Der Namensgeber des Karl Graf Spreti-Symposiums war zwischen 1960 und 1963 deutscher Botschafter in Havanna. Dies war der Ausgangspunkt, das Symposium – das bereits zum siebten Mal von der Katholischen Akademie in Bayern und der Karl Graf Spreti-Stiftung gemeinsam durchgeführt wurde – im Jahr 2018 dem Thema Kuba zu widmen und nach Strukturen des Wandels in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu fragen.
Der als Hexenjäger völlig unverdächtige französische Philosoph und Schriftsteller Jean Paul Sartre notierte nach einem Besuch Kubas 1960 mit dem ihm eigenen Spott: „If the United States didn’t exist, the Cuban revolution would invent it.“ Offensichtlich hatte er den Antiamerikanismus als ein prägendes Moment empfunden, und tatsächlich war der Hass auf den großen Nachbarn ein einendes Band der Revolution. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn sogar der US-Senat feststellte, dass „vor Castros Machtübernahme […] die Vereinigten Staaten einen so überragenden Einfluß in Kuba [hatten], daß der nordamerikanische Botschafter der zweitwichtigste Mann im Lande war – manchmal sogar wichtiger als der Präsident.“ Auch der 1960 auf die Insel entsandte deutsche Botschafter Karl Graf von Spreti hatte die Wechselwirkung zwischen der (früheren) US-Politik und der Revolution frühzeitig registriert: Der umfassende und oft rücksichtslose Einfluss der USA auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in Kuba habe, so Spreti gegenüber dem Auswärtigen Amt, einen Anti-Amerikanismus entstehen lassen, der den Kommunismus nur umso attraktiver erscheinen lasse.
I.
Um Spretis Einschätzung zu verstehen, gilt es chronologisch einen Schritt zurück zu gehen: Wie die meisten lateinamerikanischen Staaten, so war auch Kuba zu Beginn der 1950er Jahre diktatorisch regiert, und wie fast überall, so formierte sich auch hier eine Widerstandsbewegung gegen diese Regime. Sieht man von dem misslungenen Angriff Fidel Castros auf die Moncada-Kaserne von 1953 ab, begann die Revolution im November 1958. Sie hatte in erster Linie politische Ziele, hinter denen die sozialen zurücktraten. So galt es primär, die ökonomische und politische Abhängigkeit von den USA zu durchbrechen – besaßen im Revolutionsjahr US-Konzerne doch sage und schreibe 47,7% der kubanischen Zuckerrohrplantagen, kontrollierten 36% der Ländereien, je 90% des Bergbaus und der Telefon- und Elektrizitätsgesellschaften, 66% der Raffinerien, 50% der öffentlichen Eisenbahnen, 30% der Banken und 20% der Versicherungen. Das Ende dieser Dominanz sollte, so die Überlegung der Revolutionäre, in einem zweiten Schritt die Voraussetzung bieten, um die enorme Kluft zwischen arm und reich zu verringern.
Im lateinamerikanischen Vergleich fiel der durchschnittliche Lebensstandard der Insel freilich immer noch günstig aus. Eine aufrührerische Stimmung wurde daher weniger von unterprivilegierten Massen als vielmehr von jungen Intellektuellen getragen, deren Anführer Fidel Castro war. Mit nur wenigen hundert Guerillakämpfern gelang es der Gruppe um die Brüder Fidel und Raúl sowie Ernesto Guevara, die Regierungstruppen 1958 mehrfach vernichtend zu schlagen. In der Silvesternacht dieses Jahres musste der bisherige Militärmachthaber Fulgencio Batista schließlich von der Insel flüchten. Damit hatte der Aufstand zwar die Diktatur gestürzt, die soziale Struktur der Insel aber noch lange nicht gewandelt. Erst im Lauf der darauffolgenden Jahre sollte das politische und ökonomische System nachhaltig verändert werden – mit Spreti als Augenzeugen.
Anfangs wollten sich die Revolutionäre weder zu einem Satelliten Moskaus machen lassen noch dessen System unreflektiert adaptieren, obwohl viele der Maßnahmen im Agrar- und Industriebereich aus der Sowjetunion der 1940er Jahre entlehnt waren. Dennoch: Das kubanische Programm war weniger radikal als vor allem antiimperialistisch und auf sozialen Ausgleich bedacht. So führte Castro 1959 zwar eine Agrarreform durch, die bis 1963 jedoch privaten Grundbesitz bis 400 Hektar, in Ausnahmefällen sogar bis über 1300 Hektar zuließ. Das enteignete Land wurde entweder in Form kolchoseähnlicher Betriebe verwaltet oder von einem staatlichen Institut an Klein- und Kleinstbauern weitergegeben. Privateigentum an Grund und Boden wurde also nicht grundsätzlich aufgehoben, sondern zugunsten der ärmsten Bauern umverteilt, zumal bis 1961 nur 27% des verteilten Landes aufgrund des Agrarreformgesetzes vorher enteignet worden waren. Liest man in den Berichten der damaligen Diplomaten, ist schon auffällig, dass auch sie sich nicht einig sind, ob man in Castro schon zu Beginn der Revolution einen Sozialisten – und wenn ja: ob sowjetischer Provenienz – sehen müsse oder nicht. Auch in der Forschung findet sich diese wie jene Meinung. Spreti selbst war der Ansicht, dass erst Mitte 1960 die unzweifelhafte „Schwenkung in Richtung der östlichen Länder“ stattgefunden habe.
II.
Tatsächlich hatte Havanna aus Enttäuschung über die Haltung der blockfreien Staaten zu diesem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zu den Ländern des Warschauer Pakts aufgenommen und trieb seine politische und wirtschaftliche Annäherung an die UdSSR voran. Als diese weit günstigeres Öl nach Kuba lieferte, als der Weltmarkt es hergab, weigerten sich die nordamerikanischen Raffinerien auf der Insel, das russische Öl zu verarbeiten – und wurden daraufhin kurzerhand verstaatlicht. Als Antwort verhängte Präsident Eisenhower im Oktober 1960 ein Handelsembargo und berief seinen Botschafter nach Washington zurück. Im Januar des darauffolgenden Jahres wurden die Beziehungen auch offiziell abgebrochen (und sollten erst unter Barack Obama wieder aufgenommen werden), was die Sozialisierung der noch in Privathand verbliebenen US-Betriebe auf Kuba nach sich zog. Fortan waren die Vereinigten Staaten von Amerika ohne diplomatische Vertretung auf der Antilleninsel und deswegen nicht zuletzt auf die Informationen ihrer Verbündeten angewiesen. Wenig später hat der bis 1959 amtierende US-Botschafter in Havanna, Earl Smith, in seinen Memoiren eingeräumt, dass Washington über keinerlei schlüssige Strategie für Kuba verfügt habe und kritisierte die Planlosigkeit amerikanischer Außenpolitik scharf: „Einen Diktator durch einen anderen zu ersetzen, führt nicht zu Demokratie. Wenn es die Politik der Vereinigten Staaten ist, einen Diktator in der Hoffnung zu stürzen, dass automatisch Demokratie folgen werde, müssen die Vereinigten Staaten meines Erachtens darauf vorbereitet sein, jegliche Schritte zu unternehmen, um Recht und Ordnung zu erhalten und Chaos während einer Übergangszeit zu verhindern – einer Übergangszeit, die sehr lange andauern kann.“
Vorerst war die Reaktion der US-Administration, Exilkubaner zu einer Landung zu ermutigen und auszurüsten. Das als Invasion an der Schweinebucht bekannt gewordene Unternehmen vom 17. April 1961 war seit langem – je nach politischer Präferenz – erhofft oder befürchtet worden: „Aus kubanischen Kreisen“, so Spreti gegenüber dem Ministerium, „erfahre ich, daß in antirevolutionären Kreisen man mit einer Invasion in einigen Monaten rechnet, wobei mir […] nicht mitgeteilt wurde, durch wen oder woher.“ Wochen später informierte er das Auswärtige Amt dann, dass Kräfte aus Miami dahinter stecken würden, nicht ohne den Dilettantismus des Handelns zu kritisieren: „Von der Landung ist wirklich nichts zu sehen, keine Waffe, kein Panzer, kein ausgebranntes Fahrzeug und wenn ich an unsere Kriegsschauplätze denke […], dann fragt man sich, wo eigentlich gekämpft wurde. Haben die Cubaner alles weggeschafft, um die Spuren dieser nicht stattgefundenen Schlacht zu verwischen? Andererseits fragt man sich, wie man überhaupt an dieser Stelle hat landen können. Jeder von uns weiß, dass man die Hauptstraße beherrschen muss, dass aber in der Tarnung vormarschiert wird. Hingegen sind die Landungstruppen scheinbar […] ohne Artillerie und Schiffskanonen auf der Hauptstraße entlang marschiert und liefen wahrscheinlich direkt ins Feuer.“
Der Putschversuch nutzte letztlich nur demjenigen, dessen Herrschaft er hätte beseitigen sollen: Fidel Castro jedenfalls entledigte sich daraufhin seiner verbliebenen Gegner – „real and imagined“, wie Clifford Staton in seiner History of Cuba anmerkt – und nutzte fortan den Antiamerikanismus mehr denn je als Legitimation seiner Politik.
Hatte er in den ersten Monaten seiner Herrschaft versucht, auf moderate Umgestaltung zu setzen, wurden nunmehr tiefergehende Veränderungen initiiert, die erkennbar diktatorische Züge trugen und das System zunehmend zu einem marxistischen machten: Führende Leute des alten Regimes wurden kurzerhand zu „Kriegsverbrechern“ erklärt und erschossen. Im zweiten Halbjahr 1960 setzte für in- und ausländische Betriebe eine Sozialisierungswelle ein: Banken, Raffinerien, Elektrizitäts- und Telefongesellschaft, Textil-, Tabak-, Zement-, Eisen- oder Zuckerwerke wurden – meist ohne Entschädigung – genauso in Staatsbesitz überführt wie Mietshäuser. Spreti notiert bereits im März 1960 in seinen privaten Aufzeichnungen, dass das Pendel neuerlich in Richtung Revolution ausschlage, während die Entwicklung zuvor eher evolutionärere Züge getragen habe. Zeitgleich mit den planwirtschaftlichen Maßnahmen kam es zu einem personellen und ideologischen Kurswechsel in Richtung Sozialismus.
III.
Nicht zu verwechseln ist die Invasion an der Schweinebucht mit der Kubakrise im Jahr darauf, nämlich 1962. Gleichwohl hingen beide insofern zusammen, als die UdSSR die misslungene Invasion von 1961 als Chance begriff, Einfluss im karibischen Raum zu gewinnen und das nukleare Ungleichgewicht – im Oktober 1962 hatten die USA ein 17-faches Übergewicht an Atomsprengköpfen – auszugleichen. Nach der Berlinkrise und empfindlichen Rückschlägen in Vietnam war Moskau der festen Überzeugung, der junge amerikanische Präsident John F. Kennedy sei außerstande, eine Politik der Stärke zu praktizieren. Obwohl der Kreml schlechte Erfahrung mit sozialistischen Regimen, die ohne sowjetische Hilfe zur Macht gelangt waren, gemacht hatte, entschloss sich Chruschtschow zur Stationierung russischer Atomraketen auf der Antilleninsel – hatte sich allerdings, was die Reaktion der USA anging, verspekuliert: diese nämlich erzwangen den ultimativen Abzug der Raketen, verpflichteten sich freilich im Gegenzug in einem Geheimvertrag, das Castrische System nicht weiter zu destabilisieren (und ihrerseits Mittelstreckenraketen aus der Türkei abzuziehen). Korrekterweise sollte man ohnehin von einer russisch-amerikanischen statt der Kuba-Krise sprechen, diente die Insel selbst doch nur als Abschussort. „In den Tagen des Oktober waren wir viel weniger aufgeregt als die übrige Welt“, schreibt Spreti an seine Angehörigen in Deutschland, „wir waren hier völlig ohne Kenntnis, da wir weder erfuhren, was Mikojan sagte oder erreichte, aber auch nicht, was in New York oder Washington gesprochen wurde. Nicht einmal die Regierung wusste viel, außer was das Radio brachte. Wir waren somit im Zentrum des Wirbelsturmes, wo es immer am ruhigsten ist.“ Das entsprach freilich nicht ganz der Wahrheit, denn die Verbringung tausender sowjetischer Soldaten auf die Insel war der Botschaft – Spreti selbst war zunächst im Urlaub – nicht verborgen geblieben, wenngleich man zunächst, d.h. im Juli 1962, an Unterstützung für Castro im Fall einer innerkubanischen Auseinandersetzung glaubte. Mitte August zeigte sich Spretis Stellvertreter, Konrad Gracher, zwar immer noch vorsichtig („Das Dunkel um die … Landung größerer Kontingente sowjetischer Staatsangehöriger … hat sich inzwischen nicht wesentlich gelichtet“), doch die Entladung schweren Geräts ließ bereits den Verdacht keimen, es diene „zum Bau einer sowjetischen (Raketen-?)-Basis in dem durch die Orte Rodrigo – Amaro – Santo Domingo … begrenzten Dreieck“. Mitte September schließlich versah er seine Meldung, es handle sich um Atomsprengköpfe, nur mehr mit einer Restunsicherheit.
IV.
Spreti selbst, der die Bundesrepublik Deutschland zwischen 1960 und 1963 als Botschafter auf Kuba vertrat, hinterließ neben seiner diplomatischen Korrespondenz auch zahlreiche Briefe an die Familie. In ihnen stehen vor allem Schilderungen von privaten Ausflügen, Reisen oder Besuchen im Vordergrund, die das Bild seiner Tätigkeit vervollständigen. Auffällig ist vor allem die Beschreibung zahlreicher Widersprüche: So beschreibt er einerseits ausgiebig die karibische Lebensfreude und den ungeheuren Naturreichtum des Landes: „Der Boden ist so fruchtbar, dass die Tomaten ca. 1,20 m hoch im Januar gepflanzt wurden und man heute schon [Mitte April] erntet und die Leitung rechnet mit zwei Ernten im Jahr“. Andererseits verweist er auf ausgesprochen morbide Entwicklungen: wirtschaftliche Ineffizienz und Misswirtschaft, Enteignung, Gewalt. Häuser seien reihenweise aufgegeben worden, weil die Besitzer geflüchtet oder ermordet worden waren. Die Klasse seines Sohnes schrumpfte deshalb von 20 auf einen einzigen Schüler – innerhalb nicht einmal eines Jahres. Die einst prunkvollen Hotels standen leer und wurden zu Symbolen verfallender Pracht. Bei Empfängen fehlten ihm die Kubaner, weil sie exiliert, verhaftet oder ermordet worden waren.
In den nur drei Jahren seiner Tätigkeit auf Kuba wurde Spreti zum Beobachter grundlegender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen. Dabei war seine eigene Situation alles andere als gesichert. Die Frage, ob und wenn ja: wann Kuba die DDR anerkennen würde, hing wie ein Damoklesschwert über seiner gesamten Amtszeit auf der Karibikinsel. Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft schreibt er: „Die deutsche Frage ist natürlich immer ein schwacher Punkt.“ Und acht Wochen später: „Diese Ungewissheit macht nervös und man kann nichts mehr planen.“ Eine, wie es im Duktus der Zeit hieß, ostzonale Handelsdelegation war bereits auf Kuba, und die Frage ihrer diplomatischen Aufwertung nur eine Frage der Zeit.
Dies aber hätte dem ceterum censeo bundesrepublikanischer Außenpolitik, der Hallstein-Doktrin, widersprochen, wonach ausschließlich die Bundesrepublik, nicht aber die noch in Anführungszeichen geschriebene DDR, Deutschland vertreten dürfe. Eine Aufwertung der Handelsdelegation musste also die Einziehung der diplomatischen Mission Spretis nach sich ziehen. Nur in Parenthese sei erwähnt, dass das Vorbild hierfür kurioserweise die sogenannte Mao-Doktrin war. Von China aufgestellt, gilt sie noch heute und besagt, dass kein Land, das Beziehungen mit Peking unterhalte, diese auch mit Taiwan haben dürfe. Walter Hallstein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hatte ihre Struktur dann auf Bonn und Ost-Berlin übertragen. Spreti zweifelt übrigens schon 1960 daran, ob eine ausschließlich außen- und sicherheitspolitisch motivierte Betrachtung Kubas unter Ausblendung handelspolitischer Interessen die richtige sei. Immerhin, gibt er zu bedenken, werde die „SBZ“ damit für Castro auch handelspolitisch interessanter werden. Zeithistoriker sind sich heute einig, dass die schleichende völkerrechtliche Etablierung der DDR mittels der Hallstein-Doktrin nicht abzuwenden war – anders als die Theoretiker des Auswärtigen Amtes es damals postulierten. Spreti hatte hierzu im Januar 1962 an den Leiter der Personal- und Verwaltungsabteilung des Auswärtigen Amtes geschrieben: „Was meine Botschaft anbelangt, so ist das Dasein einer ostdeutschen Handelsdelegation ein starker Faktor, der außerordentlich bedrückend empfunden wird, insbesondere da die ostzonale Mission zwar nicht de jure, aber de facto ein Botschafterleben führt. Die Hallstein-Theorie, die hier aufrechterhalten wird, ist schon längst überspielt. Nadelstiche, Angriffe und Demütigungen sind hier das tägliche Brot; sie belasten mich stark und gehen daher nicht spurlos vorüber.“
Insofern dürfte er es – zumindest auch – als Erlösung empfunden haben, als Kuba im Januar 1963 unter dem Druck der Sowjetunion vollständige diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahm. Was folgte, war der Abbruch der Beziehungen seitens der Bundesrepublik und das Dekret des Auswärtigen Amtes, Spreti möge innerhalb von 72 Stunden das Land verlassen. Ein abruptes Ende seiner nach Luxemburg zweiten diplomatischen Station.