normen, auch hier können ähnliche Normen dem Handel förderlich sein, da Unternehmen weniger in das Wissen über andere Normen investieren müssen. Nun ist interkulturelle Kompetenz bei international tätigen Unternehmen üblich, um die aus der Handelstheorie bekannten Vorteile (Standort, Produktivität etc.) nutzen zu können, sie ist jedoch auch ein Kostenfaktor und ein heterogener Werterahmen erschwert Handel und Investitionen. Entsprechend kann ein Friendshoring die Handelskosten reduzieren, ist aber auch meist mit einer Reduktion der Handelsvorteile verbunden, weshalb ein erzwungenes Friendshoring meist negative Konsequenzen für die beteiligten Unternehmen hat.
Unternehmensentscheidungen über Handel und Investitionen
Es ist deshalb genauer zu untersuchen, was die Handels- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen mikroökonomisch antreibt. Dieses geht meist über die rein makroökonomisch motivierten Handelsvorteile hinaus. Damit kann dann analysiert werden, wie sich Änderungen im Handlungsrahmen auf diese Unternehmensentscheidungen auswirken.
Wesentlich für die Bezugs- bzw. Investitionsentscheidung sind natürlich die klassischen Produktionskosten, die sich aus den lokalen Ausstattungsfaktoren oder der lokalen Produktivität ergeben und die die Grundlage der klassischen Handelstheorie sind. Diese basieren allerdings auch auf Annahmen, die in der Realität so nicht immer gegeben sind. Typischerweise treten im Handel aber auch bei Investitionsentscheidungen Transaktionskosten auf: Die Qualität der Waren muss beobachtet und gesichert werden, die Lieferungen müssen garantiert werden etc. Gerade im Zuge von zeitkritischen Lieferungen sind diese Kosten wesentlich geworden.
Darüber hinaus existieren Gründe für Liefer- und Investitionsentscheidungen, die über diese klassischen Elemente hinausgehen. Bestimmte Vorprodukte können für Unternehmen eine hohe strategische Relevanz besitzen, so dass eine enge Anbindung dieser Vorprodukte an das Unternehmen wesentlich ist. Eine Integration in das Unternehmen ist hier eine Möglichkeit. Damit bestehen – trotz Integration – immer noch Risiken durch Veränderungen der politischen und/oder ökonomischen Rahmenbedingungen, so dass in diesem Fall ein Friend- oder Nearshoring aus unternehmerischer Perspektive in Erwägung gezogen werden muss.
Es sind gerade diese Veränderungen der Transaktionskosten, die zu einer Reorientierung hinsichtlich der Bezugs- und Standortentscheidungen führen. Unter anderem können folgende Risiken identifiziert werden, die ein Friend- oder Nearshoring nahelegen können:
- Enteignungsrisiken: Enteignungsrisiken sind klassische politische Risiken, die eine Investitionsentscheidung beeinflussen können. Typischerweise treten sie insbesondere in Rohstoffindustrien auf, wo naturgemäß der Standort an das Rohstoffvorkommen gebunden ist und dieser somit auch nicht verlagert werden kann. Aber auch bei geistigem Eigentum bestehen solche (abgeschwächten) Enteignungsrisiken, wenn Produktionswissen am gewählten Standort durch staatliche Vorgaben abfließt.
- Transportrisiken: Der Warentransport ist eine wesentliche Grundlage des Handels. Lange Zeit war dieses kein wesentliches Problem. Das Aufkommen von Piraterie, Restriktionen von Handels- und Verkehrswegen, Zerstörung von Verkehrswegen oder Verladefazilitäten haben jedoch diese Transportrisiken in letzter Zeit erhöht. Damit werden auch Standort- und Bezugsentscheidungen revidiert.
- Zerstörungsrisiken: Zerstörungsrisiken gab es schon immer. Mit einer Zunahme von kriegerischen Auseinandersetzungen und der unterschiedlichen Exposition von Standorten für Klimarisiken bestimmen auch solche Risiken vermehrt die unternehmerischen Entscheidungen für Lieferbeziehungen und Standorte.
- Handelsrisiken: Auch der Handel selbst kann durch Zölle und andere nicht-tarifäre Handelshemmnisse beeinflusst werden und damit die Lieferbeziehungen verteuern. Ähnliches gilt für Standortentscheidungen, die durch neue Investitionsregimes eingeschränkt werden. Global agierende Unternehmen planen ihre Lieferbeziehungen bereits für eine multi-polare Welt, in der Lieferungen von Produkten mit Vorprodukten aus bestimmten Ländern beschränkt wird. Es werden also separate Lieferketten für unterschiedliche wirtschaftliche Blöcke aufgebaut. Dieses kann Größenvorteile reduzieren, ist aber im Zuge einer Bedienung verschiedener Länder notwendig.
Ein Friend- oder Nearshoring ist dann ein Instrument solche Risikokosten zu reduzieren. Dieses ist eine unternehmensindividuell rationale Entscheidung, die allerdings nichts darüber aussagt, ob politische Maßnahmen in Richtung eines Friend- oder Nearshoring sinnvoll und wohlfahrtsmehrend sind. Die genannten politischen Risiken aber auch ökonomische Gründe wie spezifische Investitionen und andere Abhängigkeiten können jedoch dazu führen, dass von einer eigentlich gewünschten Standort- oder Lieferentscheidung abgewichen wird.
Versorgungssicherheit
Häufig wird auch die Versorgungssicherheit als eine Motivation für ein Friend- oder Nearshoring angeführt. Dieses unterstellt, dass eine inländische Produktion eine sicherere Versorgung gewährleistet, da die oben genannten Risiken dadurch vermieden oder zumindest reduziert werden könnten. Wie Kooths und Langhammer in ihrem Beitrag andeuten, kann jedoch gerade eine Repatriierung von Produktion statt einer Lieferbeziehung zu einem geografischen Klumpenrisiko führen. Für bestimmte Risiken kann gerade die geografische Diversifikation ein Schutz darstellen und die Versorgungssicherheit stärken. Dieses gilt insbesondere für die Risiken durch Naturkatastrophen aber auch für bestimmte politische Risiken. Zudem wird jedoch auch übersehen, dass eine solche Reintegration der Produktion das Problem der Versorgungssicherheit nur um eine Wertschöpfungsstufe reduziert. Die Versorgungssicherheit ist genauso gefährdet, wenn eine Produktion wieder im Inland stattfindet, jedoch die angrenzenden Zulieferbeziehungen zu dieser Produktion gestört werden. Dann erweist sich diese – möglicherweise sogar aus politischen Gründen subventionierte – heimische Ansiedlung von Produktion als versorgungstechnisch wirkungslos. Folglich müssten auch die vorgelagerten Produktionsschritte ebenfalls durch ein Near- oder Friendshoring abgesichert werden. Solche ausgedehnte Integration mit dem Ziel einer Versorgungsautonomie reduziert jedoch die Handelsvorteile so stark, dass sie nicht vorteilhaft ist und Wettbewerbsfähigkeit reduziert. Die fruchtlosen Autonomiebestrebungen der ehemaligen RGW-Staaten können hier ein Beispiel sein, obwohl für deren Misserfolg auch andere Gründe anzuführen wären. Davon ausgenommen wären jedoch Lieferketten, die sicherheitspolitisch wichtig sind. Für Militärgüter ist dieses offensichtlich. Die mittlerweile jedoch sehr breiten Verwendungen unterschiedlicher Technologien zur Landesverteidigung, würde ein Friend- oder Nearshoring für sehr viele Industrien erforderlich machen.
Obschon somit eine (geografische) Diversifizierung ein geeignetes Mittel erscheint, um ein Versorgungssicherheitsniveau zu erreichen, so ist diese auch mit Kosten verbunden. Jede zusätzliche Lieferbeziehung reduziert zwar einerseits die Abhängigkeit von einer Lieferquelle, andererseits müssen Kosten zu deren Etablierung und Pflege aufgewendet werden (wie z. B. die Überwachung der Lieferantenschnittstelle). Wenn diese Kosten der Überwachung von Lieferanten z. B. wegen hoher technischer Komplexität sehr hoch sind, kann die Lieferantenzahl nicht beliebig erhöht werden. Insbesondere im Falle technologischer Abhängigkeiten kann sogar die intensivere Pflege von weniger Lieferbeziehungen resilientere Ergebnisse produzieren als eine weitere Diversifizierung.
Aus einer Unternehmensperspektive gelten also die Vorteile des Handels genauso wie in der makroökonomischen Perspektive der Handelstheorie. Es laufen dem jedoch einige Entwicklungen entgegen, die einer Ausdehnung von Handel widersprechen und eher eine Integration oder Nahversorgung nahelegen können.