Hoffentlich bleibt sie Stein des Anstoßes

Die Kirche als querlaufende Struktur der Weltgesellschaft

Im Rahmen der Veranstaltung Ist die Kirche noch zu retten?, 03.03.2023

canva.com

Kennen Sie auch solche Feststellungen aus Gesprächen mit Freunden und Bekannten?

„Wenn die Kirche sich jetzt nicht grundlegend ändert, ist es aus mit mir und der Kirche!“ Aus?

Austritt und Abwendung. „Exit und Voice“ (Albert Hirschman). Es gibt Austritt mit Voice und Abwendung ohne Exit. Was ist schlimmer? Das war vor der Pandemie, als der „Synodale Weg“ als Aufbruch zu neuen Ufern angesehen wurde. Davon ist, wenn ich mich bei meinen Freunden und Bekannten umschaue, nicht mehr viel zu spüren.

Für wen ist die Kirche noch zu retten?

Die katholische Kirche hat im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Millionen Mitglieder verloren. Es bleiben aber immerhin noch rund 22 Millionen übrig. Weltweit sind es 1,4 Milliarden Katholik:innen.

Der zitierte Satz hält ein Beziehungsbild fest: Enttäuschung über mangelnde Reaktionen, eine Empfindung von Befleckung durch ziemlich unangenehme Tatbestände und die Auseinandersetzung mit einer Kontaktschuld in Bezug auf eine einem fremd gewordene, aber womöglich immer noch wichtige Institution.

Die Kirche ist Max Weber zufolge eine Heilsanstalt. Sie stellt den Gläubigen Heilsgüter in Form von Aussagen und Praktiken zur Verfügung, die sie in den Stand versetzen, Fragen letzter Bedeutung für sich so zu behandeln, dass sie Sinn, Trost und eine Fluchtlinie ihres Werdens in der Zeit finden. Dabei sollte im Christentum das zugleich stolze und demütige Bewusstsein unbegreiflichen Begnadigtseins durch den Glauben, der ein Geschenk und keine Pflicht ist, herauskommen. Wenn ich den Titel unserer Tagung erst nehme, steht das
alles auf dem Spiel.

Als die andere Seite der Herrlichkeit, deren man beim Singen des Glorias, beim Besuch des Kölner Doms
oder beim Hören eines Psalm Davids („die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“) inne geworden ist, hat sich die Erbärmlichkeit der Kirche beim Umgang mit dem Missbrauch junger, schutzbedürftiger und abhängiger Menschen entpuppt.

Man will sich allein schon die Tatorte nicht vorstellen. Die Sakristei, die Erste-Hilfe-Räume im Internat, die Duschen beim Ausflug der Jugendkirche, das Lächeln, das in einem stieren Blick entgleitet. Fast noch schlimmer ist das Vertuschen der Vorgänge, die Wiederverwendung der Täter, die Lügen in den Vorgängen, die Maßregelung der Zeugen und die Missachtung der Opfer durch die Amtsträger. Und wenn man sich dann noch klar macht, dass die nächste Welle mit dem Fall der Katholische Kirche in Polen noch bevorsteht, will man am liebsten sofort das Besteck abgeben. Da helfen keine Fremdanlagen (der Leistungssport, die Odenwald-Schule oder die Kindertagestätten), keine Reparaturgesinnung (wir haben doch Gutachten in Auftrag gegeben und Experten zu Rate gezogen) und keine Vergessenswünsche (Organisationen einer gewissen Größe bauen immer einen verschwiegenen Untergrund auf). Verzeihungsbitten und Opferentschädigung sind wichtig, aber niemand glaubt ernsthaft, dass dies die Kirche retten kann. Das hat Benedict am Ende wohl eingesehen und sich deshalb vorzeitig in die Emeritierung verabschiedet.

Dass neben narzisstischen Problematiken („glänzendes Größenselbst“), dem jahrelangen Intimitätsmangel und einer malignen Empathie (gezielte Menschenfängerei) die spirituelle Machtbefugnis einer mit Exzeptionalitätsvorstellungen ausgestatteten Priesterklasse den Missbrauch Abhängiger und Minderjähriger befördert haben, steht heute außer Frage. Braucht die kirchliche Heilsanstalt aber deshalb nicht andere Priester, sondern muss sie überhaupt das individualisierte Priestertum durch ein allgemeines Priestertum ersetzen? Das würde dann freilich die vermutlich nicht mehr aufzuhaltende Protestantisierung der Katholischen Kirche mit sich bringen. Es sieht so aus, als sei die Kirche von den Pforten der Hölle überwältigt worden und es stellt sich die Frage, ob die Kirche unter dieser Bedingung ihr Heilsversprechen noch glaubhaft machen kann.

Rettende Maßnahmen

Die Person, von der eingangs zitierte Äußerung stammen könnte, müsste sich freilich die Frage gefallen lassen, welche grundlegende Veränderung die Kirche denn wieder in Stand setzen könnte, ihre Heilsgüter glaubhaft anzubieten. Über drei Voraussetzungen kirchlicher Heilsgüterproduktion könnte man sich vermutlich schnell verständigen:

Die bürgerliche Rechtsprechung, insbesondere was das Strafrecht betrifft, muss auch innerhalb der Kirche gelten. Bürgerliches Recht bricht Kirchenrecht.

Sodann ist eine Trennung von geistlich-pastoralen und sozialpflegerisch-karitativen Kompetenzen vonnöten. Die Bischöfe und die ihnen zuarbeitenden Generalvikare sind mit ihrer Allkompetenz augenscheinlich überfordert. Was nicht bedeutet, dass beispielsweise die Caritas auf eine christliche Inspiration verzichten könnte.

Auch ist der Ausbau eines Systems von Diakoninnen und Diakonen neben und nicht unter den Priestern seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überfällig.

Schließlich muss die Selbstprüfung der Anwärter für das Priesteramt professionalisiert werden. Die Zöglinge aus den guten Familien und die begabten Bildungsaufsteiger scheinen ausgestorben zu sein. Fromm und frei wäre dafür eine gute Formel für ein solches „self assessment“.

Aber diese Maßnahmen werden niemand davon überzeugen, dass die Kirche ihre Heilsfähigkeit für die endlichen Menschen mit ihren unendlichen Fragen wiedererlangen kann. Man erlebt vielmehr eine mit sich selbst beschäftigte Heilsanstalt, die sich auf einem Weg mit dem Volk Gottes in erster Linie selbst retten will. Der Synodale Weg erscheint mit etwas Abstand in der Tat als Ausdruck einer introvertierten Kirche, die den Kontakt zur Welt und zu den Menschen verloren hat. Es geht um die Geltung und Sendung einer Kirche, die schon lange nicht mehr im Zentrum des öffentlichen Lebens steht. Sie steht im Grunde seit den Säkularisationen in der Folge der Französischen Revolution nicht mehr in der Mitte, sondern am Rande der modernen Öffentlichkeit. Was der Staat tut, wie die Wirtschaft wirkt, was die Wissenschaft zu bieten hat, was im Sport los ist, interessiert die Leute weit mehr als die missionarische und apostolische Aufgabe der Kirche.

Christentum als Stein des Anstoßes

Was bedeutet diese Einsicht für eine glaubhafte Positionierung der Kirche in unserer gesellschaftlichen Welt?

Sie ist nicht Teil der Gesellschaft, sondern macht einen Unterschied zur Gesellschaft, indem sie die Leute eben nicht als Staatsbürgerinnen, Wirtschaftssubjekte, Mediennutzer oder als Sportpublikum, sondern als sterbliche, bedürftige und ängstliche Menschen anspricht.

Und sie tut dies nicht in einer therapeutischen, sozialpflegerischen oder kulturbildnerischen Haltung, sondern sie verweist auf die Heilige Schrift und verwaltet den liturgischen Kult. Die Kirche tradiert Lektüren und zelebriert Versammlungen und erhält dadurch ein Gedächtnis langer Dauer über den menschlichen Umgang mit Fragen letzter Bedeutung: was darüber geschrieben steht und wie wir darüber zusammenkommen können. Die Messe ist Lesung und Wandlung. Die priesterliche Person als zentrale Zelebrantin darf sich dabei aber nicht zuviel einbilden. In der Predigt, die katholischerseits bekanntlich nicht länger als zehn Minuten dauern soll, bietet eine stellvertretende Lektüre des Wortes, die der eigenen Lektüre der Hörerinnen auf die Sprünge helfen soll. Und in der Eucharistie öffnet die priesterliche Person den Kreis, in dem die Gemeinde sich im Blick auf Gott und im Gedenken an die Vielen, die vorher in dieser Weise auf Gott geblickt haben und die nachher in dieser Weise auf Gott blicken werden, versammeln soll. So wird die Kirche in ihren Heilspraktiken zur Statthalterin eines doppelten Zeitbezugs:

Sie veranschaulicht durch Verweis auf sich wandelnde Lektüren der einen Schrift die verrinnende Zeit des geschichtlichen Daseins als Kollektiv wie als Individuum und sie macht durch den gemeinsamen Kult zugleich präsent, dass die Versammelten in einer Reihe mit Vorherigen und Nachfolgenden stehen. Mit anderen Worten: Sie macht die Gläubigen mit den ontologischen Tatsachen der zeitlichen Frist und der überzeitlichen Bezüge ihres Lebens vertraut. Sie lässt uns wissen und erfahren, dass wir alle sterben werden, so wie vor uns alle gestorben sind und nach uns alle sterben werden.

Das tut sie als Weltkirche, die sich im Zuge der Universalisierung, Globalisierung und Kolonialisierung von Europa aus mit allen regionalen Religionen und lokalen Kulten irgendwie verbündet und auf diese Weise eine querlaufende Struktur der Weltgesellschaft ausgebildet hat. Überall und zu allen Zeiten fragen die Menschen, wie sich ihre begrenzte Lebenszeit mit der anderen, womöglich auch begrenzten Weltzeit verbindet. Das muss nicht so verschüchtert und weltverneinend wie in Europa und Post-Europa geschehen, man kann es sich freudiger oder gelassener und weltbejahender vorstellen. Aber die Tatsache, dass unser Dasein auf der Welt fragwürdig ist, wird man nicht als eine europäische Spezialität hochhalten oder verdammen können, wo das Christentum als das Ergebnis einer zufälligen und vergänglichen Konstellation geschichtlicher Umstände auf nicht-europäischem Boden angesehen wird.

Hoffentlich bleibt das Christentum bis zum Ende der Zeiten ein Stein des Anstoßes und ein Gegenstand des Widerspruchs. Bis dahin bleibt, mit Karl Rahner gesprochen, die hoffende Geduld in der Undurchsichtigkeit des befristeten Daseins der einzige Aufgang des ewigen Lebens.

Weitere Medien vom Autor / Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema: Theologie | Kirche | Spiritualität

Das Alte Testament im philosophischen Kreuzverhör
Freitag, 10.01. - Samstag, 11.01.2025
Porträt: © Wikimedia Commons_Amrei-Marie
Literatur im Gespräch
Erich Garhammer trifft Adolf Muschg
Donnerstag, 23.01.2025
Ökumenische Tagung
Freitag, 31.01. - Samstag, 01.02.2025
Neue Batterietypen für das postfossile Zeitalter
Mittwoch, 05.02.2025
Mönch am Meer (1808/1810), Caspar David Friedrich / Wikimedia Commons, Public Domain
Vom Sinn des Betens
Guardini-Tag 2025
Montag, 17.02. - Mittwoch, 19.02.2025
© Viacheslav Lopatin / shutterstock
What's Ancient about Ancient Philosophy
Die Philosophin Anna Marmodoro lädt zu einem neuen Kennenlernen der Philosophie der Antike ein
Dienstag, 25.02.2025
© Bartholomäusnacht von François Dubois
"Heilige" Kriege
Historische Tage
Mittwoch, 05.03. - Freitag, 07.03.2025
© Shutterstock
Kirchenvolk im Wandel
Analysen und Perspektiven
Montag, 10.03.2025