Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden. Nach einem am 6. Februar 2024 veröffentlichten Kommuniqué der EU sollen die CO2-Emissionen bis 2040 um 90 % gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Dabei seien der Verkehr und der Baubereich Schlüsselsektoren.
Notwendigkeit des Umdenkens
Bereits 2011 hat die Europäischen Kommission im Flightpath 2050 speziell für den Flugverkehr beschlossen, dass die CO2-Emissionen bis 2050 um 75 % im Vergleich zum Jahr 2000 gesenkt werden sollen. Wie auch immer die Ziele genau quantifiziert und terminiert werden: Die Luftfahrt muss sich mit hoher Dringlichkeit den Herausforderungen des Klimawandels stellen.
Eine derart starke Reduktion der Emissionen wie sie die EU vorsieht kann vor dem Hintergrund des starken Wachstums im Flugverkehr vermutlich nur mit elektrischen Antrieben gelingen. Eine mögliche Alternative wären Wasserstoffantriebe, aber bei diesen sind in den letzten Jahren die erhofften technischen Durchbrüche ausgeblieben. Herkömmliche Antriebe sind zwar mit den Jahren immer effektiver geworden und haben maßgeblich zur CO2-Einsparung beigetragen (bei Langstreckenflügen wird bereits heute teilweise eine Reduktion des Kerosinverbrauchs auf drei Liter/Fahrgast/100 km erreicht), aber für einen Quantensprung in Richtung Klimaneutralität bieten elektrische Antriebe das größte Potenzial. Die Lösungsansätze sind vielfältig und reichen von verteilten Antrieben und Hybridantrieben bis hin zu effektiveren Batteriespeichern und Brennstoffzellensystemen. Deren Entwicklung hat in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt. Erste
Kleinflugzeuge können bereits elektrisch abheben. Drohnen, die teilweise Lasten von mehreren hundert Kilogramm tragen können, fliegen schon heute fast ausschließlich mit elektrischen Antrieben. Lässt sich die Entwicklung hin zu E-Autos analog auch im Flugverkehr realisieren? Gehört dem E-Flugzeug die Zukunft? Auch Lärm sowie eine Reihe von Schadstoffen lassen sich mit elektrischen Antrieben
drastisch reduzieren.
Pioniere in Norwegen und Chancen für Deutschland
Pionier für die Entwicklung elektrischer Kleinflugzeuge ist insbesondere Norwegen, wo aufgrund der Fjorde die Mobilität mit Auto und Zug meist sehr mühsam ist und aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte Kleinflugzeuge häufig ausreichen. Schon 2040 sollen dort alle Kurzstreckenmaschinen elektrisch fliegen. Ein Start-up-Unternehmen ist bereits dabei, Prototypen zu entwickeln und mit Simulatoren zu testen. Der Noemi („No-Emissions“) genannte Hochdecker soll 2030 auf den Fjorden der Westküste landen. Skandinavien könnte zum Pioniergebiet einer grünen Luftfahrt werden. Norwegen ist nicht allein: Bereits 2015 hat der elektrisch angetriebene Airbus E-Fan 1.0 den Ärmelkanal überquert. Bis 2035 wird mit serienmäßiger Marktreife gerechnet.
Doch wie sind die Entwicklungen, um dieses Konzept auch für Deutschland attraktiv zu machen? Wie für die meisten europäischen Länder ist elektrisches Fliegen hier erst dann breitenwirksam ökologisch attraktiv, wenn es gelingt, damit mittlere Strecken für nicht zu wenige Passagiere zu bewältigen. Erst dann macht es den fossil getriebenen Flügen und nicht der Bahn Konkurrenz. Bei uns wäre die vorrangige Option, Kurzstreckenflüge auf die Schiene zu verlagern. Für die ethische Bewertung des elektrischen Fliegens braucht es eine Einordnung in umfassende Konzepte nachhaltiger Mobilität. Pläne, die für Skandinavien sinnvoll sind, lassen sich nicht 1:1 auf Deutschland übertragen.
Für Flüge mittlerer Reichweite bräuchte es einen Sprung in der Batterieentwicklung, die bisher das 60-fache an Gewicht und ein Vielfaches an Volumen haben im Vergleich zu Kerosin, dessen Energiedichte weit überlegen ist. Es braucht physikalische Tüftler, die mögliche Synergieeffekte vieler kleiner Detailverbesserungen wie in einem Puzzle zusammenfügen und dabei auch die enormen Sicherheitsprobleme, die für das Fliegen essenziell sind, im Blick haben. Mit Herrn Kollegen Myschik haben wir einen solchen Tüftler und führenden Experten
für den nachhaltigen, effizienten und sicheren Betrieb zukünftiger Luftfahrtanwendungen unter uns.
Güterabwägung mit Augenmaß
Ich bin mir sicher, dass das Fliegen in der globalisierten Welt, die auf internationale Kommunikation und Warenströme angewiesen ist, eine unverzichtbare Rolle spielen wird. Von daher bin ich kein umweltethischer Rigorist, der das Fliegen kategorisch ablehnt. Für mich ist die Güterabwägung mit Augenmaß oft der Ernstfall der Ethik. Trotz der ökologischen Schattenseiten ist Fliegen oft das kleinere Übel. Das Fliegen ist der Treibstoff moderner Wirtschaft und vieler Bereiche unserer Zivilisation. Aber nach meiner Einschätzung sind technische Innovationen nur ein Teil der Problemlösung. Wir brauchen auch eine Reduktion von Flügen, sei es im Tourismus, der in der akademischen Welt in der Variante des Konferenz-Tourismus enormen CO2-Ausstoß erzeugt, oder sei es durch eine Vermeidung unsinniger Warentransporte. Ich plädiere für eine doppelte Entkoppelung: technisch durch Effizienzsteigerungen und neue Antriebssysteme, die gleichen Wohlstand mit weniger Umweltverbrauch ermöglichen, und kulturell durch Wertewandel und Suffizienz, die Mobilität durch Genügsamkeit auf das unvermeidbare Maß reduzieren. Ohne die Tugend des Maßhaltens und eine Wiederentdeckung von Lebensqualität durch Nähe und Regionalisierung (zum Beispiel von Ferienorten und Lebensmittelversorgung) werden wir die Ziele der Nachhaltigkeit nicht erreichen können.
Gegen einen solchen Wertewandel, der jeden und jede betrifft, gibt es oft erheblichen Widerstand. Er ist unbequem. Ich bin, gerade auch aus der Perspektive einer Christlichen Sozial- und Umweltethik heraus, für eine Wertschätzung technischer Innovationen und ein Grundvertrauen in die wissenschaftlich-technische Kreativität. Aber nicht, wenn dies als Ersatz für einen ökosozialen Wertewandel dient. Nur eine doppelte Entkoppelung von Wohlstandsentwicklung und Umweltverbrauch, sowohl technisch wie kulturell, kann die notwendige Dynamik der „Großen Transformation“ hin zu einer postfossilen Gesellschaft erzeugen. Heute geht es um die technische Seite. Gerade für christliche Ethik gibt es ein Nachholbedürfnis, Schöpfungsverantwortung stärker auch mit der Entdeckerfreude, technischer Kreativität sowie unternehmerischer Innovationskraft zu verknüpfen.