Wenn Briefe Geschichte(n) erzählen

Karl Graf von Spretis Schreiben aus Indien (1935-1938)

Im Rahmen der Veranstaltung "Ein Bayer in Bollywood", 25.09.2020

Ja“, schreibt Karl Graf von Spreti im Juli 1937 aus Indien an seine Eltern im heimischen Niederbayern, „über die Film-Wirtschaft könnte man eine Doktor-Arbeit schreiben, weil es eine Industrie ist, in welcher, ausser die technischen Mitarbeiter und Arbeiter, alle anderen Emporkömmlinge, Spekulanten sind, die selbst noch nie etwas richtiges gearbeitet haben, d. h. eigentlich nur Eintagsfliegen waren und bleiben“.

Inzwischen sind unzählige Dissertationen über die indische Filmindustrie verfasst worden, um von Aufsätzen, Sammelbänden und weiteren Monographien zu schweigen. Und dennoch hat es die Katholische Akademie in Bayern gemeinsam mit der Karl Graf Spreti Stiftung unternommen, ein Symposium zu dem Vorläufer dessen, was heute als Bollywood bekannt ist, zu realisieren. Da kann man sich schon nach dem Warum fragen. Was gab den Anstoß hierzu und vor allem: Welchen Erkenntnisgewinn verspricht eine solche Tagung?

Ich beginne mit dem Einfacheren, der Frage, wie es zu diesem Thema kam, hat dies doch mit der Akademie selbst zu tun, genauer: mit dem 6. Karl Graf Spreti Symposium, das sich 2016 der Italienreise des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht, des nachmaligen Kaisers Karl VII., von 1715/16 widmete (vgl. das Sonderheft zur Ausgabe 3/2017 der debatte). Im Zuge der Vortragsvorbereitungen nämlich entdeckte Andrea Zedler im Porta fontium, dem bayerisch-tschechischen Archivportal, einige Briefe, die einschlägig für ihren Beitrag waren und im Staatsarchiv Pilsen liegen. Die weitere Recherche in besagtem digitalen Portal förderte dann auch Material zutage, das mit „Archiv Riedl von Riedenstein“ über
schrieben war – jener Familie also, in die Karl Spreti 1941 einheiratete.

Ohne zu wissen, was mich erwarten würde, habe ich den Bestand für den gemeinsamen Archivbesuch auf gut Glück zur Einsicht bestellt. Die Arbeit in Pilsen endete dann unterschiedlich erfolgreich: Während meine Frau einige wenige Blätter vorgelegt bekam, erhielt ich knapp 400 Seiten Briefe, die Karl Spreti zwischen 1935 und 1938 aus Indien an seine Familie gerichtet hatte, leider nur in einseitiger Überlieferung, es fehlen also die Antworten. Wieso sie heute in Tschechien liegen, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Wahrscheinlich ist, dass er sie nach seiner Rückkehr 1938 wieder an sich nahm und 1943 von seinem Wohnort Berlin nach Dallwitz bei Karlsbad verbrachte, auf das Gut seiner Schwiegereltern, auf das im April desselben Jahres seine Frau mit der neugeborgenen Tochter Maria-Gaetana aus der Reichshauptstadt übergesiedelt waren. Von dort floh die Familie 1945 nach Lindau, während die Briefe in der Tschechoslowakei verblieben sein dürften, um im Anschluss dem nächsten Staatsarchiv einverleibt zu werden – was dann eben Pilsen war.

Und weil aus dem indischen Abschnitt des Lebens von Karl Spreti praktisch nichts bekannt war, entstand nicht nur die Idee zur Edition der Briefe, sondern auch zu einer Tagung, umso mehr als Spreti zu den Pionieren der Filmarchitektur in Indien zählt und über seine wie die Arbeit der anderen Deutschen kaum Egodokumente existieren. Die Herausgabe der Briefe wurde von einschlägigen Bollywood-Forscherinnen wie Eleanor Halshall (London) oder Debashree Mukherjee (New York) wiederholt als ausgesprochen wünschenswert eingeschätzt. Doch sollen die Briefe, ihr Urheber und sein Denken, wie es sich in seinen Schreiben niederschlägt, im vorliegenden Beitrag nicht sui generis betrachtet, sondern in einen größeren kulturhistorischen Kontext verortet werden.

Denn das Bemerkenswerte an den rund 100 Briefen ist, dass sie einen breiten Horizont öffnen: Da ist zunächst einmal der Umstand, dass im Indien der 1930er Jahre eine Filmindustrie entstand, die heute mehr Filme produziert als Hollywood; dann der Umstand, dass deren Verantwortliche in Europa auf eine Art recruiting-Tour gingen, um sich die Dienste mehrerer Deutscher zu sicheren, darunter auch die eines bayerischen Adligen, der mithin nicht nur den geographischen, sondern auch den sozialen Raum radikal wechselte, München mit Mumbai und sein von aristokratischem Denken geprägtes Umfeld mit einer Tätigkeit in nachgeordneter, weisungsgebundener Position vertauschte. Schließlich spiegeln Spretis Schilderungen eine wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive, die nicht ohne die zeithistorischen Umstände im nationalsozialistischen Deutschland einerseits und in dem um Unabhängigkeit kämpfenden, unter britischer Hoheit stehenden Indien andererseits gelesen werden sollte.

Schon ein solch fragmentarischer Aufriss zeigt, dass das 8. Karl Graf Spreti Symposium im Schnittpunkt mehrere Disziplinen und Fragestellungen angesiedelt war: der Filmgeschichte selbstverständlich, aber auch der Kultur-, Wahrnehmungs- und der politischen Geschichte – und zwar der indischen wie der deutschen – und, last not least, der Adelsgeschichte, der sich der vorliegende Beitrag widmet. In dessen erstem Teil wird dem Klammerausdruck des Titels Rechnung getragen, den Geschichten, hier werden die Quelle und ihr Urheber knapp vorgestellt. Zu fragen ist, wie es Spreti nach Indien verschlug. Welche Adressaten und welchen Charakter haben die Briefe? Welche Gegenstände traktieren sie?

Im zweiten, analytischen Teil des Vortrags geht es darum, diese Geschichten auf ihre überindividuelle Aussagekraft hin zu befragen, ist es doch ein substantieller Unterschied, ob sie ausschließlich etwas über Karl Spreti sagen – dann wären sie für die Familie interessant, gleichermaßen zur Unterhaltung, nicht aber für ein historisch interessiertes Publikum oder die Wissenschaft – oder ob sie über ihren Urheber hinaus auf Strukturmerkmale der Zeit verweisen. Mit anderen Worten: Geht es nur um die Person oder geht es um die Person als Repräsentanten ihrer Zeit, ihrer Nation, ihres untergegangenen Standes?

Welche Aussagekraft also hat der Einzelfall für kollektives Verhalten und kollektive Erfahrungen? Hierfür gilt es, die Selbstwahrnehmung und -darstellung, wie sie sich in den Briefen manifestiert, ihrer Individualität zu entkleiden und in allgemeinere Denk- und Handlungshorizonte einzuordnen. Der französische Sozialphilosoph Pierre Bourdieu spricht diesbezüglich vom Habitus und meint damit Handlungs- und Verhaltenspräferenzen, die zwar individuell verankert, aber kollektiv gültig sind und sich im Auftreten, Gebaren, der Kleidung usw. manifestieren. Weniger soziologisch formuliert, gilt es in den Briefen Spretis jene Züge herauszuarbeiten, in denen sich übergeordnete zeittypische Entwicklungen zeigen.

 

Der Protagonist und die Quellen

Karl Graf von Spreti kam am 21. Mai 1907 als Sohn des Gutsbesitzers Adolf von Spreti und dessen Frau Anna, einer geborenen Gräfin Yrsch im niederbayerischen Kapfing zur Welt. Die höhere Schule absolvierte er teils mit Privatlehrern, teils in den Internaten von Metten und Feldkirch (Jesuitenpädagogium Stella Matutina), das Abitur legte er 1930 am Gymnasium Neubrandenburg ab. Zum Wintersemester 1930/31 schrieb er sich als Architekturstudent an der Technischen Hochschule München ein, legte im März 1933 das Vordiplom ab, beendete das Studium aber nie. Das könnte nicht zuletzt mit einem zeitintensiven Nebenjob zusammenhängen, denn bereits seit 1932 war er für die Münchener Lichtspielkunst (kurz: Emelka) bzw., wie sie ab 1932 hieß, die Bavaria Film AG tätig, in der er den Regisseur Franz Osten und den Kameramann Josef Wirsching kennenlernte.

Letzterer war es, der ihn am Weihnachtsabend 1934 fragte, ob er nicht Lust habe, als Filmarchitekt mit ihm und Osten nach Indien zu gehen, genauer: nach Malad, nahe dem heutigen Mumbai, wo die 1934 gegründeten Bombay Talkies Filmstudios ihren Sitz hatten. Kurzentschlossen nahm Spreti das Angebot an und traf nach gut zweiwöchiger Schiffsreise Ende März 1935 in Malad ein. Seine Verträge währten jeweils ein Jahr und wurden kurzfristig verlängert; wie lange er bleiben würde, wusste er anfangs selbst nicht. Dieser Rhythmus endete 1937, im November verkündete er seinen Eltern, die Zelte in Indien abzubrechen, und am 30. Dezember bestieg er das Schiff, das ihn über den Golf von Aden, den Suezkanal und das Mittelmeer zurück nach Europa brachte.

Schon auf der Hinfahrt begann er, in langen Briefen von seinen Erlebnissen zu berichten. Rund 100 davon sind erhalten, ihr Umfang beträgt zwischen zwei und acht Seiten, und sie richten sich ausnahmslos an die Eltern bzw. an diese und seine beiden jüngeren Brüder Franz und Maximilian. Für 1935 und 1936 sind sie nahezu lückenlos überliefert. Das ändert sich bedauerlicherweise im letzten Jahr des Aufenthalts, für das nur fünf Briefe erhalten sind. Hinzu kommen fünf weitere von der Rückfahrt und einige, zeitlich nicht zuzuordnende Fragmente.

Was stand nun in diesen Briefen? Mit Spretis eigenen Worten: „Viel Interessantes gibt es nicht zu erzählen, da sich nicht vieles neues zugetragen hat. Zum Schildern von Gebräuchen und Sitten gäbe es immer etwas, aber es fehlt mir die Ruhe, mich länger hinzusetzen und zu erzählen. Ich vertage dies immer auf später.“

Tatsächlich kommen ethnologische Fragen, geschweige denn daran anknüpfende Reflexionen praktisch nicht vor. Ebenfalls nur in homöopathischen Dosen gereicht werden Schilderungen seiner beruflichen Tätigkeit. Wie die konkrete Filmarbeit ablief, was er selbst tat, was er delegierte, wie die Arbeitsteilung zwischen ihm und dem von ihm wenig geschätzten „Art-Direktor“ war, lässt er offen. Die Titel der Filme, an denen er arbeitete, verschweigt er, und nur selten nennt er deren Sujet, obwohl es sich durchaus angeboten hätte, denn mit Themen wie dem Konflikt zwischen einer arrangierten und einer Liebesheirat in einem der ersten sowie weiteren Filmen, die gesellschaftliche und soziale Folgen der Kastenunterschiede für Liebesbeziehungen durchdeklinieren, finden sich gleichermaßen interessante wie sozialpolitisch brisante Aspekte, für deren Thematisierung die Bombay Talkies Studios bekannt waren. Spreti aber erschöpft sich meist in Beteuerungen von Intensität und Umfang seiner Arbeit ohne auf deren konkrete Ausgestaltung einzugehen; auf die Erfolge der Filme wie seiner eigenen Sets hingegen weist er mit entsprechendem Stolz sehr wohl hin.

Mehr Raum nehmen die Schilderungen von Ärger in der Firma ein, fühlte Spreti sich und seine Arbeit doch wiederholt nicht ausreichend wertgeschätzt, was sich weniger auf Franz Osten bezieht – obwohl er diesen nicht wirklich mochte –, als auf die indischen Verantwortlichen, allen voran auf Himanshu Rai, den Gründer der Bombay Talkies und Produzenten der Filme. Hauptthemen seiner Briefe sind seine Freizeitgestaltung, insbesondere seine gesellschaftliche Positionierung. Das schließt umfangreiche Darstellungen der von ihm unternommenen Ausflüge, bei denen die Landschaftswahrnehmung und vor allem zoologische und botanische Aspekte eine wichtige Rolle spielen, ein, ebenso die Beschreibungen seines Alltags in Bombay, der neben Lesen vor allem in der Pflege sozialer Kontakte bestand, das heißt aus Berichten über Bekannte, Clubbesuche und private Einladungen. Großes Interesse zeigte er zudem für Veränderungen im heimischen Netzwerk, insbesondere für Heiraten und Todesfälle, ebenso für Besuche seiner Eltern im gemeinsamen Bekannten- und Verwandtenkreis und private oder berufliche Veränderungen. Während es sich bei diesen Topoi überwiegend um neutrale Schilderungen handelt, gibt es einige Felder, auf denen Spreti dezidiert Stellung bezieht und wertet. Dies betrifft im indischen Umfeld insbesondere Sozialverhalten und berufliche Fähigkeiten anderer, vor allem der Kollegen und Untergebenen, für die Vorgänge in Deutschland das Verhalten seines zwei Jahre älteren Bruders Cajetan.

Prima vista erstaunlich ist – und damit soll der beschreibende Zugriff auf die Briefe beschlossen werden –, dass Politisches nahezu ausgeblendet wird. Der spätere Bundestagsabgeordnete (1949–1956) und langjährige deutsche Botschafter (1956–1970) hätte sich, könnte man meinen, intensiv damit auseinandersetzen müssen, zumal es zahlreiche Zeugnisse auch für zeitlich früher liegendes politisches Interesse gibt. Die Vorgänge der Jahre 1935 bis 1937 hingegen sind nahezu ausgeblendet, insbesondere über die Verhältnisse auf dem Subkontinent verliert er praktisch keine Silbe. Einem Inder, der ihn nach seiner Haltung zu Gandhi und der britischen Politik fragt, entgegnet er „kurz und bündig, dass uns Deutsche diese Frage kaum interessiert, da wir selber genügend zu tun haben“.

Was genau der Deutsche zu tun hat, verrät er aber auch nicht, denn die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland kommentiert er nur spärlich, obwohl er deutsche Zeitungen las. Weder – um nur einige wenige, zentrale Ereignisse herauszugreifen – die antisemitischen Nürnberger Gesetze 1935 und die brutaler werdende Drangsalierung jüdischer Mitbürger, noch der Bruch internationaler Verträge durch den Einmarsch ins Rheinland 1936 oder die aufsehenerregende Enzyklika Mit brennender Sorge, mit der Pius XI. 1937 den Nationalsozialismus verurteilte, finden Erwähnung. Lediglich sporadisch wird deutlich, dass er das Geschehen verfolgte: „Bei Euch zu Hause muss es scheinbar z.Z. lustig zugehen, nachdem was man hier liest. Scheinbar geht es gegen die Juden und Katholiken ziemlich scharf her. Auf diese Weise gewinnt man wenig Freunde, sowohl im In-, als auch im Ausland“, heißt es am 8. August 1935 und vier Wochen später mit Bezug auf den Tod einer Verwandten: „Obwohl es sicher für Sie eine Erlösung ist, tut mir der Tod doch leid. Gerade der Humor, den sie hatte, kann man in der heutigen Zeit so gut gebrauchen.“

Und ohne Absatz fährt er fort: „Mit grossem Interesse lese ich hier immer die Zeitungen und verfolge die Neuigkeiten aus Deutschland, auch aus München und die Berichte von allen Kriegen gegen Juden und Catholiken.“ Gemeint sein dürften die gewaltsamen SA-Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung in Berlin und das Auftrittsverbot für katholische Jugendorganisationen, beide vom Juli, das Eheschließungsverbot zwischen Juden und Nicht-Juden sowie der regierungskritische Hirtenbrief der katholischen Bischöfe vom August 1935. – Spretis Andeutungen nach zu schließen, scheint er, obwohl selbst Mitglied einiger NSDAP-Organisationen, der Partei aus einem konservativen Verständnis heraus indifferent, mitunter kritisch-distanziert gegenübergestanden zu sein. „Monatlich sind hier Partei-Versammlungen, für deren Einladung ich herzlichst dankte“, schreibt er im April 1935, und Ostens Parteieintritt kommentiert er lapidar: „Wirsching & Osten fuhren abends in den deutschen Klub zu einer National-Sozialistischen Versammlung, und Herr Osten liess sich an diesem Abend in die Partei aufnehmen. Wir, Herr Zolle und ich und die beiden Frauen, blieben hier und tranken Coctail.“

Diese Haltung wurde in der deutschen Kolonie offenbar kritisch beäugt, denn: „Wie ich gestern erfuhr, muss man sich auch hier sehr in acht nehmen, da die hiesigen Deutschen, d. h. gewisse Leute, nichts besseres zu tun haben, als sich gegenseitig zu beobachten, zu belauschen etc. Wie ich erfuhr, hat sich hier eine sehr hohe Partei-Stelle schon über mich erkundigt, ob ich eigentlich wirklich national eingestellt bin.“ Als nämlich bei der Reichstagswahl 1936 unter den Auslandsdeutschen in Bombay einige Neinstimmen waren, wurde auch er darunter vermutet. Dies ist schon deshalb plausibel, als in der „Nacht der langen Messer“ 1934, dem sogenannten Röhm-Putsch, mit Hans-Erwin von Spreti der persönliche Adjutant des Obersten SA-Führers Röhm und naher Verwandter Karls ermordet wurde; der Familienname dürfte in einem Teil der NSDAP also kritisch beäugt worden sein. – Es wäre mithin vorschnell, die Absenz politischer Meinungsäußerungen in den Briefen als Indiz der Zustimmung zu interpretieren. Wahrscheinlicher ist, dass das Schweigen der Sorge vor Bespitzelung entsprang. Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft in Indien hatte Spreti angemerkt, zahlreiche Briefe seien geöffnet worden, 1936 wiederholt er das, und 1937 fragt er ganz direkt: „Sind meine Briefe oft geöffnet?“

 

Spretis Habitus und das Konzept von „Adeligkeit“

Im zweiten Teil der Ausführungen soll nun Spretis Habitus in einen größeren kulturhistorischen Kontext verortet werden. Hierbei gilt es, zunächst auf die Verlustgeschichte des Adels seit 1800 hinzuweisen, ohne die die Folgen für dessen verändertes Selbstverständnis hinsichtlich der ökonomischen wie der politisch-gesellschaftlichen Positionierung in den 1920er und 30er Jahren unverständlich bleiben müssen. Dabei wird Spretis Haltung jeweils mit Forschungen zu adeligen Positionierungsstrategien abgeglichen, so dass in der Analyse individuelle Spezifika genauso sichtbar werden wie kollektives Kalkül und Verhalten. Dies soll abschließend in den Versuch münden, Karl Graf von Spreti als Vertreter des relativ jungen historischen Forschungskonzepts von „Adeligkeit“ zu konturieren.

Häufig wird der Abstieg des Adels und dessen partielle politische Radikalisierung mit der Revolution des Jahres 1918 und deren Folgen begründet. Dies spielt sicherlich eine wichtige Rolle, doch muss die Perspektive meines Erachtens geweitet werden, um nicht allzu glatten Erklärungsmustern auf den Leim zu gehen. Denn die Entmachtung des Adels hatte nicht 1918, sondern um 1800 begonnen, einige Stichworte müssen hierzu genügen: Die Hoch-, dann auch die Patrimonialgerichtsbarkeit, die der frühneuzeitliche Adel innehatte, hatte ihm der moderne Staat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts genommen; gleiches gilt für die Herrschaft über die Bauern; auch politisch war der Abstieg längst eingeleitet: Trug der Adel vor 1800 Verantwortung als Stand, war er danach zwar noch in den Kammern repräsentiert, doch automatische Mitgliedschaft gab es in den ersten Kammern nur noch für die höchsten Adligen (die Standesherren), in die zweiten mussten auch adlige Abgeordnete gewählt werden.

Immer mehr mutierten sie damit von Vertretern ihres Standes zu solchen einer politischen Weltanschauung. Und selbst in die hohe und höchste Bürokratie kam der Adel seit den Reformen am Jahrhundertbeginn, die in Bayern untrennbar mit dem Namen Maximilian von Montgelas’ verbunden sind, nicht mehr qua Geburtsrecht, sondern mittels Qualifikation. Der Verlust von Herrschaftsrechten war also weit fortgeschritten, als die Revolution von 1918/19 die letzten Privilegien hinwegfegte, standesspezifische Heirats- und Erbregeln, Hausgesetze, dann Fideikomisse, exklusive Hofzugänge usw. usw. Etwas pointiert ließe sich resümieren: Einen Rechtfertigungs-, Selbstbehauptungs- und Anpassungsdruck gab es seit 1800, 1918 verstärkte er sich nur noch einmal; hinzu kam die soziale Nivellierung der Massen- und Konsumgesellschaft, die dem Adel natürlich ebenso ein Stück seiner Exponiertheit nahm.

Die 1920er und 30er gelten als Jahrzehnte, in denen der Adel versuchte, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Eine eher untergeordnete Rolle hierbei spielte, folgt man Spretis Briefen, die Berufstätigkeit. Natürlich, er musste arbeiten, der elterliche Grundbesitz als Lebensgrundlage reichte bei weitem nicht für die Versorgung aller Söhne aus. „Ich bin froh, dass ich Arbeit habe und Gott sei Dank nicht zur Last falle“, gesteht er seinen Eltern in einem der ersten Briefe. Persönlich zog er sogar einige Befriedigung aus dem Umstand, arbeiten zu können – thematisiert das, wie seine Tätigkeit insgesamt allerdings praktisch nie. Diese Absenz verweist darauf, dass er Arbeit per se keinen Wert für die Selbstwahrnehmung zumaß.

Meine These lautet, dass dies deshalb der Fall war, weil sie für ihn kein relevantes Distinktionsmerkmal darstellte. Berufliche Tätigkeit war für die Mehrheit des Adels unabdingbar geworden, doch unterschied ihn das nicht vom Bürgertum, ebenso wenig wie wirtschaftlicher Erfolg oder materieller Besitz; tatsächlich spielt beides keine Rolle in den Briefen. Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen: Die Vorstellungen eines von Leistung und Erfolg definierten Adels wäre auf eine Umcodierung der gesamten Adelssemantik hinausgelaufen, wäre doch dann das Wirtschaftsbürgertum unweigerlich zur Aristokratie zu rechnen gewesen. Dieses Verhalten Spretis, sein geringes Interesse für Materielles, deckt sich mit Forschungen etwa von Eckart Conze, wonach sich adliges Standesbewusstsein im 20. Jahrhundert von Fragen des Besitzes entkoppelte und stattdessen auf immaterielle, kulturelle ­
Aspekte rekurrierte.

Fragen der politischen Einstellung Karl Graf von Spretis können hier übergangen werden, weil sie für die eben formulierte These keine weitergehenden Erkenntnisse bringen. Spreti war nationalkonservativ, mitunter nationalistisch, immer wieder kann seine Haltung als revisionistisch und durchsetzt mit gängigen antisemitischen Ressentiments, zuweilen auch als blauäugig gegenüber den Zielen des Dritten Reichs beschrieben werden, nicht jedoch als dezidiert nationalsozialistisch. Hiervor bewahrte ihn seine christliche Grundüberzeugung wie sein aristokratisch-elitäres Denken, das der Ideologie der sozial nivellierenden Volksgemeinschaft diametral gegenüberstand. Wenn auch nur in Parenthese, sei an dieser Stelle doch darauf verwiesen, dass zwischen Adel und NS mancherlei Wertekongruenz bestand – die nationalpolitische Ausrichtung, die auf Führung hinauslaufenden Elitenkonzepte, die antimodernistischen wie antikapitalistischen Grundhaltungen –, die Aufstieg und Machtsicherung der Nationalsozialisten erleichterten.

Weit breiter als Arbeit und Leistung werden in den Briefen, wie erwähnt, Freizeit und soziale Beziehungen thematisiert, konnte sich doch in deren Ausgestaltung ein spezifisch adliges Standesbewusstsein manifestieren. Die wichtigsten Aushandlungsfelder waren Ehe und Familie sowie der gesellschaftliche Umgang. „Immer wieder, wenn von zu Hause gesprochen wird hier in der Ferne, spreche ich mit Stolz und höchster Hochachtung von Euch und meiner Familie“, so Spreti, um mit Blick auf eine noch nicht in Sichtweite befindliche Heirat zu urteilen: „Wenn meine Ehe einmal so wird wie die meiner Eltern, dann kann ich für mein Leben zufrieden sein“. Dabei kontrastiert er die Vorbildlichkeit des eigenen Umfeldes gezielt mit bürgerlichen Familienkonzepten, im konkreten Fall mit der Ehe seines Produzenten Himanshu Rai, dessen Frau, der Filmstar Devika Rani, zwischenzeitlich mit einem Schauspielkollegen durchgebrannt war. Was sich in der Vorstellung Spretis amalgamierte, ist die Vorstellung von Mustergültigkeit und Adeligkeit, die dann ein distinktives Kennzeichen des Adels bildete, das diesen vom Bürgertum abhob.

Den Lackmustest dieser Haltung musste sein Umgang mit dem älteren Bruder Cajetan bilden. Dieser war 1930 Partei und SA beigetreten und hatte es im März 1934, im Alter von 29 Jahren, zum SA-Obersturmbannführer gebracht. 1932 war er in SA-Sprengstoffanschläge auf politische Gegner, 1933 in ein wenn auch missglücktes Attentat auf einen Gegner Röhms verwickelt, was zum Konflikt mit seinen Eltern führte, bei denen er fortan persona non grata war. Während Karl Spretis Aufenthalt in Indien wiederum lief über mehrere Jahre ein Parteiverfahren gegen Cajetan, weil der zwei andere SA-Männer tätlich angegriffen und verletzt haben soll. Dass Karl hiervon wusste, scheint plausibel, ist aber nicht eindeutig – erwähnt wird der Vorgang mit keinem Wort. Das, was Karl umtrieb, war der Umstand, dass Cajetan 1935 im Begriff stand, seine erste Frau und die beiden Kinder zu verlassen, weil er eine Bürgerliche geschwängert hatte.

In den Briefen mit seinen Eltern fand dieses Thema intensiv Niederschlag. Karl votierte über Wochen dringend dahin, die bestehende Ehe zu retten. Nur im „unverheirateten Zustand“ hätte der „Fehltritt unbedingt die Ehrenpflicht verlangt“, so aber wäre eine Scheidung „eine sehr ekelhafte Sache“. Während Cajetan argumentierte, mit der zweiten Frau glücklicher zu sein, es außerdem nicht verantworten zu können, sie als ledige Alleinerziehende sitzen zu lassen, war eine solche Einstellung für seinen Bruder „nichts als eine Verdrehung der Gesetze und der Moral“; er machte stattdessen einen nicht weiter definierten Ehrbegriff geltend, der die Möglichkeit einer Scheidung nicht vorsah: Die Welt, insistierte er, „verlangt von uns, die wir einmal eine andere Erziehung erhalten haben, dadurch, dass wir in ein anderes Familienmilieux geboren sind, immer mehr als von allen anderen Sterblichen“.

Erst als er Cajetans Entscheidung nolens volens akzeptieren musste, stellte er weitergehende, um die Familienehre kreisende Überlegungen an: Es sei zu bedenken, riet er den Eltern bei der Frage, ob der familiäre Verkehr mit Cajetan wiederaufzunehmen sei, „dass die Kinder unseren Namen tragen und es vielleicht später nicht in unserem Sinne ist, dass dieselben, die einmal Spreti heissen, in Kreise geschoben werden, die man vielleicht auch nicht wünscht und vielleicht einmal Menschen werden, nach denen man dann die Familie beurteilt, die bisher immer in Ehren in Deutschland und besonders in Bayern dastand.“

Was im hier vorliegenden Kontext relevant ist, ist nicht das moralische Urteil, sondern die Frage, warum sich Karl in so dezidierter Weise für die Erhaltung der Ehe ausspricht, obwohl er die nachmalige zweite Frau seines Bruders nicht kannte, ja, obwohl er nicht einmal besondere Sympathien für seine noch-Schwägerin hegte. Für die Antwort gilt es knapp auszuholen: Vermutlich unbewusst knüpfte Spreti in seinem Denken an das Konzept des „ganzen Hauses“ von Wilhelm Heinrich Riehl, einem Münchner Kulturhistoriker, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Demnach sollte sich Familie nicht auf die Kernfamilie, das kleinbürgerliche Konstrukt par excellence, beschränken, sondern in horizontaler Ausdehnung auch weit entfernte Angehörige einbeziehen, in vertikaler Tiefe unbedingten Zusammenhalt garantieren, Harmonie und Sitte ausstrahlen, die negativen Kräfte der Moderne bändigen und als Fundament des Staates dienen.

Die einem solchen Denken inhärente Verzichtslogik ist nicht zu übersehen: Das Wohl des Einzelnen hatte hinter dem der Familie zurückzustehen. Obwohl an sich ein konservatives, kein adliges Konzept, wurde es, wie Daniel Menning gezeigt hat, nur von diesem rezipiert, so dass es um die Jahrhundertwende zu dessen distinktivem Kennzeichen
geworden war, das ihm nicht zuletzt dazu diente, eigene ­gesellschaftliche Vorbild- und Führungsansprüche zu begründen. Cajetan hatte also nicht nur, vielleicht nicht einmal primär, gegen innerfamiliäre Normen verstoßen, sondern gegen adelsgemäßes Verhalten ganz generell. Seine Scheidung betraf damit nicht nur ihn, sondern die Großfamilie, ja, deren ständische Selbstwahrnehmung, zusätzlich erschwert davon, dass die Heirat mit einer Bürgerlichen die Außengrenzen zum Bürgertum zunehmend aufweichte.

Ein letztes Feld gilt es exemplarisch zu betrachten, das des gesellschaftlichen Verkehrs. Spreti suchte ihn auch in Bombay in europäischen Kreisen, die Inder interessierten ihn nicht, mehrfach äußert er sich abschätzig über ihre Fähigkeiten und Einstellungen. Die Urteile zeugen von Ignoranz und Chauvinismus, nicht allerdings von Rassismus. Anschluss suchte und fand er rasch im Deutschen Club in Bombay. „Ich bin wirklich herzlichst froh“, schreibt er nach einem viertel Jahr, „dass ich nun langsam wieder einen Bekanntenkreis um mich bilde und quasi mir wieder eine ‚gesellschaftliche Position‘ erobere.“ Die Aufzählung, wen er wo getroffen, mit wem er diniert, Tanzmusik, Cabaret, Clubs oder sonstige Veranstaltungen besucht hat, sind Legion und nachgerade ein Charakteristikum der Briefe. „Ich schreibe dies nicht“, erklärte er seinen Lesern, „um zu protzen, aber Ihr seht doch, dass ich mir einen netten Bekanntenkreis gefunden habe und scheinbar auch gerne gesehen werde. Durch Herrn Patze habe ich Karten beim italienischen Generalkonsul abgeben lassen und hoffe auch, da herein zu kommen.“

Die Hoffnung erfüllte sich und Renato Galleani, Conte di Caravonica dei Conti d’Agliano – ein Graf also! – wurde bis zu seiner Abberufung aus Bombay die engste Bezugsperson. Das kam nicht von ungefähr, suchte Spreti doch bewusst den Umgang mit Standesgenossen. „Ich lechze oft nach diesem Milieux, denn ich weiss nicht, ob Ihr das versteht, wenn man immer mit Leuten beisammen sein muss, die eine ganz andere Erziehung und auch andere Interessen haben wie ich. Ich muss gestehen, ich habe noch nie ein so aristokratisches Bewusstsein, Denken und Fühlen gehabt, ohne dabei auf die anderen herunter zu gucken, als ich es hier bekommen habe. Ich weiss nicht warum, aber vielleicht im Mangel erkennt man, was man an seiner Erziehung hat. Erst neulich sprach ich darüber mit Baron[!] Hempel, der mir das gleiche sagte.“

Wenn Adel in seinem Denken mit Kultiviertheit einherging, so Bürgerlichkeit mit fehlendem Stil. Was man auch an Kleidungsfragen, Auftreten oder Umgangsformen zeigen könnte, sei an der Schilderung einer Abendszene exemplifiziert: Er selbst machte geltend, nach zwei Whiskys und drei Cocktails gewusst zu haben, dass es Zeit sei, den Alkoholkonsum einzustellen. Die anderen aber „soffen“ weiter, „der eine Herr mit Rai Sahibs Titel, der der Direktor einer der grössten Versicherungsgesellschaften Indiens ist, schlief in seinem Suff ein, dagegen mein Direktor mit demselben Titel kotzte auf den Tisch. Gott sei Dank waren keine Bekannten mehr von mir im Lokal. Auf jeden Fall merkte ich doch, dass es hier doch nur Wilde gibt.“

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Schilderungen sind nicht anzuzweifeln; aber die ständisch eindeutigen Zuschreibungen von gesellschaftlicher Gewandtheit hier und Tumbheit dort sind weniger das Produkt unvoreingenommener Beobachtung als das Resultat einer klaren gesellschaftlichen Ordnungsvorstellung. „Die Erziehung“, räsoniert er an anderer Stelle, „macht viel mehr aus als viel Geld.“

Im Umkehrschluss galt freilich auch: noblesse oblige. Spreti engagierte sich für Wohltätigkeitsfeste und half Bekannten bei der Inneneinrichtung, oder in seinen Worten: „Wisst Ihr, wenn man in einem Beruf wie ich bin, so spielt man konstant eine Doppel-Rolle. Die einen wollen, dass ich der Graf Spreti bin, die anderen nur der Herr Spreti; beide jedoch verlangen aber letzten Endes, dass man sich besser benimmt als die anderen. Es war dies früher einfacher, in einer Zeit, in welcher viele Berufe dem Adel verschlossen waren.“ Hier ist der Konnex zwischen dem Funktionsverlust des Adels und der Ausdehnung der kulturellen Adelssemantik unverkennbar. Adelig-Sein konnte sich nicht mehr im Beruf manifestieren, weil sein Träger dort nach dem Leistungsprinzip mit anderen nicht-Adligen konkurrierte – es musste auf andere Felder ausweichen.

Es ließen sich noch zahlreiche Beispiele anführen, aber ich hoffe, das Streben nach Abgrenzung als das zentrale Merkmal Spretis, wie es sich in den Briefen spiegelt, deutlich gemacht haben zu können. Nach dem tatsächlichen Funktionsverlust des Adels im 19. und 20. Jahrhundert wurde das, was die Griechen als aristoi, als das Edle, Vornehme bezeichnet haben, zu einer Projektionsfläche für elitäre Ideale. Der Beruf war im modernen Staat kein Unterscheidungsmerkmal, seit dem Aufstieg des Großbürgertums auch der Reichtum nicht, und selbst der Konsum von Kunst, Kultur oder gediegenem Essen markierte seit dem Siegeszug der Konsumgesellschaft keine soziale Grenze mehr. Die charismatische Wirkung, die der Adel im 20. Jahrhundert ausübte (und häufig noch immer ausübt), bemerkt Stephan Malinowski luzide, geht dementsprechend weniger von sozialen Realitäten als von kulturellen Konstruktionen aus, von denen die soziale Distinktion die wichtigste ist.

Anders als in der Frühen Neuzeit und weiten Teilen des 19. Jahrhunderts sahen sich Adelige qua Herkommen, Gesinnung, Charakter und Verhalten einander verbunden, nicht qua Macht oder Vermögen und auch nicht qua Bildung und Leistung. Dies bedingte eine Homogenisierung innerhalb des Adels und eine Abschließung nach außen. Beides wird etwa im Konnubium, dem Namen oder einem mehr oder minder exklusiven gesellschaftlichen Verkehr sichtbar und ist vice versa eine ständisch verstandene Handlungsnorm, die hier am Beispiel der Kultiviertheit oder dem Hinweis auf Spretis Mitwirken am Wohltätigkeitsfest gezeigt und konkretisiert werden sollte.

Malinowski und Marcus Funck haben hieraus das Konzept der Adeligkeit entwickelt. Es bezeichnet einen Habitus, der die – an sich ja alles andere als homogene – Sozialformation Adel verbindet. Ein Habitus, der sozial bestimmt und kulturell geprägt ist. Was entsteht, ist ein zwar nicht homogenes, aber doch innerhalb des deutschen Adels weitgehend akzeptiertes Kulturmodell, dem eine zentrale Funktion bei der Selbstverständigung, der Herausbildung und dem Erhalt von adliger Sozialidentität zukam. Die Briefe zeigen sehr deutlich, dass Karl Graf von Spreti die Werte dieses Modells akzeptiert hatte und lebte. Es ging für ihn – wie den Adel insgesamt – nicht so sehr darum, um ein berühmtes Wort des Soziologen und Volkswirts Werner Sombarts zu bemühen, „oben zu bleiben“, sondern darum, wie Josef Matzerath formuliert, „zusammenzubleiben“. Der Abgrenzung von der modernen Massengesellschaft kam hierbei die zentrale Rolle zu. Die gesichtslosen Emporkömmlinge und Spekulanten der Filmbranche aus dem Eingangszitat, so wirtschaftlich erfolgreich sie sein mochten, lehnte Spreti als Eintagsfliegen ab. „Was uns“, und er meint den Adel insgesamt, „hervorhebt, ist nicht der Titel oder Namen, sondern allein eine bewusste Tradition und eine damit zusammenhängende Erziehung und Kultur“.

So verstanden, sind die Briefe Karl Graf von Spretis nicht nur diejenigen eines Einzelnen, sondern Ausdruck einer kollektiven Haltung. Sie zeigen mentale Einstellungen, Selbstverständnis, Anspruch, Auftreten und kulturelle Deutungsmuster einer ganzen Gesellschaftsgruppe, des deutschen Adels. Und weil dieser nicht im luftleeren Raum agierte, ist Adelsgeschichte nie nur Geschichte des Adels, sondern „die Geschichte jener politischen Ordnungen, sozialen Bedingungen und kulturellen Räume, in denen Adel existierte“ (Eckart Conze).

Weitere Medien vom Autor / Thema: Geschichte

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Geschichte

Porträt: © Wikimedia Commons_Amrei-Marie
Literatur im Gespräch
Erich Garhammer trifft Adolf Muschg
Donnerstag, 23.01.2025
Ökumenische Tagung
Freitag, 31.01. - Samstag, 01.02.2025
Neue Batterietypen für das postfossile Zeitalter
Mittwoch, 05.02.2025
Mönch am Meer (1808/1810), Caspar David Friedrich / Wikimedia Commons, Public Domain
Vom Sinn des Betens
Guardini-Tag 2025
Montag, 17.02. - Mittwoch, 19.02.2025
© Viacheslav Lopatin / shutterstock
What's Ancient about Ancient Philosophy
Die Philosophin Anna Marmodoro lädt zu einem neuen Kennenlernen der Philosophie der Antike ein
Dienstag, 25.02.2025
© Bartholomäusnacht von François Dubois
"Heilige" Kriege
Historische Tage
Mittwoch, 05.03. - Freitag, 07.03.2025
© Shutterstock
Kirchenvolk im Wandel
Analysen und Perspektiven
Montag, 10.03.2025
Generative KI - Implementieren und anwenden
Dienstag, 11.03. - Mittwoch, 12.03.2025