In unserem Korreferat möchten wir zwei Perspektiven zur Diskussion beitragen und die dargestellten Aspekte des Hauptreferats erweitern: Erstens geht das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) über den Schutz von Menschenrechten hinaus und adressiert ebenfalls den Umweltschutz. Dieses Zusammenspiel wirft ein Schlaglicht auf Überlegungen zu einer gerechteren Wirtschaftsordnung, wie es die Nachhaltigkeitsziele (SDG) der Vereinten Nationen, die Donut Ökonomie von Kate Raworth und das Verantwortungsmodell basierend auf globaler sozialer Verbundenheit von Iris Marion Young beschreiben. Zweitens ist zu hinterfragen, inwieweit ein Lieferkettengesetz in der Lage ist, die Übernahme von unternehmerischer Verantwortung zu stärken. Dies möchten wir anhand des Wandels von einer freiwilligen zu einer gesetzlich verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung der deutschen DAX Unternehmen in den vergangenen Jahren aufzeigen und damit einen Bezug zur Wirkmöglichkeit des deutschen Lieferkettengesetzes herstellen.
Beitrag zu einer gerechteren Ausgestaltung der Weltwirtschaftsordnung
Basierend auf den Argumenten von Kate Raworth und Iris Marion Young beabsichtigen wir zwei Aspekte zu verdeutlichen: Zum einen, dass die Transformation hin zu einer nachhaltigen Form des Wirtschaftens mit einer verteilungsgerechten und regenerativen Gestaltung der globalen Wirtschaftsstrukturen eine Notwendigkeit ist, um überhaupt langfristig unter der Prämisse der begrenzten Ressourcen wirtschaften zu können. Zum anderen möchten wir herausstellen, dass Unternehmen eine moralische Verantwortung zukommt, zur Ausgestaltung gerechterer Wirtschaftsstrukturen beizutragen.
Gemäß dem Country Overshoot Day 2024 hat Deutschland bereits am 2. Mai 2024 das Budget an nachhaltig nutzbaren Ressourcen und ökologisch verkraftbaren Emissionen für das gesamte Jahr aufgebraucht. Damit verbraucht Deutschland aktuell die Ressourcen von drei Erden. 2024 lag der World Overshoot Day auf dem 1. August. Wodurch global gesehen die Ressourcen von 1,7 Erden verwendet werden. Gleichzeitig wird anhand des Konzepts der planetaren Grenzen, welches von Rockström und Kollegen 2015 entwickelt und 2019 bzw. 2023 überarbeitet wurde, deutlich, dass im Jahr 2023 bereits sechs der neun planetaren Grenzen überschritten wurden. Der Rahmen der planetaren Grenzen stützt sich auf die Erdsystemwissenschaft und identifiziert neun Prozesse, die entscheidend für die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Erdsystems als Ganzes sind. Je weiter diese Grenzen überschritten werden, desto unsicherer wird die weitere stabile Aufrechterhaltung der Erdsysteme. Vor dem Hintergrund dieses Kontextes ist ein Wandel der Art des Wirtschaftens unumgänglich und eine Lebensnotwendigkeit.
Ergänzend zu der Betrachtung der planetaren Grenzen bezieht das Konzept der Donut Ökonomie, entwickelt von der Ökonomin Kate Raworth, die planetaren Grenzen als äußeren Rahmen des Wirtschaftens ein und basiert zusätzlich auf 12 der 17 SDGs. Diese stellen die gesellschaftliche Grundlage in Form einer minimalen Bedürfnisbefriedung z. B. in Bezug auf den Zugang zu Wasser dar, unter die kein Mensch fallen sollte. Bislang ist dies auf globaler Ebene für keine einzige Dimension erreicht. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, dass sich wirtschaftliches Agieren innerhalb dieser Grenzen an regenerativen Prinzipien des Wirtschaftens, d. h. dem Aufbau und der Wiederherstellung von Ökosystemleistungen orientiert. Sowie darüber hinaus das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit verfolgt, bei dem es darum geht, Strukturen und Prozesse von vornherein verteilungsgerechter zu gestalten.
Das deutsche Lieferkettengesetz zielt neben dem Schutz der Menschenrechte auch auf den der Umwelt in Lieferketten ab. Dies ist als Anfang hin zu mehr unternehmerischer Verantwortung für die negativen externen Effekte auf Umwelt und Gesellschaft zu betrachten, wenngleich auch noch sehr weit von dem Ziel der Donut Ökonomie entfernt, einen regenerativen Beitrag zu leisten.
Dass diese mittlerweile gesetzlich festgeschriebene unternehmerische Verantwortung auf einer moralischen Verantwortung von Unternehmen zu einer gerechteren Gestaltung der globalen Wirtschaftsstrukturen beizutragen basiert, lässt sich mit Iris Marion Youngs Verständnis von Verantwortung aus sozialer Verbundenheit verdeutlichen.
Young zeigt auf, dass für Verantwortungsfragen im Kontext der globalen Wirtschaftsstrukturen das bisherige Verständnis der Verursacherverantwortung und das darauf basierende Haftbarkeitsmodell an seine Grenzen gerät. Ein zentraler Kritikpunkt des Haftbarkeitsmodells besteht darin, dass es indirekte Wechselwirkungen nicht erfassen kann. Dies stellt insbesondere für Fragen der globalen Gerechtigkeit eine Herausforderung dar, da mit der stärkeren Verflechtung von wirtschaftlichen Prozessen, wie dies bei globalen Lieferketten der Fall ist, die direkte kausale Zurechenbarkeit von Verantwortung schwieriger ist. Es gibt eine Vielzahl an Situationen, in denen kein eindeutiger Verursacher für die Not oder die Schwierigkeiten anderer Menschen identifiziert werden kann. Dies führt in Folge zu zwei Tendenzen: zu einer zunehmenden Verantwortungsdiffusion, indem Verantwortung auf andere abgeschoben wird oder einer Überforderung durch Verantwortung, wenn jeder für alles verantwortlich gemacht wird.
Young setzt mit ihrem Verantwortungskonzept der sozialen Verbundenheit und mit dem damit einhergehenden Verantwortungsverständnis von globaler Mitverantwortung genau an diesem Defizit an und beabsichtigt, die Lücken der Verantwortungszuschreibungen für Folgen struktureller Ungerechtigkeiten, wie ausbeuterische Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten oder der Umweltverschmutzung zu schließen. Strukturelle Ungerechtigkeit existiert nach Young, „wenn soziale Prozesse eine große Personenzahl systematisch damit bedrohen, beherrscht oder der Mittel beraubt zu werden, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und auszuüben, während diese Prozesse zugleich andere in die Lage versetzen, zu herrschen und gute Chancen darin zu haben, ihre Fähigkeiten zu entwickeln oder auszuüben.“. Ausbeutungsverhältnisse in globalen Lieferketten sind nach Young Ausdruck struktureller Ungerechtigkeit, die sich gerade auch dadurch auszeichnen, dass sie das Resultat von Handlungen vieler Individuen und Institutionen sind, die ihre eigenen Ziele und Interessen innerhalb vorhandener institutioneller Regeln und akzeptierter Normen verfolgen. (vgl. ebd.)
Auch wenn Young von einer geteilten prospektiven Verantwortung spricht, die alle Beteiligten adressiert, bedeutet dies nicht, dass alle die gleiche Mitverantwortung tragen. Diese richtet sich nach Young vielmehr nach vier Kriterien: Macht, privilegierte Stellung, Interesse und kollektive Fähigkeit. Das Kriterium Macht bezieht sich auf unterschiedliche Grade potenzieller und wirklicher Möglichkeiten, beispielsweise über Ressourcen zu verfügen sowie Prozesse und deren Folgen zu beeinflussen. Akteuren, die durch die Strukturen eine relativ privilegierte Stellung einnehmen, kommt mehr moralische Verantwortung für organisierte Korrekturanstrengungen zu, „weil sie in der Lage dazu sind, sich an die veränderten Umstände anzupassen, ohne dass sie dadurch gravierende Einbußen erdulden müssen“.
Wirkmöglichkeit von Lieferkettengesetzen auf unternehmerische Verantwortung
Nachdem wir aufgezeigt haben, dass eine gerechtere Ausgestaltung der Weltwirtschaftsordnung die planetaren Grenzen und eine soziale Grundlage in Form von 12 der 17 SDG einschließt, möchten wir im Weiteren herausstellen, dass das deutsche Lieferkettengesetz, indem es auf Umweltaspekte und Menschenrechte in den Lieferketten abzielt, als ein wichtiger Schritt dahin bewertet und es als gesetzlicher Ausdruck der unternehmerischen
Verantwortung betrachtet werden kann.
Neben den gesetzlichen Verpflichtungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, erwarten Stakeholder Transparenz von Unternehmen. Dieses Zusammenspiel nimmt Unternehmen in die Pflicht, sich mit ihrem Wirken in Bezug auf Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Gesetzliche Verpflichtungen und Erwartungen von Stakeholdern zur Nachhaltigkeitsberichterstattung definieren allerdings lediglich einen Rahmen der Berichterstattung und geben Unternehmen einen Ermessensspielraum in der Ausführung ihrer Berichterstattung. Somit können Unternehmen entscheiden, ob sie Standards, wie der General Reporting Initiative (GRI) oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex, folgen oder eigene Indikatoren anwenden. Unter dem GRI können Unternehmen die SDGs, als international anerkannte Zielsetzungen für eine gerechtere Wirtschaftsordnung, welche den Dreiklang der Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch und sozial – vereint, heranziehen.
Obwohl die Freiheitsgrade in der Nachhaltigkeitsberichterstattung den Unternehmen entgegenkommen, hat eine Untersuchung von Donner, Meißner und Bort gezeigt, dass starke Abweichungen bestehen, wie Unternehmen die Pflichten zur Berichterstattung umsetzen. Positiv zu bewerten ist, dass die Anzahl der Unternehmen, welche zu den SDGs berichten, im untersuchten Zeitraum von 2016 bis 2021 deutlich zugenommen hat. Weiterhin lässt sich festhalten, dass Unternehmen, die die SDGs als Berichtsgrundlage nutzen, sich vermutlich mit ihrem Wirken hin zu einer gerechteren Wirtschaftsordnung auseinandersetzen. Dennoch bestehen starke Differenzen in der Qualität dieser Berichterstattung. Während einige Unternehmen ihren Beitrag zu den SDGs mit messbaren Zielen für die Zukunft und einer Evaluierung des bisher erreichten hinterlegen, gehen Berichte anderer Unternehmen nicht über die Beschreibung möglicher Beiträge hinaus, welche noch dazu nicht messbar sind. Eine Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen ist für die Stakeholder kaum bis gar nicht möglich. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass Unternehmen sich in ihrer eigenen Berichterstattung nicht neutral darstellen, sondern sehr bedacht die zu berichtenden Informationen auswählen und darstellen. Gleichzeitig haben Heras-Saizarbitoria et al. gezeigt, dass Unternehmen sehr bewusst dazu neigen, die SDGs zu berichten, zu denen sie sehr einfach beitragen können. Vor dem Hintergrund dieser Studienergebnisse stellt sich die Frage, inwieweit verpflichtende Berichterstattung einen spürbaren Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen unternehmerischen Verantwortung hat und ob das LkSG eine Änderung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung erzielen kann.
Aus unserer Sicht gibt es zwei Aspekte bei verpflichtender Berichterstattung, welche einen positiven Einfluss auf das Selbstverständnis der Unternehmensverantwortung haben, sofern sie entsprechend gesetzlich verankert werden: (I) Unternehmen müssen sich mit ihrem unternehmerischen Einfluss auf die Umwelt auseinandersetzen und (II) die Notwendigkeit nicht nur Informationen für den Bericht auszuwählen, welche einen positiven Einfluss auf die Reputation des Unternehmens haben, sondern sich kritisch mit den eigenen Lieferketten und deren Einfluss auf Menschenrechte sowie Umweltschutz auseinanderzusetzen.
In Bezug auf das LkSG wird die verpflichtende Berichterstattung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über einen Fragebogen organisiert. Die Unternehmen können zwar selber entscheiden, wie umfangreich sie die Fragen beantworten, aber es entsteht durch die enge Vorgabe der zu beantwortenden Fragen eine Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen und der Zwang sich mit der eigenen Lieferkette auseinanderzusetzen. Gleichzeitig fordert das LkSG von den Unternehmen eine umfassende Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich sowie in Bezug auf deren unmittelbaren sowie mittelbaren Lieferanten, um die Fragen für den Bericht beantworten zu können. Flankiert wird dies durch die Notwendigkeit ein Meldesystem einzurichten, eine Grundsatzerklärung zu veröffentlichen, Präventionsmaßnahmen sowie Abhilfemaßnahmen zu definieren, welche bei Bedarf sofort ergriffen werden können.
Diese Vorgaben heben den Anspruch an die unternehmerische Verantwortung. Gleichzeitig fordern sie Unternehmen auf, Ressourcen zur Bewältigung der geforderten Verpflichtungen aufzuwenden. Hinzukommen weitere Berichterstattungen im Rahmen der Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive der EU, welche von Unternehmen den Einsatz weiterer Ressourcen verlangen. Abhängig von der eigenen politischen Ausrichtung wird die Vielzahl der Berichterstattungen von einigen Parteien kritisch gesehen, was unter anderem zu einem Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtenaufhebungsgesetz) der CDU führte, welcher allerdings am 17.10.2024 durch das Parlament abgelehnt wurde.
Betrachtet man Nachhaltigkeitsberichterstattung und die für das Unternehmen notwendigen Lieferketten allerdings als Teil der unternehmerischen Verantwortung, lässt sich festhalten, dass der Verstoß gegen Menschenrechte und Umweltzerstörung zumeist nicht in Produkten eingepreist sind. Der Aufwand zusätzlicher Ressourcen zur Berichterstattung und den eventuell daraus folgenden Maßnahmen können als ein erster Schritt dafür angesehen werden und können damit den Weg zu einer gerechteren Ausgestaltung der Weltwirtschaftsordnung ebnen.